Table Of ContentEINFÜHRUNG IN DIE
KINDERHEILKUNDE
VO;\'
DR. E. GLANZMANN
PROFESSOR DER KINDERHEILKUNDE AN DER UNIVERSITÄT BERN
ZWEITER BAN 0
73 WEITERE VORLESUNGEN
FÜR STUDIERENDE UND ÄRZTE
MIT 184 ABBILDUNGEN IM TEXT
SPRINGER-VERLAG WIEN GMBH 1943
ISBN 978-3-662-35972-3 ISBN 978-3-662-36802-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-36802-2
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG
IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN
COPYRIGHT 1943 BY SPRINGER-VERLAG WIEN
URSPRÜNGLICH ERSCHIENEN BEI SPRINGER-VERLAG OHG IN VIENNA 1943
SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDITION 1943
Vorwort.
Im Jahre 1939 erschien meine Einführung in die Kinderheilkunde in
115 Vorlesungen für Studierende und Ärzte. Sie fand eine freundliche Auf
nahme, und es wurde von verschiedenster Seite der Wunsch geäußert, ich
möchte in gleicher Form noch weitere Gebiete der Kinderheilkunde bearbeiten,
welche im ersten Band noch nicht berücksichtigt werden konnten. Im
Einverständnis mit dem Verlag habe ich mich entschlossen, in einem zweiten
Band einige der wichtigsten Ergänzungen zu bringen. Wiederum in Form von
Vorlesungen im Anschluß an klinische Vorstellungen werden verschiedene
Gebiete der Pädiatrie berücksichtigt, so namentlich die Blutkrankheiten mit
Einschluß der hämorrhagischen Diathesen, Infektionskrankheiten, Krankheiten
des Nervensystems (Encephalitis, Akrodynie usw.). Es werden namentlich auch
seltenere Krankheitsbilder besprochen, wie Colitis ulcerosa, familiäre Leber
eirrhose, Glykogen- und Fettspeicherleber, NIEMANN-PICKsche Krankheit, fötale
Erythroblastosen, Agranulocytose, BESNIER-BOECK-SCHA UMANNsche Krankheit.
das Syndrom von WATERHOUSE-FRIDERICHSEN, die Afibrinogenämie, die in
fektiöse Reticuloendotheliose (ABT-LETTERER-SiwEsche Krankheit) usw. So
dürfte auch dieser Band eine Ergänzung zu den bereits bestehenden aus
gezeichneten Lehrbüchern der Kinderheilkunde darstellen, welche aus Raum
mangel manche Gebiete nur kursorisch bringen können. Im Anhang findet
sich ein Sachverzeichnis für das Gesamtwerk.
Alle Abbildungen stammen aus meiner Klinik, mit Ausnahme des Bildes
Seite 132, welches ich der Freundlichkeit von Herrn Prof. RoMINGER verdanke.
Ich bin dem Springer-Verlag für die schöne Ausstattung des Buches mit
zahlreichen Bildern trotz schwerer Kriegszeit zu großem Dank verpflichtet.
Bern, im Oktober 1943.
E. Glanzmann.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
l. Das große Abdomen in der Pädiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
2. Colopathien im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
3. Colitis ulcerosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
4. Die verschiedenen Formen von Ikterus beim Neugeborenen............. 18
5. Hepatitis epidemica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
6. Familiäre Lebercirrhose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
7. Glykogen- und Fettspeicherleber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
8. Morbus Gaueher oder Niemann-Piek? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
9. Die fötalen Erythroblastasen......................................... 50
10. Übersicht über die Anämien im Kindesalter........................... 59
ll. Die erblichen hämolytischen Erythropathien (SCHULTEN) . . . . . . . . . . . . . . . 66
12. Die reine Agranulocytose Typus Schultz und Panhämocytophthise im
Kindesalter...................................................... . . . 73
13. Die akute Leukämie im Kindesalter.................................. 79
14. Lymphknoten im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
15. Lymphogranulomatose, HoDGKINsche Krankheit, Granulomatosis maligna 93
16. Morbus Besnier-Boeck-Schaumann, Benigne Lymphogranulomatose . . . . . . 95
17. Das lymphämoide Drüsenfieber ....................................... 101
18. Untersuchungsmethoden und Einteilung der Blutungsübel .............. 107
19. Blutungsübel irrfolge von angeborenen und erworbenen Gefäßanomalien
(Meningealapoplexie, Lungenapoplexie, Pachymeningosis haemorrhagica).. 112
20. Anaphylaktoide Purpura (Purpura SCHÖNLEIN-HENOCH-GLANZMANN) ..... 117
21. Purpura fulminans und frühinfantile postinfektiöse Kokardenpurpura
(SEIDLMAYR) ........................................................ 125
22. Das Syndrom von WATERHOUSE-FRIDERICHSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
23. Morbus makulosus Werlhofii (EssentielleundsymptomatischeThrombopenie) 130
24. Die heredo-familiären Formen der Erkrankungen des Thrombocytensystems 135
25. Blutungen bei Neugeborenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
26. Die Bedeutung des Vitamins K für die Pädiatrie ...................... 146
27. Konstitutionelle angeborene Afibrinogenämie und Fibrinopenie im Kindes-
alter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
28. Die Milzvenenstenose im Kindesalter oder die thrombophlebitische Spleno-
megalie ............................................................ 154
29. Infektiöse Reticuloendotheliose (ABT-LETTERER-SIWEsche Krankheit) und
ihre Beziehungen zum Morbus Schüller-Christian. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
30. Paroxysmale Kältehämoglobinurie .................................... 165
31. Blutstillende Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
32. Die Chondrodystrophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
33. Osteogenesis imperfecta (Typus Vrolik) und Osteopsathyrosis idiopathica
(Typus Lobstein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
34. Das sog. LAWRENCE-MOON-BARDET-BIEDLsche Syndrom ................ 183
35. Familiäre Dysostosis cleidocranialis Typ Scheuthauer-Marie ............. 189
36. Arachnodactylie und Brachydactylie .................................. 193
37. Diagnose des Scharlachs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
38. Diagnose und Differentialdiagnose der Diphtherie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
39. Meningitis cerebrospinalis im Säuglings-und Kindesalter (Genickstarre beim
Säugling) ........................................................... 211
Inhaltsverzeichnis. V
Seite
40. Meningitis cerebrospinalis beim Kleinkind nnd Schulkind ............... 217
41. Keuchhusten ....................................................... 223
42. Typhus abdominalis nnd typhusartige Erkranknngen ................... 231
43. Paratyphus B im Kindesalter ........................................ 237
44. Röteln, Rubeolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
45. Das Dreitagefieberexanthem der kleinen Kinder (Exanthema subitum) ... 241
46. Erythema infectiosum ............................................... 243
47. Das Erythema exsudativum multiforme nnd Ectodermose erosive pluriori-
ficielle im Kindesalter, Dermatastomatitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
48. Parotitis epidemica. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
49. Spitze Blattern, Windpocken, Varicellen .............................. 252
50. Einteilung der Encephalitis im Kindesalter (Encephalitis lethargica nnd
Postencephalitis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
51. Sporadische Meningo-Encephalomyelitis disseminata nnd die encephalitische
Form der HEINE-MEDINschen Krankheit (Encephalitis B) ............... 261
52. Primäre Meningo-Encephalomyelitis disseminata, Transversale Myelitis ... 267
53. Die seknndären Formen der Meningo-Encephalomyelitis disseminata (Vaccine-
Meningo-Encephalomyelitis) .......................................... 270
.5±. Encephaliten bei bakteriellen Infektionen (Akute cerebrale Ataxie nach
Pneumonie) ........................................................ 276
55. Toxische Meningo-Encephalomyelitis bei Keuchhusten .................. 278
56. Die idiopathische abakterielle mononucleäre Meningitis . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
57. Der Wilson-Pseudosklerose-Komplex .................................. 284
58. FEERsche Krankheit (Infantile Akrodynie) ............................ 288
59. Das wohlhynische Fieber oder Fünftagefieber bei einem Berner Kind ..... 296
60. Über einige abnorme Schädelbildnngen ................................ 299
61. Übersicht über die Oligophrenien im Kindesalter ...................... 307
62. Mutismus bei Kindern nnd Dementia infantilis (HELLER) ............... 316
63. Hirntumoren im Kindesalter ......................................... 319
64. Hydrocephalische Störungen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
65. Enuresis nnd Enkopresis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
66. Onanie im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
67. Myopathien im Kindesalter .......................................... 337
68. Spinale Muskelatrophie, Typus Werdnig-Hoffmann, insbesondere eine neue
sogenannte cervikale Form. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
69. Zur Pathogenese nnd Therapie der Dystrophia musculorum progressiva ... 351
70. Myatonia congenita Oppenheim nnd infantiler Kernschwnnd (Kernaplasie
Moebius) ........................................................... 356
71. Diabetes insipidus nnd SIMMONDSsche Krankheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
72. Das akute Lnngenödem ............................................. 367
73. Die Sulfani1amidtherapie in der Pädiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
L Vorlesung.
Das große Abdomen in der Pädiatrie.
Beini liegenden Kind soll normalerweise das Niveau des Abdomens das des
Thorax nicht überragen.
Am häufigsten ist der große Bauch auf Meteorismus zurückzuführen, d. h.
auf abnorme Gasansammlung in den Därmen. Meteorismus höchsten Grades
kann entstehen durch Luftschlucken (Aerophagie). Luftschlucken ist an und
für sich eine normale Erscheinung. Es wird krankhaft, wenn die verschluckte
Luft Spasmen der Magenmuskulatur auslöst, insbesondere an der Cardia, so daß
die Luft nicht mehr entweichen kann und schließlich in den Darm übergeht.
Dieses Luftschlucken wird besonders begünstigt, wenn Kinder noch im zweiten,
dritten, vierten Lebensjahr mit der Milchflasche ernährt werden, dann schlucken
sie mit der Milch auch regelmäßig viel Luft. Abnorme Gasbildung kann auch
durch bakterielle Zersetzung des Chymus entstehen. Die wichtigsten Darmgase
sind der Stickstoff, welcher sehr wenig resorbierbar ist und die Kohlensäure,
welche sehr stark diffusibel ist. Andere Gase sind Sauerstoff, Wasserstoff,
Methan usw. Es findet zwischen dem Blut und dem Darmlumen ein Gasaustausch
statt, ähnlich wie in der Lunge. Dieser Gasaustausch kann durch Zirkulations
störungen, insbesondere durch "Stauungen im Pfortadergebiet, mangelhafte
Zwerchfelltätigkeit usw. gestört werden, so daß die Gase schlecht resorbiert
und in vermehrtem Maße ausgeschieden werden.
Überfüllung des Darmes mit Chymus, Stuhl und Gas führt zu einer Über
dehnung und damit Schwächung der Bauchmuskulatur. Die Bauchmuskulatur
kann konstitutionell schwach entwickelt sein und gibt deshalb dem Druck der
überfüllten und aufgeblähten Därme nach (Diastase der Recti). Bei Säuglingen
sehen wir als eines der ersten Zeichen verschiedener Nährschäden, wie z. B. des
Milchnährschadens, des Mehlnährschadens, einen Nachlaß des Muskeltonus,
welcher den Meteorismus begünstigt. Bei schweren toxischen Pneumonien
fürchten wir den starken Meteorismus als ein bedenkliches Zeichen einer be
ginnenden Zirkulationsstörung.
Beim kleineren und größeren Kind ist der große Bauch vor allem ein Zeichen
der Überernährung. In extremen Fällen sind die Kinder genötigt, wegen des
großen Bauches eine lordotische Körperhaltung einzunehmen. Ein Überschuß
an Nahrung, der nicht zur Resorption gelangt, wird durch den Darm ausgeschie
den. Überernährte Kinder haben infolgedessen große Stuhlmengen oder mehr
als einmal im Tag Stuhlgang. Bei dieser Selbsthilfe des Orgai).ismus ist es nicht
ohne weiteres verständlich, wieso sich die Überernährung durch die Größe des
Abdomens verraten kann (CZERNY}. Der große Bauch ist durchaus nicht pro
portional dem Grade der Überernährung. Er hängt zum großen Teil von der Art
der Nahrung ab. Eine kohlehydratreiche Nahrung führt häufiger zu einem
Meteorismus infolge Gärung als eine kohlehydratarme. Die qualitativ minder-
Glanzmann, Kinderheilkunde. Bd. II. 1
2 1. Vorlesung. Das große Abdomen in der Pädiatrie.
wertige, einseitige Ernährungsweise bedingt, daß der Organismus sich nur durch
große Quantitäten einigermaßen verschaffen kann, was er für Wachstum und
Körperansatz braucht. Was für die einseitige Kohlehydratkost gilt, gilt auch
für ausschließliche oder vorwiegende Ernährung mit vegetabiler Rohkost. Nur
größere Mengen können zum Sättigungsgefühl führen, da die Diät an und für sich
kalorisch einer Hungerkost gleicht. Besonders Kartoffeln, die die vorwiegende
Ernährung armer Kinder darstellen, können bekanntlich einen großen Bauch
machen. Zu einer Überernährung kommt es am häufigsten, wenn die Kinder
die Kost der Erwachsenen genießen, aber dazu noch einen Liter Milch täglich
trinken. Beim Übergang von der flüssigen Kost des Säuglings zu der konsisten
teren des älteren Kindes wird zu häufig vergessen, die Milchnahrung einzu
schränken, in dem Maße, wie die breüge und feste !tost zunimmt. Versuchung
dazu ist besonders darin gegeben, daß die gewohnte Nahrungsaufnahme in Form
des Trinkens den Kindern meist mehr Vergnügen macht als das ungewohnte
Kauen, zudem ist die Verabreichung der Flasche an das sich selbst überlassene
Kind für die viel beschäftigte Mutter sehr bequem. Das alles sind Gründe, weshalb
man der Überernährung am häufigsten bei Kindern in den ersten Jahren nach
der Säuglingszeit begegnet.
Die Folgen der Überernährung sind: l. Häufige Stuhlentleerungen und große
Stuhlmassen; 2. nicht selten Koliken infolge Überdehnung der Darmwand
durch Stuhl- und Gasmassen; 3. das große Abdomen; 4. Hypertrophie der
lymphatischen Organe, z. B. der Tonsillen; 5. die bedenklichste Folge ist die
Abnahme der natürlichen Immunität, welche dazu führt, daß solche gemästete
Kinder an ungewöhnlich schwerem Scharlach erkranken oder auch sonst schweren
Infekten viel leichter erliegen als mäßig ernährte Kinder; 6. die Überernährung
ist die wichtigste Ursache für einen unerwünschten Fettansatz.
Bekannt ist der sogenannte Froschbauch der rachitischen Kinder. Er hängt
zusammen mit der gleichen Überfütterung, welche auch die Entstehung der
Rachitis gefördert hat. Er steht in Beziehung zu dem Nachlassen des Muskel
tonus bei der Rachitis, aber auch zu der ungenügenden Kraft des Zwerchfells,
welches an den nachgiebigen weichen Rippen zu wenig Halt findet und das Blut
aus dem Abdomen nur ungenügend in den Thoraxraum bei der Inspiration an
saugen kann. Nach CzERNY ist die Überfütterung die Hauptursache des rachiti
schen Froschbauches. Ähnliches gilt auch vom großen Bauch bei der Athyreose,
welche bekanntlich zu hartnäckiger Verstopfung führt. Die Bauchdecken bei
der Athyreose sind oft ödematös, glänzend. Schilddrüsenbehandlung bessert
allein die Obstipation und läßt das große Abdomen verschwinden.
Die Aufnahme großer Flüssigkeitsmengen fördert auch die Dilatation des
Magens mit Nachlassen des Tonus der Magenmuskulatur, Auftreibung in der
Gegend des Epigastriums und Magenplätschern.
Therapeutisch muß der große Bauch den Arzt veranlassen, die Ernährung
des Kindes zu revidieren. Es soll vor allem die Zahl der Mahlzeiten reduziert
werden. Im ersten Jahr im Maximum fünf, im zweiten Lebensjahr vier und vom
dritten Lebensjahr an nur drei Mahlzeiten in 24 Stunden. Die Flüssigkeits-,
insbesondere die Milchzufuhr soll gedrosselt werden. Im ersten Jahr nie mehr
als einen halben Liter, vom zweiten Lebensjahr an nur einen viertel Liter Milch
pro Tag. Bei einseitig kohlehydratreicher oder vegetabilischer Rohkost muß
durch Zulage gehaltvollerer Nahrungsmittel, wie Fleisch, Käse, Eigelb usw.,
das Volumen der Kost dmch Erhöhung des Sättigungswertes eingeschränkt
werden. Auch die Vitamin-E-Versorgung ist zu fördern, da besonders Vitamin B
1
für den regelrechten Ablauf der Magen-Dat:mmotilität von großer Bedeutung ist
(Nüsse, Hefe, Hefepräparate usw.).
Das große Abdomen in der Pädiatrie. 3
Bei verschiedenen Krankheitszuständen ist das große Abdomen ein führendes
Symptom.
Das große Abdomen kann bedingt sein durch einen Flüssigkeitserguß (Ascites)
in der Peritonealhöhle. Wir finden dann über dem aufgetriebenen Abdomen
eine Dämpfung, welche sich bei Lagewechsel verschiebt. Es läßt sich ferner
beim Beklopfen an einer Stelle mit der andern Hand die Fortpflanzung einer
Wellenbewegung (Undulation) feststellen. Punktion ergibt einen Flüssigkeits
erguß. Dieser Ascites kann nur eine Teilerscheinung eines allgemeinen Hydrops
sein, namentlich bei Herz- und Nierenleiden. Ich
zeige hier einen siebenjährigen Knaben, mit ge
dunsenen Augen, einem ödematösen Halskragen,
einem mächtig aufgetriebenen Abdomen mit ver
strichenem Nabel und Beinödemen. Im Bauch
finden wir Dämpfung in den abhängigen Partien,
die sich bei Lagewechsel verschiebt, und wir
können Undulation feststellen. Im Urin finden
wir massive Ausscheidung von Albumen, 16 bis
20°/00, welche zu einer Senkung des Serumeiweiß
spiegels auf 4,58% statt 6 bis 7% und zum An
stieg des Verhältnisses Globulin zu Albumin auf
90 : lO statt 40 : 60 geführt hat. Durch die Hyper
globulinämie ergab sich eine enorme Beschleuni
gung der Blutsenkungsgeschwindigkeit (ll6mm
nach einer halben Stunde), die das Aussehen des
Blutkuchens in ähnlicher Weise verändert, wie die
Gerinnungsverzögerung bei der Hämophilie. Da
durch, daß die Sedimentierung der Roten bei
Gerinnungsbeginn schon fast vollständig ist, be
steht der Blutkuchen in seinem oberen Teil aus
einem weißen, in seinem unteren Teil aus einem
roten Thrombus. Das Serum ist wegen abnormen
Lipoid- (Cholesterin-) Gehalts milchig getrübt,
auch die Ascitespunktion ergibt eine milchige
Flüssigkeit. Es handelt sich hier um eine Lipoid
nephrose.
Bekannt ist das große Abdomen mit ver- Abb. 1. Großes Abdomen mit Ascites
mehrter Venenzeichnung infolge Stauung im bei Lipoidnephrose.
Pfortaderkreislauf, besonders bei Lebercirrhose.
Nicht zu verwechseln mit dem richtigen Ascites ist der sogenannte Pseudo
ascites bei der Coeliakie, bedingt durch die Füllung der Därme mit einem flüssigen
Inhalt, dessen Resorption gestört ist. Von dem großen Abdomen hat ja die
Coeliakie ihren Namen, d. h. Bauchkrankheit, erhalten. Bei diesen Fällen be
merkt man, wie beim echten Ascites, Dämpfung in den abhängigen Partien, ja
sogar Undulation, aber im Gegensatz zum echten Ascites verschwinden alle
diese Erscheinungen nach einer gründlichen Darmentleerung.
Eine häufige Fehldiagnose bei der Coeliakie ist die tuberkulöse Peritonitis.
Die Differentialdiagnose wird erleichtert durch die Tuberkulinproben (MoRO,
PIRQUET, MANTOUX), die bekanntlich im Kindesalter noch durchaus diagnostisch
verwertbar sind.
Der Beginn ist in der Regel schleichend, mit Temperatursteigerung von sehr
verschiedener Höhe, zunehmender Mattigkeit. Gar nicht selten führt jedoch
eine akute Verschlimmerung mit Leibschmerz und Erbrechen zum Arzt, so daß
I•
4 l. Vorlesung. Das große Abdomen in der Pädiatrie.
dieser leicht zur Fehldiagnose einer akuten Appendicitis verleitet wird. Die
Operation deckt dann den Irrtum auf. Der Leib wird allmählich aufgetrieben.
Im Gegensatz zur Coeliakie ist er leicht druckempfind
lich und schwer eindrückb ar.
Ich habe Gelegenheit, die drei verschiedenen
Formen zu demonstrieren.
1. Eine exsudative Form. Die Aussaat von milia
ren und submiliaren Tuberkeln auf dem Peritoneum
ist, ähnlich wie bei der Pleuritis exsudativa, be
gleitet von einem reichlichen serösen Exsudat,
welches bei Lagewechsel beweglich ist und undu
liert. Die Verschieblichkeit ist jedoch häufig
wegen Adhäsionen etwas geringer als bei freiem
Ascites.
2. Eine adhäsiv-knotige Form bei einem zehn
jährigen Knaben. Das ganze Abdomen ist ausge
füllt von haselnuß- bis baumnußgroßen Knoten,
welche sich sehr derb anfühlen. Es ist, als wenn der
Bauch mit Nüssen oder Steinen angefüllt wäre. Es
handelt sich um derbe Infiltrate mit Bindegewebs
wucherung, Verkäsung, eventuell Verkalkung im
Netz (Netztuberkulose). Im Gegensatz zu Kot
tumoren, welche differentialdiagnostisch in Be
tracht kommen, verschwinden diese Knoten auf
Abführmittel nicht. Ein freies Exsudat fehlt,
oder ist so gering, daß es nicht nachweisbar ist.
Es kommen jedoch Übergänge vor von der exsuda
tiven zu der adhäsiv-knotigen.Form. Zuerst kann
ein großes Exsudat bestehen, dieses kann ver
Abb. 2. Exsudative Form der tu-
berkulösen Peritonitis. schwinden und dann kommen Knoten zum Vor-
schein.
3, Bei der dritten Form steht im Vordergrund des Krankheitsbildes besonders
bei Säuglingen nur ein sehr starker Meteorismus, oft verbunden mit Stuhl- und
s:
Abb. Käsige Form der Perltonealtuberkulose.
Windverhaltung. Es bestehen nur geringfügige Käseherde, während die gesamten
Darmschlingen fest miteinander verbacken sind.
Das Bild des Bauchempyems bei der Pneumokokkenperitonitis kann dem der
tuberkulösen Peritonitis täuschend ähnlich sein. In beiden Fällen ist der Bauch