Table Of ContentRudiger Gomer
Einheit durch Vielfalt
Rudiger Garner
Einheit
durch Vielfalt
Foderalismus als
politische Lebensform
Westdeutscher Verlag
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© 1996 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt
ISBN-13: 978-3-531-12801-6 e-ISBN-13: 978-3-322-87285-2
001: 10.1007/978-3-322-87285-2
Inhalt
Vorbemerkung 3
Vorsatze 5
Einleitendes tiber fOderale Pluralektik 13
FOderalismus als politische Lebensform 23
II Zur Asthetik fOderaler Staatlichkeit 37
III Constantin Frantz. Ein Ideologe des Fbderalismus 48
IV Fbderalismus als Mythos in der 'Konservativen Revolution' 66
V Einheit durch Vielfalt
Fbderalismus und Literatenpolitik 83
VI Zur Idee der "Mitte" und ihrer asthetisch-fbderativen
Sinnstruktur 112
VII Souverane Abhangigkeit 134
Anmerkungen zu einem Strukturprinzip im Fbderalismus 134
VIII FOderale Identitatsbildung im vereinigten Deutschland 164
IX Verfassungsdiskussion und FOderalismus im Zuge der
Vereinigung 186
X Zwischen Regionalisierung und Renationalisierung:
Konturen des fbderativen Europas 209
Nachbemerkung und Ausblick 235
Verzeichnis der benutzten Literatur 239
Vorbemerkung
Veranstaltungen der Lothian Foundation und der Theodor
Heuss-Akademie sowie Programme des Stidwestfunks Baden
Baden und des Bayerischen Rundfunks waren Foren, auf denen
ich verschiedene der hier zusammenhangend vorgetragenen
Thesen erstmals zur Diskussion stellen konnte. Gleiches gilt fUr
die Schweizer Monatshefte, Neue GesellschaftlFrankfurter
Hefte, Integration und das (vormals) Deutsche Allgemeine
Sonntagsblatt, in denen ich Uberlegungen zum Foderalismus als
politischer Lebensform entwickelt habe. Diese Beitrage
erscheinen hier in stark tiberarbeiteter Form neben bislang
unpublizierten Kapiteln. Forderung und Anregung wurden mir
tiber die Jahre besonders in Gesprachen mit Andrea Bosco
(Londonffurino), Ralf Dahrendorf (Oxford), Hildegard Hamm
Brticher (Bonn/Mtinchen) und John Pinder (London) zuteil.
Hervorheben mochte ich auch engagierte Beitrage von
Studenten in meinen Seminaren und Ubungen zur Geschichte
des Foderalismus, die ich bis 1991 an der University of Surrey
und seither an der Aston University abgehalten habe.
Die abschlieBenden Arbeiten an dieser Studie wurden durch den
Research Fund der Aston University gefOrdert. Bei der
Herstellung des Manuskripts untersttitzten mich meine
Mitarbeiterin, Suzanne Kirkbright (Bibliographie) sowie bei
seiner computertechnischen "Verarbeitung" Catherine Hunt in
bewahrter Weise.
Aston University, im Frtihjahr 1995 Rtidiger Gomer
Vorsatze
Gemeinhin beschreibt der politiktheoretische Diskurs den
Foderalismus funktionaLl Man versteht ihn nahezu
ausschlieBlich als politischen Strukturbegriff und als
verfassungsrechtliche QualiUit und reduziert ihn auf die
Auseinandersetzung urn Bund-Uinder-Kompetenzen und den
Uinderfinanzausgleich. Damit kann man jedoch dieser
vielschichtigen, Uber Jahrhunderte gewachsenen "Lehre vom
Bund" nicht annahrend gerecht werden, wie schon ein
skizzenenhafter Rekurs auf ihre Bedeutungsgeschichte lehrt.2
Die Bundesidee ist mysthisch-religiosen Ursprungs. Was sich
im alttestamentarischen Sinai am Berg Horeb gewissermaBen
paradigmatisch vollzogen hatte, war nichts weniger gewesen als
die Ineinssetzung von Glaubens-Bundes-und Gesetzestreue.
Der gottliche Bund mit dem auserwahlten Yolk der Israeliten
kannte drei Prinzipien: Die Stamme der Israeliten unterwarfen
sich den gottlichen Gesetzen (2. Mose 19,5), die Israeliten
muBten den Bund leben (5. Mose 5, 2-3), und die "Werke", die
diesen B und aufrecht erhielten, waren die von Gott durch Moses
erlassenen Gesetze. Moses bUrgte flir den Bund und entsagte
damit eigener Machtpolitik; denn zum Volkstribun der Juden
ware er durchaus befahigt gewesen. Er verkorperte den foedus
sacrum, der zum foetus legium, zur "Gebarmutter" der
weltlichen Gesetze, werden sollte.
In der griechischen Antike waren es die freien und gleichen
BUrger, die einen Bund im Rahmen der Polis schlossen, von der
ihrerseits der Impuls zur Bildung von StaatenbUnden ausging,
die der Bundesgedanke des Alten Testaments ausdrUcklich
ausgeschlossen hatte. FUr den Griechen war der Staatenbund
jedoch zweckgebunden (zur Verteidigung gegen die Perser
etwa). Die Umwandlung des Attischen Seebundes in einen
Bundesstaat stand schon deswegen nie in Aussicht, weil sich der
Grieche die erfolgreiche Verwirklichung der koinonia, also der
6
Gemeinschaft von Gleichen, auf Dauer nur im tiberschaubaren
Rahmen der Polis vorstellen konnte.3
Selbst dem sakularisierten und neuzeitlich-pragmatischen
Foderalismus-Begriff lag ein Prinzip zugrunde, das keineswegs
rein politischen Ursprungs war: Das der durch den Bund
gewahrleisteten Einheit in der Mannigfaltigkeit. Diese
Vorstellung trug genuin asthetische Ztige und ging auf
Winckelmann zurtick, wenngleich auch der romischen Antike
dieses Prinzip nicht fremd gewesen war. Cicero sprach in seiner
Schrift De re publica vom Staat als der Einheit in der
Verschiedenheit der Stande, ohne daB er daran weitergehende
Reflexionen gekntipft hatte.4
Hier ist nicht der Ort, systematisch auf die Geschichte des
Foderalismus als geistig-politischer Idee einzugehen.5 Diese
wenigen Hinweise mogen jedoch gentigen, urn die
vielgestaltigen Dimensionen der "Lehre yom Bund" anzudeuten
und zu begrtinden, warum der Foderalismus nicht nur als
funktionale GroBe verstanden werden kann, sondern immer
auch als Ausdruck eines bestimmten BewuBtseins, das sich in
manchen Landern (unter anderen auch in der Bundesrepublik
Deutschland) zu einer politischen Lebensform entwickelt hat.
Politische Lebensform und Interessenpolitik, staatenspezifische
Traditionen und schiere Lust an Polemik haben sich in den
Diskussionen tiber die Art der fOderalistischen Gestaltung der
Europaischen Union im Zuge des Maastricht-Vertrages
verquickt. Wahrend die Diskussion tiber Maastricht in der
Bundesrepublik Deutschland im Grunde erst nach der
Ratifizierung des Vertrages stattgefunden hat,6 ist sie in
GroBbritannien wohl am heftigsten und polemischsten
ausgetragen worden. 1m Vorfeld der Ratifizierung durch das
House of Commons hatte sich eine bezeichnende, von den
sogenannten "Euro-sceptics" in Umlauf gebrachte
Begriffsverwirrung ereignet: "Federal" wurde, vor aHem auch in
den Medien, zum politischen Unwort erklart. "Federalism" sah
sich mit Brusseler "Zentralismus" gleichgesetzt7 - eine kuriose
7
Verdrehung der Verhiiltnisse, die noch bizarrer wirkt, wenn man
bedenkt, daB gerade GroBbritannien seinen einstigen Dominions
den Foderalismus empfohlen, es selbst aber versaumt hatte, sich
zu fOderalisieren. Stattdessen beharrte man selbst allzu lange
auf einer regionenfeindlichen Zentralisierung.
Der Foderalismus hatte in England schon Ende des 17.
Jahrhunderts Reizwortcharakter gehabt. So auBerte sich John
Locke in seinem Second Treatise of Government geradezu
widerwillig tiber jene Kraft, die zum politischen Bund fUhrt,
auch wenn er ihre Existenz geradezu widerwillig anerkannte: ". ..
and this power may be called federative, if anyone pleases."
Der ansonsten eher unterktihlt schreibende und urn Definitionen
bemtihte Rationalist fUgte dem ausdrticklich noch hinzu: "So the
thing be understood, I am indifferent as to the name."
Locke erklarte die "federative power" zu einer Art Bindemittel,
das dabei helfe, ein Sozialgebilde, das "common-wealth"
entstehen zu lassen. Wie hat man sich dies jedoch genau
vorzustellen? Locke ftihrte aus: ". .. in a common-wealth the
members of it are distinct persons still in reference to one
another, and as such are governed by the laws of society".8
Diese Erklarung gentigte ihm jedoch nicht. Was bewirkte diese
"reference", dieses soziale Bezugssystem, ohne das jede
Gesellschaft auseinanderfiele? Locke gibt lakonisch die
Verwirklichung des Eigentumsrechtes an und das
gemeinschaftliche Streben nach individuellem Besitz. Die
Besitzenden 'fOderierten' sich gegen die mit Armut Befleckten.
Ein zynisches Argument, das im Thatcherismus noch einmal zu
unerwarteten Ehren kommen sollte. Wie immer man diese
Auffassung Lockes moralisch bewerten mag, sie weist ihn in
der politischen Theorie des Foderalismus als den ersten aus, der
erkannt hatte, daB es zu keiner wie auch immer gearteten
"Foderation" kommen kann, wenn ein foderierendes Interesse
fehlt. 1m alttestamentarisch-religiosen Zusammenhang war es
die Verwirklichung des "gottlichen Gesetzes" gewesen, die zum
"Bund" zwischen Jahwe und den Israeliten gefUhrt hatte - zur
unbedingten Abhangigkeit eines Volkes von Gott, die wiederum
8
die Befreiung dieses Volkes aus der Knechtschaft bewirken
sollte. Die griechische Antike setzte auf die politische koinonia
und das Heilige Romische Reich teutscher Nation auf den Geist
des imperium und sacerdotium, im wesentlichen also auf den
Mythos als foderierende Kraft. Ob in unseren Tagen die
Europaische Gemeinschaft an diesen Mythos anzukntipfen
versuchte, wie Peter Sloterdijk behauptet hat,9 oder ob sie eher
der fOderalistischen Pragmatik eines John Locke verpflichtet ist,
sei dahingestellt. Doch wenn sie den "Geist" des Vertrages von
Maastricht in Politik umsetzen mochte, der unzweifelhaft
fOderalistischen Ursprungs ist, dann wird sie sich auf ihre
spezifischen "fOderierenden" Komponenten besinnen mtissen,
die nicht nur der okonomischen Interessenpolitik entstammen
konnen.10
Diese nicht-okonomischen foderierenden Komponenten
befassen mich in dieser Studie tiber einige, bislang weitgehend
vernachHissigte Facetten des Foderalismus vorrangig. Die von
tagespolitischen Erwagungen getragenen Interessen bleiben hier
eher im Hintergrund. Was mich am Foderalismus beschaftigt,
ist seine kulturelle, geistig-politische Qualitat, sein verdeckt
ideologischer Anspruch, den er mit allen Ismen teilt, und das
Fluktuierende an ihm - trotz genauer verfassungsrechtlicher
Bestimmungen tiber das (bundesdeutsche) konkurrierende
Gesetzgebungsverfahren. Was immer wieder faszinieren kann
am Foderalismus, ist der Spielraum, den er fUr politische
Gestaltung gewahrt - bei aller Tendenz zur gesamtstaatlichen
Vereinheitlichung im Namen der Bundeszwange. Was ihn so
dauerhaft attraktiv macht, ist seine pluralisierende Eigenschaft,
das Gelten-Lassen des Anderen, Verschiedenen - bei
gleichzeitigem Bemtihen, an gemeinsamen Nennern zu arbeiten
und an ihnen nach Moglichkeit festzuhalten.
Diesem dem Foderalismus innewohnenden Pluralismus
entspricht ein stark formendes Element, das ihm zueigen ist: die
Mechanismen zur Konsensbildung, Fragen des Ausgleichs
zwischen den fOderierten Landern, Bildung einer Zweiten
Kammer, urn die zentrale Bundesgewalt effektiver zu
9
kontrollieren. Die Vielschichtigkeit dieser politischen Formen
und Institutionen, verbunden mit dem sozialen Pluralismus, den
der Foderalismus begtinstigt, legt es nahe, das fOderalistische
Prinzip nicht mit den Mitteln der Dialektik zu beschreiben. Die
spezifisch politische Denkstruktur, die im Foderalismus ihren
Ausdruck findet, nenne ich, wie das einleitende Kapitel
begrunden wird, "Pluralektik".
In dieser Studie ist wiederholt von einer regelrechten "Asthetik"
des Foderalismus die Rede. Damit ist zweierlei gemeint: Zum
einen die, wie erkHirt, asthetische Herkunft seines
Leitgedankens, Einheit in der Vielfalt herzustellen, mehr noch:
Einheit durch VielfaIt zu bewirken. Zum anderen spielt dieser
Ausdruck darauf an, daB der Foderalismus durch seine relative
"Btirgernahe" eine unmittelbarere Wahrnehmung der Politik
zumindest ermoglicht. 1m Foderalismus wird Politik potentiell
erfahrbarer als im unitarisch-zentralistischen Staat.
Der Ausgangspunkt dieser Arbeit war freilich ein im noch
engeren Sinne "asthetischer": Die Beobachtung namlich, daB es
(in Deutschland) in den letzten beiden lahrhunderten gerade
Ktinstler gewesen sind, die sich von der Idee des Foderalismus
angesprochen ftihIten, von der, konnte man sagen, "sinnlichen"
Vermittlung von Politik im foderalistischen Staat.
Programmatisch vertrat als erster Richard Wagner diesen
Gedanken in seinem Versuch Deutsche Kunst und deutsche
Palitik, der es im Rahmen dieser Studie wtinschenswert
erschienen lieB, Wagners Quellen aufzusptiren, insbesondere die
Foderalismus-Theorie des von ihm hoch geschatzten Constantin
Frantz.
DaB ein vorrangig asthetisch gepragter Politikbegriff
problematisch ist, weiB man spatestens seit Thomas Manns
Betrachtungen eines Unpalitischen. Er hat, besonders im
deutschen Kulturbereich, dazu geftihrt, daB Intellektuelle Geist
und Macht, Kunst und Leben gegeneinander auszuspielen
versuchten. Die politische Wirklichkeit wurde entsprechend als
Beleidigung des idealistischen Daseinsentwurfs angesehen, als