Table Of ContentGeorgij A. Klimov
Einführung in die
kaukasische
Sprachwissenschaft
Deutsche Bearbeitung
von
Jost Gippert
Hamburg 1994
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Zur Wiedergabe des sprachlichen Materials . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Gegenstand und Geschichte der kaukasischen Sprachwissenschaft . 14
Die westkaukasischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Die kartvelischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Die ostkaukasischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Genetische Beziehungen zwischen den kaukasischen Sprachen . . . 175
Typologische Beziehungen zwischen den kaukasischen Sprachen . 220
Areale Wechselbeziehungen zwischen den kaukasischen Sprachen 263
Schlußbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
Anhang:
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Indizes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
Transkriptionstabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
Klassifikation der kaukasischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . 398
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Mit der "Einführung in die kaukasische Sprachwissenschaft" legt der
Buske-Verlag bereits das zweite Werk des russischen Linguisten Georgij
A. KLIMOV in deutscher Übersetzung vor. Im Unterschied zu dem im
Jahre 1971 erschienenen, seit langem vergriffenen Buch "Die kaukasi-
schen Sprachen" handelt es jetzt jedoch weniger um eine Einführung im
üblichen Sinne, sondern vielmehr auch um ein Handbuch. Die ersten vier
Kapitel des Bandes sind einem geschichtlichen Abriß der kaukasischen
Sprachwissenschaft sowie einer knapp gehaltenen deskriptiven Dar-
stellung der drei kaukasischen Sprachgruppen und ihrer Vertreter
gewidmet. In den Kapiteln fünf bis sieben umreißt der Autor den gegen-
wärtigen Forschungsstand der kaukasischen Sprachwissenschaft im
Hinblickaufgenealogische,strukturell-typologischeundareallinguistische
Fragestellungen. Auch wenn sich KLIMOV dabei nach eigenen Worten
bemüht, andere Positionen zu Worte kommen zu lassen, sind diese
Kapitel doch voll und ganz durch die persönlichen Ansichten des Autors
geprägt.Wennhierdennochversuchtwird,dasBuchdurcheinedeutsche
Ausgabe einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen, so geschieht
dies v.a. aus zweierlei Gründen: Zum einen dürfte an einer Einführung in
das interessante Gebiet der Kaukasussprachen tatsächlich Bedarf
herrschen, nachdem das Erscheinen des letzten derartigen Werkes in
deutscher Sprache bereits über 50 Jahre zurückliegt und sich die
kaukasologischeForschungindiesemZeitraumerheblichausgeweitethat.
Zum andern stellen die Ausführungen KLIMOVs nach Meinung des
Übersetzers auch da eine geeignete Informationsquelle und Diskussions-
grundlage dar, wo sie in eine Kritik an Methoden und Ansätzen der
Fachgenossen münden.
Es versteht sich von selbst, daß die Übersetzung eines solchen "kriti-
schen" Werkes wesentlich erleichtert wird, wenn der Übersetzer die vom
Autor vertretenen Positionen teilt. Beim vorliegenden Buch gilt dies v.a.
für das fünfte Kapitel, wo sich KLIMOV mit den vielfältigen Irrwegen
auseinandersetzt, die Kaukasologen bei der Suche nach einer gesamt-
kaukasischenSpracheinheiteingeschlagenhaben.Auchwennerdeneinen
oder anderen Einzelfall anders beurteilt, erklärt sich der Übersetzer hier
8 VorwortzurdeutschenAusgabe
doch mit den vom Autor vertretenen methodologischen Forderungen und
ihren Implikationen einig.
Größere Bedenken hegt der Übersetzer gegenüber einigen der in
Kapitel sieben durchgeführten Ansätze zu einer areallinguistischen Ein-
ordung der Kaukasussprachen, insbesondere im Hinblick auf die vor-
geschlagenen Interferenzbeziehungen in grundsprachlichen Zeiträumen,
wie sie sich z.B. in den von KLIMOV befürworteten urindogermanisch-
urkartvelischen Lehnbeziehungen manifestieren sollen. Auch durch die
inzwischen erschienenen diesbezüglichen Untersuchungen von Tamaz
GAMQ˙RELIZEundVjacˇeslavV.IVANOV(1984)kanndieHypotheseinden
Augen des Übersetzers noch nicht als bewiesen gelten. Er hat sich
deshalb die Freiheit genommen, die betreffenden Passagen durchweg
vorsichtiger zu formulieren, als dies im Original geschehen ist; die Be-
rechtigung ergibt sich aus einer Anwendung eben jener strengen metho-
dologischen Forderungen, wie sie KLIMOV selbst im "genealogischen"
Kapitel fünf aufgestellt hat.
Am meisten Widerspruch dürfte das sechste Kapitel erregen, das die
typologischeCharakterisierungderKaukasussprachenundihrehistorische
Auswertung zum Inhalt hat. Nicht zuletzt ist es der typologische Aspekt
der kaukasischen Sprachwissenschaft, der, zumindest in der westlichen
Linguistik, in den letzten Jahren die vielfältigste Diskussion erfahren hat.
KLIMOVs Standpunkt ist hier im wesentlichen der von Ivan I.
MEŠCˇANINOV begründeten "sowjetischen" Typologie verpflichtet.
Nichtsdestoweniger verdient es auch dieses Kapitel, einer größeren
Leserschaft unterbreitet zu werden, da hier umfangreiches, sonst nur
schwer zugängliches Material zusammengetragen ist. Der Übersetzer hat
essichinverschiedenenFällenerlaubt,vonKLIMOVeingeführteBegriffe,
auch wo sie auf "internationalen" lateinischen Wörtern aufbauen, nicht
einfach zu übernehmen, sondern sie durch andere, im deutschen Sprach-
raumüblicheBegriffezuersetzen,undzwarinsbesonderedann,wennder
betr.TerminusinderdeutschsprachigenLinguistikandereKonnotationen
aufweist als im Russischen. Das gilt z.B. für den Gegensatz "agenti-
vischer" und "faktitivischer" Verben, den KLIMOV — aufgrund eigener
theoretischer Erwägungen — anstelle der üblicherweise gebrauchten
Dichotomie "transitiv / intransitiv" bei Ergativsprachen einsetzt; hier
schien es dem Übersetzer angebracht, die letzteren Termini, da allgemein
eingeführt, beizubehalten. In solchen Fällen werden jedoch die von
VorwortzurdeutschenAusgabe 9
KLIMOV verwendeten Originaltermini jeweils in geschweiften Klammern
hinzugesetzt.
Sonstige Zusätze des Übersetzers, soweit sie nennenswert erscheinen,
werden durch eckige Klammern gekennzeichnet. Das betrifft v.a. zahl-
reiche zusätzliche Beispiele und Erläuterungen dazu, d.h. grammatische
Analysen. Hinzugefügt wurden ferner diverse paradigmatische Auf-
stellungen, die Indizes, Transkriptionstabellen, Sprachenliste und -karten
im Anhang sowie — bei Sprachen mit geregelter Orthographie — die
Wiedergabe von Beispielsmaterial in der Originalschrift.
DiebibliographischenAngabenwurden,soweitmöglich,überprüftund
auf den neuesten Stand gebracht. Dabei wurde das Hauptaugenmerk auf
Schriften in westeuropäischen Sprachen gerichtet; ebenso wurde anstelle
von Literaturhinweisen auf russische Übersetzungen, wenn möglich, das
jeweilige Original nachgewiesen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit
wurden sämtliche Literaturangaben in einem bibliographischen Anhang
zusammengefaßt.
Zu danken habe ich, auch an dieser Stelle, Winfried BOEDER und
MichaelJOB,diedasManuskripteinerkritischenLektüreunterzogenund
mich auf zahlreiche Irrtümer, Unterlassungen und Inkonsequenzen
aufmerksam gemacht haben. Ein besonderer Dank gebührt Sonja
GIPPERT-FRITZ, die für das einleitende Kapitel eine erste Rohübersetzung
angefertigt hat und auch für die folgenden stets bereit war, mir bei der
Übertragung der oft recht komplex formulierten Ausführungen des
Originalwerks zur Seite zu stehen.
Bamberg, im Februar 1994 Jost Gippert
Zur Wiedergabe des sprachlichen Materials
Originalsprachliches Material wird in der vorliegenden Übersetzung,
soweit vorhanden, sowohl in der jeweiligen Originalschrift (bei den
"Schriftsprachen" Georgisch, Armenisch, Abxazisch, Abazinisch, Ady-
geisch, Kabardinisch, Avarisch, Lakisch, Darginisch, Tabasaranisch und
Lezgisch und nicht-autochthonen Kaukasussprachen wie z.B. Ossetisch
und Azerbajdžanisch) als auch in einer vereinheitlichten Transkription
wiedergegeben,dereneinzelneElementederLautstandstabelleimAnhang
zu entnehmen sind. Pauschal gelten folgende Regeln: Glottalisierte
Konsonantenwerdendurcheinen(nachkalligraphischenKriteriendarüber
oder darunter gesetzten) Punkt bezeichnet, "gespannte"oder "geminierte"
Konsonanten ebenso wie lange Vokale durch ein (darübergesetztes)
Makron, pharyngalisierte Vokale und Konsonanten durch einen
daruntergesetzten Strich. Labialisierte Konsonanten werden durch ein
nachgestelltes °, palatalisierte durch ein | markiert. Aspiration bei
Okklusiven und Affrikaten bleibt unbezeichnet. Unterschiede zu der von
KLIMOV selbst verwendeten Transkription betreffen v.a. die Spiranten im
velaren und uvularen Bereich (g / g˙ sowie x / x). Wortakzente sind
gemeinhin nur bei solchen Sprachen markiert, wo sie bedeutungs-
unterscheidende Funktion haben; ihr Kennzeichen ist ein Akut über dem
jeweiligen Vokal. Im Falle des Armenischen, wo eine andere Trans-
kriptionspraxis verbreitet ist, wird die "übliche" Umschrift zusätzlich (in
spitzen Klammern) angeführt. Bei anderen orientalischen Sprachen
(Arabisch, Persisch, Türkisch, Altindisch etc.) wird die jeweils gebräuch-
liche Transkription beibehalten. Die Prinzipien einer gemäßigten Trans-
kription werden, der Einheitlichkeit halber, auch auf die Bezeichnungen
von Ethnien und Sprachen selbst angewendet, also z.B. Abxazisch, Ab-
xazenstattAbchasisch,Abchasen;Sprachennamenwerden,soweitsiead-
jektivisch gebraucht sind, grundsätzlich vor dem Suffix -isch abgekürzt.
Für die Wiedergabe von Autorennamen s.u. S. 317 (bibliographischer
Anhang).
Einleitung
Die kaukasische Sprachwissenschaft gehört zu denjenigen linguistischen
Einzeldisziplinen, die sich relativ früh herausgebildet haben. Obwohl sie
um einiges später als die Indogermanistik, Semitistik und Uralistik
entstanden ist, hat sie doch eine längere Tradition aufzuweisen als die
meisten anderen Gebiete. Die Entwicklung der einzelnen Forschungs-
bereiche innerhalb der Kaukasologie erfolgte dabei jedoch nicht ein-
heitlich. Nur einer dieser Bereiche, die Kartvelologie, verfügt über eine
nennenswerteForschungsgeschichte,währendsichderbisheuteerreichte
Stand der abxazisch-adygischen und, mehr noch, der naxisch-dagestani-
schen Sprachwissenschaft eher bescheiden ausnimmt. Das uneinheitliche
Forschungsniveau kann für die kaukasische Sprachwissenschaft übrigens
durchausalscharakteristischangesehenwerden.Nachdemdiedeskriptive
Analyse im wesentlichen abgeschlossen war, hat man sich zunächst, mit
gewissemErfolg,typologischausgerichtetenUntersuchungenzugewandt.
Bemerkenswerte Resultate hat auch die genetisch orientierte Sprach-
wissenschaft innerhalb der einzelnen Sprachgruppen aufzuweisen. Dem-
gegenüber ist die Erforschung der areallinguistischen Wechselbeziehun-
gen zwischen den betreffenden Sprachen eher den zukünftigen Aufgaben
zuzurechnen. Unter diesen Bedingungen gewinnt der gegenseitige Aus-
tausch sowohl von Errungenschaften als auch von Problemstellungen in
der kaukasischen Sprachwissenschaft immer mehr an Bedeutung.
Die Linguistik ist nicht reich an allgemeinen Einführungen auf dem
Gebiet der kaukasischen Sprachwissenschaft. So existieren auf russisch
z.B. nur zwei derartige Publikationen, die noch dazu im Stil populär-
wissenschaftlicherAusführungengehaltensind(JAKOVLEV1930;KLIMOV
1965). In einer etwas besseren Lage befindet sich der georgische Leser,
der außerdem noch das Buch von Arnold CˇIKOBAVA (1979) zur Ver-
fügung hat. Noch besser verhält es sich mit den Materialien in deutscher
Sprache,wozweiumfassendereArbeitenvorliegen(DIRR1928;DEETERS
1963), wobei das völlig veraltete Werk R. VON ERCKERTs (1895) sowie
die erweiterte Übersetzung einer früheren Arbeit, die der Autor der
vorliegenden Monographie verfaßt hat (KLIMOV 1971), unberücksichtigt
12 Einleitung
bleiben können. Letztlich existiert auch eine kurze Abhandlung über die
kaukasische Sprachwissenschaft auf spanisch (BOUDA 1960)1.
Esverstehtsichvonselbst,daßsichdiegeringeZahlüberblicksartiger
Darstellungen sehr ungünstig auf die kaukasologische Ausbildung aus-
wirkt, die sich zumeist lediglich an jeweils einer einzigen Gruppe von
Kaukasussprachen orientiert, wie sich in der Praxis immer wieder zeigt.
AuchdieswirfteinLichtaufkünftigeEntwicklungeninderkaukasischen
Sprachwissenschaft.
In der vorliegenden Monographie war der Autor bemüht, ein etwas
allgemeineres Bild der Kaukasologie in ihrem gegenwärtigen Zustand zu
entwerfen und alle grundlegenden Aspekte der laufenden Forschungs-
arbeiten aufzuzeigen. Das schien umso mehr geboten, als es unter den
einzelnen Wissenschaftlern bedeutende Meinungsunterschiede gibt; dies
betrifft sowohl viele wichtige Fragen der deskriptiven und diachronen
Analyse der Einzelsprachen als auch das Bestehen einander wider-
sprechender globaler Hypothesen und daher rührende prinzipielle Diver-
genzen im Hinblick auf die aktuellen Aufgaben der Kaukasologie. Der
Autor wird das Material also zunächst vom Standpunkt einer der beiden
Hauptrichtungen der kaukasischen Sprachwissenschaft aus präsentieren
und interpretieren. Um eine Desorientierung des Lesers zu vermeiden,
wird er jedoch auch versuchen, den Ansichten der anderen Richtung eine
kurze kritische Würdigung zuteil werden zu lassen.
Das vorliegende Buch besteht aus sieben Kapiteln. Das erste Kapitel
enthält eine allgemeine Beschreibung des Untersuchungsobjekts, des
gegenwärtigenForschungsstandsundderGeschichtederKaukasologie.In
denfolgendendreiKapitelnwirdeinekurzedeskriptiveCharakterisierung
dereinzelnenSprachgruppengegeben;diessinddieabxazisch-adygische,
die kartvelische und die naxisch-dagestanische. Es bereitet zwar keine
Schwierigkeiten,BeschreibungenvonEinzelsprachenundSprachgruppen
zu finden, sei es in informativen Sammelbänden (Iber.-kavk. Jazyki 1967
bzw. 1979; [jetzt auch Indig.Lang.Cauc. 1989-1994]), sei es in
SpezialgrammatikendeskriptiverArt;dennochsinddiesedreiKapitel,die
die wechselseitigen Beziehungen innerhalb der einzelnen kaukasischen
Sprachfamilien zum Inhalt haben, etwas umfangreicher gestaltet. Das
1 [Hingewiesen sei an dieser Stelle auf die jüngst erschienene Publikation ERSOY /
KAMACI 1992, die einen Überblick über die kaukasischen Völker und Sprachen auf
türkischbietet.]
Einleitung 13
fünfte Kapitel behandelt Fragen des genetischen Verhältnisses zwischen
den Kaukasussprachen; im sechsten geht es um ihre typologische
Charakterisierung, während das siebte Kapitel den areallinguistischen
Wechselbeziehungen der Kaukasussprachen untereinander gewidmet ist.
In einer kurzen Schlußbemerkung werden schließlich einige aktuelle
Aufgaben der kaukasologischen Forschung diskutiert.
1. Kapitel
Gegenstand und Geschichte
der kaukasischen Sprachwissenschaft
Die Sprachlandschaft des Kaukasus ist außergewöhnlich reichhaltig und
vielfältig. Schon im Altertum gab es — neben den bekannten Legenden
überden aneinen Gebirgsfelsengeschmiedeten Prometheusund überdas
GoldeneVlies—zahlreicheBekundungenderaußergewöhnlichensprach-
lichen Vielfalt im Kaukasus. Seit dem 7. Jh. v. Chr. berichteten darüber
die Griechen, die die kaukasische Schwarzmeerküste kolonialisierten,
dann auch die Römer und später die arabischen, persischen und euro-
päischen Geographen des Mittelalters; die angegebenen Zahlen bewegen
sich zwischen 70 und 300 Sprachen. Auch in der lokalen Tradition der
Kaukasusvölker war dieses Faktum von Anfang an präsent. So werden
z.B. in den frühesten historischen Quellen in georgischer Sprache, die
unter dem Namen "Das Leben Georgiens" [Kartlis cxovrebaj] gesammelt
sind, mehrmals die Megreler, Svanen, Abxazen, Adygeer, Cˇecˇenen,
Avaren, Cezen, Lezgier, "Ag˙vaner" (i.e. die kaukasischen "Albaner"),
Osseten, Armenier, Sinder sowie etliche weitere kleinere ethnische
Gruppen erwähnt1. Mit vollem Recht kann der Kaukasus auch heute
noch als ein "Berg der Sprachen" bezeichnet werden: Auch heutzutage
gibt es hier noch mehr als fünfzig Sprachen, von denen einige zusätzlich
eine starke dialektale Gliederung aufweisen.
DieaußergewöhnlichesprachlicheVielfaltimKaukasusließschonim
19. Jh. die Theorie aufkommen, daß die Region im Laufe vieler Jahrhun-
derte, besonders aber zur Zeit der großen Völkerwanderung, als ein
Umschlagplatz gedient haben müsse, als eine Art Transitweg für die
Migrationen zahlreicher Stämme und ganzer Völker; diese Theorie
wurde von den legendären Nachrichten antiker Historiker über den
ägyptischen Ursprung der Kolcher sowie über die pyrenäische Herkunft
der "Iberer" Georgiens u.ä. genährt. Als konkreter Weg für Völker-
wanderungen wurden u.a. die Darialschlucht im Zentralkaukasus (die
1 DieältestePeriodebehandeltderTeiltextCxovrebajkartueltamepetaj("DasLebender
kartvelischen Väter") von Leon˙ti Mroveli (ediert bei Q˙AUXCˇIŠVILI 1955, S.3-138; dt.
ÜbersetzungbeiPÄTSCH1985,S.51-198,russ.ÜbersetzungbeiC˙ULAIA1979,S.21-39).