Table Of ContentEinfuhrung in die
Technische Schwingungslehre
Von
Karl Klotter
Dr.-Ing. habil.
Dozent an der Technischen Hochschule Karlsruhe
Erster Band
Einfame Smwinger
Mit 208 Abbildungen im Text
Berlin
Verlag von Julius Springer
1938
ISBN-13 :978-3-642-89954-6 e-ISBN-13:978-3-642-91811-7
DOl: 10.1007/978-3-642-91811-7
Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung
in fremde Sprachen, vorbehalten.
Copyright 1938 by Julius Springer in Berlin.
Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1938
Vorwort.
Das Lehrbuch, dessen ersten Band ich hiermit vorlege, soIl in die Technische
Schwingungslehre einfuhren. Es fordert vom Leser an Vo rkenntnissen nur die
Beherrschung der allgemeinen Siitze der Mechanik und der Elemente der Dif
ferential- und Integralrechnung. Die Eigenart einer Einjiihrung verlangt sowohl
Ausfuhrlichkeit in der Darstellung wie Beschriinkung im Stoff. DemgemiiB
habe ich alles beiseite gesetzt, was sich im Rahmen des Buches nicht vollstiindig
entwickeln lieB und nur obenhin hiitte erwiihnt werden konnen. Meine Absicht
ist, das Wesen der Probleme dem Verstiindnis des Lesers nahe zu bringen.
Deshalb war ich neben einer gewissen Ausfuhrlichkeit der Darstellung ganz
besonders auf eine strenge, systematische Ordnung und auf eine klare Formu
lierung der Begriffe bedacht. lch hoffe, daB die entwickelten Methoden und die
Auswahl des Stoffes den Leser instandsetzen, selbstiindig weiter zu arbeiten
und neu an ihn herantretende Fragen zu lOsen.
Nach den erwiihnten Gesichtspunkten habe ich auch die methodischen
Hilfsmittel gewiihlt. Um die brauchbarsten Werkzeuge zu bieten, wandte ich
manchmal Bezeichnungen und Begriffe an, die noch wenig in Gebrauch sind,
oder schuf solche ganz neu, wenn von ihnen eine Kliirung der Sachlage oder
eine Erleichterung des Verstiindnisses erwartet werden konnte. In der Regel
stammen die ubernommenen Methoden und Begriffe aus der elektrischen Wechsel
stromtechnik, oder sie sind entsprechend den dort eingebiirgerten neu gebildet.
So habe ich von vornherein folgerichtig die komplexe Schreibweise fiir die
harmonischen Schwingungsvorgiinge angewendet, die den Rechnungen eine groBe
Anschaulichkeit verleiht, und habe analog den "komplexen Widerstiinden"
und "komplexen Leitwerten" die Begriffe der "komplexen Federzahlen" und
"komplexen EinfluBzahlen" gepriigt; sie leisten bei der Behandlung mecha
nischer Schwingungen dieselben guten Dienste wie jene Begriffe bei den
elektrischen Schwingungen.
Der Plan des Buches entstand aus den Erfahrungen des Unterrichts, fUr
seinen Aufbau waren vor allem didaktische Gesichtspunkte maBgebend, sein
Inhalt will weitgehend die Bedurfnisse der Praxis befriedigen. Damit ist auch
gesagt, fur welche Leser das Buch bestimmt ist: Fur aIle, die sich um Schwin
gungsprobleme bemiihen, mogen sie noch auf der Hochschule lernen oder schon
im Berufsleben arbeiten.
Das Werk ist eingeteilt in drei Biinde. Der vorliegende erste Band behandelt
die Systeme von einem Freiheitsgrad, die "einliiufigen" oder kurz "einfachen"
Schwinger. Er vermittelt die Kenntnis der Grundbegriffe und der grundsiitz
lichen Methoden der Schwingungslehre. Der zweite Band, der diesem ersten
bald folgen wird, handelt von den Systemen mit mehreren, aber endlich vielen
Freiheitsgraden, den "mehrliiufigen" Schwingern. Da die meisten der technisch
wichtigen Schwinger hierher gehoren, ist der Inhalt dieses Bandes besonders
stark den Anwendungen zugekehrt. Es werden unter anderem die mannigfachen
IV Vorwort.
Berechnungsverfahren der Praxis fiir die Torsions- und Biegeschwingungen in
den Maschinenanlagen dargestellt und einer kritischen Wiirdigung unterzogen.
Der sich spater anschlieBende dritte Band wird dann die Schwinger von unend
lich vielen Freiheitsgraden, die kontinuierlichen Systeme, mit ihren besonderen
Fragestellungen und Methoden umfassen.
Ein groBer Tell des Stoffes (insbesondere des zweiten Bandes) wurde tells
angeregt und vorbereitet, teils erweitert durch die Arbeit in einem durch mehrere
Jahre fortgefiihrten Seminar, das ich an der Technischen Hochschule Karlsruhe
gemeinsam mit den Herren Professoren K. VON SANDEN (jetzt in Kiel) und
O. KRAEMER abhielt. Beiden Herren mochte ich auch an dieser Stelle danken
fur ihren hervorragenden Anteil an der Klarung vieler Fragen. Manche An
regung verdanke ich auch meiner friiheren, langjahrigen Zusammenarbeit mit
Herrn Professor Dr. TH. POSCHL.
SchlieBlich bin ich noch einer Reihe junger Mitarbeiter zu Dank verpflichtet,
deren treue Hille wesentlich zum Zustandekommen des Buches beitrug: Herr
Dipl.-Ing. H. VAN HULLEN, jetzt in Krefeld, fertigte die erste Niederschrift
nach Aufzeichnungen.in meiner Vorlesung; Herr Dipl.-Ing. ADOLF MEIER und
Herr Lehramtsreferendar H. HEINZERLING in Karlsruhe zeichneten die meisten
der Figuren und unterstutzten mich auch sonst mit Rechenstift und Rechen
schieber. Herr HEINZERLING und Herr Dipl.-Ing. H. POSCHL in Berlin halfen
beim Lesen der Korrekturen und gaben viele wertvolle Hinweise.
Die Karlsruher Hochschulvereinigung forderte die Herstellung des Manu
skripts und der Zeichnungen durch ,Gewiihrung von geldlichen Beihilfen.
Karlsruhe, im Dezember 1937.
K. KLOTTER.
Inhaltsverzeich nis.
Seite
Erster Teil.
Kinematik des einfachen Schwingers. allgemeine Schwingungslehre.
1. Gliederung der Schwingungslehre 1
2. Grundlegende Begriffe . 2
3. Harmonische Schwingungen . . . 2
4. Die erzeugende Kreisbewegung 3
5. Diagrammvektoren; komplexe Schreibweise 5
6. Geschwindigkeit und Beschleunigung . . . 8
7. Zusammensetzung von harmonischen Schwingungen gleicher und ver-
schiedener Frequenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
8. Beispiele: Die Drehmomente von Kolbenmaschinen . . . . 13
(X) Gaskrafte der einfachwirkenden Zweitakt-Dieselmaschine. 13
(J) Gaskrafte der Viertaktmaschine. . 17
y) Massenkrafte. . . . . . . . . . . 18
<5) Doppeltwirkende Zweitaktmaschine 19
B) V-Motor ............ 21
9. Produkte harmonisch veriinderlicher GroBen; Leistung, Arbeit 22
Anhang zum ersten Teil.
10. Harmonische Analyse eines periodischen Vorgangs. . . . . . 26
(X) Entwicklung willkiirlicher Funktionen nach Systemen gegebener Funk-
tionen; harmonische Analyse . . . . . . . . . . 26
(J) Trigonometrische Interpolation; Schemaverfahren. . . . . . . . . 27
Zweiter Teil.
Kinetik der einfachen Schwinger.
A. Freie, ungediimpfte Schwingungen des einfachen Schwingers mit
gerader Kennlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
a) Aufstellung und Integration der Bewegungsgleichung, harmonische Schwin
gungen; Obersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
n.
Aufstellung der Bewegungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . 29
12. Die Differentialgleichung der Bewegung des einfachen Schwingers; kleine
Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
13. Die Dauergleichung der freien Bewegung des einfachen Schwingers mit
gerader Kennlinie. . . . . . . . . . . 33
14. Obersicht iiber die einfachen Schwinger. 34
b) Die Pendel . . . . . . . . . . . . 35
15. Die schwingende Fliissigkeitssiiule . . . 35
16. Das Punktpendel (Fadenpendel) . . . . 36
(X) Kreispendel (mathematisches Pendel). 36
(J) Kurvenpendel; Zykloidenpendel . . . 37
y) Kreispendel im Fliehkraftfeld . . . . 38
17. Das Korperpendel (physikalisches Pendell 39
18. Das Mehrfadenpendel, Schiffsschwingungen, Rollpendel . 42
19. Beispiele fiir Pendelbewegungen; Ermittlung von Tragheitsmomenten 46
c) Die elastischen Schwinger .............. 48
20. Federzahl und EinfluBzahl; allgemeine Eigenschaften 48
21. Biegungs- und Dehnungsschwingungen von Stiiben . 51
VI Inhaltsverzeichnis.
Seite
22. Schwingungen von Sta.bwerken. 52
IX) Sta.bzweischla.g. . . . . . . 53
P) Ra.hmentrager . . . . . . . 54
23. Drillungsschwingungen von Staben 55
24. Die zylindrische Schra.ubenfeder und die ebene Spiralfeder 60
25. Schwingungen von Saiten, Membranen und Platten . . . 62
26. Ersatzsysteme; Parallel- und Reihenschaltung von Federn 63
27. Beispiele und ZUBitze . . . . . . 65
d) Die Energie in der freien Schwingung . . . . . . . 68
28. Der Energieumsatz . . . . . . . . . . . . . . 68
29. Berechnung der Frequenz aus Energieausdriicken 70
IX, p, y) Systeme mit mehreren Massen und mehreren Federn 71
() Rollpendel . . . . . . . . . . . . . . . 72
E) U-Rohr mit nicht konstantem Querschnitt. . . . . . . . 73
30. Das RAYLEIGHSChe Naherungsverfahren. . . . . . . . . . . 74
31. Herstellung von Ersatzsystemen mit Hille von Energiebetrachtungen. 78
e) Schwinger mit besonderen Eigenschaften. . . . . . . . . . . . . .. 80
32. Einrichtungen der MeBgerate fiir mechanische Schwingungen; Schwinger
kleiner Frequenz . . . . . . . 80
IX) Pendel mit geneigter Achse . 80
P) Labilitatspendel . . . . . . 80
y) SCHLIcKscher Pallograph . . 80
() Pendel mit gekriipfter Stange . 82
E) GEIGERScher Vibrograph . . 83
B. Freie, gedampfte Schwingungen des einfachen Schwingers mit
gerader Kennlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
33. Widerstandskrafte und Differentialgleichungen der Bewegung. . . . . 84
34. Dampfungskraft mit festem Betrag. . . . . . . . . . . . . . . . . 86
35. Der ersten Potenz der Geschwindigkeit proportionale Dampfungskraft. 88
IX) Schwache Dampfung. . 88
P) Starke Dampfung . . . 91
y) Grenzfall . . . . . . . 92
() Relaxationserscheinungen 92
36. Dem Quadrat der Geschwindigkeit proportionale Dampfungskraft . 93
37. OberbIick iiber die drei Arten von gedampften Schwingungen 95
IX) Art des Abklingens. . 95
P) Schwingdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
y) Erzeugende Vektoren ................. 97
38. Definitionen und Sprachgebrauch fiir "Schwingungen" und "Schwinger". 97
C. Freie, ungedampfte Schwingungen des einfachen Schwingers mit
nicht gerader Kennlinie (pseudoharmonische Schwingungen) 98
39. Integration der Bewegungsgleichung 98
40. "Integrierbare" FaIle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
IX) Gerade Kennlinie I(q) = q • . • . . . • • . . . . . . . 101
P) Sinusfiirmige Kennlinie I(q) = sin q . . . . . . . . . • • 101
y) ParaboIische KennIinien I(q) = (sgn q) q2n oder I(q) = q2n-l • 103
() Sonderfall. KennIinie IX I(q) = IX q + Pq 3 • • • • • 104
E) "Zugeordnete" Kreisfrequenz . . . . . . . . . . 106
41. Die "nichtintegrierbaren" Falle; Naherungsverfahren. 107
IX) Integration nach der SIMPSONschen Regel . . . . 108
P) Ersatz der KennIinie durch einen Streckenzug . . 109
42. Beispiele fiir aus Geradenstiicken zusammengesetzte Kennlinien. 111
IX) Schwinger mit Spiel . • . . . . . . . . . . . . . III
P) Schwinger mit vorgespa.nnten Federn . . . . . . 112
y) Schwinger mit abschnittweise konstanter Federzahl . 112
lnhaltsverzeichnis. VII
Seite
~) Naherungsverfahren fiir gekrtimmte Kennlinien . 113
e) Zahlenbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . 115
D. Erzwungene Schwingungen des einfachen Schwingers mit gerader
Kennlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
43. Die Differentialgleichung der Bewegung; Arten der Erregung. . . . . 115
a) Ungedampfte Schwinger ....................... U8
44. Die Dauergleichung der dampfungsfreien Bewegung bei harmonischer
Erregerkraft • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 118
45. VergroBerungsfunktion; kinetische EinfluBzahl, kinetische Federzahl 120
46. Vektordiagramme; Leistung der Erregerkraft . . . . . . . . . 123
47. Erzwungene Bewegung bei allgemeinem Verlauf der Erregerkraft 125
48. Beispiele und Anwendungen . . . . . . 127
(X) Der FOTTINGERSche Torsionsindikator . . . . . . . . . . . 127
fJ) Abschirmen von Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . 128
y) Ausschlage einer Scheibe auf einer umlaufenden Welle, biegekritische
Drehzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
49. Das Zweimassensystem ohne Festpunkt ......... 131
b) Schwinger mit geschwindigkeitsproportionalen Dampfungskraften 134
50. Differentialgleichung und Dauergleichung der Bewegung . . 134
51. Kinetische EinfluBzahlen, kinetische Federzahlen und Ortskurven bei
frequenzunabhangiger Amplitude der Erregerkraft . . . . . . .. 136
52. Frequenzabhangige Amplitude der Erregerkraft . . . . . . . .. 142
53. VergroBerungsfunktionen, Phasenverschiebungswinkel und Phasenver-
schiebungszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145
54. Weitere Erorterungen tiber Ortskurven und VergroBerungsfunktionen 151
(X) Ortskurven und VergroBerungsfunktionen der Geschwindigkeit 151
fJ) Antrieb tiber mehrere Krafte . . . . . . . . . . . . . . . .. 152
y) Die Reaktionskrafte im Antrieb. . . . . . . . . . . . . . .. 153
~) Abschirmen von Schwingungen bei Anwesenheit von Dampfungskraften 155
55. Arbeit und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . 156
56. MeB- und Anzeigegerate fiir mechanische Schwingungen 160
(X) Kraftregistrierende Gerate . . 160
fJ) Bewegungregistrierende Gerate 163
y) Beschleunigungsmesser . . . . 164
57. Einschwingvorgange. . . . . . . 164
58. Die dynamischen Priifverfahren (Umkehrung der Fragestellung) . 166
c) Schwinger mit anderen Dampfungskraften . . . . . . . . . . . . 171
59. Die Dampfungskraft ist einer Potenz der Geschwindigkeit proportional;
"gleichwertiger" Dampfungsfaktor . . . . . . . . . . . . . .. 171
60. Dampfungskraft konstanten Betrages ................ 175
61. Dem Quadrat der Geschwindigkeit proportionale Dampfungskraft. . . 180
62. Zusammengesetzte Dampfungskrafte; Beispiel fUr nicht ganzzahlige Potenz 182
63. Die Dampfungsarbeit ist einer Potenz der Ausschlagamplitude propor-
tional; Werkstoffdampfung .................... 183
E. Erzwungene Schwingungen des einfachen Schwingers mit nicht
gerader Kennlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
64. Bewegungsgleichung; Verfahren zur Integration ........... 186
65. Amplituden ("Resonanzkurven") und Phasenverschiebungen der Aus-
schlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
66. Erorterung der Ergebnisse; das "Kippen" einer Schwingung 193
F. Das Anlaufen eines Schwingers . . . . . . . . 195
67. Die Bewegungsgleichung und ihre Integration. 195
68. Resonanzhiillkurven (VergroBerungshiillkurven) 196
G. Angefachte Schwingungen. . . . . . . . . . . 198
69. Erzwungene und angefachte Schwingungen; Selbststeuerung. Beispiele 198
Literaturhinweise . . . . . . 201
Namen- und Saehverzeiehnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . .. 203
Zur Ausfiihrung des Satzes sei folgendes oemerkt: Um die Obersicht zu
erleichtern, ist (neben den Beispielen) der Text in Kleindruck gesetzt an solchen
Steilen, die keine tragenden Teile des weiteren Aufbaues darsteilen; sie konnen
bei einer ersten Kenntnisnahme daher auBer Betracht bleiben. Der Platz
ersparnis wegen ist haufig von schragen Bruchstrichen Gebrauch gemacht.
Dabei gelten aile Faktoren hinter dem Bruchstrich als im Nenner stehend, soweit
-vac b
nicht besondere Zeichen andere Hinweise geben. Beispiel: bJ2 = .1-.
2 vac
Erster Teil.
Kinematik des einfachen Schwingers,
allgemeine Schwingnngslebre.
1. Gliederung der Schwingungslehre. AIle drei Bande dieses einfiihrenden
Lehrbuches beschii.ftigen sich im wesentlichen mit mechanischen Schwin.
gungen; die Lehre von den Schwingungen wird hier als ein Teil der Mechanik
behandelt. Aus der groaen Manuigfaltigkeit der Bewegungsformen, die die
Mechanik kennt, werden jene Bewegungen herausgegriffen, die ein besonderes
Merkmal, das der Wiederholung, aufweisen. Die Heraushebung und Einzel·
behandlung wird gerechtfertigt durch die groae Bedeutung, die solchen Be
wegungsformen zukommt.
Die mechanischen Systeme lassen sich ordnen nach dem Grad ihrer Freiheit,
d. i. nach der Zahl der zur Beschreibung ihrer Lage oder ihrer Bewegung not
wendigen Koordinaten. In diesem ersten Bande untersuchen wir Systeme, die
einen Grad der Freiheit aufweisen. Ihre Lage wird durch eine Koordinate,
etwa q, ihre Bewegung durch eine Funktion q(t) beschrieben. Schwingungs
£ahige Systeme von einem Grad der Freiheit nennen wir einliiu/ige oder auch
ein/ache Schwinger. Beispiele sind in Ziff. 11 aufgezahlt.
Die Schwingungen gehOren als Bewegungsvorgange nach der iiblichen Ein
teilung der Mechanik
Mechanik
I
I I
Kinematik Dynamik
I
·1
1
Statik Kinetik
in die Kinematik und in die Kinetik. Dementsprechend zerlegen wir auch unseren
Stoff in zwei Teile. 1m ersten Teil dieses Bandes wird die Kinematik des ein
fachen Schwingers behandelt. Hier untersuchen wir die Schwingungen hin
sichtlich ihres Ablaufs in Raum und Zeit; wir betrachten nur die auaere
Erscheinungsform der Schwingungen ohne Riicksicht auf die Krafte, die bei
der Bewegung auftreten oder die die Bewegung erst hervorrufen. Die Unter
suchung der Schwingungen im Zusammenhang mit den Kraften erfolgt im
zweiten Teil, der die Kinetik der Schwingungen behandelt.
Die Begriffe und Ergebnisse, mit denen man es in der Kinematik der
Schwingungen zu tun hat, gehOren nicht nur der Mechanik an. Sie sind all
gemeiner Natur und passen auf jeden periodisch veranderlichen Vorgang,
gleichgiiltig, ob es sich dabei um die Anderung einer mechanischen, elektrischen,
optischen, thermischen oder sonstigen physikalischen Groae handelt. Zum
groaen Teil sind die Begriffe, die in der Mechanik verwendet werden, in jenen
Klotter, Schwingungslelu"e 1. 1
2 I. Kinematik des einfachen Schwingers. Ziff. 2,3.
anderen }'achgebieten (insbesondere in der Akustik und Wechselstromtechnik)
ausgebildet und spater erst in die Mechanik eingefiihrt worden. Deshalb wird
das Gebiet, das wir als Kinematik der mechanischen Schwingungen behandeln,
auch als allgemeine Schwingungslehre bezeichnet.
2. Grundlegende BegriHe. Eine Schwingung im kinematischen Sinn (iiber
die kinetische Definition vgl. Ziff. 12) ist ein Vorgang, bei dem eine physikali
sche GroBe (mechanischer oder anderer Natur) sich in einer solchen Weise mit
der Zeit andert, daB bestimmte Merkmale regelmaBig wiederkehren. Zunachst
beschiiftigen wir uns, um die notwendigen Begriffe entwickeln zu konnen,
mit der besonderen Klasse der periodischen Schwingungen.
Wir definieren: Periodische Schwingungen sind solche, bei denen nach
Ablauf einer gewissen Zeit, der Periode oder Schwingdauer T, der Vorgang sich
vollstandig und mit allen Neben
x
_---T----~ umstanden wiederholt. Gedampfte
Schwingungen, die etwa nach
Abb. 34/1 oder35/1 verlaufen, sind
daher keine periodischenV organge.
OO}---,I'---,+--!O-----\,.---+.--j-,,--!:---+~ Zur Festlegung der Schwingdauer
t geniigt es auch nicht, daB die
Veranderliche, die schwingende
GroBe selbst, den urspriinglichen
Abb. 2/1. Diagramm einer periodischen Schwingung.
Wert wieder annimmt. tl und t
im Diagramm der Abb .. 2/1 bestimmen keine Periode. Neben dem Ausschlag
miissen samtliche zeitlichen Ableitungen dieselben sein. Den Komplex der
Merkmale: Ausschlag mit allen zeitlichen Ableitungen (Geschwindigkeit, Be
schleunigung und hOheren Ableitungen) bezeichnet man als die Phase einer
Bewegung, hier also der Schwingung. Die Schwingdauer ist jene Zeit T, nach
der eine Phase zum erstenmal wiederkehrt. Man kann T dabei von irgend
einem Zeitpunkt ti aus messen; z. B. ist (Abb.2/1)
T = t~ - to= t~ - tl = t' - i .
3. Harmonische Schwingungen. Die periodischen Vorgange konnen von so
mannigfaltiger Art sein und so verwickelt verlaufen, daB eine allgemeine Theorie
solcher V organge auf groBe Schwierigkeiten stoBen wiirde, wenn nicht ein
bemerkenswerter Umstand zu Hilfe kame. Nach einem allgemeinen (mathe
matischen) Satz laBt sich namlich jede periodische Funktion aufbauen aus
einer Reihe von sehr einfachen periodischen Funktionen, den harmonischen
Funktionen.
Harmonische Bewegungen werden z. B. beschrieben durch die Gleichungen
t
Xl (t) = a sin 2n ~ oder x2 (t) = b cos 2 np' (3.1)
Wir sehen: a und -a sind die Extremwerte, welche Xl' b und -b die Extrem
werte, welche x annehmen kann; ferner: diese Extremwerte oder irgendwelche
2
festen Zwischenwerte kehren bei Ablauf der Zeit t in gleichen Zeitabstanden T
immer wieder. Die positive GroBe a, die angibt, welchen groBten positiven
oder negativen Wert eine Schwingung Xl annehmen kann, heiBt Amplitude
oder Schwingweite.