Table Of ContentEuropa-Historiker
Ein biographisches Handbuch
Herausgegeben von
Heinz Duchhardt, Malgorzata Morawiec,
Wolfgang Schmale, Winfried Schulze
Band 3
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 9 Abbildungen.
Die Herausgeber danken den Copyright-Inhabern für die freundliche
Genehmigung zum Wiederabdruck.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-525-30158-6
© 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
Internet: www.v-r.de
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und Unterrichtszwecke. Printed in Germany.
Umschlagabbildung: Ortega y Gasset (1883-1955)
Satz: Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Druck und Bindung: ® Hubert & Co, Göttingen
Bayerische
Staatsbibliothek
München
Inhalt
Vorwort.................................................................................. VII
Christiane Coester
Francesco Guicciardini (1483-1540) ................................... 1
Wolfgang Schmale
Voltaire (Franfois-Marie Arouet) (1694-1778)................... 29
Heinz Duchhardt
Niklas Vogt (1756-1836)...................................................... 43
Christoph Becker-Schaum
Arnold Herrmann Ludwig Heeren (1760-1842)) ................ 63
Dirk Hoeges
Francis Guizot (1787-1874)................................................ 89
Eberhard Straub
Jose Ortega y Gasset (1883-1955)....................................... 113
Anita Prettenthaler-Ziegerhofer
Albert Mirgeler (1901-1979) ............................................... 133
Franz Knipping
Denis de Rougemont (1906-1985)....................................... 157
Katja Seidel
DenysHay (1915-1994) ....................................................... 177
VI Inhalt
Malgorzata Morawiec
Nachwort ............................................................................... 201
Register.................................................................................. 229
Die Autoren ........................................................................... 235
Vorwort
Mit dem vorliegenden 3. Band gelangt das Publikationsvorhaben
»Europa-Historiker« zu seinem Abschluss. Es ginge zwar weit
an der Sache vorbei anzunehmen, dass damit alle dieser Gruppe
zuzuordnenden »Historiker« - wie weit der Begriff gefasst wur
de, wurde verschiedentlich betont - behandelt worden wären.
Niemandem mehr als den Herausgebern ist bewusst, wie groß
die Lücken geblieben sind, die noch zu schließen wären: ob man
an Nikolaus Hieronymus Gundling, Johann Peter Ludewig, Ge
org Christian Gebauer oder Johann Georg Meusel im 18. Jahr
hundert, Hendrik Brugmans, Wolfgang Windelband oder Pierre
Renouvin im 20. Jahrhundert denkt, manche weitere als die in
den drei Bänden dieses Unternehmens porträtierten Gelehrten
hätten einen Anspruch darauf, unter Fokussierung des europä
ischen Potentials in ihren Werken hier vorgestellt zu werden.
Aber wissenschaftliche Unternehmen wie dieses können keine
unbegrenzte Laufzeit haben. Die Herausgeber glauben, dass die
in dem »biographischen Handbuch« versammelten Porträts eine
wichtige Schneise geschlagen und vor allem sensibilisiert dafür
haben, auch die Historiker als Teil jenes umfassenden Europa-
Diskurses zu verstehen, der mit verschiedenen Intensitäten die
gesamte Neuzeit geprägt hat. Diese Sammlung ggf. zu ergänzen,
muss anderen überlassen bleiben.
Die Summe eines solchen Unternehmens zu ziehen, ist eine
diffizile Aufgabe. Malgorzata Morawiec hat sich ihr am Ende
dieses Bandes gestellt und eine Systematisierung, Typologisie-
rung und Gesamtwürdigung vorgenommen, der bereits kollek
tivbiographische Züge der »Europa-Historiker« eignen. Mit die
sem Beitrag erhält das Publikationsvorhaben eine sinnvolle
Abrundung.
Über den Beiträgem dieses Bandes hinaus ist allen - insge
samt 36 - Autoren des Gesamtwerks, die sich aus sechs europä
ischen Staaten rekrutierten, für ihre Bereitschaft zu danken, sich
auf den jeweiligen Essay einzulassen, den so, wie er hier publi-
VIII Vorwort
ziert wurde, mit Gewissheit niemand in der Schublade seines
Schreibtischs hatte. Mit der einen oder anderen Bewertung - so
etwa wenn von einem dezidierten Euroskeptiker in Bd. 1 das
europäische Potential seines Protagonisten eher gering einge
schätzt wird gehen die Herausgeber nicht einig, aber in die
Freiheit der Autoren wurde bewusst nicht eingegriffen. Zur Kon
zeption und zum Inhaltlichen nur zwei Schlaglichter: Es gehörte
zu den Erkenntnisgewinnen dieses Unternehmens, dass nicht alle
ausgewählten Persönlichkeiten sich so intensiv als »Historiker«
betätigt haben, wie zunächst angenommen, sondern mit pädago
gischen oder politischen Absichten eher der praktischen Arbeit
an der europäischen »Front« Vorrang einräumten, nicht erwartet
worden war ferner, dass sich in dem einen oder anderen Fall die
Autoren von »Europa-Klassikern« im zeitlichen Abstand von
ihren Büchern auch wieder zu distanzieren suchten. Insgesamt,
so glauben die Herausgeber, stellt die Trilogie einen markanten
Beitrag zur Geschichtsschreibung der Vormodeme und der Mo
derne und zu einer der vielen Facetten des Europa-Diskurses in
der Neuzeit dar.
Dem Verlag ist zu danken tur sein Engagement und den Mut,
sich auf ein solches Vorhaben einzulassen, vor allem aber für
sein zügiges Mitwirken, das es erlaubte, die drei Bände in weni
ger als einem dreiviertel Jahr auf die Verkaufstische der Buch
handlungen zu bringen; Martin Rethmeier und Dörte Rohwedder
seien hier namentlich genannt. Schließlich sollen die Wissen
schaftlichen Hilfskräfte des Instituts für Europäische Geschichte
nicht vergessen werden, die in der einen oder anderen Form -
durch Recherchen, durch Erstellung des Registers in Bd. 2 - in
die Arbeiten an diesem Werk eingebunden waren.
Mainz, München und Wien, Ende Januar 2007
Heinz Duchhardt, Malgorzata Morawiec, Wolfgang Schmale,
Winfried Schulze
Christiane Coester
Francesco Guicciardini (1483-1540)
1. Leben und Werk. Francesco Guicciardini gehört zu den unge
lesenen Klassikern. Dies hängt mit der Editionsgeschichte seiner
Werke sowie mit der Tatsache zusammen, dass der Großteil sei
ner Schriften ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt
war. So wurden etwa die Leser der Memorie di famiglia gebeten,
den Text niemandem »fuora di casa« zu zeigen, und in der Vor
rede zum Dialogo del reggimento di Firenze ist zu lesen, Guic
ciardini schreibe »per mio piacere e recreazione ne con intenzio-
ne di publicarlo«1. Folglich wurde nicht nur keins der Werke zu
Lebzeiten des Autors publiziert, auch eine Zirkulation hand
schriftlicher Kopien fand so gut wie nicht statt. Eine Ausnahme
stellt die Storia d’Italia dar, die für den Druck vorgesehen gewe
sen zu sein scheint; doch soll der Florentiner auch diesen Text
auf dem Totenbett den Flammen zugeeignet haben. Die Storia
d'Italia wurde erstmals 1561 durch Guicciardinis Neffen Agnolo
veröffentlicht. Noch in den Jahrzehnten vor 1600 erschienen
zahlreiche Neuauflagen und Nachdrucke, außerdem diverse Kom
pendien sowie Übersetzungen ins Lateinische, Deutsche, Engli
sche, Französische, Spanische und Niederländische. Trotz dieses
anfänglichen Erfolgs der Storia blieben die kleineren Werke des
Florentiners unbekannt. Erst nachdem die Guicciardini zu Be
ginn des 19. Jahrhunderts ihr Familienarchiv geöffnet hatten,
konnte eine »Gesamtausgabe« erscheinen, in der wichtige Texte
wie die Coseßorentine, die erst 1945 veröffentlicht wurden, al
lerdings weiterhin fehlten2.
Für Guicciardini selbst war das Schicksal seiner historiogra-
phischen Werke nur von geringer Bedeutung, da er sich in erster
Linie als »uomo politico«, nicht als Schriftsteller oder Historiker
verstand. Die selbstverständliche Ausrichtung des Florentiner
Patriziats auf den Bereich der Politik auf der einen und die Tra
dition seiner Familie, aus der »gonfalonieri di giustizia«, Kom
missare, Gesandte und Sekretäre der Medici hervorgegangen
2 Christiane Coester
waren, auf der anderen Seite bestimmten seinen beruflichen und
privaten Lebensweg. Am 6. März 1483 in Florenz geboren und
von Marsilio Ficino über das Taufbecken gehalten, wurde Guic-
ciardini zunächst in den »cose di umanitä« erzogen, bevor er
1498 das Studium der Jurisprudenz aufnahm, das er sechs Jahre
später mit der Erlangung des Doktorgrades abschloss3. Seine
professionelle Ausrichtung folgte dann drei verschiedenen We
gen: Er hielt Vorlesungen am »Studio« von Florenz, eröffnete
eine bald schon florierende Kanzlei als Advokat, und er über
nahm erste kleinere politische Aufgaben für die Republik. Auch
die 1508 geschlossene Ehe mit Maria Salviati stand im Zeichen
seiner politischen Laufbahn, war ihr Vater doch »sanza compa-
razione el primo uomo della cittä«4.
Eine erste bedeutende Aufgabe auf dem Gebiet der Politik
wurde Guicciardini 1511 mit seiner Ernennung zum Botschafter
bei Ferdinand von Aragon durch die Republik angetragen. Vom
März 1512 bis zum Ende des folgenden Jahres hielt sich der Flo
rentiner in Spanien auf, wo er, obwohl größtenteils zur Tatenlo
sigkeit verurteilt, doch seine Ausbildung um den Bereich der Dip
lomatie erweitern konnte. Nach seiner Rückkehr - am Arno re
gierten erneut die Medici - nahm Guicciardini die Tätigkeit als
Advokat wieder auf, gleichzeitig übte er immer wichtigere politi
sche Ämter in Florenz aus. Mit seiner Ernennung zum Gouver
neur von Modena durch LeoX. 1516 begann schließlich seine
Karriere im Dienst der Päpste. Bis 1527 und noch einmal von
1530 bis 1534 hatte Guicciardini Ämter und Würden inne, die in
ihrer Bedeutung für einen Laien kaum zu überbieten waren: Gou
verneur von Modena (1516-1526), Reggio (1517-1523) und
Parma (1521/22), Präsident der Romagna (1524-1527), Vizelegat
in Bologna (1530/31-1534), General Statthalter bei den päpstli
chen Truppen (1521-1522, 1526/27) und im gesamten Kirchen
staat (1526/27), persönlicher Berater des Papstes (1525/26).
Mit dem Sacco di Roma im Mai 1527 und dem darauf folgen
den Zusammenbruch der Medici-Herrschaft in Florenz sah sich
Guicciardini zum Rückzug aus dem öffentlichen Leben gezwun
gen. Von einem »estremo eccessivo di onori, di riputazione, di
faccende grandissime e di notizia universale« fand sich der Flo
rentiner »in uno altro extremo di uno vivere ozioso, abietto, pri-
vatissimo, sanza degnitä, sanza faccende, inferiore nella tua cittä
Francesco Guicciardini (1483-1540)
Francesco Guicciardini (1483-1540)
© Biblioteca Ambrosiana Auth. No F 174/06
4 Christiane Coester
a ogni piccolo cittadino« geworfen5. Die neue republikanische
Regierung erlegte ihm als Anhänger der Medici verschiedene
Geldstrafen und Extrasteuem auf und zitierte ihn mehrere Male
wegen Unterschlagung und Planung von Komplotten gegen den
»stato« vor Gericht. Im März 1530 zog sich Guicciardini schließ
lich nach Rom zurück, von wo aus er verfolgte, wie sich die
Stadt am Arno den gegnerischen Truppen ergab.
In den Jahren bis zum Tod Clemens’ VII. konnte der einstige
Berater des Papstes einen Teil seines ehemaligen Ansehens zu
rückerlangen. Er erhielt die Statthalterschaft für Bologna über
tragen und wurde von Clemens mehrmals nach Florenz gesandt,
um die dortigen Verhältnisse zu ordnen und an den Staatsrefor
men mitzuarbeiten; außerdem ließ er sich als Unterhändler bei
Gesprächen mit den Vertretern Karls V. einsetzen. Mit dem Tod
Clemens’ VII. 1534 verlor Guicciardini seinen Gouvemeurspos-
ten und begab sich nun ganz in die Dienste des Herzogs von Flo
renz, dessen Statthalter, Anwalt und Ratgeber er wurde. Auch
nach der Ermordung Alessandros de’ Medici und der Wahl Co-
simos zu dessen Nachfolger hatte Guicciardini wichtige Ämter
und Würden in seiner Heimatstadt und im Dienst des Herzogs
inne, doch zog er sich ab 1538 zunehmend aus der Politik zu
rück. Selbst ein ehrenvolles päpstliches Angebot, das ihn wieder
zum Verwalter eines Ortes des Kirchenstaates gemacht hätte,
lehnte er ab. Francesco Guicciardini starb am 22. Mai 1540 in
Florenz, am Tag darauf wurde er in der Familien grab Stätte in
Santa Felicitä beigesetzt.
Zwei Dinge werden aus dem Lebensweg Francesco Guicciar-
dinis deutlich: Der absolute Vorrang, den er der politischen Praxis
und der eigenen Erfahrung als »uomo di stato« vor der Theorie
einräumte, sowie der Einfluss, den seine Tätigkeit als Diplomat,
Berater, Unterhändler und Mittelsmann für die Fürsten Italiens auf
seine Beschäftigung mit und sein Bild von der Geschichte hatte.
Seine Überzeugung, es bei den europäischen Mächten mit einem
zusammenwachsenden System von Staaten zu tun zu haben, die
untereinander durch vielfältige Abhängigkeiten verbunden waren,
rührt von seinen Erfahrungen im Dienst des Papstes, von seiner
Zeit als Botschafter am Hof des Königs von Aragon und von di
versen Verhandlungen mit den Vertretern des Kaisers her. Um
Geschichte schreiben zu können, so seine Überzeugung, musste