Table Of ContentGottfried Barthel
Provisorisches Postskript
zur Vorlesung:
Einfu¨hrung in die Algebra
(BIII)
Universit¨at Konstanz
Sommersemester 2003
Bearbeitung Daniel Herrling
Vorwort
Der hier vorliegende Text gibt im Wesentlichen den Inhalt der Vorlesung
Einfu¨hrung in die Algebra“ (B III) wieder, die ich im Sommersemester 2003
”
fu¨r die Studierenden des zweiten Studienjahres der Hauptfach-Studieng¨ange
Mathematikundfu¨reinigeinteressierteStudierendedesDiplom-Studiengangs
Physik gehalten habe. Fu¨r meine eigene Vorbereitung hatte ich den jewei-
ligen Stoff in eine private und sehr informelle LATEX-Datei geschrieben. Das
AngebotmeinesH¨orersDaniel Herrling,aufderBasisdieserprivatenNo-
tizen – erg¨anzt durch die ebenfalls als LATEX-Datei vorliegende Vorbereitung
von Florian Berchtold, der mich bei den Themen Normale und sepa-
”
rable K¨orpererweiterungen“ vertreten hat – und seiner eigenen Mitschriften
eine koh¨arente Nach-Bearbeitung anzufertigen, habe ich gern angenommen.
In diesem Rahmen ist fast parallel zur zweiten H¨alfte der Vorlesung der
hier vorliegende Text entstanden, der noch zus¨atzlich durch die gesammelten
U¨bungsaufgaben – von Florian Berchtold gestellt – und eine stichwort-
artige Inhaltsu¨bersicht erg¨anzt wurden.
DerVorlesungsinhalt–Einfu¨hrungindieTheoriederGruppen,Ringe,K¨orper
– entspricht dem g¨angigen Standard, wobei leider viele durchaus wu¨nschens-
werte Inhalte aus Zeitgru¨nden unbehandelt blieben: Genannt seien etwa die
S¨atze von Sylow und eine Diskussion aufl¨osbarer Gruppen in der Gruppen-
theorie sowie die klassischen Anwendungen der Galois-Theorie; hier muss
ich auf die Literatur verweisen. Fu¨r die Ringtheorie konnte ich mich in star-
kem Maße auf die Vorarbeiten aus der Linearen Algebra“ (B I/II) des vori-
”
gen Studienjahrs stu¨tzen, die mein Kollege Ludger Kaup gehalten hat und
der wiederum das Skriptum meines Kollegen Hanns-Jo¨rg Stoß zugrunde
lag; wie auch in der Vorlesung sind die entsprechenden Punkte hier nur als
Stichworte erw¨ahnt, aber nicht weiter ausgefu¨hrt worden.
Damit der Text m¨oglichst rasch nach dem Ende der Vorlesungszeit zur Nach-
arbeit und insbesondere zur Pru¨fungsvorbereitung verfu¨gbar war, konnte ich
aus Zeitgru¨nden die abschließende Durchsicht des Textes nicht mit der an
sich wu¨nschenswerten Sorgfalt vornehmen. Aus diesem Grund ist das Skript
wirklich nur provisorisch“, und es bleibt sicher noch viel Raum fu¨r Verbes-
”
i
ii
serungen. Fu¨r kritische Hinweise der Leser bin ich dankbar.
Zum Schluss m¨ochte ich Daniel Herrling fu¨r seine Initiative und sein
Engagement bei der Anfertigung dieses Textes herzlich danken und auch bei
dieser Gelegenheit meinen Dank an Florian Berchtold fu¨r die Leitung
des gesamten U¨bungsbetriebs sowie an Tim Netzer und Daniel Richter
fu¨r ihre Mitwirkung dabei wiederholen.
Erste kritische Hinweise meines H¨orers Leif Do¨ring haben mich veran-
lasst, in dem Text die in der Vorlesung fehlende Definition der Aufl¨osbarkeit
von Gruppen nachzutragen; bei der Gelegenheit habe ich auch den fehlen-
den Beweis der Aussage K(A ) = A fu¨r n ≥ 5 nachgetragen sowie einige
n n
Erg¨anzungen u¨ber Quaternionen hinzugefu¨gt.
Konstanz, 1. August 2003
Gottfried Barthel
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen vii
0.0 Historische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii
1 Gruppen 1
1.1 Halbgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1.1 Verknu¨pfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1.2 Halbgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
1.1.3 Unterhalbgruppen, Untermonoide, Erzeugende . . . . . 5
1.1.4 Homomorphismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.1.5 Bilder und Urbilder von Unterhalbgruppen . . . . . . . 8
1.1.6 Kongruenzrelationen und Restklassenstrukturen,
Homomorphiesatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.1.7 Kartesische Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2.1 Axiome und erste Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2.2 Gruppenhomomorphismen,
Permutationsdarstellung von Gruppen . . . . . . . . . 12
1.2.3 Konjugation (innere Automorphismen),
Konjugationsdarstellung, Zentrum . . . . . . . . . . . . 14
1.2.4 Untergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.2.5 Zyklische Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.2.6 Nebenklassen, Ordnung und Index von Untergruppen;
Satz von Lagrange und Folgerungen . . . . . . . . . . . 20
1.2.7 Einschub: Bemerkungen zu Permutationen . . . . . . . 23
1.2.8 Signum einer Permutation; die alternierende
Gruppe A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
n
1.2.9 Invariante und charakteristische Untergruppen; Nor-
malteiler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
1.2.10 Wirkung von Halbgruppen und Gruppen;
Bahnen, Klassengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . 39
iii
iv INHALTSVERZEICHNIS
1.2.11 *Exkurs: Multiplikations-, Konjugations-
und Kommutatortafeln fu¨r S . . . . . . . . . . . . . . 48
3
1.2.12 Exkurs: Quaternionen und die Quaternionengruppe . . 50
2 Ringe und Ideale 53
2.0 Wiederholung zu Ringen aus BI/BII . . . . . . . . . . . . . . 53
2.1 Grundbegriffe der Ringtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.1.1 Ringhomomorphismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.1.2 Unterringe und Ideale . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
2.1.3 Restklassenringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2.1.4 Der Idealverband eines Ringes . . . . . . . . . . . . . . 59
2.1.5 Primideale und maximale Ideale . . . . . . . . . . . . . 62
2.1.6 Erg¨anzungen zur Teilbarkeit in Integrit¨atsringen . . . . 65
2.1.7 Der Quotientenk¨orper eines Integrit¨atsbereiches . . . . 69
2.1.8 Exkurs: Das Zornsche Lemma;
Existenz maximaler Ideale . . . . . . . . . . . . . . . . 71
2.1.9 Teilbarkeit in Polynomringen u¨ber faktoriellen Ringen . 73
2.1.10 Irreduzibilit¨atskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3 K¨orper 83
3.0 Wiederholung aus BI/II und der
bisherigen Vorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
3.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.1.1 Charakteristik eines K¨orpers . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.1.2 K¨orpererweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
Algebraische & transzendente Elemente einer
K¨orpererweiterung . . . . . . . . . . . . . . . 90
Exkurs u¨ber transzendente Zahlen . . . . . . . . . . . . 91
3.1.3 Nachtrag zu algebraischen Erweiterungen . . . . . . . . 97
3.2 Konstruktion von K¨orpererweiterungen. . . . . . . . . . . . . . 99
3.2.1 Nullstellen, Verfahren von Kronecker . . . . . . . . . . 99
3.2.2 Zerf¨allungsk¨orper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
3.2.3 Normale K¨orpererweiterung . . . . . . . . . . . . . . . 103
3.2.4 Separable K¨orpererweiterung . . . . . . . . . . . . . . 104
3.3 Galois-Erweiterungen, Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . 107
3.3.1 Galois-Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
3.3.2 Zwischenk¨orper von Galois-Erweiterungen . . . . . . . 109
3.3.3 Fixk¨orper von Gruppen von Automorphismen . . . . . 111
3.3.4 Hauptsatz der Galois-Theorie . . . . . . . . . . . . . . 116
3.3.5 Ausblick auf Anwendungen. . . . . . . . . . . . . . . . 117
INHALTSVERZEICHNIS v
A U¨bungsbl¨atter 121
B Wichtige Stichworte zum Inhalt 139
B.1 Halbgruppen und Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
B.2 Ringe und Ideale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
B.3 K¨orper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
vi INHALTSVERZEICHNIS
Vorbemerkungen
0.0 Historische Bemerkungen
Ex oriente lux – Die al-dschabr“ des al-Chwarismi
”
Der Name Algebra ist die latinisierte Form des arabischen al-dschabr, was
soviel wie Einrenkung“ bedeutet. Etwa um das Jahr 820 entstand das
”
Buch mit dem Titel Al-kitab al-muktasar fi hisab al-djabr wa al-mukabala.
Dies l¨asst sich etwa mit Kurzes Buch u¨ber das Rechnen der Erg¨anzung und
der Ausgleichung u¨bersetzen. Der Inhalt des Buches war die Lehre der
Aufl¨osungvonlinearenundquadratischenGleichungen.Ungef¨ahrim12.Jahr-
hundert wurde dieser Titel dann zu Algebra et Almucabala latinisiert. Der
Autor des urspru¨nglichen Werkes, Abu Ja’far Muhammad ibn Musa
al-Chwarismi, kurz al-Chwarismi (auch al-Chorismi, latinisiert auch
Algorismi, daher der Begriff Algorithmus), lebte etwa von 780 bis 850 und
war ein Wissenschaftler persischer Herkunft.1 Er wirkte in Badgad im Haus
”
der Weisheit“, also der Akademie am Hofe des Kalifen al-Mamun, dem
Sohn des Kalifen Harun al-Raschid. Bemerkung: Er hat auch ein Buch
u¨ber das indische Ziffernsystem (Stellenwertsystem) geschrieben. Das arabi-
sche Original ging verloren; nur die lateinische U¨bersetzung De numerorum
”
indorum“ blieb erhalten.
Von Cardano zu Gauß und Abel:
L¨osung von kubischen und biquadratischen Gleichungen
Nicht-Aufl¨osbarkeit fu¨r Gleichungen h¨oheren Grades
Erste Ans¨atze zur Untersuchung kubischer Gleichungen finden sich bereits
in der indischen und arabischen Mathematik. Mit dem Aufblu¨hen von Kul-
tur und Wissenschaft in der oberitalienischen Renaissance erreichte sie ihre
1Der Beiname al-Chwarismi deutet auf seine Herkunft aus der Region Chwarism
(oder Choresmien) su¨dlich des Aral-Sees, in der Gegend um das heutige Chiwa (etwa 42◦
Nord und 60◦ Ost) im Grenzbereich zwischen Turkmenistan und Usbekistan hin.
vii
viii VORBEMERKUNGEN
ersten H¨ohepunkte in Europa. Gieronimo Cardano (1501–1576) publi-
zierte 1545 die Ars magna, die unter anderem die Cardanische Formel zur
Au߬osung kubischer Gleichungen durch Wurzelziehen enthielt. Cardano be-
nutzte dabei erstmals die komplexen Zahlen. Systematischer wurden diese
dann in der Algebra (1572) seines Schu¨lers Bombelli behandelt.
Danach begann einerseits die Suche nach der L¨osungsgesamtheit: die Wur-
zels¨atze von Vieta (1540–1603) fu¨hrten zur Behauptung durch Girard
(1629) und 170 Jahre sp¨ater schliesslich zum ersten Beweis (1799) des so-
genannten Fundamentalsatzes der Algebra durch Carl Friedrich Gauß
(1777–1855)2. Dieser besagt, dass jede Polynomgleichung (in einer Ver¨ander-
lichen) mit Vielfachheit gez¨ahlt, genau soviele komplexe L¨osungen hat, wie
deren Grad ist. Allerdings ist dies kein rein algebraischer Satz (der Beweis
benutzt topologische Eigenschaften von C bzw. R). Der Beweis erfolgt heute
meist mit Methoden aus der Funktionentheorie (als Korollar aus dem Satz
von Liouville).
Andererseits wurde weiter nach einer L¨osungsformel fu¨r Polynomgleichun-
gen h¨oheren Grades gesucht. Daran beteiligten sich unter anderem auch
Tschirnhaus(1651–1708)undGottfried Wilhelm Leibniz(1646–1716).
Deren Erfolglosigkeit fu¨hrte sp¨atestens gegen 1800 zu der U¨berzeugung, dass
solche Formeln fu¨r die allgemeine“ Gleichung nicht existieren k¨onnen. 1826
”
(alsoca.1000Jahrenachderal-dschabr)gelangNils-Hendrik Abel(1802–
1829)3 schließlich der Beweis, dass es fu¨r die allgemeine Gleichung fu¨nften
Grades keine L¨osung gibt, die durch Wurzelziehen aus den Koeffizienten ge-
wonnen werden kann.
Lagrange und Galois, Anf¨ange der Gruppentheorie
Gegen 1770 erste systematische Untersuchungen durch Joseph Louis La-
grange (1736–1813)4 u¨ber das Verhalten gewisser rationaler Funktionen in
den Wurzeln der kubischen und biquadratischen Gleichung bei Permutation
der Wurzeln, aus deren Eigenschaften sich die klassischen L¨osungsformeln
fu¨r diese Gleichungen erschließen lassen.
EtwazeitgleichmitAbelerfolgtenauchUntersuchungenvonEvariste Ga-
2Genauere Daten: 30.4.1777 – 23.2.1855; der 30.4.2003 ist also Gauß’ 226. Geburtstag;
in zwei Jahren ist sein 150. Todestag
3Vielleicht bedeutendster norwegischer Mathematiker; aus Anlass seines 200. Geburts-
tages im vorigen Jahr Stiftung des Abel-Preises“ als Ersatz fu¨r den nicht-existierenden
”
Nobelpreis in Mathematik durch die norwegische Regierung; erster Preistr¨ager war Jean-
Pierre Serre
4GeboreninTurin,war1766–1787DirektordermathematischenKlassederpreußischen
Akademie der Wissenschaften
0.0. HISTORISCHE BEMERKUNGEN ix
lois (1811–1832), der aber seinen mathematischen Zeitgenossen zu weit vor-
auswar,alsdassseineIdeenzuLebzeitengewu¨rdigtwurden(wasanderenfalls
sein Leben vielleicht h¨atte verl¨angern k¨onnen...).
Der abstrakte Gruppenbegriff tauchte erstmals 1854 bei Arthur Cayley
(1821–1895)5auf6.
Klassische geometrische Probleme: Konstruktionen mit
Zirkel und Lineal
Zirkel und Lineal waren die klassischen Werkzeuge des Baumeisters bzw.
Geometers. Als Lineal diente ein gerades Brett oder ein gespanntes Seil, als
Zirkel eine Schnur, die an einem Ende befestigt war.
• Winkeldrittelung: Gegeben ist ein Winkel α; konstruiere Winkel α/3
• Wu¨rfelverdoppelung (DelischesProblem)7:GegebenistdieKantenl¨ange
einesWu¨rfels;konstruieredarausdieKantenl¨angedesWu¨rfelsmitdop-
peltem Volumen.
• Quadratur des Kreises (steht heute als Synonym fu¨r ein unl¨osbares
Problem!): Gegeben ist der Radius (oder Durchmesser) eines Kreises;
konstruiere nun die Kantenl¨ange des fl¨achengleichen Quadrats.
• Konstruktion des regelm¨aßigen n-Ecks
Bemerkung: Gegeben (durch kartesische Koordinaten) seien Punkte in der
Ebene. Alle Punkte, die daraus mit Zirkel und Lineal konstruierbar sind,
haben Koordinaten, die durch rationale Operationen und iteriertes Ziehen
von Quadratwurzeln aus den Koordinaten der gegebenen Punkte gewonnen
werden k¨onnen. (Vergleiche dazu U¨bungsaufgabe 1.1.)
Folgerung: Die ersten drei Probleme sind unl¨osbar, zum vierten Problem
gelang Carl Friedrich Gauß (1799) die vollst¨andige Charakterisierung
der m¨oglichen Eckenzahlen.
5Cayleywarseit1849alsRechtsanwaltt¨atig,biser1863zumProfessorinCambridge
ernannt wurde. W¨ahrend dieser 14 Jahre als Anwalt publizierte er 250 Artikel, darunter
die erw¨ahnte erste Arbeit zur Gruppentheorie, die auch erstmals die Beschreibung der
Verknu¨pfungdurcheineTafelenth¨alt;GruppentafelnwurdendeshalbauchCayley-Tafeln
genannt.
6Siehe dazu auch http://math.NMSU.Edu/ davidp/cayley.pdf
7Das Orakel trug den Griechen auf, ihren G¨ottern einen neuen Altar zu bauen, der
genau das doppelte Volumen des alten, wu¨rfelf¨ormigen Apollo-Altars von Delos haben
sollte.