Table Of ContentRheinisch-WestfaIische Akademie der Wissenschaften
Geisteswissenschaften Vortrage . G 288
Herausgegeben von der
Rheinisch-Westfalischen Akademie der Wissenschaften
BERNHARD GROSSFELD
Einige Grundfragen des
Internationalen U nternehmensrechts
Westdeutscher Verlag
308. Sitzung am 21. Januar 1987 in Dusseldorf
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«:>1987 by Westdeut.scher Verlag GmbH Opladen
Herstellung: westdeutscher Verlag
ISBN 978-3-531-07288-3
Inhalt
Bernhard Groflfeld, Miinster
Einige Grundfragen des Internationalen Unternehmensrechts
1. Einleitung ..................................................... 7
2. Anerkennung .................................................. 7
2.1 Problem ................................................... 7
2.2 Natiirliche Personen ........................................ 8
2.3 Juristische Personen ......................................... 8
2.4 Geschichte ................................................. 9
3. Gesellschaftsstatut .............................................. 10
3.1 Problem................................................... 10
3.2 Streitstand ................................................. 11
3.3 Beweisfragen ............................................... 13
3.4 Rechtsvergleichende Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 14
4. Europa ....................................................... 15
4.1 Problem................................................... 15
4.2 Jetziger Stand .............................................. 16
4.3 Eigenart von Sprechakten .................................... 17
4.4 Vorbild: Versicherungsaufsicht ................................ 17
4.5 Chancen der Sitztheorie ..................................... 18
4.6 Die "auslandische juristische Person & Co. KG" ................. 19
5. WeltabschluB .................................................. 19
5.1 Problem................................................... 19
5.2 Anst6Be ................................................... 20
5.3 Ein den tatsachlichen Verhaltnissen entsprechendes Bild .......... 21
5.4 Ansatz und Bewertung ...................................... 22
5.5 Zeit....................................................... 22
5.5.1 Die Zeit im Recht ..................................... 23
5.5.2 Die Zeit im Bilanzrecht ................................. 24
5.5.3 Unterschiedliches Zeitverstandnis ........................ 25
5.5.4 Vergleichendes Bilanzrecht .............................. 25
5.5.5 Folgen fUr den WeltabschluB ............................ 26
6 Inhalt
5.6 Unitary Taxation ........................................... 27
5.6.1 Problem.............................................. 27
5.6.2 Vorbilder ............................................. 27
5.6.3 Folgen fUr den WeltabschluB ............................ 28
6. Steuervermeidung .............................................. 28
6.1 Problem ................................................... 28
6.2 Basisunternehmen .......................................... 29
6.3 Ausnutzung von Doppelbesteuerungsabkommen ................ 30
6.3.1 Uberblick ............................................ 30
6.3.2 GegenmaBnahmen ..................................... 30
6.3.3 Zulassigkeit ........................................... 31
7. SchluB ........................................................ 32
Diskussionsbeitrage
Professor Dr. jur. Gerhard Kegel; Professor Dr. jur. Bernhard Groflfeld
LL.M.; Professor Dr. iur. Klaus Stern; Professor Dr. iur. Herbert Wiede
mann; Professor Dr. iur. Josef Isensee; Professor Dr. jur. Werner Flume,
Rechtsanwalt Helmut Becker ...................................... 35
1. Einleitung
Fragen des Internationalen Unternehmensrechts traten vor eine breite Offent
lichkeit durch die Diskussion tiber die multinationalen (besser: transnationalen)
Unternehmen.1 Die "Multis" sind heute zwar nicht mehr das Modethema, das
sie einmal waren; aber die von ihnen aufgeworfenen Probleme beschaftigen uns
Juristen nach wie vor sehr; sie haben nichts an Aktualitat verloren.2
1m Zentrum der Dberlegungen stehen die allen bekannten groBen U nterneh
men, die tiber auslandische Niederlassungen oder Tochtergesellschaften weltweit
tatig sind. Diese relativ jungen Akteure der Weltwirtschaft stellen Fragen, denen
die herkomrnlichen juristischen Antworten nicht immer gentigen. Ich mochte an
wenigen Beispielen zeigen, welche Interessen das Internationale U nternehmens
recht formen und es zu einem dynamischen Rechtsgebiet machen. Dafiir greife ich
vier Bereiche heraus: Anerkennung, Gesellschaftsstatut, WeltabschluB und Steuer
vermeidung.
2. Anerkennung
2.1 Problem
Die Zentrale eines transnationalen Unternehmens, die Muttergesellschaft, sitzt
wie eine Spinne in einem internationalen Netz. Sie ist im allgemeinen eine Kapital
gesellschaft, wie wir sie bei uns etwa als Aktiengesellschaft kennen. Diese Rechts
form bietet vier Vorztige: Kapital kann relativ leicht aufgenommen werden; die
Haftung der Gesellschafter ist begrenzt auf ihre Einlagen; das Gebilde ist juri
stische Person, d. h. es kann Trager von Rechten und Pflichten sein - fast wie
eine nattirliche Person. Dieser homunculus hat der nattirlichen Person sogar noch
1 GROSSFELD, Praxis des Internationalen Privat· und Wirtschaftsrechts, Reinbek 1975
2 GROSSFELD, Intemationales Untemehmensrecht, Heidelberg 1986
8 Bernhard GrolHeld
etwas voraus: Er kennt keinen natiirlichen Tod, er ist - cum grano salis - "unsterb
lich".3
Ein solches Gebilde kann international nur tatig sein, wenn es auch im Ausland
als juristische Person behandelt wird; denn davon hangt die Fahigkeit ab, Eigen
tum zu halten, Partei von Vertragen zu sein und vor Gericht zu klagen; davon
hangt vor allem die beschrankte Haftung abo Nun ist aber die Rechtsfahigkeit
jeweils von einer bestimmten Rechtsordnung verliehen, sagen wir der franzosi
schen. Endet die Rechtsfahigkeit dann an den Grenzen Frankreichs oder kann sie
zu uns getragen werden? Damit begegnen wir der Frage nach der internationalen
Anerkennung nationaler juristischer Personen.
2.2 Naturliche Personen
Die Frage stellt sich grundsatzlich auch bei natiirlichen Personen. Denn die
Rechtsfahigkeit natiirlicher Personen wird ebenfalls durch eine bestimmte Rechts
ordnung, eine bestimmte Rechtsgemeinschaft geregelt. Hier hat sich aber weithin
die Meinung durchgesetzt, daB jede natiirliche Person kraft ihrer Menschenwiirde
national und international Rechtsfahigkeit besitzt. Das erscheint uns heute selbst
verstandlich - und doch ist es erst das Ergebnis eines neueren Prozesses. Klassischer
Beleg dafUr ist der beriihmte Dred Scott-Fall, den der Oberste Gerichtshof der Ver
einigten Staaten von Amerika 1857 entschied:4
Der N eger Dred Scott verklagte seinen Herrn auf Schadensersatz, weil dieser ihn
mit Gewalt als Sklaven hielt. Dred Scott machte geltend, er sei frei geworden, weil
einer seiner friiheren Herren ihn in das Louisiana-Territorium gebracht habe, wo
die Sklaverei durch Bundesgesetz verboten sei. Der Oberste Gerichtshof wies die
Klage mangels Rechtsfahigkeit (Parteifahigkeit) des Klagers abo Scott sei als Sklave
kein Biirger der Vereinigten Staaten und habe keine verfassungsmaBigen Rechte.
Er habe den Status als Sklave im Louisiana-Te rritorium nicht verloren. Das die
Sklaverei dort verbietende Bundesgesetz sei verfassungswidrig; es verletze das
Recht auf Eigentum an Sklaven. Erst ein Biirgerkrieg brachte hier den Wandel.
2.3 Juristische Personen
Man konnte daran denken, dieses Ergebnis fUr natiirliche Personen auf juri
stische Personen zu iibertragen und auch sie ohne weiteres anzuerkennen nach
3 GROSSFElD, Unsterblichkeit und Jurisprudenz, FS Kummer, Bern 1980, S. 3
4 Dred Scott v. Sanford, 19 How. 393 (1857),15 L.Ed. 691 (1857)
Einige Grundfragen des Internationalen Unternehmensrechts 9
dem Motto: Person ist Person. Das niitzte der Kapitalgesellschaft, aber auch ihrem
Heimatstaat; der Heimatstaat rechnet damit, daB die internationalen Aktivitaten
der Gesellschaft ihm zugute kommen {charity begins at home}.
Der Staat, in dem die Gesellschaft tatig werden will (der Gaststaat), mag das
anders sehen. Er wird argumentieren, daB die juristische Person eben kein Mensch,
sondern "irgendwie" ein Kunstgebilde sei, das auf staatlichem Akt beruhe - und die
Autoritat staatlichen Handels ende an den Grenzen. Hinter diesem Argument ver
bergen sich handfeste Abwehrinteressen: Die auslandische Gesellschaft ist oft viel
starker als eine natiirliche Person, sie mag die heimischen Unternehmen und den
Gaststaat selbst gefahrden, das Gemeinwohl dem Unternehmensinteresse unter
werfen. Sie ist - ab einer bestimmten GroBe - vor a11em ein Machtgebilde.
2.4 Geschichte
Der so aufbrechende Konflikt zwischen Heimatstaat und Gaststaat wurde
gleichsam stellvertretend in den Vereinigten Staaten von Amerika sowie zwischen
Frankreich und Belgien ausgetragen.
In den Vereinigten Staaten von Amerika steht am Beginn ein U rteil des Obersten
Gerichtshofes von 1839: "GewiB existiert eine juristische Person rechtlich nicht
auBerhalb der Grenzen des Herrschaftsgebietes, in dem sie entstand. Sie lebt nur in
der Vorstellung und durch die Kraft des Rechts; wo das Recht nicht mehr wirksam
und nicht mehr verbindlich ist, kann die juristische Person nicht bestehen. Sie muB
am Ort ihrer Griindung bleiben und kann nicht in ein anderes Herrschaftsgebiet
iiberwechseln!"5
In Kontinental-Europa begegnen wir 1849 einem Urteil des Belgischen Kassa
tionsgerichtshofs, des hochsten belgischen Gerichts.6 Er wies die Klage einer fran
zosischen Aktiengese11schaft abo Die Klagerin sei mangels Konzession durch die
belgische Regierung in Belgien nicht rechtsfahig, sie sei ein "Nichts": "Wo11te man
einer im Ausland gegriindeten Aktiengese11schaft ohne konigliche Genehmigung
in Belgien Existenz oder Rechtspersonlichkeit zuerkennen, so wiirde man die
Macht des Griindungsstaates iiber die Grenzen hinaus erweitern, die das Volker
recht setzt. Das beeintrachtigte auch die Souveranitat des belgischen Staates:
Er konnte bei einer Anerkennung dieser Gese11schaft nicht priifen, ob sie niitz
lich oder gefahrlich ist; er konnte nicht - wie er so11 - die nationalen offent
lichen und privaten Belange schiitzen, welche die Gesellschaft in Belgien schadigen
kann."
5 Bank of Augusta v. Earle, 38 U.S. 519 (1839)
6 Pasicrisie Beige 1849.1.221
10 Bernhard GroBfeld
Der Belgische Kassationsgerichtshof bestatigte diese Grundsatze in einem ab
schlieBenden Urteil 1857:7 Eine franzOsische Versicherungs-Aktiengesel1schaft
klagte gegen ihren belgischen Agenten auf Zahlung von Geld, das dieser fUr sie bei
belgischen Versicherungsnehmern eingezogen· hatte. Der Generalstaatsanwalt
(Dewandre) schaltete sich zugunsten des Beklagten in das Verfahren ein: "Wir sagen,
daB der Anerkennung die offentliche Ordnung entgegensteht. Es ist zwar unbe
streitbar, daB groBe ausHindische Unternehmen dem Lande bedeutende Dienste
erweisen und daB ihr Nutzen offenbar ist; es ist daher gewiB politisch klug, diese
wichtigen Handelsbeziehungen durch gute wechselseitige Abstimmung zu erhal
ten. Es ist aber auch wahr, daB Stimmen in Belgien und Frankreich diese vielen
Aktiengesel1schaften, die mit staadicher Genehmigung und unter staadicher
Kontrolle gegriindet und tatig sind, fUr ein offendiches U ngliick halten, fUr eine
Ursache des Verfalls und der Verwirrung des Handels, fUr eine Quelle der Unord
nung und des Ubels. Wie groB auch die Kraft des Gesellschaftsstatuts sein mag, es
gibt ein Gesetz, das iiber allen Gesetzen steht, und dieses Gesetz ist das Interesse
der Nation, sind ihre Grundlagen." Der Kassationsgerichtshof folgte dem und
wies die Klage wegen fehlender Rechtsfahigkeit (parteifahigkeit) der Klagerin abo
Belgien und Frankreich regelten die Frage anschlieBend durch einen Staatsver
trag.
Nun, ich iiberspringe Einzelheiten und erwahne nur noch, daB diese defensive
Haltung den Erfordernissen eines internationalen Handelsverkehrs nicht stand
hielt. Heute findet sich oft eine liberalere Haltung; man erkennt im Ausland
errichtete juristische Personen grundsatzlich an. Das kann aber im Einzelfall
immer wieder zweifelhaft werden, so vor allem fUr Gesellschaften aus "Oasen
staaten" (z. B. Liechtenstein, Panama). Doch erfreuen sich die schillernden Ge
bilde aus Liechtenstein zur Zeit der mitunter unverdienten Gunst der deutschen
Gerichte.8
3. Gesellschaftsstatut
3.1 Problem
Soweit, so gut. Aber sogleich taucht eine weitere Frage auf: Wenn wir schon
groBziigig sind, wie weit reicht unsere GroBziigigkeit? Unconditional surrender?
Oder wollen wir Sicherheiten einbauen? Technisch spitzt sich das auf Folgendes
7 Pasicrisie BeIge 1851.1.357
8 GllOSSFEID, GHiubigeranfechtung und Durchgriff: Das Problem der liechtensteinschen Anstalt,
IPRax 1981, 116. Ebenso jetzt C. DE CASS, Riv. d. diritto into priv. et proc. 22 (1986) 353, 356