Table Of ContentPolitik und Religion
Herausgegeben von
Ines-Jacqueline Werkner, Heidelberg, Deutschland
Antonius Liedhegener, Luzern, Schweiz
In allen Gesellschaft en spielte der Zusammenhang von Politik und Religion eine
wichtige, häufi g eine zentrale Rolle. Auch die Entwicklung der modernen west-
lichen Gesellschaft en ist ohne die politische Auseinandersetzung mit den traditio-
nellen religiösen Ordnungskonzepten und Wertvorstellungen nicht denkbar. Heute
gewinnen im Westen - und weltweit - religiöse Orientierungen und Diff erenzen
erneut einen zunehmenden gesellschaft lichen und politischen Einfl uss zurück.
Die Buchreihe „Politik und Religion“ trägt dieser aktuellen Tendenz Rechnung. Sie
stellt für die Sozialwissenschaft en in Deutschland, insbesondere aber für die Poli-
tikwissenschaft , ein Publikationsforum bereit, um relevante Forschungsergebnisse
zum Zusammenhang von Politik und Religion der wissenschaft lichen Öff entlich-
keit vorzustellen und weitere Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet anzuregen. Sie
ist deshalb off en für verschiedene disziplinäre und interdisziplinäre, theoretisch-
methodologische und interkulturell-vergleichende Ansätze und fördert Arbeiten,
die sich systematisch und umfassend mit politikwissenschaft lich ergiebigen Frage-
stellungen zum Verhältnis von Politik und Religion befassen. Die wissenschaft liche
Auseinandersetzung mit „Politik und Religion“ soll damit in ihrer ganzen Breite
dokumentiert werden, ohne dass die Herausgeber dabei mit den jeweilig bezoge-
nen Positionen übereinstimmen müssen.
Herausgegeben von
PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner Prof. Dr. Antonius Liedhegener
Universität Heidelberg Universität Luzern
Deutschland Schweiz
Ines-Jacqueline Werkner
Antonius Liedhegener (Hrsg.)
Europäische
Religionspolitik
Religiöse Identitätsbezüge,
rechtliche Regelungen
und politische Ausgestaltung
Herausgeber
PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner Prof. Dr. Antonius Liedhegener
Universität Heidelberg, Deutschland Universität Luzern, Schweiz
Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.
ISBN 978-3-658-00958-8 ISBN 978-3-658-00959-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-658-00959-5
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio-
n a lbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de
abrufb ar.
Springer VS
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung,
die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu-
stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über-
setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen
Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die-
sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass
solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu
betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en.
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe
Springer Science+Business Media.
www.springer-vs.de
Inhalt
Religion, europäische Identität und die Fonnierung
einer europäischen Religionspolitik - Einführung ............................................... 7
Antonius Liedhegener & Ines-Jacqueline Werkner
I
Religion und europäische Identität
Religion und Religionsfreiheit als Komponenten einer
europäischen Identität.. ....................................................................................... 25
Heinrich Schneider
Religiosität in Europa und die politische Unterstützung der
europäischen Integration - ein bezugsloses Nebeneinander? ............................. 53
GertPickel
Religiöser Europäismus - Die Zukunft einer Idee .............................................. 83
Christian Polke
Identität und kulturelles Gedächtnis. Erinnerungsorte am
Mittelmeer als Bausteine einer europäischen Nachbarschaftspolitik
im Arabischen Frühling. ....................................................................................... 99
Mariano Barbato
11
Religion und Religionsgemeinschaften im
geltenden Recht der Europäischen Union
Zur Genese des europäischen Religionsverfassungsrechts als responsiver
Ordnung - oder: Der europäische Stiersprung .................................................. 141
Michael Droege
"In Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags" -
Der Dialog der EU mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften
als Grundlage und Kernstück europäischer Religionspolitik ............................ 153
Matthias Belaji
Auf dem Weg zu einem europäischen Religionsverfassungsrecht?
- Aktuelle Überlegungen aus deutscher Perspektive ........................................ 175
Ansgar Hense
Die Finanzierung von Religionsgemeinschaften
und das Recht der Europäischen Union ............................................................ 197
Björn Griebel
DI
Religionspolitik der Europäischen Union
und ihr Verhältnis zur Staatenwelt
Mehr als Binnenmarkt und Laizismus? Die neue Religionspolitik
der Europäischen Union .................................................................................... 223
Antonius Liedhegener
Säkularmacht EU? Zur Europäisierung
von Religion in EU-Mitgliedsstaaten ................................................................ 239
Carina Sprungk
Das Europaverständnis der orthodcxen
Kirchen im Zuge der Europäisierung ................................................................ 265
Lazaros Miliopoulos
Die Rolle der EU im internationalen interreligiösen Dialog -
Forum, Förderer, Facilitator .............................................................................. 295
Peter Bentier
Eine Neubewertung militanter politischer Religion ......................................... 307
Ludger Viefhues-Bailey
Autorenverzeichnis ........................................................................................... 319
Religion, europäische Identität und die Formierung einer
europäischen Religionspolitik - Einführung
Antonius Liedhegener & Ines-Jacqueline Werkner
1 Die Bedeutung von Religion in und für Europa
Die Europäische Union erlebt schwierige Zeiten. Im Gefolge der weltweiten Fi
nanz-und Wirtschaftskrise sind eine ganze Reihe ihrer Länder in erhebliche finan
zielle Schwierigkeiten geraten. Deren wachsende Staatsverschuldung bei sinkender
Wirtscbaftsleistung haben aus der internationalen Immobilien-und Finanzkrise von
2008 in Europa eine Wirtschaftskrise werden lassen, die die gemeinsame Währung
bedroht und damit eines der wichtigsten politischen Projekte der europäischen
Integration der jüngeren Zeit gefährdet (Beckert/Streeck 2012). Ist es vor diesem
aktuellen Hintergrund nicht geradezu eine Nebensächlichkeit, sich mit der Rolle
von Religion in der Europäischen Union (wissenschaftlich) auseinandersetzen zu
wollen? Jacques Delors, Präsident der EU-Kommission von 1985 bis 1994, be
hauptet mitten in der Serie von Euro-Rettungsmaßnahmen das Gegenteil.
,,Ich bin mir sichet", so Delors in einem Interview im Januar 2012,..dass es unsere Gesellschaf
ten mit einem extrem starken Individualismus zu tun haben. ( ... ) Ich denke, dass der Niedergang
der Religion zu einem Verlust an Lebenssinn und relativer Autonomie geführt hat. Das Band zu
den anderen, die Tatsache, dass wir eine Gemeinschaft bilden, dass wir miteinander verbunden
sind, das haben die christlichen Konfessionen gelehrt. ( ... ) [W]enn man nur an sich denkt, wenn
man der einzige Richter seiner selbst ist, zeitigt das keine guten Ergebnisse, weder für sich noch
für andere. Wesentliche Elemente der Identität, der Zugehörigkeit zu Gemeinschaften und Ge
sellschaften bewirken, dass es sinnvoll ist, sich nicht als Richter seines Handelns zu betrachten."
In Zeiten der Krise müsse daher die "Seele Europas reanimiert werden", denn wenn das Projekt
der Europäischen Union ,,nicht von spirituellem Schwung getragen wird, wird es nicht weit
kommen."1
Unabhängig davon, wie man zu diesen Aussagen im Einzelnen stehen mag, wird
in ihnen ein Wandel sichtbar. Religion und die Zukunft Europas werden inuner
öfter eng aufeinander bezogen. Und in der Tat ist das Verhältnis der Europäischen
Zit nach ..W lTmüssen die Seele Europas retten!" Jacques Delors im Interview mit Hans-Joachim
Neubauer, in: Christ und Welt, 1/2012,3-4.
Ines-Jacqueline Werkner, A. Liedhegener (Hrsg.), Europäische Religionspolitik, Politik und Religion,
DOI 10.1007/978-3-658-00959-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013
8 Antonius Liedhegener & Ines-Jacqueline Werkner
Union zu Religion und Religionsgemeinschaften fiir die Europäische Union seit
einiger Zeit nicht nur theoretisch diskussionswürdig, sondern auch politisch zu
nehmend wichtig geworden. Dies gilt sowohl fiir die Fragen rund um eine gemein
same Identität in Europa als auch fiir die religionspolitischen Wirknngen, die von
der europäischen Integration ausgehen. Und auch in einer EU nach der Krise wer
den diese beiden Dimensionen von Politik und Religion an politischem Gewicht
eher zu-als abnehmen. Es gibt also gute Gründe, sich mit diesem Wandel, seinen
Hintergründen und Ursachen auseinanderzusetzen und sie zu erforschen.
Woher kommt dieser Wandel? Lange Zeit galt die Europäische Gemeinschaft
bzw. Union unhinterfragt als eine säkulare Staatenorganisation, in der Religion im
Wesentlichen nicht thematisiert wurde. Mit der von vielen beschworenen Rückkehr
der Religionen (u. a. Riesebrodt 2001; Graf2007) und der breit rezipierten Idee der
postsäkularen Gesellschaft (Habermas 2001) stellte und stellt sich die Frage nach
dem Verhältnis von EU und Religion aber neu. Galt die Säkularisierung lange un
befragt als eine, wenn nicht die entscheidende Signatur der Moderne, schien diese
Sicht mit dem Ende des Kalten Krieges oder doch spätestens seit ,,9/11" der Ver
gangenheit anzugehören. Es wurde nicht nur die kommunistische Ideologie, die
den Atheismus gewaltsam durchzusetzen suchte, überwunden. Zugleich schienen
die Voraussetzungen der Säkularisierungstheorie widerlegt, nicht zuletzt weil Re
ligion mit Macht in die Politik zurückkehre (pointiert etwa Weimar 2006: 7). Im
Anschluss an Jürgen Habermas wird gefordert, dass sich die säkulare Gesellschaft
trotz der Trennung von Politik und Religion nicht der normativen Gehalte religiö
ser Überlieferung verschließen dürfe. Angesichts bestehender Gefahren einer "ent
gleisenden Modernisierung" müsse sie viehnehr ein vitales Interesse an der Frei
setzung bzw. Einbeziehung religiöser Stimmen in der politischen Öffentlichkeit
haben (Habermas 2005a: 36, 2005h: 137).
Die verstärkte Aufmerksamkeit fiir die gesellschaftliche Bedeutung von Re
ligion speiste sich aber nicht nur aus dieser globalen Entwicklung, sondern auch
aus dem europäischen Integrationsprozess selbst. In dem Maße, wie sich die EU
nicht mehr nur als wirtschaftliches Projekt und Binnenmarkt verstand bzw. versteht,
sondern gleichfalls als politische Union und Wertegemeinschaft, kommt der Frage
nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und der Vermittlung unterschiedlichs
ter religiöser und nationaler Identitäten in Europa eine wachsende Bedeutung zu
(Augustinl Wienand/ Wink1er 2007; Kallschener 2009; Liedhegener/Gerstenhauer
2010; Losansky 2010). Angesichts der mit dem Vertrag von Maastrlcht einsetzen
den raschen Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union fordert der bereits
zitierte Kommissionspräsident Jacques Delors früh dazu auf, Europa eine Seele zu
geben:
Einführung 9
.. We won't succeed with Europe solelyon the basis oflegal expertise er economic know-how.1t
is impossible to put the potential ofMaastricht into practice without a breath of arr. Ifi n the next
ten years we haven't managed to give a soul to Europe, to give a spirituality and meaning, the
game will be up. ( ... ) This is why I want to revive the intellectua1 and spiritual debate in Europe.
I invite the Churches to participate actively in it'Ol
Angestoßen durch die Institutionen der EU, die die Suche nach einer gemeinsamen
politischen Identität Europas zu einem Leitbegriff machten, entstsnd in der inter
essierten politischen Öffentlichkeit und Europaforschung ein beachtliches interes
se, über die Bildung einer europäischen Identität als Teil und Voraussetzung einer
weiteren politischen Integration der Europäischen Union nachzudenken (Kraus
2008; Leiße 2009; Wienand/Wienand 2010). Dabei blieb höchst strittig, ob und
wenn ja auf welcher Basis und in welchem Verhältnis zu überkommenen nationa
len Identitäten eine solche europäische Identität ein wünschenswertes Ziel sei
(Glockner 2010). Allerdings darfbei den Überlegungen rund um eine europäische
Identität und deren Beitrag zur Stabilisierung der Union und ihrer politischen ins
titutionen nicht übersehen werden, dass jenseits der überwiegend europafreundli
ehen Eliten die Skepsis der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der EU in den
letzten Jahren gewachsen ist (Knelangen 2012).
Im Zusammenhang mit der Suche nach verbreiterten Legitimationsgrundlagen
der Europäische Union wurde auch die Rolle der Religion in Europa und fiir die
europäische Identität virulent und je länger, desto kontroverser diskntiert (Gerhards
2006; FaltinlWright 2007; Buchstab/Uertz 2008; KippenberglRüpke/Stuckrad
2009; Hildmann 2009; Malik 2010; McCrea 2010; Krech 2011: 204-221). Histo
risch betrachtet gehören sowohl die Trennung von Politik und Religion als auch
die verschiedenen, ganz überwiegend christlichen religiösen Traditionen zu Euro
pa. So brachte erst die ZUTÜCkdrängung der Religion im Politischen mit dem Ende
der Religionskriege und dem Westfälischen Frieden ein System souveräner euro
päischer Staaten - und damit die Grundlagen fiir den gegenwärtigen europäischen
Integrationsprozess - hervor. Andererseits lassen sich wesentliche Momente euro
päischer Kultur und Gesellschaft wie Moralität und Sittlichkeit, Person und indi
vidualität, Freiheit und Emanzipation ohne jüdisch-christliches Denken ganz sicher
nicht verstehen (Habermas 1988: 23). In diesem Kontext stellt sich dsnn auch die
Frage nach der spezifischen Bedeutung des Christentums fiir die Europäische
Union. Nicht zuletzt durch den Zeitgeist und die Debatten in der ersten Gründungs
phase einer supranatioualen politischen Zusammenarbeit der Staaten (West-)Euro
pas nach 1945 ist diese Disknssion immer wieder durch die Identifikation Europas
mit dem christlichen Abendland geprägt worden. Schon früh gab der damalige
2 Zit nach Newsletter des European Ecumenica1 Commission far Church and Society, 12.01.1992.
Description:Die Europäische Union galt lange Zeit als rein säkulare politische Gemeinschaft, in der Religion nicht zu thematisieren sei. Mit der viel beschworenen Rückkehr der Religionen und der Idee der postsäkularen Gesellschaft stellt sich diese Frage ganz neu. Die verstärkte Aufmerksamkeit für die ges