Table Of ContentEnergiepolitik
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
Hans Günter Brauch (Hrsg.)
Energiepolitik
Technische Entwicklung, politische Strategien,
Handlungskonzepte zu erneuerbaren Energien
und zur rationellen Energienutzung
Mit einem Geleitwort von RolfLinkohr, MdEP,
Präsident der Europäischen Energiestiftung
Mit 76 Abbildungen und 100 Tabellen
Springer
Dr. Hans Günter Brauch
Alte Bergsteige 47
74821 Mosbach
Fax: 06261-15695
ISBN 978-3-642-63850-3
Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme
Energiepolitik: technische Entwicklung, politische Strategien, Handlungskonzepte zu erneuerbaren
Energien und zur rationellen Energienutzung ; mit 100 Tabellen / Hans Günter Brauch (Hrsg.). Mit
einem Geleitw. von Rolf Linkohr. -Berlin; Heidelberg; Ne w Yo rk, Barcelona; Budapest; Hongkong;
London; Mailand; Paris; Sanata Clara; Singapur; Tokio: Springer, 1997
ISBN 978-3-642-63850-3 ISBN 978-3-642-59097-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-59097-9
NE: Brauch, Hans Günter [Hrsg.]
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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1997
Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1997
Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1997
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Geleitwort
Energiepolitik muJ3 heute als Auftrag verstanden werden, Risiken zu senken. An
vomehmster Stelle ist dabei das Klima zu nennen. Nach unserem derzeitigen
Wissen miissen wir wohl davon ausgehen, daB die voraussichtliche Zunahme von
Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen unseren Planeten Erde urn einige
Grade erwiirmen wird. Die okologischen, wirtschaftlichen und politischen Fol
gen konnen wir nur ahnen, doch diirften sie verheerend sein. Unterstellen wir
einmal, daB die Welt in 50 Jahren mit 8-10 Mrd. Menschen bevolkert sein wird,
die alle nach einem gedeihlichen Auskommen verlangen, so braucht es wenig
Phantasie, urn sich mogliche Auswirkungen auf das Zusammenleben der VOlker
vorzustellen. GewiB, auch in friiheren Erdzeiten hat es Klimaschwankungen
gegeben. Auch gab es V6lkerwanderungen, seit es die heute lebende Spezies
Mensch gibt, also seit 200 000 oder 300 000 Jahren. Doch die Migrationen fan
den in diinn- oder unbesiedelten Rliumen statt, und es lebten nur wenige Men
schen auf der Erde. Heute hingegen miissen Fliichtende bei anderen Aufnahme
fmden oder sie vielleicht sogar vertreiben. Die m6glichen Ursachen von Kriegen
sind damit bereits gelegt. Klimaveriinderungen stellen deshalb die Weltpolitik
vor ganz neue Aufgaben. So verlangen sie z.B. nach neuen globalen Entschei
dungen. Es fiihrt daher kein Weg an einer Stiirkung intemationaler Institutionen
vorbei, auch wenn dies in Zeiten kleinlicher nationaler Konflikte wie die Stimme
des Rufers in der Wuste klingen mag.
Wenn wir mit diesen Problemen nicht fertig werden, wird das veriinderte Kli
ma vermutlich unsere Na chkommen .. fertigmachen". Oder noch drastischer aus
gedriickt: das 20. Jahrhundert mit seinen Grausamkeiten k6nnte, im Vergleich
zum 21. Jahrhundert, geradezu paradiesisch sein, wenn es nicht gelingt, die an
gekiindigten klimatischen Veriinderungen wenigstens zu diimpfen. GewiB, man
sollte vorsichtig mit solchen Vergleichen sein, denn die Zukunft vorherzusagen
ist noch selten gelungen, und die reale Welt hat sich oft anders verhalten als un
sere Projektionen uns vermuten lieBen. Doch wenn wir verantwortungsvoll han
deln wollen, mussen wir nach heutigem Wissensstand das Ruder herumwerfen.
Die Prognosen uber Klimaveriinderungen grunden sich weitgehend auf Modell
rechnungen der Klimatologen. Doch gibt es auch plausible Belege uber die Fol
gen der massiven Eingriffe in die natlirlichen Gleichgewichtszustiinde der Natur,
etwa die drastische ErhOhung der Katastrophenschiiden. So schreibt die Munche
ner Ruckversicherungs-Gesellschaft in ihrem Jahresriickblick, daB die Naturkata
strophen des J ahres 1994 die hOchsten volkswirtschaftlichen und die zweit
hOchsten versicherten Schiiden seit 1960 verursachten. Vergleicht man die letzten
zehn mit den 60er Jahren, so stieg die Zahl der groBen Naturkatastrophen auf
mehr als das Vierfache, und die volkswirtschaftlichen Schiiden erhOhten sich urn
das Sechsfache, die versicherten Schiiden - inflationsbereinigt - sogar urn das
Vierzehnfache. Es liegt nahe, die Zunahme von Stlirmen, Uberschwemmungen,
Sturmfluten und Unwetter mit der meBbaren ErhOhung der Temperatur in der
Atmosphiire und den Ozeanen in Zusammenhang zu bringen. Bedenkt man, daB
VI Rolf Linkohr
die Schaden auf weit iiber 100 Mrd. US $ beziffert werden, und unterstellt man,
daB ein Teil der Schaden durch menschliche Eingriffe in das Klima verursacht
sind, so kann man sich ungefiihr vorstellen, wie hoch bereits heute die Kosten
unserer energieintensiven Lebensweise sind.
Nun hat es in der Vergangenheit viele Stimmen gegeben, die einer Verringe
rung der CO -Emissionen das Wort geredet haben. Auch liegen geniigend Vor
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schlage auf dem Tisch, wie mit Energie verniinftiger umgegangen werden kann.
So konnte zum Beispiel die weltweite Produktion von CO von derzeit etwa 22
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auf 8 Mrd. t abgesenkt werden, wenn alle Lander der Erde die Technologie nut
zen konnten, die heutzutage den Japanern oder den Deutschen zur Verfligung
steht. Doch wir beobachten das Gegenteil. Selbst im hochindustrialisierten West
europa nimmt die CO -Emission noch zu. Die Europaische Kommission geht
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zum Beispiel davon aus, daB in der Europaischen Union Ende des Jahrzehnts
mindestens 6% mehr CO erzeugt wird als heute. Die reale Welt folgte also
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nicht den Drehbiichern, die in vielen Studien mit groBer Begeisterung fUr die
Sache des Energiesparens geschrieben wurden. Die Energiewende fand, zumin
dest bis jetzt, noch nicht statt.
Woran verniinftige Initiativen scheitern, mogen zwei Beispiele beleuchten. So
wird im sibirischen Yamal jahrlich etwa so viel Gas bei der ErdOlforderung ab
gefackelt wie Deutschland aus RnBland kauft, also etwa 30 Mrd. m3• Ein deut
sches Gasunternehmen hat sich mit dem russischen Erdolkonzern darauf geei
nigt, das Gas in Zukunft einzufangen und zu vermarkten. Die Weltbank sagte zu,
sich an dem 10 Mrd US $-Projekt zu beteiligen. Gescheitert ist es an Interes
senkonflikten zwischen dem russischen Olunternehmen und Gazprom, dem groB
ten Gaskonzern der Welt, denn Gazprom mochte sein Geld selbst verdienen.
Das zweite Beispiel stammt auch aus RnBland. In Moskau wurden am Ver
waltungsgebaude der regionalen Elektrizitatsgesellschaft auf meine Anregung hin
einfache Anderungen vorgenommen, urn Energie einzusparen. Dazu gehOrte eine
verniinftigere Regelung der Warmeversorgung sowie eine Verbesserung der
Beleuchtung. 30% der Energie konnten damit sofort eingespart werden. Bei den
derzeitigen Energiepreisen amortisiert sich die Investition bereits in drei J ahren.
Das Ganze ist alles andere als revolutionar, sondern eher naheliegend. Doch der
Demonstration folgen keine Taten. Die Banken stellen keine Kredite zur Verfli
gung. Drei Jahre seien eine zu lange Laufzeit. Ware der Westen wirklich an ei
ner CO -Senkung interessiert, so wiirde er die Investitionen durch eigene Kredite
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vorfinanzieren. Wiirden aile Biirogebaude RnBlands nach diesem Modell umge
baut, lieBen sich miihelos 10 bis 15 % des russischen Primarenergiebedarfs ein
sparen. Viele Menschen flinden Arbeit.
Ehrgeiziger ist zweifellos die Idee einer Okosteuer, mit deren Umsetzung eini
ge Lander der Europaischen Union, etwa Dlinemark und die Niederlande, bereits
begonnen haben. Energie soIl teurer werden, die menschliche Arbeit hingegen
billiger. Diese slikulare Reform unseres Steuerwesens ist schon notig, urn die
Arbeitslosigkeit abzubauen. Sie ist aber auch okologisch sinnvoll, weil nur teure
Energie gespart wird. Auch wenn derzeit in Deutschland wenig Begeisterung flir
Geleitwort VII
die Okosteuer zu spuren ist, so wird langerfristig kein Weg an ihr vorbeifiihren,
denn wir mussen uns zu einer okologischen Marktwirtschaft durchringen und der
Natur ein Preisschild umhangen. Die Natur steht uns nicht mehr kostenlos zur
Verfiigung. Sie hat einen ungefahr berechenbaren Wert.
Doch nicht nur CO und andere Treibhausgase stellen Risiken dar. Auch die
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Kernenergie, die in einigen Uindern uber die Halfte des Stroms erzeugt, ist zum
Risiko geworden. Three Miles Island und Tschernobyl haben gezeigt, wohin ein
zuweilen lassiger Umgang mit Sicherheitstechnik fiihrt. Seit dem Zerfall der
Sowjetunion haben wir aber auch von anderen nuklearen Katastrophen gehOrt,
etwa in der ersten Atombombenfabrik der UdSSR, in Mayak im Ural, wo bis in
die sechziger Jahre hinein unglaubliche Unfalle passiert sind, die noch heute
groBe Gebiete unbewohnbar machen. Wir wissen aus VerOffentlichungen gehei
mer Akten durch die Clinton-Administration auch mehr uber Schlampereien in
amerikanischen Atomfabriken, etwa in Hanford, wo die Kosten der Aufraumar
beiten auf uber 60 Mrd. US $ geschatzt werden. Ebenso das britische Sellafield,
friiher Windscale genannt, blickt auf eine Phase der unverantwortlichen Sorglo
sigkeit zUrUck, die seinerzeit sogar Menschenleben gekostet hat. Gewill, alle
Unfalle hatten sieh bei sorgsamem Umgang mit der Technik vermeiden lassen,
und man darf auch unterstellen, daB aus der Vergangenheit Lehren gezogen
wurden, doch risikofrei ist die Kernenergie nie.
Selbst wenn es in Europa keine ehrgeizigen Plane zum Ausbau der Kernener
gie gibt, so nimmt die Zahl der Kernkraftwerke weltweit dennoch zu. Insbeson
dere Asien hat grofie Plane. Japan, Sudkorea, Taiwan, aber auch China und
Indien bauen die Kernenergie aus und versuchen teilweise, von der Urangewin
nung biszur Endlagerung ihren Brennstoffkreislauf zu schlieBen. Damit nimmt
der Transport radioaktiven Materials zu, UberwachungsmaBnahmen mussen
optimiert werden, urn der Proliferation von Atomwaffen vorzubeugen, die Si
cherheit der Anlagen muB standig verbessert werden, und nieht zuletzt moB die
Endlagerung radioaktiven Materials gel6st werden. An dieser Stelle scheiden
sich nun die Meinungen: die einen halten den weiteren Umgang mit der Kern
kraft fiir unverantwortlieh, weil prinzipiell nieht beherrsehbar, die anderen - und
dazu gehOre ieh selbst - sind der Meinung, daB wir noeh lange mit der Kernkraft
leben werden und daB uns deshalb jede MaBnahme willkommen sein muB, die zu
einer Minderung der Risiken beitragt.
Aueh die atomare Teilabrustung wirft Fragen auf. Was geschieht mit dem waf
fenfahigen Material, das naeh Zerstorung der Bomben und Raketen ubrigbleibt?
Sollen damit nicht eines Tages neue Waffen gebaut werden, so muB fiir die Be
seitigung des hoehangereieherten Urans und des Plutoniums gesorgt werden. 1m
Prinzip gibt es dafiir nieht viele Mogliehkeiten. Entweder man "bringt es unter
die Erde" oder man "verbrennt" es in Reaktoren. Soweit wir wissen, wollen die
beiden Atommaehte USA und RuBland als Eigentiimer des spaltbaren Stoffs den
zweiten Weg gehen, was darauf hindeutet, daB fiir sie ein Ausstieg aus der
Atomenergie nieht auf der Tagesordnung steht. Fur die Europaer stellt sich des
halb die Frage, ob sie ihr Wissen und Konnen zur Verfiigung stellen wollen, urn
VIII Rolf Linkohr
eine moglichst risikoarme LOsung bei der Beseitigung des waffenfahigen Materi
als zu suchen oder ob sie sich verweigern.
Einer Kooperation kame entgegen, daB uns heute bessere Techniken zur Ver
fiigung stehen als in der Vergangenheit. Europa stellt mit fortgeschrittenen Reak
torkonzepten Wissen zur Verfiigung, das es anbieten kann. SolI es anderen die
ses Wissen verwehren? Auch besteht berechtigte Hoffnung, daB langlebige Isoto
pe wie Pu239 mittels der sogenannten Transmutation in kurzlebige verwandelt
werden konnen, so daB uns eine Antwort auf die Endlagerung leichter fallt.
Das derzeit dringendste Problem ist jedoch die Sicherheit der Atornreaktoren
in den friiheren Staatshandelslandern. Geradezu symbolhaft ist dabei die Zukunft
der Druckrohrenreaktoren, also des sag. Tschernobyl- oder RBMK-Typs. Diese
miissen abgeschaltet werden. Wohl haben sieh die ukrainische Regierung und die
sog. G-7-Staaten Ende 1995 in einem "memorandum of understanding" auf die
SchlieBung bis zum Jahre 2000 geeinigt, doch steht diese Verpflichtung lediglich
auf dem Papier. Weder sind alle ukrainischen Politiker yom Sinn dieser Ver
pflichtung iiberzeugt, noch ist die Finanzierung der Kosten durch den Westen -
etwa 2,3 Mrd. US $ - gesichert. So konnte es durchaus sein, daB die ukraini
schen Techniker bald damit beginnen, die drei nicht zerstOrten Reaktoren der
Reihe einer Revision zu unterziehen, die Druckrohren und andere verschlissene
Teile zu erneuern, urn anschlieBend die Kraftwerke weiter zu betreiben. Sie
wiirden damit nicht anders verfahren als die Russen in Sosnowy Bor bei St.
Petersburg, wo vier RBMK-Reaktoren nach einer Modernisierung weitere zehn
Jahre bis zum Ende ihrer vermutlich dreiBigjahrigen Laufzeit betrieben werden.
Wir sind also noch weit davon entfernt, das Sicherheitsproblem in den friiheren
Staatshandelslandern gelost zu haben.
Fast verdrangt haben wir inzwischen die Risiken einer sicheren Versorgung
mit 01 und Gas. Dabei waren es gerade die Olpreiskrisen der 70er Jahre, die
unsere europaische Wirtschaft nachhaltig geriittelt haben. So war der massive
Ausbau der Kernenergie in den 70er und 80er Jahren eine direkte Antwort auf
die kiinstliche Verknappung von RoMI. Auch das damals heftig umstrittene Erd
gas-Rohrengeschiift der Bundesrepublik Deutschland mit der UdSSR war eine
direkte Folge des Olschocks. Doch besonders lehrreich war, daB Forschung und
Technik auf einmal mit Konzepten aufwarteten, wie man mit Energie intelligen
ter umgehen kann, ohne an Lebensqualitat einzubiiBen. Primarenergieverbrauch
und Wirtschaftswachstum wurden entkoppelt. Mit derselben Menge an Energie
konnte auf einmal mehr produziert werden als friiher.
Die Frage bleibt aber, ob sich eine Versorgungskrise wiederholen konnte. Sie
ist trotz ausreiehender Energiequellen nicht iiberfiiissig. So ist nieht ausgeschlos
sen, daB es in der olreichsten Region der Welt, im persisch-arabischen Golf noch
vor Ende dieses Jahrhunderts zu Unruhen kommt. Die Herrschenden verfiigen
heute iiber weit weniger Geld als noch vor zehn Jahren. Sie konnen sieh die
Zustimmung ihrer Untertanen nicht mehr so leicht erkaufen. Auch bilden religio
se Konflikte in Verbindung mit sozialen Problemen bereits heute eine soleh ex
plosive Mischung, daB zur Ziindung nur ein Funke geniigt. Die gewalttatigen
Geleitwort IX
Ausschreitungen in Saudi-Arabien und einigen kleineren Golfstaaten hliufen sich.
Niemand kann deshalb vorhersehen, ob die Welt in fiinf oder zehn Jahren immer
noch mit einem berechenbaren Bezug von 01 aus dieser Region rechnen kann.
GewiB, inzwischen wurden die Bezugsquellen diversifiziert, und der Golf erhlilt
im Kaspischen Meer Konkurrenz. Auch gibt es derzeit eher UberfluB als Mangel
auf dem Olmarkt, was sieh an den niedrigen Preisen bemerkbar macht. Und
wenn man dem Irak erlaubte, sein 01 zu exportieren, wiirde der Preis vielleicht
sogar von 17 auf 12 US $ pro Barrel fallen. Dennoch bleibt die Versorgungslage
labil, und Begriffe wie Versorgungssieherheit haben ihren Wert nieht verloren.
Die alten Risiken sind nieht iiberwunden.
Die gr0J3ten Energiereserven bilden aber weder Erdol noch Gas, sondern die
Kohle. Und aller Voraussicht nach wird sie auch in Zukunft den groBten Teil der
Weltversorgung iibernehmen. In Zahlen heiBt dies: 7 Mrd. t SKE im Jahr 2020,
mehr als doppelt so viel wie heute. Es bedarf deshalb keiner groBen Worte, urn
deutlieh zu machen, daB die Verbesserung der Verbrennungstechnik, also die
ErhOhung des Wirkungsgrads von fossil befeuerten Anlagen, im Mittelpunkt
einer globalen COrMinderungsstrategie stehen muB. DaB es dabei nicht bloB urn
technische Details geht, sondern auch urn Fragen der Finanzierung, soIl nur am
Rande angemerkt werden. Kohle muB aber auch gefOrdert werden, bevor sie
verfeuert wird, und weltweit kommen immer noch viele Bergleute bei Unfallen
urn oder leben mit einer Staublunge. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen
unter Tage ist deshalb genauso Objekt internationaler Zusammenarbeit wie die
Verringerung des AusstoBes von Treibhausgasen und kann dazu beitragen, soli
des Vertrauen zu schaffen, das fiir eine globale Energiepolitik unerlaBlich ist.
Wir konnen bereits heute die Produktivitiit unserer Ressourcen wesentlieh ver
bessern, ohne an Wohlstand zu verlieren. Ernst Ulrich von Weizsacker, Amory
B. und L. Hunter Lovins sprechen yom Faktor Vier. Wie rasch allerdings der
Wandel erfolgt, ist schwer zu sagen. Es wird sieh eher urn einen evolutionaren
ProzeB handeln, wie wir aueh in der Vergangenheit Effizienzfortsehritte dank
neuerer Technik zu verzeiehnen hatten. Doch die Gesehwindigkeit des Fort
sehritts ist von der Politik nieht ganz unabhiingig. Sie kann besehleunigt oder
verlangsamt werden. Das ist unser Spielraum und unsere Verantwortung.
Voraussetzung fiir eine spurbare ErhOhung der Energieproduktivitiit ist aber
aueh unsere Neugier, d.h. eine standige Suehe naeh neuen Konzepten, sowie die
Bereitsehaft, sieh von Entdeekungen uberrasehen zu lassen. Wenn wir heute iiber
Energieteehnologie reden, so halten wir uns an das Bekannte. Doeh wer weiB,
ob wir nicht in fiinfzig Jahren einen Teil unserer Energie in Form von Wasser
stoff einsetzen, der iiber pflanzliche oder bakterielle Prozesse mittels Sonnenlieht
gewonnen wird? Vielleicht versehen unsere Enkel die Fassaden ihrer Hauser mit
einer hauchdiinnen Schieht aus Silizium und gewinnen dabei einen Teil des
Stroms? Oder vielleicht gelingt es, in den nachsten zehn oder zwanzig Jahren
eine Brennstoffzelle auf den Markt zu bringen, die mit hohem Wirkungsgrad
Erdgas in Strom verwandelt? Unser gesamtes Energiesystem wiirde sieh veriin
dern, die zentralen Einheiten wiirden mehr und mehr den dezentralen Systemen
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Rolf Linkohr
weichen. Forschung und mit ihr der Wunsch, mehr wissen zu wollen, kurzum,
die Neugierde als Triebkraft unseres Handelns darf deshalb nicht verkiimmern,
im Gegenteil, wir miissen flir sie einen grOBeren Anteil unseres Bruttosozialpro
dukts reservieren. Die Forschungsergebnisse miissen aber auch verwertet wer
den. Das gilt vor allem flir die erneuerbaren Energiequellen. Hier haben wir
bereits einen Stand des Wissens erreicht, der verdiente, mehr genutzt zu werden.
Nicht alles ist iibrigens so teuer wie die Photovoltaik. Wind und Wasserkraft,
aber auch Biomasse brauchen zur Umsetzung oft mehr den Willen als das Geld.
Kulturelle Blockaden sind haufig grOBere Hindernisse als die vermeintlich man
gelnde Wirtschaftlichkeit. Sonst ware nicht zu erklaren, warum manche sonnen
reiche Lander weniger Solarenergie nutzen als andere.
Fiir die Europaer wird das Mittelmeer zum Testfall flir die Ernsthaftigkeit ei
ner Solarstrategie. Die Europaische Union hat sich bekanntlich mit den iibrigen
Anrainern des Mittelmeers darauf verstandigt, bis zum Jahr 2010 eine Freihan
delszone zu schaffen. Der politische und kulturelle Dialog soll vertieft werden.
Und iiber ein eigens geschaffenes MEDA-Programm will die EU finanzielle Hil
fen flir Infrastrukturprojekte, u.a. auch flir erneuerbare Energien, zur Verfligung
stellen. Es liegt nahe, die erneuerbaren Energien mit der Wasserversorgung in
Verbindung zu bringen. Bereits heute braucht z.B. Malta 20% seiner elektri
schen Energie, urn aus Salzwasser mittels umgekehrter Osmose Trinkwasser zu
machen. Wenn Nordafrika mit seiner rasch wachsenden Bev6lkerung den glei
chen Weg beschreitet, wird der Verbrauch an 01 und damit die Erzeugung von
CO allein schon des Wassers wegen gewaltig zunehmen. Urn das Ruder herum
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zureiBen, brauchen wir aber einen Strategieplan mit einer klaren Finanzierung.
Die Energiepolitik ist nicht frei von Zwangen. So laBt sich miihelos zeigen,
daB die Verwendung bestimmter Energiequellen in aller Regel yom Preis, weni
ger von politis chen Entscheidungen abhangig war. Die erste Abweichung von
der Regel war die Einflihrung der Kernenergie, die politisch gewollt war und
deren Entwicklung deshalb von der Offentlichen Hand vorfinanziert wurde. Wer
heute flir die Solarenergie ein vergleichbares Programm fordert, kann auf ein
methodisch ahnliches Vorbild verweisen.
Wir haben also trotz der Zwange Spielraum zum Handeln. Ihn zu nutzen ist
deshalb kein dirigistischer Siindenfall, sondern praktische 6kologische Vernunft.
Immerhin gibt es daflir nationale Vorbilder. Doch neu und weitgehend unbekannt
sind die Schaffung globaler Entscheidungsstrukturen und die Herstellung einer
Offentlichen Weltmeinung. An ihnen zu arbeiten, haben sich auch die Autoren
des vorliegenden Buchs vorgenommen.
BriissellStuttgart, im August 1996 Dr. Rolf Linkohr, MdEP
Vorsitzender der Europiiischen
Energiestiftung