Table Of ContentERGEBNISSE
DER INNEREN MEDIZIN
UND KINDERHEILKUNDE
HERA USGEGEBEN VON
F. KRAUS· ERICH MEYER· O. MINKOWSKI· FR. MULLER
H. SAHLI· A. SCHITTENHELM
A.CZERNY·O.HEUBNER·L.LANGSTEIN
REDIGIERT VON
L. LANGSTEIN ERICH MEYER A. SCHITTENHEL1U
BERLIN GOTTINGEN KIEL
SIEBENUNDZWA NZIGSTER BAND
MIT 79 ABBILDUNGEN 1M TEXT
BERLIN
VERLAG VON JULIUS SPRINGER
1925
ISBN-13: 978-3-642-88781-9 e-ISBN: 978-3-642-90636-7
DOl: 10.1007/978-3-642-90636-7
ALLE RECHTE, INSBESONDERE
DAS DER tTBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN
VORBEHALTEN
COPYRIGHT 1925 BY JULIUS SPRINGER IN BERLIN
SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDITION 1925
Inhaltsverzeichnis.
Seite
I. Sahli, Professor Dr. H., Die Sphygmobolometrie oder dynamische
Pulsuntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . • . . 1
II. van der Reis, Privatdozent Dr. V., Die Darmbakterien des
Erwachsenen und ihre klinische Bedeutung . . . . . . .. 77
III. Kisch, Dr. Franz und Dr. Heinrich Schwarz, Das Herzschlag-
volumen und die Methodik seiner Bestimmung. . . . . . . 169
IV. Seyderhelm, Professor Dr. R. und Dr. W. Lampe, Die Blut-
mengenbestimmung und ihre klinische Bedeutung. . . . . . 245
V. Kowitz, Dr. Hans Ludwig, Die Funktion der Schilddriise und
die Methoden ihrer Priifung . . . . . . . . . . . . . 307
VI. Kahn, Dr. Herbert, Die Ohemie der malignen Tumoren und die
chemischen Veranderungen im krebskranken Organismus 365
VII. Isaac, Professor Dr. S., Die klinischen Funktionsstorungen der
Leber und ihrer Diagnose • . . . . . . . . . . . . . 423
VIII. Simmel, Privatdozent Dr. Hans, Die Priifung der osmotischen
Erythrocytenresistenz 507
Namenverzeichnis 546
Sachverzeichnis. • 568
Inhalt der Bande 26 und 27 580
Ein Generalregister fur die Bande 1-25 befindet sich 1m Band 25.
Berichtigung.
In meiner Arbeit tiber Oxyuriasis in Bd. 22, S. 136 dieser
Ergebnisse habe ich unter der Rubrik "Spezialpraparate und
Geheimmittel" Oxyuralemulsion, Oxyuralsalbe und -Zapfchen
angefUhrt mit dem Zusatz: enthaltend Rheum, 01. Ricini, Sal.
Carol. fact., Spec. lax. Dieser Zusatz gibt nicht die wirkliche
Zusammensetzung der Praparate an, sondern ist durch ein Ver-
sehen entstanden. Oxural ist ein Chenopodiumpraparat und
kein Geheimmittel.
F. Goebel.
77. 6. 25. 1315
I. Die Spbygmobolometrie oder dynamische
. Pnlsnntersncbnng.
Von
Hermann Sahli -Bern.
Mit 29 Abbildungen.
Inhalt. Selte
Literatur ........ . 2
Einleitung ...... . 3
Das Wesen der Pulswelle 5
Prinzip der Sphygmobolometrie 8
Die jetzige Form der pneumatischen Sphygmobolometrie (Volumbolo-
m~ri~ ... . .. U
Instrumentarium ............................ 13
Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
ttber die graphische Aufnahme der volumbolometrischen Pulskurve. Isotonische
Pulskurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
ttber die Vorgange, welche bei der Ubertragung des Pulses auf das Volumbolo-
meter stattfinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Diskussion der Eigenschaften des registrierenden Systems des Volumbolometers.
Der EinfluB der GroBe des Index ................... 26
Der systolische Volumzuwachs wird durch den Indexausschlag in natUrlicher
GroBe wiedergegeben. . . . . . . . . . . . . . 26
Berechnungen bei der Vo lumbolometrie . . . . . . . 27
Normalwerte fUr das Pulsvolumen und die Pulsarbeit 27
Fehlerquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Der Schapowaloffsche Pulssammler '.' . . . . . . 30
Die Volumbolometrie als klinische Methode . . . . . 30
Die Frage der DurchfluBkorrektur und allfalliger anderer Korrekturen de3 ge-
fundenen bolometrischen Pulsvolumens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
Der EinfluB des Arterienkalibers auf das bolometrische Pulsvolumen . . . . . 33
Die palpatorische Arteriometrie als Erganzungsmethode zurSphygmo-
bolo metrie . . . . . . . . . . . . . 37
Kritik der palpatorischen Arteriometrie 40
Die absoluten Sphygmogramme . . . 44
Das absolute Drucksphygmogramm . . 44
Das absolute Volumsphygmogramm oder Volumbolograinm 46
Die exakte Fassung der Begriffe der Celeritat und Tarditat des Pulses an der
Hand des absolullen Druck- und Volumsphygmogrammes . . . . . . . . . 48
Der Begriff des Effektes im absoluten Volumbologramm . . . . . . . . . . 50
Die ZirkulationsgroBe im Lichte der Volumbolometrie und des abso-
luten Volumbologrammes ..•.........•....... 51
Ergebnisse d. inn. Aled. 27.
2 H. Sahli:
Seite
Vergleich der Volumbolometrie mit der peripheren Beurteilung eines
Elektrizitatswerkes .•......•....... 55
tiber Sphygmobolographie (Arbeits- und Volumbolographie) . . . 58
Die sphygmographische Arteriometrie • . . . . . . . . . . . . . . 67
Die arteriometrische Sphygmobolographie, eine pulsdynamische Uni-
versalmethode 71
Gebrauchsanweisung . . . . . . . . . . . . 71
Literatur.
1. Baumann: Zur Kritik der palpatorischen Maximaldruckbestimmungen. Korresp.-
Blatt f. Schweiz. Arzte 1917. Nr.46.
2. Bernd: Verwendung der entlasteten Membran zur Sphygmograpbie und Tonographie.
Wien. klin. Wochenschr. 1906. Nr.2.
3. Borgard: Inaug.-Diss. GieBen 1903.
4. Christen: Miinch. med. Wochenschr. 1913. Nr. 25.
5. - Dynamische Pulsuntersuchung. Vogel 1914.
6. Da Cunha: Korresp.-Blatt f. Schweiz. Arzte 1917. Nr.46.
7. Dubois: Sphygmobolometrische Untersuchungen bei Gesunden und Kranken. Dtsch.
Arch. f. klin. Med. Bd. 120. 1916.
8. Erlanger: New instrument for determining etc. Johns Hopkins hosp. reports. Vol. 12.
1904.
9. Frank, 0.: Tigerstedts Handb. d. physioI. Meth. Bd. 2 (4), S. 227 und Zeitschr. f.
BioI. Bd. 55, S. 453. 1911.
10. Hartmann: Untersuchungen mit dem neuen Sphygmobolometer nach Sahli. Dtsch.
Arch. f. klin. Med. Bd. 117. 1915.
11. Hediger: ~eitschr. f. klin. Med. Bd. 88, S. 1/2 und Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 138.
12. Kaiser: Apparat zur Registrierung von Druckschwankungen in Organhohlen. Zeitschr.
f. bioI. Technik u. Methodik. Bd. 2, S.296. 1912.
13. Lipowetzki: Sphygmobolographische Untersuchungen bei Gesunden und Kranken
mit Hille des Sahlischen sphygmobolographischen Verfahrens. Dtsch. Arch. f.
kIin. Med. Bd. 98. 1910.
14. Marey: La circulation du sang. 1881.
15. Mii nzer: DoppelschreibkapseI. ZentralbI. f. PhysioI. Bd. 31, Nr. 5.
16. Oli ver: Pulse gauging. London 1895.
17. Pal: Zentralbl. f. inn. Med. 1906. Nr. 5.
18. Reinhart: Eignung der Sphygmobolometrie zur Bemessung der SystolengroBe resp.
des Minutenvolumens. Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 114.
19. - Sphygmobolometrische Untersuchungen bei Gesunden und Kranken. Dtsch. Arch.
f. klin. Med. Bd. 120.
20. SchultheB: Das Sphygmometer. Korresp.-Blatt f. Schweiz. Arzte. 1911 u. 1916.
20a. - ZentralbI. f. Herz- u. GefaBkrankh. 1915.
21. Straub, H.: Abderhalden, Handb. d. bioI. Arbeitsmethoden. Abt.5, Teil4, S.419.
22. Sahli: Lehrb. d. klin. Untersuchungsmeth. 6. Auf!. 1920. 7. Auf!. im Druck. 1925.
23. - Sphygmobolometrie. Dtsch. med. Wochenschr. 1907.
24. - Weiterer Ausbau der Sphygmobolometrie. Dtsch. med. Wochenschr. 1910. Nr. 47.
25. - tiber die Verwendung moderner Sphygmographen zur sphygmobolographischen
Untersuchung. Korresp.-Blatt f. Schweiz. Arzte 1911. Nr. 16.
26. - Weiterer Ausbau der Sphygmobolometrie. Zeitschr. f. klin. Med. Bd.72. 1911.
27. - Zur Kritik der Sphygmobolometrie. Ibidem Bd. 72. 1911.
28. - Vereinfachte und verbesserte Sphygmobolometrie. Dtsch. Arch. f. klin. Med.
Bd. 107. 1912.
29. - Weitere Beitrage zur Kritik der Sphygmobolometrie. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 74.
1912.'
30. - Erwiderung an Dr. Christen. Dtsch. Arch. f. kIin. Med. Bd. 109. 1913.
31. - Weitere Vereinfachungen und Verbesserungen der Sphygmobolometrie. Dtsch.
Arch. f. kIin. Med. 1913.
Die Sphygmobolometrie oder dynamische Pulsuntersuchung. 3
3~. S ah Ii: Begriindung der Sphygmobolometrie. Internat. Physiologenkongr. Groningen
1913.
33. - Uber Volummessung des menschlichen Radialpulses, zugleich eine neue Art der
Arbeitsmessung desselben. Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 115. 1914.
34. - Entgegnung an Dr. Christen. Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 117. 1915:
35. - Richtige Verwertung der Volumbolometrie. Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 122.
1917.
36. - Die jetzige Form der Volumbolometrie. Schweiz. med. Wochenschr. 1920. Nr.1.
37. - Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden. 6. Aufl. Bd. 2, 2, S. 1330 Volum-
bolometrie, S. 1337 Celeritat. Effekt, S. 1341 DurchfluBkorrektur, S. 1347 Pal-
patorische Artenometrie. 1920.
3S. - Uber Volumbolometrie. Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 140. 1922. (Analogie der
Volumbolometrie mit der peripheren BeurteiIung .e ines stadtischen Elektrizitats-
werkes. Experimente1ler Beweis fiir das aufgestellte VerteiIungsgesetz des Puls-
volumens und der Pulsenergie je nach dem Artenenkaliber. Kritik der Arbeit
von Hediger in Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 13S.)
39. - Uber die objektive sphygmographische Messung des Arterienlumens (sphygmo-
graphische Arteriometrie) als HiIfsmethode und SchluBstein der dynamischen
Pulsuntersuchung. Schweiz. med. Wochenschr. 1922. Nr. 6.
40. - tJber Sphygmobolographie unter Verwendung der graphischen Arteriometrie und
iiber Volumbolographie. Schweiz. med. Wochenschr. 1922. Nr. IS.
41. - Uber eine Vereinfachung und Verbesserung der arteriometrischen Sphygmobolo-
graphie und ihre praktische Nutzanwendung. Schweiz. med. Wochenschr. 1923.
Nr.33.
42. - Zur Kritik des arteriellen Minimaldrucks und der Kreislaufslehre I. Wien. Arch.
f. inn. Med. Bd. 4, S. 476. 1923.
43. - Zur Kritik der Bestimmung des arteriellen Minimaldrucks. II. Ibidem Bd. 6. 1923.
44. - Uber die Messung des arteriellen Blutdrucks beim Menschen. Ergebn. d. inn. Med.
u. Kin.derheiIk. Bd. 24. Heu bners Festschr. 1923.
45. - Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn Dr. Attinger. Schweiz. med.
Wochenschr. 1923. Nr. 49.
46. - Erwiderung auf die Replik des Herm Dr. Attinger. Schweiz. med. Wochenschr.
1924. Nr.3.
Einleitung.
FUr die EinfiihruiJ.g der dynamischen Pulsuntersuchung als Erganzung
der klinischen Druckmessungen waren folgende Gesichtspunkte ma13gebend.
Es ist ebenso illusorisch, sphygmomanometrische Druckmessungen zu Riick-
schliissen auf die Herzarbeit und Zirkulationsgro13e zu benutzen, wie es der Ver-
such ware, aus der Messung des Dampfdrucks in dem Kessel einer in ihren
Dimensionen nicht bekannten Lokomotive die Arbeitsleistung der letzteren
oder gar die Geschwindigkeit des Eisenbahnzugs berechnen zu wollen. Auch
die Mitberiicksichtigung der Druckschwankungen (Blutdruckamplitude)
andert hieran nichts. Denn bei der Dampfmaschine bleibt man auch unter
Beriicksichtigung der Druckschwankungen iiber die Leistung der Dampfmaschine
v6llig im unklaren, da eine Energieleistung oder Arbeit nur als das Produkt
einer Kraft in einen Weg gemessen werden kann. Wenn man blo13 den Dampf-
druck beriicksichtigt, so kame man unter Umstanden zu dem Trugschlu13, die
Leistung einer Spielzeuglokomotive derjenigen einer gro13en Dampfmaschine
gleichzusetzen. 1
Die Verhaltnisse liegen ganz ahnlich auch in der Elektrizitatslehr~. Die
Leistung einer elektrischen Maschine, sei es eines Elektrizitatsgenerators, sei
1*
4 H. Sahli:
es einer durch Elektrhitat getriebenen und Elektrizitat konsumierenden Arbeits-
maschine, kann niemals eindeutig definiert werden durch das Potential oder
die Spannung, welche sie liefert oder verbraucht, sondern bloB durch die gleich-
zeitige Angabe iiber die gelieferte oder verbrauchte Stromstiirke oder Ampere-
zahl.
Besonders nahe liegt aber auch die Analogie mit der technischen Hydraulik:
der Handelswert einer Wasserkraft wird durch die Gefallhohe bzw. Druck-
hohe nicht geniigend charakterisiert, sondern erst durch die Angabe der unter
diesem Gefall~ zur Verfiigung stehenden Wassermenge.
Es geht hieraus hervor, daB die rein statische Betrachtung nirgends in der
Mechanik geniigt, und daB" man iiberall neben dem Intensitatsfaktor (Dampf-
druck, Wasserdruck, elektrischem Potential) auch einen Extensitatsfaktor mit
in die Berechnung ziehen muB, wenn diese vollstandig und richtig sein soll. Die
Hamodynamik ist ein Teil der Hydraulik, und wenn wir in der Medizin nicht ruck-
standig bleiben wollen, so miissen wir uns den von der Mechanik ausgear~eiteten
Prinzipien anschlieBen und diirfen uns nicht einer dilettantischen Physik fur
unseren medizinischen Hausgebrauch hingeben. Wir miissen also neben dem
friiher allein berucksichtigten Blutdruck, dem 1ntensitatsfaktor oder Potential
der Zirkulation, auch einen Extensitatsfaktor derselben berucksichtigen. Ais
solcher eignet sich, wie wir sehen werden, das spater noch naher zu definierende
Pulsvolumen.
1ch nenne nun die Untersuchung der Zirkulation von diesem umfassenderen,
den Postulaten der wissenschaftlichen Physik gerecht werdenden Standpunkt
aus, die energetische oder dynamische Untersuchung der Zirkulation bzw.
des Pulses. Als energetisch ist das Problem zu bezeichnen, weil bei der Beruck-
sichtigung des 1ntensitats- und Extensitiitsfaktors der Naturerscheinungen
sich uberall durch Multiplikation dieser Faktoren ein Energiewert ergibt. Und
der Begriff der Energie beherrscht uberall die Naturerscheinungen. Dynamisch
nenne ich das Problem, weil wir unter Dynamik die Lehre von den Bewegungen
verstehen und uns in der Zirkulation hauptsachlich die Bewegung des Blutes
interessiert, welche nur durch die dynamische Untersuchungsmethode beurteilt
werden kann. Die Statik, als die Lehre von dem Gleichgewicht der Krafte,
kommt in dem nach den Regeln des Gleichgewichts bestimmten Blutdruck
dabei natiirlich ebenfalls zum Wort, aber fiir sich allein hat siesich aus den
erwahnten Grunden, wie es a priori klar ist, fiir die Beurteilung der Zirkulation
als ungeniigend erwiesen.
Die Beriicksichtigung des Extensitatsfaktors und der Dynamik der Zirku-
lation geschah friiher von den Arzten mehr oder weniger instinktiv. Man sprach
nicht bloB von einem gespannten, sondern auch von einem "groBen" und
"starken" oder einem kleinen und schwachen PuIs. Seit der Einfiihrung der
Blutdruckmessungen in die klinische Medizin ist insofern ein recht bedauer-
licher Ruckschritt zu verzeichnen, als man nun jene alten, allerdingsdamals
noch nicht recht exakt faBbaren Begriffe und Qualitaten des groBen und kleinen
Pulses als veraltet zu betrachten anfing und sich mehr und mehr der lliusion
hingab, daB ,uns der Blutdruck durch seine exakte Bestimmbarkeit eindeutige
Auskunft iiber die Qualitaten des Pulses bzw. der Zirkulation zu geben ver-
moge."" Man glaubte ein iibriges zu tun, wenn man nicht bloB den systolischen
Blutdruck, sondern auch den (noch dazu haufig mit falschen Methoden
Die Sphygmobolometrie oder dynamische Pulsuntersuchung. 5
bestimmten) Minimaldruck beriicksichtigte und der Diskussion der Zirkulations-
erscheinungen zugrunde zu legen versuchte. Wie wenig physikalisch man
dabei dachte, ergibt sich daraus, daB man in Widerspruch zu allem, was nach
dem Gesagten die reine Physik und die Technik lehrt, aus Maximaldruck und
Minimaldruck und dem daraus berechneten Blutdrucksquotienten, aus der
Blutdruckamplitude und dem Amplitudenfrequenzprodukt u. dgl. statischen,
wissenschaftlich und erkenntnistheoretisch zum Teil gar nicht haltbaren Be-
griffen und Berechnungen Schliisse, auf die Beschaffenheit der Zirkulation
ziehen zu diirfen glaubte.
Die Sphygmobolometrie hat die Aufgabe iibernommen, jenen Unzulanglich-
keiten abzuhelfen und die unabweisbaren modernen Forderungen der Physik
auch in der Kreislaufslehre zu erfiillen und hierdurch eine Untersuchungs-
methode zu liefern, welche uns nun auch gestattet, einen geeigneten Extensitats-
faktor zu finden, welcher in die Berechnung und in die praktische Beurteilung
der Zirkulation eingefiihrt werden kann. Es geschieht dies unbeschadet der
Bestimmung auch der statischen GroBen, namlich des vom Minimaldruck zum
Maximaldruck schwankenden Potentials der Zirkulation, welche nach den
bekannten Methoden der Sphygmomanometrie, sobald man endlich einmal
die ungliicklichen Manschettenmethoden verlassen haben wird, in einwandfreier
Weise moglich ist.
Nun ist offenbar fiir die Zirkulation der eigentliche primare Extensitats-
faktor, ahnlich wie in der Elektrizitatslehre die Stromstarke, die GroBe des
Blutstroms aus dem Herzen bzw. das Schlagvolumen des letzteren. Aber leider
konnen wir klinisch diese GroBe nicht bestimmen, und es handelt sich deshalb
darum, einen anderen Extensitatsfaktor zu finden, welcher klinisch bestimmbar
ist und in unsete Berechnungen an der Stelle des Schlagvolumens eingefiihrt
werden kann. Dieser Extensitatsfaktor muB natiirlich, da unsere Aufgabe
ist, von der Statik zur Dynamik fortzuschreiten und diese die Lehre von
der Bewegung ist, eine GroBe sein, welche die Bewegungserscheinungen der
Zirkulation charakterisiert. Die einzige Bewegungserscheinung der Zirku-
lation, die wir einwandfrei fassen und messen k6nnen, jst aber der Puls, und als
ExtensitatsgroBe der Zirkulation wurde deshalb schon von den alten Arzten
palpatorisch mehr oder weniger instinktiv das Pulsvolumen benutzt. Man
kann nun aber das Pulsvolumen in verschiedener Weise verstehen, palpieren
und messen. Es gibt mit anderen Worten verschiedene Begriffe des Puls-
volumens, und somit handelt es sich fiir uns vor allem darum festzustellen,
welche Art des Pulsvolumens wir messen und der energetisch-dynamischen
Betrachtung und Beurteilung der Zirkulation zugrunde legen sollen.
Wir miissen, um iiber diese Frage ins klare zu kommen, zunachst das Wesen
der Pulswelle besprechen.
Das Wesen der Pulswelle.
Seit den Untersuchungen von E. H. Weber wurde immer wieder darauf
hingewiesen, daB b~i der Wellenbewegung von Fliissigkeiten das Fortschreiten
der Welle nicht mit der Fortbewegung der Fliissigkeit verwechselt werden
diirfe: unda non est materia progrediens sed forma materiae progrediens! Dieser
Satz gilt speziell fiir die an der Oberflache von Fliissigkeiten fortschreitende
6 H. Sahli:
Wellenbewegung, also fiir Wasserwellen im gewohnlichen Sinn des Wortes,
bei welchen man sich in der Tat leicht davon iiberzeugen kann, daB schwimmende
Gegenstande, wie Holzstiickchen, zwar beim Fortschreiten der Welle von dem
Wellenzug gehoben werden, aber ihren Platz in horizontaler Richtung dennoch
nicht verlassen. Nun hat es aber in der Physiologie und in der klinischen
Beurteilung der Zirkulation zu sehr groBen Irrtiimern gefiihrt, daB man, gestiitzt
auf die miBverstandene Autoritat E. H. We bers und speziell unter Berufung auf
den angefiihrten lateinischen Satz, eine analoge Auffassung auch auf die Wellen-
bewegung des' Pulses iibertragen hat, wo die Verhaltnisse ganz anders liegen.
Die Pulswelle gehOrt zu den Schlauchwellen, d. h. zu den Fliissigkeitswellen im
Innern von elastischen Schlauchen. Hier gelten ganz andere Gesetze als fiir
die Oberflachenwellen der Fliissigkeiten. Schlauchwellen sind iiberhaupt etwas
ganz Besonderes, das simst nirgends in der Wellenlehre ein Analogon findet.
Die Schlauchwellen sind namlich immer mit einer fortschreitenden Bewegung
der den Schlauch erfiillenden Fliissigkeit verbunden. E. H. Weber hat dies
keineswegs verkannt, es ist aber seither oft vergessen worden. Bei den Schlauch-
wellen gilt also der angefiihrte lateinische Satz nicht oder wenigstens nur in
einem besonderen und beschrankten Sinn. Die fortschreitende Bewegung der
Fliissigkeit bei Schlauchwellen hat allerdings die Eigentiimlichkeit, daB die
Fliissigkeitsfiillung nicht als Ganzes ihren Ort wechselt, sondern bloB sukzessive
von Querschnitt zu Querschnitt. Wenn eine Schlauchwelle entsteht, so ist
der Vorgang der, daB zunachst ein Plus von Fliissigkeit in den Schlauch ein-
dringt und daB hierdurch der Schlauch in einer gewissen Langenausdehnung
sich dehnt, um die vermehrte Fiillung aufzunehmen. Zunachst ist also, soweit
als die primare Ausdehnung des Schlauches reicht, dieser V organg sicher mit
einer Fliissigkeitsstromung verbunden. Dieser Vorgang, welchem beim Puls
das systolische Einstromen des Blutes aus dem Herzen in die Aorta entspricht,
wurde auch nie bestritten. Nun pflanzt sich aber die primare Mehrfiillung,
als "Welle" wie man sich ausdriickt, in peripherer Richtung gegen das Ende
des Schlauches fort, und hier wird nun haufig iibersehen, daB auch diese Fort-
pflanzung der Welle mit einer Stromungsbewegung verbunden ist, denn die
Fortpflanzung der Welle kann nur dadurch geschehen, daB aus dem zentralen,
durch den Fliissigkeitseintrieb primar ausgedehnten Teil des Schlauches infolge
der elastischen Spannung der Schlauchwand die Fliissigkeit in die distalen
Teile des Schlauches weitergetrieben wird, d. h. weiter flieBt. Wahrend der
zentrale Teil sich entleert, fiillt sich der periphere Teil. Dieser Vorgang wieder-
holt sich sukzessive von Querschnitt zu Querschnitt. Dieser fortlaufende Strom
tritt schon ein beim Beginn der primaren Welle, also schon bevor diese, bzw.
die Eintreibung von Fliissigkeit in den Schlauch vollendet ist. An jeder Stelle,
wo die Fliissigkeit durch die Fortpflanzung der Welle hingelangt, wirkt sie
wieder wie die primare Welle, indem auch hier wieder eine translatorische
Bewegung der Fliissigkeit nach der Peripherie hin hervorgerufen wird. Das
in dieser Weise, nicht gleichzeitig in der ganzen Lange des Schlauches, sondern
wegen der Nachgiebigkeit des Schlauches von einem Querschnitt zum anderen
sukzessive erfolgende Stromen der Fliissigkeit braucht im Gegensatz zu dem
wellenlosen Strom in starren Rohren eine gewisse Zeit, um sich von dem
zentralen bis zu dem peripheren Ende des Schiauches fortzupflanzen. Durch
diese Vorgange nimmt die Bewegung eine gewisse Ahnlichkeit mit sonstigen