Table Of ContentACTA NEUR OVEGETA TIVA I SUPPLEMENTUM III
Entziindung
Entziindungsbereitschaft
und InlIllunitat
Eine morphologisch-pathogenetische Studie
Von
Philipp Schwartz
Direktor des Instituts fur Pathologische Anatomie
und Allgemeine Pathologie der Universitat Istanbul
Mit !2 1 Textabbildungen
WIEN I SPRING ER-VERLAG I 1953
ISBN-13: 978-3-211-80319-6 e-ISBN-13: 978-3-7091-7823-2
001: 10.1007/978-3-7091-7823-2
AIle Rechte, insbesondere das der iJbersetzung
in fremde Sprachen, vorbehalten
Copyright 1953 by Springer-Verlag in Vienna
Vorwort
Die hier vereinigten, in sich abgeschlossenen drei Abhandlungen ge
horen zusammen, wei! in ihnen der Versuch unternommen wurde, drei
Grundprobleme der allgemeinen Pathologie - Entziindung, Entziindungs
bereitschaft und Immunitat - vom Gesichtspunkt der Morphologie zu
untersuchen. Eine einheitliche Darstellung ergab sich vor allem dadurch,
daB wir Ergebnisse der RICKERS chen Lehren iiber peristasische Kreis
laufstOrungen zur Interpretation der Pathogenese sowohl der Entziin
dung als auch der Entziindungsbereitschaft und der Immunitat ver
wendeten.
Wir haben als Grundlage zu unseren Betrachtungen iiber Entziin
dungsbereitschaft und Immunitat hauptsachlich Beobachtungen und
Erfahrungen verwertet, die wir in Studien iiber Infektionen mit KocHschen
BaziIlen sammelten. Wir gehen aber davon aus, daB Feststellungen
iiber die erhohte Entziindungsbereitschaft bei der Tuberkulose oder
etwa iiber Reakticinen bei avirulenten tuberkulOsen Erkrankungen
auch fiir andere Infektionen giiltig sind; ja, daB sie Vorgange der
Entziindungs- und Immunitatslehre ganz allgemein charakterisieren.
Istanbul, im Dezember 1952
Ph. Schwartz
Inhaltsverzeichnis
Seitc
Einleitung I
Ersier Teil
Morphologic und Pnthogencse del' Entziindung
Die Entziindung als Problem del' allgemeinen P athologie 4
Del' Entziindungsbegriff ......... . 4
1. Klassische Definition del' Elltzlindung . . . 4
2. IVandlungen des Entzlindnngsbegriffes ill del' Geschichte del'
Medizin ............... . 8
A. Elemente del' Lehre von del' Elltziindung . . 10
I. Morphologie deR entziindlichen Infiltrates. . . . 10
1. Zellen im entzlindlichen Infiltrat, die Blutzellen ent"prechen 12
2. Zellen im entziindlichen Infiltrat, die ortsansassigen Elementen
entsprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. '13
:~. Riesellzellen im entzlllldlichen Infiltrat. . . . . . . . ] 3
II. Kurze Bemerkungen iiber die Ursachen del' Entziindung 15
III. Uber die Entstelmng des entzlindlichen Infiltrates . . . . 15
IV. Ansichten libel' die Bedeutung del' entziindlichen Reaktion fiir
den Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
B. Die Entziindung als Funktion einer besonderen Art del'
p eristasischeu Kreisla ufstorung. . . . . . . . . . . . . . 32
I. Die Entwicklung des pneumonischen Infiltrates als Beispiel fiir
die Morphologie uud Pathogenese del' exsudativen entziilld-
lichen Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1. Stadium des entzlindlichen Odems in del" Entwicklung del'
plleumonischen Infiltration . . . . . . . . . . . . . . . 33
2. Stadium del' hamorrhagischell Infiltration in der Entwicklung
del' Pneumonie . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3. Stadium der fibrinosen Infiltration im Verlauf del' Lungen
entziindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
4. Stadium del' leukozytaren Infiltration in del' Entwickluug del'
Pneulllonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4:1
5. Zusammenfassende Obersicht libel' die Yorgallge bei del'
Lungenentziindung und ihre Verallgemeinerung . . . . . . 45
II. Entziindlich infiltriertes Granulationsgewebe als Beispiel fiir
Folgen einer Iangallhaltenden, im selben Gebiet wiederholt auf
tretenden peristasisc.hen Kreislaufstorung nlltritiver und dia-
pedetischer Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . 4!l
Ill. Schlu13bcmerlcungell libel' die Morphologic, Pathogen ese, Atio-
logie und biologische Bedeutung del' Entzundung . . . 59
VI Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil
Entzundungsbereitschaft und Immunitiit bei Infektionen mit Kochschen
Bazillen
Seite
I. Historischer Uberblick 72
II. Die .experimentalpathologischen Grundlagen der Lehre von del"
erhuhten Entzfindungsbereitschaft und der Immunitat bei
Tuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
III. Bemerkungen uber das morphologisch und funktionell definier-
bare Wesen der erhohten Entzundunp;sbereitschaft und del"
Immunitat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
IV. Erhohte Entzundungsbereitschaft und Immunitat ala Gestal
tungsfaktoren von Erkrankungen durch Infektion mit Kochschen
Bazillen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
1. Schockartige Zustande bei der Infektion mit Kochschen
Bazillen als Ausdruck der erhohten Entzundungsbereitschaft 89
2. Krankheitsbilder, welche durch hamatogene Aussaat der
Kochschen Bazillen auf dem Boden der maximal gesteigerten
Entzii.ndungsbereitschaft entstehen und in den Kreis der
Miliartuberkulose gehoren. . . . . . . . . . . . . . . . 93
3. Krankheitsbilder, welche durch bronchogene Aussaat der
Kochschen Bazillen auf dem Boden der maximal gesteigerten
Entzii.ndungsbereitschaft entstehen. . . . . . . . . . . . 96
4. Ruckbildungsfahige, lobulare undlobare, akute und chronische
Pneumonie als Ausdruck einer bestehenden Immunitat bei
Tuberkulose. Beziehungen der galoppierenden Schwindsucht
zur Immunitiit. Schub uud Immunitat 07
5. Meningitis tuberculosa . . . . . . . . . . 100
V. Uber pathologjsch-anatomisch faBbarc, extrapulmonale, un
spezifische Begleiterscheinungen der Initialperiode einer Lungen
tuberkulosc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Dritter Teil
Entzundungsbereitschaft und Immunitiit bei der Tuberkulose im Lichte der
Rickersehen Forschungen
I. Immunitiit und Uberempfindlichkeit . . . . . . . . . . . . 112
II. eber die Pathogenese der experimentellen Uberempfindlich.
keitsphanomene bei vorbehandelten Tieren nach der intra
venosen und intratrachealen Reinfektion . . . . . . . . . . 116
III. Bemerkungen uber das ,\Vesen des tiberempfindlichkeitszustandes
und der avirulenten Infektion. . . . . . . . . . . . . . . 119
IV. Bemerkungen uber die neuere Literatur der Beziehungen zwischen
Immunit.iit und Uberempfindlichkeit . . . . . . . . . . . . 121
RchluBwort . . . . . . 132
Litera tu rvcrzeic hn is 133
Einleitung
In einer vor kurzem veroffentlichten Arbeit: "Die zellularpathologische
Definition der gut. und b6sartigen Geschwillste" (Z. Krebsforsch. 57, 221
[1951]), habe ich den Versuch ausgefiihrt, Entstehung und Eigenschaften
der tumoralen NeubiIdungen mit Hille einer reinen morphologischen
Zellularpathologie zu charakterisieren. Es sei gestattet, die Grundsatze,
die uns bei der Erorterung des Geschwulstproblems leiteten, auch hier
zu wiederholen.
"Gleichgiiltig ob es sich um ein histologisches Praparat normaler oder
kranker Organe h~ndelt, immer sind es ztJ)ei Grundelemente der korpereigenen
Bestandteile, wele 1e wir mit Hille der mikroskopischen Untersuchung unter·
scheiden:
1. finden wir ?ellen (einzeln bzw. miteinander verbunden);
2. sehen wir Substanzen (Intrazellularsubstanzen und Interzellular
sub stanzen).
So dUrftig d:.ese Grundlage auf deu ersten Blick auch erscheinen moge,
gibt es keine andere Methode, welche eine nur anniihernd vergleichbare Fiille
von einheitlichen Feststellungen iiber Lebewesen gestattet als gerade die
mikroskopisch-histologische Betrachtung.
Diese Tatsache beruht auf Erfahrungen, die sich immer und immer wieder
bestiitigen und die wir - wenn sie auch bisher noch nie formuliert wurden -
als Grundgesetze der normalen und pathologischen Morphologie betrachten
konnen:
1. Die Zelle reprasentiert als Gestalt aIle Eigenschaften des lebendigen
Organismus, ahnlich wie das Molekiil aIle Eigenschaften irgendeiner Substanz.
2. Die verschiedenen Arten von Organismen besitzen morphologisch ver
schiedene Zellen und Zellkomplexe, ahnlich wie die verschiedenen Substanzen
qualitativ verschiedenartige Molekiile und Molekulargruppen enthalten:
Diese Zellen bzw. Zellkomplexe sind fiir die Art und Funktion der Organismen
spezifisch charakteristisch.
3. Die verschieden funktionierenden Organe ein und desselben Organis
mus sind durch Zellen und Zellkomplexe gekennzeichnet, welche sich von
einander mgrphologisch klar unterscheiden.
4. Die Anderung des funktionellen Zustandes eines Organismus bzw.
seiner Teile bedeutet die Anderung der Gestalt seiner Einheiten.
Die stillschweigend allgemein anerkannte Giiltigkeit dieser Satze leitete
die mikroskopische Erforschung des normalen menschlichen Korpers. Man
lernte die mannigfaltigen Zellarten der verschiedenen Organe kennen, die
Besonderheiten der Zusammenhange dieser Zellen untereinander. Man er
forschte die morphologischen Veranderungen, die mit der physiologischen
Funktion verbunden sind, und man erlernte aus der Gestalt auf die Art der
Funktion und auf den funktionellen Zustand der Zellen zu schlieBen.
Dieselben morphologischen Grundgesetze sind auch fUr die Krankheiten
giiltig:
1. Auch die Krankheit als selbstandiges Phanomen im System der N atur
erscheinungen ist in der Gestalt der Zellen und Zellkomplexe enthalten.
Schwartz, Entziind11l!g. 1
2 Einleitung
2. Die Besonderheiten der Krankheit sind durch morphologische Beson·
derheiten der Zellen und Zellkomplexe charakterisiert: morphologische
Eigenschaften der kranken Zellen und Zellkomplexe sind fUr die verschiedenen
Krankheiten spezifisch anders.
3. Die pathologisch veranderte Funktion ist immer mit einer pathologischen
Anderung der Form verbunden, so daB eine vom N ormalen abweichende
Gestalt - einer Zelle oder emes Zellkomplexes - immer eine Storung anzeigt.
4. Besondere Gestalten der Krankheitsprodukte werden durch besondere
Ursachen und durch einen besonderen Entwickhmgsgang hervorgebracht,
das heiBt Gestaltsveranderungen sind geeignet, auch die atiologischen und
pathogenetischen Besonderheiten einer Krankheit zu charakterisieren."
Das sind die Prinzipien, mit welchen wir nicht nur die Geschwulst
lehre, sondern die ganze Allgemeine Pathologie zu erfassen bestrebt
sind.
Indem wir Morphologie, Pathogenese, Atiologie und funktionelle Be
deutung der entziindlichen Infiltration als besonder~ und voneinander
unabhangig charakterisierbare Aspekte einer bestimm~'m Erkrankung
eigener Art betrachten, beabsichtigen wir also zum Aufbau ">iner einheit
lichen morphologischen Allgemeinen Pathologie beizutragen.
Wir kamen zu dem Ergebnis, daB die bosartige Geschwulstentstehung
letzten Endes eine Regulationsstorung der Zellproliferation bedeutet,
welche die Koordination der normalerweise in Struktureinheiten ver
bundenen, verschiedenartigen Zellen endgiiltig aufhebt. Wir zweifeln
nicht daran, daB diese Regulationsstorung unter anderem mit einer
Dysfunktion des Nervensystems zusammenhangt, und hoffen diese Auf
fassung in nachster Zukunft an den Beispielen der RECKLINGHAUSEN
schen Nervenkrankheit und der KAPosISchen Krankheit usw. ausfiihr
lich begriinden zu konnen.
In der vorliegenden Arbeit zeigen wir, daB die entziindliche Infil
tration als eine voriibergehende Regulationsstorung aufgefaBt werden
kann, vermittelt durch neurogene Anderungen der Blutstromung im
terminalen GefaBnetz. Obwohl dabei manchmal ausgedehnte Parenchym
zerstorungen entstehen und es zu einer lebhaften Zellproliferation kommt,
durchbrechen die Vorgange des Entziindungsprozesses nie die Schranken
des Koordinationsprinzips.
Wir sind noch weit entfernt davon, den Mechanismus der normalen
und pathologischen Regulationen verstanden zu haben. Die vielen Einzel
beobachtungen, iiber die wir verfiigen, lassen die Wirkung physikalischer
Faktoren, chemischer Agentien, hormonaler Einfliisse und nervoser
Apparate erkennen. Wir dUrfen wohl davon ausgehen, daB aIle Zellen,
welche dem Organismus als koordinierte Einheiten angehoren, innerviert
und daher neurogenen regulatorischen Einfliissen direkt zuganglich sind.
Hoffentlich wird diese Hypothese in nicht allzu ferner Zukunit viele
konkrete Befunde zutage fordern, welche eine prinzipielle Revision
oder gar die systematische Neugestaltung der Allgemeinen Physiologie
und Pathologie ermoglichen.
Die Untersuchungen G. RICKERS iiber die vasonervalen Funktions
anderungen und Storungen im terminalen GefaBnetz dagegen ermoglichen
Einleitung 3
mit ihren klaren, eindeutigen und vielfach iiberpriiften Ergebnissen jetzt
schon eine neue - und, wie wir glauben, produktive - Auslegung zahl
reicher Pha.nomene der Allgemeinen und Speziellen Pathologie.
Wir finden keinen Gegensatz zwischen den RICKERSchen Lehren und
einer auf der morphologischen Zellenlehre beruhenden Pathologie. Wenn
wir etwas an der von VmcHow inspirierten Zellularpathologie, so wie sie
sich bis zum heutigen Tage entwickelte, auszusetzen haben, so ist es die
Tatsache, daB sie die Morphologie als Untersuchungsmethode und Grund
lage fiir biologische Definitionen nicht streng und konsequent genug
beniitzte, daB sie verhaltnismaBig arm blieb und daher in der Hierarchie
der wissenschaftlichen Systeme noch nicht zu der Bedeutung gelangte,
welche ihrer wiirdig ware.
l'
Erster Teil
Morphologie und Pathogenese der Entziindung
Die Entziindung als Problem der allgemeinen
Pathologie
Der Entzllndnngsbegriff
1. Klassische Definition der Entziindung
Die "Entziindung" ist ein vielumstrittener Begriff. Noch vor hundert
Jahren hat man fast alles, was in der Pathologie morphologisch faBbar
erschien, als "Entziindung" benannt. So wurden auch Krankheiten, von
denen man nunmehr weiB, daB sie die Eigenschaften der Geschwiilste
besitzen, friiher oft als "Entziindung" bezeichnet. Heute wieder neigen
manche Forscher zu der Behauptung, daB es besser ware, den Entziindungs
begriff ganz aufzugeben. Man findet, daB jener Komplex von Verande
rungen, welchen man traditionsgemaB als "Entziindung" bezeichnet,
wissenschaftlich iiberhaupt nicht definiert werden kann; jede der bisher
vorgeschlagenen Definitionen schlieBt ja Eigenschaften selbst von Zu
standen ein, welche niemand als eine Krankheit bezeichnen wiirde;
somit existiere der Begriff einer Krankheit "Entziindung" fiir die kon
sequente naturwissenschaftliche Betrachtung nicht; dementsprechend
ware der Ausdruck "Entziindung" aus dem W ortschatz der Medizin
endgiiltig auszumerzen. Fast aIle Kritiker stellen aber fest, daB diese
Forderung nicht durchzusetzen ist, weil eben der praktische Arzt, der
Kliniker, ja auch die Mehrzahl der Pathologischen Anatomen doch immer
wieder von einer "Entziindung" als von einem wichtigen selbstandigen
Krankheitsbegriff sprechen. Auch ist es noch nicht gelungen, jene Zu
stande, deren Zugehorigkeit zur Pathologie unzweifelhaft ist und die man
bisher als "Entziindung" systematisierte, anderen, naturwissenschaft
lich einwandfreieren Krankheitsbegriffen unterzuordnen.
Dieser Zwiespalt zwischen praktischer Wirklichkeit und Theorie ist
Schuld daran, daB man die Bezeichnung "Entziindung" in manchen
neuen Lehrbiichern der Pathologischen Anatomie nur noch unter An
fiihrungszeichen findet: die Autoren wollen damit ihre Distanz von dem
ihrer Meinung nach unklaren, unreinen Krankheitsbegriff dokumen
tieren, den sie aber - leider! - doch nicht entbehren konnen. In der
Der Entziindungsbegriff 5
Tat, es ist unvorstellbar, einen Krankheitsbegriff aus der Pathologischen
Anatomie zu eliminieren, der die gr6Bte - also die wichtigste - Gruppe
der Krankheiten zusammenfassen soIl! Die anatomischen Veranderungen
der Gewebe bei Tuberkulose, Syphilis, Typhus, bei allen Infektions
krankheiten, welche ohne Schwierigkeiten, ja meistens auf den ersten
Blick von den Geschwiilsten, von den MiBbildungen und von den Anderun
gen der substantiellen Zusammensetzung der Gewebe zu unterscheiden
sind, sollen fiir den Pathologischen Anatomen wissenschaftlich nicht zu
definieren sein! Wahrend man glaubt, den morphologischen Begriff der
Geschwiilste, der MiBbildungen, der Krankheiten durch Veranderungen
der substantiellen Zusammensetzung der Gewebe wissenschaftlich richtig
erfaBt zu haben, sollen wir uns damit zufrieden geben - wenn auch
nur einstweilen --, Krankheiten, welche durch die eben erwahnten Begriffe
nicht gekennzeichnet werden k6nnen und doch untereinander gemeinsame
Eigenschaften aufweisen, in einer falschen Rubrik zu gruppieren!
tTherblickt man die Definitionen der Entziindung in den modernsten
Lehrbiichern der Pathologischen Anatomie aller Sprachen, so hat man
zunachst tatsachlich das Gefiihl, daB uns nur ein unwissenschaftliches
KompromiB iibrigbleibt. In jedem einzelnen Lehrbuch der Pathologi
schen Anatomie finden wir eine Kennzeichnung, welche von den anderen
etwas abweicht. Immer wird betont, daB die Formel keine absolut
zutreffende ist. Oft findet man iiberhaupt keine prazise Definition: die
Verfasser ziehen es vor, mit Hille von Beschreibungen, Umschreibungen
dem Leser eine Ahnung davon zu vermitteln, was man unter "Ent
ziindung" verstehen mOchte.
LUBARSCH definiert die Entziindung als "die Summe von an GefaBen
und Parenchym. sich gesetzmaBig abspielenden, mit Exsudationen, Neu
bildungen, Aufsaugungen, Speicherungen, Wanderungen und Zerfall ein
hergehenden Vorgangen".
RassLE schlagt vor, die Entziindung als "eine krankhaft gesteigerte
Funktion gewisser mesodermaler Abk6mmlinge" zu definieren, "die ge
eignet erscheint, das Bindegewebe der Organe von Fremdstoffen zu
reinigen" .
ASCHOFF neigte in der letzten Auflage seines Lehrbuches dazu, den
"Entziindungsbegriff" fallen zu lassen, um "an seine Stelle den organis
mischen Ausdruck des Reizzustandes zu setzen und diesen wieder vom
funktionell-biologischen Standpunkt aus als defensive, reparative, re
generative Reaktion zu werten". ASCHOFF versteht also unter "Ent
ziindung" "aIle pathologischen Reizzustande im Organismus".
HUECK erblickt "das Wesentliche der ,Entziindung' in der 6rtlichen
GegenauBerung des BIutgefaB-Bindegewebes gegen langere Zeit wirk
same Schadlichkeiten"; die Bedeutung der Entziindung lage "in der
Abwehr des Schadens, in der Reinigung von dem eingedrungenen
Schmutz. .. des Bindegewebes". Wie ASCHOFF in der letzten Auflage
seines Lehrbuches, distanziert sich auch HUECK von der unmittelbaren
Anerkennung eines "Entziindungsbegriffes". ASCHOFF spricht z. B. lieber
von einem "exsudativen Reizzustand" als von einer "exsuda.tiven Ent-