Table Of ContentCH. ALBECK
EINFÜHRUNG IN DIE MISCHNA
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F O R S C H U N G EN Z UR W I S S E N S C H A FT
D ES J U D E N T U MS
HERAUSGEGEBEN VON
E. L. EHRLICH
BASEL
BAND VI
WALTER DE GRUYTER • BERLIN • NEW YORK
1971
E I N F Ü H R U NG
IN D IE M I S C H NA
VON
C H A N O CH A L B E CK
WALTER DE GRUYTER • BERLIN • NEW YORK
1971
Die deutsche Ausgabe ist eine Übersetzung des 1960 bei Dvir Co. Ltd., Tel-Aviv und Bialik
Institute, Jerusalem unter dem Titel „Mawo la-Mischna" erschienenen hebräischen Originals
Aus dem Hebräischen übersetzt von Tamar und Pessach Galewski
ISBN 3110064 29 4
Alle Rechte vorbehalten.
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zu vervielfältigen.
© 19 7i
by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30
Printed in Germany
Satz und Druck: Walter Pieper, Würzburg
INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel I
Worterklärung , , , , ,
Die Bedeutung von ¡Utp und njl£>D (-0
Kapitel II
Das Uralter der mündlichen Lehre; alte mündliche Satzungen . . .
Die mündliche Lehre ist in der schriftlichen bereits angedeutet (4) — Spuren
der mündlichen Lehre in den Propheten-Büchern und den Hagiographen (6)
— in der Septuaginta (14) — im Buche der Jubiläen (20) — im Buche Ben-
Sirach (22) — in den Makkabäer-Büchern (27) — im Buche Judith sowie im
Aristeas-Brief (52). — Die Überlieferung der Weisen (34) — »Von Moses am
Sinai empfangene Halacha" und deren Quellen (41) — Takanot von Josua,
Samuel, David und Salomo etc. (48) — Takanot der Propheten (ji) sowie
der Männer der Großen Synode (¡3) —
Kapitel III
Die „D'raschot" (Ausdeutungen), ihre Grundlage und ihr Wesen . .
Anfangs lernte man die mündliche Lehre als Erklärung zur schiiftlichen; erst
später schied man sie voneinander (j6) — Ging die Halacha der Ausdeutung
voran oder die Ausdeutung der Halacha? (38) — Die Zweifelsfragen und
ihre Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof {59) — Beweise dafür,
daß man neue Halachot aus Schriftdeutungen herleitete (60) — Zuweilen
dienten Schriftausdeutungen zur Bestätigung alter Halachot (¿7) — Was ist
als Thora-Gesetz zu betrachten und was als rabbinische Vorschrift? (ji) —
Widerlegung der Konzeption des Werkes „Dorot ha-Rischonim" (78) —
Grundlagen der in der Mischna enthaltenen Schriftausdeutungen (82) —
Die Art der von den Mischna-Lehrern entnommenen Beweise aus dem
Schrifttext (Sy) — Wie konnten in der Zeit des Synhedrions überhaupt
Meinungsverschiedenheiten aufkommen? (91) —
Kapitel IV
Die Redigierung der ersten Mischnajot
Die Verhandlungen der Mischnalehrer über die frühesten ihnen überliefer-
ten Halachot (p4) — Wann begann man mit der Redigierung der Ha-
lachot? (pS) — Die Meinung der Geonim Raw Saadja und Raw Scherira,
sowie diejenigen von Raschi, Maimonides und R. Simson aus Chinon (ji) —
Die Theorie von N. Krochmal nebst kritischen Einwänden dagegen (103) —
VI Inhaltsverzeidinis
Die Konzeption Frankels u. a., unter Prüfung des von ihnen vorgebrachten
Beweismaterials (110) — Traktat Edujot als erste geordnete Mischna (122) —
Die Traktate Tamid und Middot sowie Kinnim {126) —
Kapitel V
Die „Mischna"-Lehren der Tannaim und deren Lehrmethode . . .130
Die Mischnajot, die nicht nach ihrem Inhalt, sondern nach bestimmten ge-
meinsamen Kennzeichen geordnet sind, und ihre Quellen {130) — Mischnajot,
die der Erklärung des Midrasch folgen, und solche, die Beweise, Verhand-
lungen und halachische Entscheidungen enthalten (132) — Halachot, die den
Lehren der ersten Tannaim oder einem tatsächlichen Ereignis entnommen
wurden {135) — Die Lehrmeinungen der Tannaim wurden von ihnen selbst
oder von ihren Schülern verbreitet (140) —
Kapitel VI
Die Redigierung unserer Mischna 145
„Rabbi" hat die Mischna geordnet. „Die anonyme Mischna ist von R. Meir
gemäß der Lehrmeinung des R. Akiba" — und die Bedeutung dieser Regel.
Die verschiedenen Quellen der Mischna (145) — Der Redaktor änderte an
den ihm vorliegenden Quellen nichts und suchte auch allfällige Widersprüche
zwischen ihnen nicht auszugleichen (148) — Abweichungen zwischen den
Mischnajot sowie Wiederholungen (Doppeldarstellungen) in der Misch-
na {151) — Der Redaktor beabsichtigte nicht, über die Halacha zu entschei-
den, und hat seine persönliche Ansicht der Mischna nicht beigefügt (zßß) —
Der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Sammelwerk von Rabbi und
demjenigen des Maimonides (157) — Rabbi fand nicht mehr die Zeit, sämt-
liche Halachot geordnet zusammenzustellen, doch seine Schüler setzten seine
Arbeit fort und ordneten Barajtot (160) — Das Problem der Niederschrift
der Mischna und seine Lösung (163) —
Kapitel VII
Der Text der Mischna und ihre Anordnung 171
Ergänzungen und Randglossen in der Mischna (171) — Die Lesarten, die
Rabbi vorlagen, und diejenigen, die auf die „Tannaim" zurückgehen, welche
die Mischna in abweichenden Formulierungen vortrugen (173) — Lücken-
hafte Darstellungen in der Mischna; „es fehlt hier etwas und man muß
folgendermaßen lesen" (178) — Zusätze in der Mischna (180) — Entstehung
der ersten Textausgaben unserer Mischna (183) — Die Mischna-Ordnungen;
die Traktate, ihre Anordnung und Kapitel-Einteilung (184) —
Kapitel VIII
Die Sprache der Mischna 189
Thora-Sprache und Sprache der Weisen; die aramäischen Aussprüche in der
Mischna (189) — Die „Fachausdrücke" auf Grund der Thors-Sprache; Be-
griifsbezeichnungen und stehende Wortverbindungen aus der Bibel (z$o) —
Inhaltsverzeichnis VII
Der Einfluß des Aramäischen; die wichtigsten Unterschiede zwischen der
Mischna-Sprache und der Sprache der Bibel (193) — Wortverzeichnisse:
Neue Wörter, die auch im Aramäischen vorkommen (199) — neu auftretende
Wörter, die nicht im Aramäischen vorkommen {236) — biblische Wörter in
abweichender Bedeutung (291) — Lehn- oder Fremdwörter (j6ß) —
Kapitel IX
Die in der Mischna erwähnten Tannaim 391
Von Simon dem Gerechten bis zu den Schulen Schammajs und Hillels (391) —
Von den Schulen Schammajs und Hillels bis zur Tempelzerstörung (594) —
Von der Tempelzerstörung bis zum Falle Bettars (399) — Vom Falle Bettars
bis zu R. Jehuda ha-Nassi (406) — R. Jehuda ha-Nassi und sein Ge-
schlecht (410) — Die Namen der Mischna-Lehrer- geordnet nach der hebräi-
schen Schreibweise in alphabetischer Reihenfolge (412) —
Kapitel X
Die Erklärer der Mischna 415
Perusch ha-Geonim zum Traktat Toharot (41ß ) — Der Kommentar von
R. Natan „dem Oberhaupt des Lehrhauses" (416) — Der Kommentar des
Maimonides und dessen „Einführung in die Mischna" (416) — Der Kom-
mentar des R. Jizchak ben Malki-Zedek (426) — Der Kommentar des R.
Simson aus Sens (427) — Der Kommentar des R. Meir ben Baruch aus
Rothenburg (428) — Der Kommentar des R. Ascher ben Jediiel {430) —
Der Kommentar des R. Elijahu aus London (431) — Der Kommentar des
R. Abraham ben David, des R. Serachja ha-Levi („Baal ha-Maor"), des
R. Schemaja (Schülers von Raschi), eines Erklärers zum Traktat Kinnim
sowie des Mein (432) — Der Kommentar des R. Obadja aus Bertinoro (433)
— Die „zusätzlichen Bemerkungen" des R. Jom-Tow Lippmann Heller:
„Toss'phot Jom-Tow" (436) — „M'lediet Schlomo" des R. Salomo aus
Aden (436) — „Tif'eret Jisrael" des R. Israel Lipschütz, die Erklärungen
des Gaon R. Elijahu aus Wilna u. a. (438) —
Anhänge 439
I. Traktat Edujot {439) — II. „Sagt Rabbi X". etc. in der Mischna (443) —
III. Das XI. Kapitel in Nedarim; R. Jose (449) — IV. Die Misdinajot nach
der Art des Midrasch {451) — V. Die Mischna des Abba Schaul {453) —
VI. Die Widersprüche in der Mischna {454) — VII. Der Redaktor der
Mischna beabsichtigte nicht, die praktisch geltende Halacha zu bestimmen
0457) — VIII. Der „Talmud" Rabbis (478) — IX. Der dem R. Simson zu-
geschriebene Kommentar zum Sifra (485) —
Namensregister der Tannaim (Misdina-Lehrer) 488
Sachregister 490
I
WORTERKLÄRUNG
Das Verbum „~Jt5>" hat im Hebräischen den Sinn von „wiederholen" und
ist gleichbedeutend mit „"On.KJn" („tana, tane") im Aramäischen. Das ara-
mäische Wort hat indessen zugleich die Bedeutung von „erzählen, lernen",
und die Vermutung liegt nahe, dass unter dem Einfluss des im Munde des
Volkes geläufigeren aramäischen Idioms auch das Verbum „iUB>" den Sinn
von „lernen" angenommen hat (s. Ben-Sirach XLIV, i^), so dass „fW
.. . Y bedeutet: „lehren", ähnlich dem Ausdruck „ KJn" im Ara-
mäischen. Doch auch unabhängig davon ist es verständlich, dass der Begriff
„lernen" aus der Grundbedeutung des Wortes „¡"Ott*" = „wiederholen" ent-
standen ist. Denn in der mündlichen Lehre wird besonderes Gewicht auf die
mehrfache Wiederholung des Lehrgegenstandes gelegt, damit er im Gedächt-
nis bewahrt bleibe. Nur wer, was er gehört hat, immer wieder lernt, lernt es
wirklich. Zu den Zeiten der Amoräer pflegte man zu sagen: „Er lernte es von
ihm 40 Mal" (Bab., Ber. 28 a, sowie die dort verzeichneten Parallel-Steilen),
d. h. er lernte die Sache 40 Mal, um sie im Gedächtnis zu behalten. Und ferner
heisst es (Bab. Chag. 9 b): „Wer sein Pensum 100 Mal gelernt hat, steht nicht
demjenigen gleich, der dies 101 Mal getan hat".
Von dem Verbum ¡"Utf hat man dann den Ausdruck iWO 1 gebildet, und er
wird schon von den Kirchenvätern im Sinne von „Deuteronomium" 2 erklärt.
Ebenso wird das Wort „Mischne" (II Reg. XXII, 14) vom Targum mit
„Lehrhaus" übersetzt; jedoch sprach man das Wort anscheinend nicht mit
1 S. Aruch, Stichw. „Mischna": ^ min1? >rPW' K">fit5> ^tSO? ,rWD' nSip: flDi»
„Warum wird sie Mischna genannt? Weil sie die .zweite' [und zwar mündlich gegebene]
Lehre zur [schriftlichen] Thora ist", usw. Eine andere Erklärung: Das Wort „"IJ^Q' se'
vom Stamme gebildet, im Sinne von: ,DnUlPl' = .Und Du sollst sie einschärfen!'
(Deut. VI, 7); — Zunz, „Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden", 2. Auflage
(hebräisch: „^KUpo niUTil". redigiert und ergänzt von Ch. Albeck, Kap. III,
Anm. 32); — Frankel, „Darche ha-Mischna" S. 8; Isch-Schalom, „Einführung zur Mechil-
ta S. 37 ff.; Bacher, „Die exegetische Terminologie der jüd. Traditionsliteratur", I. Teil,
Stichworte: „Mischna" u. „schana".
2 SsuxEgcoaig, sowie in der Mehrzahl: ÖEtiTEpwcmg (s. unten Anm. 101). Vgl. auch
die Lesart in den zwei Handschriften des Sifre zu Deut., ed. Finkelstein. S. 211:
.nwi-fri' ns ty nniK .pw' mrt MT>rw ?.mmn rwn' msj nn1?- „Warum heisst
es (Deut. XVII, 18): .Misdine ha-Thora?' Weil sie (die Thora) mündlich gelernt und
gelehrt werden wird".
Albedi, Mischna 1
2 Worterklärung
dem Lautzeichen Segol (v ) unter dem Buchstaben Nun (3) aus, sondern mit
Kamez (t) und sagte: „Mischna, Mischnat" usw., vielleicht in Angleichung
an „Mikra", „Thonz", „Midrasch", „Halachd", und „Aggada".3
Mischna bedeutet alles, was kl Ergänzung der schriftlichen Lehre mündlich
gelehrt worden ist. Sie umfasst also Erklärung und Auslegung zur Thora
(Midrasch), sowie die Satzungen und Rechtslehren, die nicht ausdrücklich in
der Thora enthalten sind (Halacha), sei es, dass man sie unmittelbar aus der
Schrift ableitete oder im Wege des Midrasch auf sie stützte, sei es, dass es sich
um Überlieferungen aus der Lehre der Alten und der Propheten oder der
Weisen handelt, oder um Lehren, die auf Grund vernunftgemässer Über-
legung und logischer Schlussfolgerung gewonnen wurden (paYlD = rabbi-
nische Vorschrift). In diesem Sinne heisst es (Mischna Kid. I,io): „Jeder, der
mit der Schrift, mit der Mischna und mit den Sittengesetzen des mensch-
lichen Zusammenlebens (,pK "pt') vertraut ist, wird nicht so bald sündi-
gen!", und in der „Barajta" (S- weiter unten) Bab. Erub. 54 b: „"HD IM
??WDn" = „In welcher Ordnung wurde (am Anfang) die Mischna, d. h. die
mündliche Lehre, gelehrt? Moses lernte von der göttlichen Allmacht "
etc. —
Bereits R. Meir und R. Jehuda diskutierten darüber, was der Hauptinhalt
der Mischna sei, der Midrasch oder die Halacha, wie es heisst: „Was ist
Mischna4? R. Meir sagt: Halachot, R. Jehuda sagt: Midrasch" (Bab. Kid
49 a). Daher finden wir in den Barajtot den Ausdruck: „In der Mischna, im
Midrasch und in den Halachot" („sowie in den Aggadot", s. Tosephta Ber.
II,i2; Sifre „w'sot ha-Bracha", § 344; Jer., B. kama, Kap. IV, Hai. 3; Bab.,
M.kat. 21 a; u. a.) im Sinne von Gesamtbegriff und Einzelteil (,Ü1B1 ^3')
gebraucht, d. h.: „die Mischna, nämlich Midrach und Halachot". Manchmal
werden nur die Teilbegriffe so bezeichnet, ohne dass der Name „Mischna"
dabei Erwähnung findet (s. Mischna Ned. IV, 3; Barajta Taan. 16 a; Sifre
„Ekew" § 48; u.a.): „Midrasch, Halachot und Aggadot" 5. Meistens aber
wird der Ausdruck „Mischna" nur im Sinne von „Halacha, Hala-
chot" gebraucht. So sagt R. Jose (Sanh. 111,4): »Dies ist die Mischna des
R. Akiba, aber die erste Mischna (= Halacha) besagt...." usw. —
3 Über „Aggada" s. meine Bemerkung zu Zunz (hebr. a.a.O., S. 250).
4 Wir besitzen nur ein Teilstück dieser Barajta, aus dem nicht klar erkennbar ist,
von welchem Fall sie spricht. — Vgl. auch Bab. Ber. 22 a: „Nur soll er (der durch Pollu-
tion unrein Gewordene) nicht die Mischna vortragen. R. Jehuda sagt, er darf die Vor-
schriften über das gesittete menschliche Zusammenleben (= ,Derech Erez') lernen usw. —
Er darf die Mischna vortragen, aber nicht den Midrasch (s. ,Dikduke Soferim')
nach den Worten des R. Meir". Vgl. Zunz a.a.O. (hebr.), S. 25.
5 In einem Ausspruch des R. Josua bar R. Nechemja (Midrasch Tanchuma, Jitro 10):
„Die Mischna ist dreiteilig: Talmud, Halachot und Aggadot", werden auch Talmud und
Aggadot unter den Gesamtbegriff ^Mischna' gerechnet. Vgl. auch Bab. Suk. 28 a sowie
Kid. 30 a, ferner Ber. 22 a und .Dikduke Soferim', das. S. 105, Buchst, ß, sowie
S. 106.