Table Of ContentMoewig 3517
Herausgegeben und mit einem Nachwort
von Hans Joachim Alpers
Titel der Originalausgabe
Some Will Not Die
Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Crass Copyright © 1961, 1978 by Algis Budrys, Teile des Buches
basieren auf Material mit dem Copyright © 1954 by Galaxy Publishing Inc., © 1954 by Algis Budrys und
© 1957 by Royal Publications, Inc.
Copyright © der deutschen Übersetzung 1981
by Moewig Verlag, München
Umschlagillustration: Selecciones Illustradas Umschlagentwurf und -gestaltung:
Franz Wöllzenmüller, München
Redaktion: Hans Joachim Alpers
Verkaufspreis inkl. gesetzl. Mehrwertsteuer Auslieferung in Österreich:
Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif Printed in Germany 1981
Druck und Bindung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh ISBN 3-8118-3517-3
Die Katastrophe kommt plötzlich und unerwartet: Eine Seuche dezimiert
die Bevölkerung der U.S.A. in kürzester Zeit bis auf eine Handvoll von
Überlebenden. Aber für sie nimmt der Schrecken erst seinen Anfang.
Denn überleben kann nur, wer sich in den Besitz der verbliebenen
Vorräte setzt. Eine Büchse Fleisch oder Bohnen ist mehr wert als ein
Menschenleben, und trauen darf man allenfalls der eigenen Familie.
Einzelgänger und Familien igeln sich ein, bewohnen mit Fallen gespickte
Apartments in den verlassenen Hochhäusern New Yorks. Wer durch die
menschenleeren Straßenschluchten pirscht, muß ständig auf der Hut sein
vor der Kugel eines Plünderers und Beutejägers – und hält selbst das
Gewehr in der Hand, bereit, auf alles zu schießen, was sich bewegt. Wie
kann aus jener paralysierten Welt, aus diesen mißtrauischen
Einzelkämpfern eine neue Zivilisation mit Gesetzen, einer Regierung,
einer Gemeinschaft, in der man einander vertraut, erwachsen? Freiwillig
will keiner der einsamen Wölfe sein Leben in die Hand eines potentiellen
Feindes legen. Aber es gibt einige wenige Menschen, die eine Utopie vor
Augen haben – die Utopie von einem besseren Leben, von Demokratie
und Respekt voreinander. Der Weg allerdings, der dahin führen mag, ist
hart und dornig – und manchmal hassen sich die Menschen, die diesen
Weg weisen, für das, was sie glauben, tun zu müssen …
Algis Budrys gehört zu den bedeutendsten SF-Autoren
der fünfziger und sechziger Jahre, der besonders durch
seinen Roman Rogue Moon (Projekt Luna) zu Ruhm
gelangte. Einige werden überleben, sein erster Roman, ist
sein wohl härtestes, kompromißlosestes und bitterstes
Buch.
Schreiben ist eine Kunst. Dafür, daß sie mir das meiste, was ich davon weiß,
beigebracht haben, und mich dabei gehalten haben, und mich meine
Verpflichtungen ihr gegenüber nie vergessen lassen haben, widme ich dieses
Buch
Lester del Rey und
Evvie sowie meiner Frau Edna.
Wir beschäftigen uns nicht mit einem Mann. Wir beschäftigen uns mit
Menschen; wenn in einer Welt von fast vier Milliarden Menschen niemand eine
Insel ist, wie kann dann ein Mensch unabhängig von den anderen sein, wenn die
Bevölkerungszahl nur ein Zehntel dessen ist? Menschen, die vor der Seuche
verloren und unbedeutend waren, wurde der kleinste Impuls, jede Laune um das
Zehnfache vergrößert. Die Wellen, die die Persönlichkeit eines Menschen
schlägt, schlugen zehnmal so weit, zehnmal so hoch. Ein Mensch, der neunzehn
Nachbarn hat, braucht sich um keinen von ihnen zu sehr zu kümmern. Ein
Mensch mit einem Nachbarn hat entweder einen Bruder oder einen Feind oder
beides.
Um also die Geschichte der Welt nach der Seuche zu verstehen, müssen wir
begreifen, daß niemand – selbst Theodore Berendtsen nicht – der einzige
Brennpunkt dieser Zeit sein kann.
Wir studieren einen Mann, ja. Aber wir beschäftigen uns mit Menschen.
Harvey Haggard Drumm, Eine Untersuchung zur Auswirkung extremer
Entvölkerung auf das herkömmliche Menschenbild.
Chicago,
vervielfältigt im Jahre 2001 n. Chr.
ERSTES BUCH
Prolog
Dies alles geschah viele Jahre nach der Seuche, ungefähr zu derselben Zeit, als
man davon sprach, den Amerikanischen Zwinger-Club im Osten und Süden neu
zu beleben. Aber dieses hier passierte weiter nordwestlich: Es wurde dunkel auf
der riesigen Ebene, die sich von den Appalachen bis zu den Ausläufern der
Rocky Mountains erstreckte. Das hohe Gras flüsterte im Abendwind.
Ein Kettenkampfwagen schob sich klappernd und heulend auf die
untergehende Sonne zu. Hinter ihm lag der eintönige Horizont aus Gras, fast
vollständig eben und ohne ein sichtbares Zeichen von Leben. Das öde Grasland
erstreckte sich auf beiden Seiten. Vor ihm lagen, schwarz und von der
Entfernung verwischt, die Ausläufer der Berge, ein Pinselstrich in einer kräftigen
Linie direkt unter der Sonne.
Der Kampfwagen, ein geduckter, dunkler, hastender Umriß, war der Anfang
einer immer länger werdenden Spur von zerdrücktem Gras. Er bewegte sich mit
unaufhaltsamer Geschwindigkeit vorwärts. Seine Panzerung war rostig und von
Schweißstellen vernarbt. Die stumpfe dunkelgrüne Farbe blätterte ab. Irgend
jemand hatte auf die Seite des breiten Doppelturms mit geübter Hand das
Wappen der Siebten Nordamerikanischen Republik gemalt. Auch dort war die
Farbe schlecht, obwohl sie viel frischer war. Ein anderes Wappen schimmerte
darunter durch, und darunter wieder ein anderes.
Joe Custis, mit dem angenommenen Dienstgrad eines Hauptmanns der
Siebten Republikanischen Armee, saß auf dem sattelförmigen
Kommandantensitz. Kopf und Schultern ragten aus der offenen Luke; die
schweren Hände hatte er gegen ihren Rand gestützt. Der Kopfhörer der
Gegensprechanlage drückte die Mütze mit dem breiten Schild, die er tief über
die zerkratzte Schutzbrille der Amerikanischen Optischen Gesellschaft gezogen
hatte, eng an seinen Schädel. Sein massives Kinn war braungebrannt, und die
tiefen Furchen um seinen Mund waren schwarz von zusammengebackenem
Staub und Schweiß. Sein Kopf drehte sich ständig von einer Seite zur anderen,
und immer wieder wandte er sich um, um nach hinten zu sehen.
Ein in der Entfernung noch weißer Fleck zur Linken wurde zu einem
frischgestrichenen Hinweisschild, das man auf dem Scheitel eines niedrigen
Hügels an einen Pfosten genagelt hatte. Er ließ seine Schutzbrille an seinem Hals
herabbaumeln und schaute durch das Fernglas. Es war ein handgeschriebenes
Schild in Totenkopfform – nicht neu, aber noch in gutem Zustand – auf dem
folgendes stand:
KEIN ESSEN
KEIN TREIBSTOFF
KEINE FRAUEN
Custis griff zum Kommandantenmikrophon und sagte: „Lew, siehst du das Ding
da? Gut, fahr langsam darauf zu. Paß auf – wenn ich es dir sage, hältst du ganz
an.“
Er stellte den Kommandantensitz so ein, daß sein Gesicht die Höhe der
Okulare des Kuppelperiskops erreicht hatte. Dann hob er das Periskop an, bis es
in seiner ganzen Länge dünn und biegsam über der Kuppel ausgefahren war. Es
sah mit seinen vielen Gelenken wie die erhobene zitternde Antenne eines
Wesens aus, das auf den roten Ebenen des Mars lebte und sich in unerhörte
Kämpfe stürzte.
„Langsam jetzt, Lew … langsam … halt.“
Der Kampfwagen hielt mit laufendem Motor an, und das Periskop suchte den
Hügel ab. Joe Custis griff nach oben und verschloß das Turmluk über seinem
Kopf. Er beugte sich ungelenk nach unten und sah durch die Optik.
Auf der anderen Seite des Höhenzugs lag ein Tal, oder vielmehr das, was vor
langer Zeit einmal ein Tal gewesen war. Jetzt war es eine breite, flache Senke, in
die zehntausend Jahrhunderte Regen die fetteste Krume hineingespült hatten. In
dem Tal gab es Felder und verstreut niedrige, bucklige, grasbewachsene
Erhebungen. Kein Licht war zu sehen. Auf den Feldern war keine Bewegung
auszumachen, aber eines von ihnen war halb geeggt. Der Boden war frisch
aufgebrochen, die Oberfläche schimmerte noch schwer und fett bis zu einem
Punkt, an dem die Spuren der Spitzegge von ihrem vorherigen Kurs abwichen
und auf eine der Erhebungen zuführten, die in Wirklichkeit eine Grashütte war.
Ein Bauer hatte seine Arbeit unterbrochen und sein Pferd und die wertvolle
handgefertigte Egge in Sicherheit gebracht.
Die Stimme des Fahrers hallte im Kopfhörer von Joe Custis wider. „Soll ich
näher ranfahren. damit wir es uns genauer ansehen können?“
„Nein. Nein, fahre um die Sache hier herum, und dann nimm wieder den alten
Kurs. Näher will ich nicht rangehen. Es könnte dort Fallen oder Minen geben.“
Custis senkte das Periskop, und der Wagen stieß bis zu der Stelle zurück, an
der sie zuvor vom Kurs abgewichen waren. Hier schwenkte er herum und
begann wieder vorwärts zu rollen. Das Heulen der Koboldmotoren nahm wieder