Table Of ContentBERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG
Philologisch-historische Klasse
Band 98 • Heft 4
OTTO EISSFELDT
EL IM UGARITISCHEN PANTHEON
1951
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AKADEMIE.VERLAG' BERLIN
Kalksteinstele aus Ras Schämra (0,47 m hoch) mit Darstellung des Gottes
El und eines vor ihm stehenden Verehrers, wohl des Königs von Ugarit.
(Nach einer von M. CLAUDE F. A. SCHAEFFER, dem Ausgräber von Ras
Schamra, gütigst zur Verfügung gestellten Photographie.) Vgl. S. 58.
BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG
Philologisch-historische Klasse
Band 98 • Heft 4
OTTO EISSFELDT
EL IM UGARITISCHEN PANTHEON
19 5 1
AKADEMIE-VERLAG - BERLIN
Vorgelegt in der Sitzung vom 21. März 1949
Manuskript eingeliefert am 19. Oktober 1950
Druckfertig erklärt am 10. August 1951
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19
Lizenz-Nr. 156 • 100/114/50
Satz und Druck der Buchdruckerei F. Mitzlaff, Rudolstadt/Thür. E/V/14/7 (182)
Bestell- und Verlagsnummer 2026/98/4
Preis: DM 9,—
Inhalt
Seite
Die Aufgabe . . . . : 6—11
Hm in den Texten von Ugarit ll—28
H in den Texten von Ugarit 29—53
Die Bedeutung des Gottes El in Ugarit . . . .. 53—70
Nachträge 71—73
Siglen und Veröffentlichungsstellen der hier berück-
sichtigten ugaritischen Texte 74—76
Verzeichnis der behandelten Stellen 77—82
Abkürzungen 83
Die Aufgabe
Das allgemein-semitische 'ilu, 'el tritt gewöhnlich als Appella-
tivum mit der Bedeutung „Gott' auf, erscheint aber auch als Eigen-
name für einen bestimmten Gott El1). Besonders deutlich ist das
der Fall in einigen aramäischen Inschriften des 8. vorchristlichen
Jahrhunderts, nämlich in der, der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
angehörenden Hadad-Inschrift2) aus der Gegend des nordsyrischen
Sendschirli, des antiken Sam'al, in der El neben Hadad, Rescheph,
Rekub'el, Schamasch und Arq-Rescheph aufgezählt wird3), in der
eben daher stammenden, einige Jahrzehnte jüngeren Panammu-
Inschrift4), die in Z. 22 „Hadad und El und Rekub'el, den Herrn
des Hauses, und Schamasch und alle Götter von Ja'di" aufführt,
und in der wiederum etwa zwei Jahrzehnte älteren aramäischen
Inschrift aus dem 25 km südöstlich von Aleppo gelegenen Sudschin5),
1 Die Frage der — tatsächlich nicht mehr aufhellbaren — Etymologie des
Wortes und die andere, ob es von Haus aus Appellativum oder Eigenname sei,
die ebensowenig eindeutig beantwortet werden kann, muß hier außer Be-
tracht bleiben. Über beide Fragen haben sich nach und neben vielen anderen
neuerdings geäußert W. W. GRAF BAUDISSIN, Kyrios als Gottesname im Juden-
tum und seine Stelle in der Religionsgeschichte, III, 1929, S. 6—18; HANS
BAUER, Die Gottheiten von Ras Schamra (ZAW 51, 1933, S. 81—101), S. 82
bis 84; J. STARCKY, Le nom divin El (Arch. Or. 17, 2, 1949, S. 383—386);
vgl. auch S. 8, Anm. 1.
2 Ausgrabungen in Sendschirli I, 1893, S. 49—52, Tai. VII (F. VON LUSCHAN
und J. EUTING) ; M. IIDZBARSKI, Handbuch der Nordsemitischen Epigraphik,
1898, I, S. 440—442; II, Taf. XXII. 3 Z. 2—3. 11.
4 Ausgrabungen in Sendschirli, I, S. 55—84 (E. SACHAU); LIDZBARSKI, Hand-
buch, I, S. 442 f.; II, Taf. XXIII.
5 S. RONZEVALLE, Fragments d'inscriptions arameennes des environs d'Alep
(MÜB 15, 1931, S. 235—260, Taf. XXXIX—XLY); HANS BAUER, Ein ara-
mäischer Staatsvertrag aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. Die Inschrift der
Stele von Sudschin (AfO 8, 1932—1933, S. 1—16); J. HEMPEL, ZAW 50,
1932, S. 178—183.
6 OTTO EISSFELDT
die unter den als Schützer des zwischen Bar-Ga'ja und Mati'el ab-
geschlossenen Vertrages angeführten zahlreichen Gottheiten1) auch
El nennt2).
Weniger klar lagen die Dinge bis vor zwei Jahrzehnten bei den
Phöniziern. Zwar ließen vereinzelte Nachrichten später griechisch-
römischer Schriftsteller, vor allem die Angabe des um 100 n. Chr.
blühenden Philo von Byblos über den mit dem griechischen Kronos
identischen El3), so viel erkennen, daß damals, gegen Ende der Ge-
schichte ihrer Religion, von den Phöniziern ein Gott El verehrt
worden ist. Aber diese eigennamartige Anwendungsweise von 'él
könnte eine erst damals aufgekommene Übung darstellen, wie denn
W. W. GRAF BAUDISSIN aus der von ihm — anders als JOHANNES
HEHN, der sie für gänzlich unzuverlässig erklärt4) — wenigstens hin-
sichtlich seiner Gegenwart für vertrauenswürdig gehaltenen Mit-
teilung des Philo Byblius Verehrung eines Gottes El auch für ältere
Stufen der phönizischen Religionsgeschichte doch nicht zu folgern
wagt5). Inzwischen haben die seit 1929 in dem nordsyrischen Ras
Schamra, dem antiken Ugarit, zutage geförderten Tontafeltexte,
die ja größtenteils in altphönizischer Sprache abgefaßt sind und
von der phönizischen Religion ihrer Zeit, des 14. Jahrhunderts
v. Chr., erwünschte Kunde geben, es über jeden Zweifel erhoben,
daß es schon damals einen Gott El im phönizischen Pantheon ge-
1 Bei BAUER und HEMPEL: Aa,.'Z. 7—12. 2 Z. 11.
3 *H/.os,THX: Eusebius, Praeparatio Evangélica, ed. DINDORF, I, 10, 16—44;
IV, 16, 11; C.MÜLLER, Fragmenta Historicorum Graecorum III, S. 567 b
bis 570 a; C. CLEMEN, Die phönikische Religion nach Philo von Byblos (MVÄG
42, 3), 1939, S. 25—32. 62—75.
4 J. HEHN, Die biblische und die babylonische Gottesidee, 1913, S. 191—193.
5 BAUDISSIN, Kyrios III, 1929, S. 11 f. Zuversichtlicher und, wie nun die
in Ras Schamra zutage gekommenen Texte bewiesen haben, richtiger hatte
sich BAUDISSIN 1911 in seinem Buche über „Adonis und Esmun", S. 34, aus-
gesprochen, wo er von dem durch Philo Byblius für Byblos bezeugten Ge-
brauch der allgemeinen Gottesbezeichnung 'él als Eigenname eines bestimm-
ten Gottes sagt, daß dieser Brauch auf alter lokaler Übung beruhen werde,
und ein spezielles Verwandtschaftsverhältnis dieses El von Byblos zu dem El
der altaramäischen Inschriften aus Sendschirli annimmt.
El im ugaritischen Pantheon 7
geben hat1), und es zugleich wahrscheinlich gemacht, daß der in
den genannten aramäischen Inschriften bezeugte Gott El, den man
bis dahin für eine aramäische Besonderheit zu halten geneigt war,
den Phöniziern entlehnt worden ist2). Die seit 1946 im cilicischen
Karatepe zutage gekommenen, dem Ausgang des 8. Jahrhunderts
v. Chr. angehörenden, phönizischen Inschriften des Königs Azita-
wadda, die „Ba'al des Himmels und El, Schöpfer (oder: Herr) der
Erde, und Sonnengott der Ewigkeit und die gesamte Familie der
Göttersöhne"3) als Rachegötter nennen, also El als Namen für
einen bestimmten Gott gebrauchen, haben dann einen neuen Beleg
für den Kultus des Gottes El beigebracht und zugleich die Wahr-
scheinlichkeit, daß es sich hier um ein Erbe aus älterer phönizischer
Religionsübung handelt, erhöht. Denn wenn es bei der räumlichen
Nähe von Karatepe und der Fundorte der soeben genannten ara-
mäischen Inschriften an sich auch denkbar wäre, daß jener Bereich
von diesem nicht nur hinsichtlich der staatlichen, wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Ordnungen, sondern auch der Religion Be-
einflussungen erfahren und dabei ihm den Kultus des El entlehnt
hätte, so ist doch angesichts der in den Ras Schamra-Texten ent-
haltenen eindeutigen Bezeugung des El-Kultes für eine phönizische
Gemeinschaft des 14. Jahrhunderts v. Chr. eher anzunehmen, daß
Azitawadda und sein Staat, wie die Sprache oder doch die eine
1 E. Dhokmes Erstübersetzung der 1929 aufgefundenen 48 „kleinen" Texte
in ugaritischem Keilschriftalphabet, „Première traduction des textes phéni-
ciens de Ras Shamra" (RB 40,1931, S. 32—56) gibt das hier vorkommende il
durchweg mit El wieder und bemerkt dabei (S. 36 zu dem El von 1, 2), daß
es sich bei ihm um den „dieu par excellence" handle. Ebenso hat Ch. Yi-
bolleaud, Un poème phénicien de Ras Shamra (Syria 12, 1931, S. 193—224)
bei der Herausgabe des ersten der „großen" oder „epischen" oder „mytho-
logischen" Texte von Ras Schamra, nämlich des Textes I AB, das sich hier
findende U (zuerst Kol. I, Z. 5, S. 114 f.) als Gottesname kenntlich gemacht.
2 So Hans Bauer, ZAW 51, 1933, S. 82; K. F. Euler, Königtum und Götter-
welt in den altaramäischen Inschriften Nordsyriens (ZAW 56, 1938, S. 272
bis 313), S. 305 f.
3 Vgl. etwa A. Alt, Die phönikischen Inschriften von Karatepe (WdO,
4. Heft, 1949, S. 272—287): Untere Torinschrift III, 18—19 b'l Smm w'l qn
'rs i'wSmi 'Im wkl dr bn 'Im.
8 OTTO EISSFELDT
Sprache seiner bilinguen — phönizisch und „hethitisch" abgefaßten
— Inschriften, so auch seine Religion, genauer: den El-Kultus aus
dem phönizischen Kulturkreis erhalten hat.
Die Tatsache, daß durch die Texte von Ras Schamra El als ein
Gott des altphönizischen, jedenfalls des ugaritischen Pantheons be-
zeugt ist, und zwar, wie noch deutlich werden wird, als ein Gott
von sehr hohem Rang, hat nicht zum wenigsten darum bei Semi-
tisten, Religionshistorikern und Alttestamentlern stärkste Beach-
tung gefunden, weil damit die seit langem viel verhandelte Frage,
ob die Semiten überhaupt oder doch ein bestimmter Ausschnitt
aus ihnen von Haus aus einen Göll El, vielleicht gar als den allein
verehrten, gekannt hätten1), nach Meinung mancher Forscher in
positivem Sinne entschieden ist und diese Annahme dann das seiner-
seits besonders lebhaft erörterte Problem, ob — der biblischen Über-
lieferung entsprechend — El der Gott der vormosaischen Hebräer
gewesen sei2) oder ob sich diese Überlieferung vielmehr aus Zurück-
projizierung der von Israel in Kanaan vorgefundenen und als 'el
bezeichneten Lokalgottheiten und ihrer Integrierung zu einem allein
verehrten Hochgott erkläre3), im Sinne der ersten Möglichkeit zu
lösen .scheint. So hat R. DUSSAUD bald nach der Veröffentlichung
der ersten Ras Schamra-Texte diese als Argument dafür ins Feld
1 Aus der überreichen Literatur seien genannt: TH. NÖLDEKE, Uber den
Gottesnamen El (MBAW 1880, S. 760—776); DERS., Elohim, El (SBAW 53,
1882, S. 1175—1192); ED. MEYER, El (Rosehers Lexikon der Mythologie I,
1884—1890, Sp. 1223—1229); ER. BAETHGEN, Beiträge zur Semitischen Reli-
gionsgeschichte, 1888, S. 192—197. 276—296. 297—310 u. ö.; HEHN, Gottesidee,
1913, S. 150—213; C. BROCKELMANN, Allah und die Götzen, der Ursprung des
islamischen Monotheismus (ARW 21, 1922, S. 99—121), S. 120F.; D. NIELSEN,
Der Dreieinige Gott in religionshistorischer Beleuchtung, I, 1922 (s. Register);
DERS., Handbuch der Altarabischen Altertumskunde I, 1927, S. 217—220;
BATJDISSIN, Kyrios III, 1929, S. 6—18. 299—309 u. ö.; vgl. auch S. 5, Anm. 1.
2 So nach dem Vorgang Älterer H. GRESSMANN, Sage und Geschichte in
den Patriarchenerzählungen (ZAW 30, 1910, S. 1—34), S. 28; Mose und seine
Zeit, 1913, S. 426—433.
3 So H. GUNKEL, Genesis, 3. Aufl., 1910, S. 187 f. zu Gen 16, 7; S. 189 f.
zu 16, 13; S. 235 f. zu 21, 33; S. 285 zu 14, 16—18; S. 343 zu 31, 13; BATJ-
DISSIN, Kyrios III, 1929, S. 124—164. 299—309; A. ALT, Der Gott der Väter.
Ein Beitrag zur Vorgeschichte der israelitischen Religion, 1929, S. 7 f.