Table Of ContentSTAAT UND POLITIK
Herausgegeben von Prof. Dr. Ernst Fraenkel,
Prof. Dr. Otto Heinrich von der Gablentz, Prof. Dr. Karl Dietrich Bracher
unter Mitwirkung von
Prof. Dr. Waldemar Besson, Prof. Dr. Gert von Eynem,
Prof. Dr. Ossip K. Flechtheim, Prof. Dr. Georg Kotowski,
Prof. Dr. Richard LöwenthaI, Prof. Dr. Gerhard A. Ritter,
Prof. Dr. Kurt Sontheimer, Prof. Dr. Otto Stammer
BandS
NILS DIEDERICH
Empirische Wahlforschung
Konzeptionen und Methoden
im internationalen Vergleich
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Otto Stamm er
SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH
ISBN 978-3-663-00481-3 ISBN 978-3-663-02394-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-02394-4
D 188
Verlagsnummer 053408
© 1 9 6 5 b y Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Westdeu tscher Verla g • Kö In und 0 p laden 1965
Al1e Rechte vorbehalten
Ge 5 amt her 5 t e 11 u n g: B u t Z 0 n & Be r c k erG m b H. . K e v e I a e r
VORWORT
Wahlkampf und Wählerentscheidung sind von hervorragender Bedeutung für den
politischen Prozeß in der modernen pluralitären Demokratie. Die politikwissen
schaftliche Forschung hat diesem Gegenstand daher seit einigen Jahrzehnten eine
erhöhte Aufmerksamkeit zugewandt. Angeregt von ausländischen Untersuchungen
ist auch in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren eine Reihe von Wahlanalysen
vorgelegt worden. So hat auch das Institut für politische Wissenschaft an der Freien
Universität Berlin mehrere Wahlstudien veröffentlicht. Das von Stephanie Münke
in Zusammenarbeit mit A. R. L. Gurland verfaßte Buch Wahlkampf und Macht
verschiebung - Geschichte und Analyse der Berliner Wahlen vom 3. Dezember 1950
ist aus dem ersten von diesem Institut überhaupt durchgeführten Forschungsvor
haben entstanden. Das Institut ist weiterhin mit einer Untersuchung der Bundes
tagswahlen von 1953 (Wolfgang Hirsch-Weber, Klaus Schütz et al. Wähler und
Gewählte) an die öffentlichkeit getreten. Gemeinsam mit K. L. Shell hat der Ver
fasser des vorliegenden Buches überdies im Auftrag des Instituts in einer Studie über
Die Berliner Wahl vom 7. Dezember 1958 den Versuch unternommen, zu klären,
inwieweit das sowjetische Ultimatum vom November 1958 den Ausgang der Wahl
beeinflußt hat.
Als langjähriger Mitarbeiter des Berliner Instituts für politische Wissenschaft ist
Nils Diederich mit der Problematik der Anlage und der Durchführung von Wahl
analysen vertraut. Angeregt durch die Forschungen des Instituts hat er sich ein
gehend mit den in verschiedenen Ländern publizierten Wahluntersuchungen und den
kritischen Beiträgen zur Wahlforschung befaßt. In der vorliegenden Arbeit hat sich
Dr. Diederich die Aufgabe gestellt, die Voraussetzungen, die Methoden und die
Ergebnisse.derseit einigen Jahrzehnten vor allem in Frankreich, in den Vereinigten
Staaten, in England und Deutschland veröffentlichten Studien zusammenfassend
darzustellen und kritisch vergleichend zu analysieren. Da die theoretischen Ansätze,
von denen die Wahlstudien in den genannten Ländern ausgehen, sowie die von den
verschiedenen »Schulen« der Wahlforschung angewandten Forschungsverfahren
voneinander abweichen, hat der Autor seine Aufgabe zunächst darin gesehen, diese
Wahlstudien in ihrer Problematik und ihrem methodologischen Zusammenhang
unter Berücksichtigung der jeweils angewandten empirischen Verfahren länderweise
darzustellen. Er hat die wichtigsten Wahlstudien der von ihm ausgewählten Länder
und die einschlägigen interpretierenden und kritischen Beiträge aus Zeitschriften
und Sammelbänden studiert. Es ist ihm gelungen, in seiner Studie die theoretischen
VI Vorwort
Ansätze, die Methoden und Verfahren, die Ergebnisse und die unverkennbaren
Schwächen dieser Wahlstudien darzustellen und in ihren forschungsgeschichtlichen
Verknüpfungen zu beleuchten.
Soweit ich sehe, ist weder im Ausland noch in Deutschland derartiges bisher
versucht worden. Diese systematische Zusammenstellung und kritische Beleuchtung
eines ganzen Forschungszweiges ergeben daher eine gediegene Zwischenbilanz auf
einem wichtigen Sektor empirischer soziologisch-politischer Forschung, wobei man
eine gewisse Weitschweifigkeit gelegentlich in Kauf nehmen muß. Diese Studie
dürfte für die vergleichende Wahlforschung, wie sie etwa von Stein Rokkan in dem
Chr. Michelsens-Institutt in Bergen oder dem Committee von Political Sociology der
International Sociological Association angestrebt wird, von einiger Bedeutung sein.
Ich halte die kritischen Bemerkungen des Verfassers über die Studien der fran
zösischen »geographie electorale« sowie über die britischen Wahlkampfanalysen für
berechtigt. Der Verfasser nimmt aber auch die im bundesdeutschen Bereich - be
sonders im Berliner und Heidelberger Institut für politische Wissenschaft - ver
öffentlichten Wahlanalysen sowohl im Hinblick auf die wahlgenetischen wie auf die
wahlstatistischen Beiträge besonders kritisch unter die Lupe. Seiner Ansicht nach hat
man es in Deutschland bisher versäumt, die bedeutungsvollen Ansätze der ameri
kanischen Wahlforschung, insbesondere das seit den zwanziger Jahren in diesem
Lande entwickelte, in den Arbeiten von Lazarsfeld, Berelson und des Survey
Research Center Michigan (Campbell) zum Ausdruck gekommeneStudium des Wahl
verhaltens mit verfeinerten Methoden aufzunehmen und zielbewußt zu entwickeln.
Allerdings scheinen die von Erwin K. Scheuch und Rudolf Wildenmann an der
Universität Köln durchgeführten Untersuchungen diesen Forderungen einigermaßen
zu entsprechen. Die Ergebnisse dieser Studie sind jedoch der öffentlichkeit noch
nicht zugänglich gemacht worden.
Die Darstellung der Problematik der amerikanischen Wahluntersuchungen nimmt
den relativ größten Raum in der Diederichschen Untersuchung ein. Sie läßt deut
lich erkennen, daß der Verfasser unter den drei Hauptrichtungen dieser amerikani
schen Wahlforschung bei aller Kritik im einzelnen den »behavioral studies« den
Vorzug gibt. Das kommt auch in der vergleichenden kritischen Beurteilung der
Methoden der Wahlforschung im Schlußkapitel zum Ausdruck. Rudolf Heberles
Einwänden gegen die Verfahren der »Panel-Befragungen« begegnet er mit der Be
merkung, daß die Befragung von Individuen beim derzeitigen Stand dieser For
schung »das wichtigste und auch zuverlässigste Verfahren ist, etwas über das
Wissen, die Meinungen und Einstellungen, des Wollens und des Verhaltens der
Wähler zu erfahren«. Dabei scheinen mir allerdings vom Autor die empirische
Meinungsforschung in ihrer Bedeutung für Wahlanalysen überschätzt, dagegen die
Methoden der von Heberle und anderen gepflegten »political ecology« für die
Wahlanalysen unterschätzt zu werden.
Im Schlußkapitel der Arbeit vertritt Dr. Diederich die Ansicht, daß die ver
gleichende Wahlforschung bei der Aufstellung ihrer Hypothesen berücksichtigen
sollte, daß auch das jeweilige »Regierungssystem und die übrigen politischen In
stitutionen« als »Systemvariable« angesehen werden müßten. Mir scheint, daß die
von Heberle vertretene »political ecology«, wie der Verfasser selbst betont, den
Vorwort VII
Fehler vermeidet, die Wirkungen einzelner Faktoren auf die Wahlergebnisse zu
überschätzen. Sie untersucht in erster Linie die Wechselbeziehungen innerhalb eines
politischen Systems und zwischen den verschiedenen sozialen Faktoren und dem
politischen System und erfüllt so in besonderem Maße die Ansprüche, die an eine
soziologisch-politische Wahlforschung zu stellen sind.
Der Autor kritisiert zwar den Versuch S. Martin Lipsets (Political Man), aus
einem Vergleich der Ergebnisse der Wahlforschung verschiedener Länder ohne kri
tische überprüfung der von den verschiedenen Forschern aufgestellten Hypothesen
Generalisierungen für eine soziologisch-politische Theorie der Demokratie zu er
mitteln, vertritt aber die zutreffende Ansicht, daß den Wahlanalysen wichtige Auf
gaben im Rahmen der »Demokratieforschung« zukommen. Gestützt auf Parsons
und Lipset, deren theoretische Modelle der politischen WiIlensbildung der Untersu
chung zugrundegelegt aber leider nicht kritisch untersucht werden, wird die Aufgabe
der soziologisch-politischen Wahlforschung darin gesehen, »Einsicht in die Art des
Konflikts unter Aufrechterhaltung des Konsensus bei Wahlen und die Intensität und
den Charakter der Teilnahme der einzelnen Bürger am politischen Prozeß« zu ver
mitteln. Im einzelnen wird dieser Aspekt durch eine Reihe von speziellen, sehr plau
siblen Fragestellungen interpretiert, über die der Autor selbst etwas resignierend be
merkt, es sei »der Wunschtraum des Wahlforschers, diese Fragen beantwortet und in
eine aussagekräftige Theorie des politischen Handeins und des Wahlverhaltens
integriert zu sehen«. Da eine solche Theorie in allen den Ländern, in denen Wahl
analysen durchgeführt worden sind, nur in Ansätzen vorhanden ist und da überdies
die theoretischen Voraussetzungen und die Begriffsklarheit mancher dieser Studien
mangelhaft sind, unterstreicht der Autor am Schluß seiner Arbeit mit Recht, daß
die Wahlforschung einem reinen Empirismus zu verfallen droht, sofern sie nicht in
der Lage ist, theoretisch begründete Forschungskonzeptionen und Begriffssysteme
zu entwickeln, die vergleichende Studien auf übernationaler Basis erst möglich
machen. Eines der wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ist der Nachweis,
daß aus der Fülle der in den genannten Ländern vorgelegten Wahlstudien zwar
reichhaltiges Forschungsmaterial für vergleichende Untersuchungen zusammenge
stellt werden kann, eine theoretisch abgestützte vergleichende Forschung des poli
tischen Verhaltens während der Wahlen aber, wie der Verfasser feststellt, »heute
noch weitgehend [als] Programm« anzusehen ist.
Otto Stammer
INHALT
Vorwort ........... . V
Vorbemerkung des Verfassers ....................... . .. 1
Erstes Kapitel: Die Entwicklung der Wahlforschung und ihre Rolle in der
Demokratieforschung ........ 3
Zur Entwicklung der Wahlforschung 3
Ober einige Grundbegriffe der Demokratieforschung 8
Aufgaben der Wahlforschung im Rahmen der Demokratieforschung 11
Zweites Kapitel: Die französischen Wahlstudien . . . . . . . . . 16
Die geographie electorale Andre Siegfrieds und seiner Schüler. 16
Definition und Ursprung - Der Aufbau wahlgeographischer Studien -
Von der geographie electorale zur sociologie electorale
Das empirische Material und die Vergleichs- und Schlußverfahren in der
Wahlgeographie ................................ 21
Die Materialgewinnung bei wahlgeographischen Studien - Der kartogra
phische Vergleich in der Wahlgeographie - Statistische Vergleichsverfah-
ren in der französischen Wahlmonographie-Das Problem der Zuordnung
der Kandidaten zu politischen Richtungen
Ergebnisse und Probleme der (regionalen) wahlgeographischen Forschung 29
über die methodischen Grundgedanken Andre Siegfrieds - Sozial-geogra
phische Schlußfolgerungen der Wahlgeographie - Soziologische Schlüsse
der Wahlgeographie - Stabilität und Entwicklung als Begriffe der Wahl
geographie - Der kurzfristige Einfluß auf das Wahlverhalten: politische
Persönlichkeiten und Konjunkturen - Grenzen der (regionalen) Wahl
geographie
x
Inhalt
Die Untersumung von Wahlergebnissen auf nationaler Ebene 35
Die Konzipierung von Studien nationaler Wahlergebnisse - Die Karto
graphie: traditionelle Darstellungsweise in der Wahlgeographie - Die
Aufbereitung der Wahlstatistik in Frankreim: Indices, graphisme Kor
relationen und Regressionslinien - Einige kritisme Bemerkungen zu den
Vergleichsverfahren
Der Ertrag der Untersuc:hungen nationaler Wahlergebnisse ........ 42
Die Ursamen der Stimmenthaltung - Wähler und Parteien - Referendum
und Parteitreue
Der Wahlkampf, ein neuer Gegenstand der politismen Forsc:hung ..... 49
Etwas über die Quellen, deren sic:h die Wahlkampfstudien bedienen -
Aufbau und Verfahrensweisen der Wahlkampfuntersumungen - Ergeb-
nisse der Wahlkampfforsmung
Die Rolle von Meinungsbefragungen in den französismen Wahlstudien .. 54
Die Anlage der beiden Wählerbefragungen - Ziele und Ergebnisse der
Befragungen
Kritisme Bemerkungen zum Stand der französisc:hen Wahlforsmung 59
Drittes Kapitel: Die amerikanisc:hen Wahlstudien .. . . . . . . . . . . 61
Wege der amerikanischen Wahlforsc:hung ............... 61
Die Erforschung des Wählerverhaltens - Die statistism-korrelativen
Wahlstudien - Die umfassenden »ökologisc:hen« Studien
Statistisc:h-korrelative Verfahren im Dienste der Wahlforsc:hung . . . . .. 64
Quellen und Verfahren der Analyse - über Grundgedanken und Ergeb-
nisse einiger Studien
Trendextrapolationen: ein interessanter Versuc:h .............. 73
Die umfassende Analyse des politisc:h-sozialen Systems: »Political Ecology« 78
über die Methoden der politismen ökologie - Statistisch orientierte öko
logisc:he Studien - Politisme Gesmichte: V. O. Key Southern Politics -
Die Sc:hule Rudolf Heberies - Resümee der Political Ecology
»The Behavioral Study 01 Politics« - ein neuer Zweig der Forsc:hung •.. 87
Grundgedanken der Wahlverhaltensforsmung - Vorläufer der modemen
Verhaltensforschung - Ein überblick über die Verfahren der Panel
Studien
Konzepte und Ergebnisse der Befragungen in Erie County . . . . . . . .. 94
The People's Choice: Aufbau der Studie - Die Rolle sozial-struktureller
Merkmale - Einstellung der Wähler zu politisc:hen Fragen und politisches
Interesse - Der individuelle Motivations- und Entsc:heidungsprozeß -
Der Effekt politisc:h-sozialer Einflüsse bei den Wählern - Einige kritisc:he
Bemerkungen
Inhalt XI
Voting .................. . 102
Fragestellung und Aufbau der Studie - Sozial-strukturelle Charakteri
stika und soziale Prozesse - Politische Prozesse - Wahlkampft hemen,
Wählereinstellung und Aufnahme politisch-sozialer Einflüsse - Zusam
menfassender überblick
Der Beitrag des Survey Research Center . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107
Ziele und Forschungen des Survey Research Center - Der Prozeß der
Wahlentsdteidung: Die Hypothesen Campbells und seiner Mitarbeiter -
Motivationsskala und Parteiidentifikation - The American Voter, ein
Versudt der Integration der bisherigen Forschungen des SRC
Zusammenfassende Bemerkungen 114
Viertes Kapitel: Die britisdten Wahlstudien 117
Die Analyse des allgemeinen Wahlfeldzuges in den Studien des Nuffield
College ..................................... 117
Aufbau und Methode - Die Bedeutung des Wahlfeldzuges und der poli
tischen Entwicklung für die Meinungsbildung - Der Verlauf des Wahl
kampfes
Elemente des Wahlkampfes: Wahlprogramme, Wahlkampfstrategie, Kom
munikationsmittel und Meinungsbefragungen .. . . . . . . . 123
Die Beobadttung des Wahlkampfes in einzelnen Wahlkreisen ....... 128
Die Analyse der Wahlergebnisse in den Studien des Nuf/ield College ... 131
Die Erklärung der Veränderung der Parteifraktionen im Unterhaus aus
dem Swing - Interpretation der Wahlergebnisse - Grenzen der Auswer-
tung von Wahlstatistiken in England
Die Wählerbefragung in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 134
Der Aufbau der Studien - Ziele der Studien - Einige allgemeine Ge
sidttspunkte des Wählerverhaltens und seiner Erforschung - Die Vor
studie bei Trenaman und McQuail
Zusammenfassende Bemerkungen zur britischen Wahlforschung 142
Fünftes Kapitel: Der deutsdte Beitrag .......... 144
Der erste Ansatz: Wahlkampf und Macht'lJerschiebung 145
Wahlkampfstudien in der Bundesrepublik . . . . . . 148
Die Untersudtung der Wahlstatistik in Deutschland 154
Die soziologische Deutung von Wahlergebnissen .. 160
Zusammenfassende Bemerkungen über die deutsche Wahlforschung 166
Description:Wahlkampf und Wählerentscheidung sind von hervorragender Bedeutung für den politischen Prozeß in der modernen pluralitären Demokratie. Die politikwissen schaftliche Forschung hat diesem Gegenstand daher seit einigen Jahrzehnten eine erhöhte Aufmerksamkeit zugewandt. Angeregt von ausländische