Table Of ContentALDOUS HUXLEY • EILAND
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2002
im Auftrag
des Ministers für
Bildung u. Erziehung
Dieses ebook ist nicht zum
Verkauf bestimmt!
ebook-Layout:
Standardtext:
Schriftart: Times New Roman PS
Zeichenformat: 11Pt, Zeilenabstand 14 Pt
Blocksatz, Absatzabstand: 1mm(nach), 1. Zeile Einzug: 5mm
Überschriften:
Zeichenformat: 11Pt, Laufweite 200
zentriert, Absatzabstand: 20mm(vor), 4mm(nach)
Papierformat: A5 (148x210mm) Ränder: 25mm o/u  20mm r/l
Klappentext:
Das »Personal« dieses Romans ist alles andere als ein idyllisches 
Häufl ein »guter Wilder«. Ein Reporter, der im Auftrag eines Londoner 
Konzernlords sich in einem Archipel an der Peripherie des britischen 
Kolonialreichs nach möglichen Ölkonzessionen umsieht, strandet als 
Schiffbrüchiger am Dschungelufer der Insel Pala. Die Familie des 
Arztes Dr. MacPhail pfl egt den Verletzten und weist ihn in die geistige 
Welt der Inselbewohner ein. Bald ist er ein so gelehriger Schüler, 
daß ihm die ehrgeizige Rani, Regentin für ihr ein wenig zu hübsches 
Söhnchen, das in der Schweiz zu einem jungen Snob herangezüchtet 
wurde, als eine Gefahr für Pala erscheint. Auch von der westlich 
»zivilisierten« Nachbarinsel drohen schädliche Einfl üsse. Wie sich das 
kleine Utopia zu behaupten sucht, schildert Huxley mit liebevollem 
Humor  und  ernsthaftem  Engage ment  für  sein  positives  Modell.
Huxleys letzter Roman Eiland gehört einer sehr seltenen literarischen 
Gattung an: Es ist der Roman einer positiven Utopie. Während die 
großen gesellschafts-utopischen Romane dieses Jahrhunderts, unter 
denen Huxleys eigene Schöne Neue Welt neben Orwells 1984 und 
Samjatins Wir wohl der bedeutendste ist, vornehmlich beängstigende 
technisch-totali täre Welten schildern, will dieser Roman das Bild einer 
menschenfreundlichen Gemein schaft entwerfen. Auf dem blühenden 
tropi schen  Eiland,  dem  utopischen  Nirgendwo,  leben  Menschen, 
die sich nicht nur zu den Prinzipien des Guten und der Freiheit 
be kennen, sondern sie auch anzuwenden wissen. Die Voraussetzung 
dafür ist die Verbin dung von abendländisch-rationalen Erkennt nissen 
und  meditativer  Praxis  der  Lehren  des  tantrischen  Buddhismus. 
Ratio und Mystik vereinigen sich mit den bewußtseinserwei ternden 
Erfahrungen des Drogengenusses zu einer praktischen Philosophie, 
die die Ent faltung des Einzelnen bei größter Rücksichtsnahme auf 
den anderen lenkt. Eiland: ein philosophischer Roman, aber zu gleich 
ein  Gesellschaftsroman  von  bestechen der  Eleganz,  unterhaltend 
und pointiert, bei allem Bekenntnis voll irdischer Distanz, bril lant 
in  der  Verbindung  des  Sprachschatzes  jahrtausendealter  östlicher 
Lebenslehren  mit  dem  Konversationsstil  des  urbanen  Literaten.
Aldous  Huxley,  geboren  1894  in  Surrey.  Er  wurde  in  Eton 
erzogen  und  ging  dann,  nach  einer  schweren  Augenkrankheit, 
nach  Oxford,  wo  er  sich  mit  einer  Arbeit  über  englische 
Literatur  habilitierte.  Von  1919  an  arbeitete  er  als  Journalist 
und  Kritiker  und  veröffent lichte  erste  liter arische  Werke.  Seit 
1938  lebte  er  in  Kalifornien.  1963  starb  er  in  Holly wood.
ALDOUS HUXLEY
EILAND
ROMAN
R. PIPER & CO VERLAG
 MÜNCHEN
Aus dem Englischen von Marlys Herlitschka
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Island«
 bei Chatto & Windus, London.
ISBN 3-492-01993-5
 © Laura Huxley, 1962
Deutsche Ausgabe: 
© R. Piper & Co. Verlag, München 1973
Gesetzt aus Adobe  InDesign 2.0 ;-)
Gesamtherstellung: Hieronymus Mühlberger, Augsburg
Printed in Germany
FÜR  LAURA
Wann immer wir uns ein Ideal formen, soll es ganz 
unserm Wunschbild entsprechen, doch hüten wir uns 
vor dem Unerfüllbaren.
ARISTOTELES
Back-Cover:
»Stell dir vor«, sagte Will, »ich hab noch nie ein Kind 
auf die Welt kommen sehn.«
»Nein?«  Ihre  Stimme  klang  verwundert.  »Nicht 
ein mal, als du zur Schule gegangen bist?« 
Will hatte eine Vision seines Schuldirektors in voller 
Amtstracht, wie er mit dreihundert schwarzberockten 
Jungens  eine  Runde  durch  die  Gebärklinik  machte. 
»Nicht einmal, als ich zur Schule ging«, wied erholte er 
bestätigend.
»Du hast nie jemand sterben sehn und hast auch nie 
gesehn, wie ein Kind auf die Welt kommt. Wie hast du 
dann alles kennengelernt, was man kennen soll?«
»Bei  uns  in  der  Schule  haben  wir  nie  etwas 
kennen gelernt«, sagte er. »Die haben uns nur mit Wörtern 
bekannt gemacht.«
Die Kleine sah kopfschüttelnd zu ihm auf, hob die 
kleine braune Hand und tippte sich bedeutungsvoll an 
die Stirn. »Verrückt«, sagte sie. »Oder hast du bloß ganz 
besonders dumme Lehrer gehabt?«
ERSTES KAPITEL
»Gib acht«, rief eine Stimme, und es klang, als hätte eine Oboe 
plötzlich  zu  sprechen  begonnen.  »Gib  acht«,  wiederholte  sie  in 
demselben nasal eintönigen Ton. »Gib acht.«
Wie ein Leichnam in dem Haufen dürrer Blätter liegend, mit 
verfi lztem Haar, das Gesicht grotesk verschmiert und abge schürft, die 
Kleider zerfetzt und schlammverkrustet, fuhr Will Farnaby aus dem 
Schlaf hoch. Molly hatte gerufen. Er mußte aufstehn. Sich ankleiden. 
Durfte nicht zu spät ins Büro kom men.
»Dank dir, Liebste«, sagte er und setzte sich auf. Ein schnei dender 
Schmerz  durchzuckte  sein  rechtes  Knie,  und  im  Rücken,  in  den 
Armen, hinter der Stirn verspürte er noch andere Schmerzgefühle.
»Gib acht«, sagte die Stimme beharrlich, ohne daß sich ihr Ton 
im  geringsten  verändert  hätte. Auf  den  einen  Ellbogen  ge stützt, 
blickte Will umher; verwirrt sah er statt der grauen Ta pete und gelben 
Vorhänge seines Londoner Schlafzimmers eine Lichtung zwischen 
Bäumen und die langen Schatten und schrä gen Sonnenstrahlen eines 
frühen Morgens im Wald.
 »Gib acht.«
Was sollte dieses »Gib acht«?
»Gib acht, gib acht«, beharrte die Stimme - auf dieselbe selt same, 
sinnlose Weise. »Molly?« sagte er fragend. »Molly?«
Der Name schien ein Fenster in seinem Kopf zu öffnen. Plötz lich, 
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mit diesem gräßlich vertrauten Schuldgefühl in der Magen grube, roch 
er wieder Formalin, sah er die kleine energische Krankenschwester 
ihm eilig durch den grünen Korridor vorangehn, hörte er das trockene 
Rascheln ihrer gestärkten Tracht. »Nummer fünfundfünfzig«, sagte 
sie, blieb stehn und öffnete eine weiße Tür. Er trat ein und sah Molly 
auf einem hohenweißen Bett liegen, das halbe Gesicht bedeckt von 
einem Ver band, den Mund weit offen, mit klaffendem Unterkiefer. 
»Molly«, hatte er gerufen, »Molly . . .« Die Stimme brach ihm, und er 
weinte jetzt, er fl ehte: »Mein Liebes!« Es kam keine Ant wort. Durch 
den klaffenden Mund drangen geräuschvoll die kur zen, stoßweisen 
Atemzüge. »Mein Liebstes, mein Liebstes . . .« Und mit einemmal 
wurde die Hand, die er hielt, für einen Au genblick lebendig. Lag dann 
wieder still.
 »Ich bin‘s«, sagte er, »ich - Will.«
Abermals bewegten sich die Finger. Langsam, mit einer offenbar 
ungeheuren Anstrengung schlössen sie sich um die seinen, drück ten 
sie und erschlafften wieder.
»Gib acht«, rief die so gar nicht menschliche Stimme, »gib acht.« 
Es war ein Unfall gewesen, beteuerte er sich hastig. Die Straße war 
naß, der Wagen schlitterte über die weiße Linie hinaus. Einer dieser 
Unfälle, wie sie sich immer wieder ereignen. Die Zeitungen waren 
voll davon; er selber hatte oft und oft darüber berichtet. »Mutter und 
drei Kinder bei Zusammenprall getö tet.« Aber darauf kam es nicht an. 
Es kam darauf an, daß er ja gesagt hatte auf ihre Frage, ob es wirklich 
das Ende bedeute; es kam darauf an, daß sie, kaum eine Stunde später, 
nachdem sie von jener letzten, so sehr beschämenden Unterredung 
in den Regen hinausgegangen war, im Krankenwagen lag, und im 
Ster ben.
Er hatte sie nicht angesehen, als sie sich zum Gehn wandte, hatte 
es nicht gewagt. Noch einen Blick auf dieses blasse leidende Ge sicht 
hätte er nicht ertragen können. Sie war von dem Stuhl auf gestanden 
und langsam durchs Zimmer gegangen, war langsam aus seinem 
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Leben  hinausgegangen.  Sollte  er  sie  nicht  zurückru fen,  sie  um 
Verzeihung bitten, ihr sagen, daß er sie noch immer liebte? Hatte er 
sie je geliebt?
Zum hundertstenmal rief die artikulierte Oboe ihm ihr »Gib acht« 
zu.
Ja, hatte er Molly je wirklich geliebt?
»Leb wohl, Will.« In der Erinnerung hörte er sie es fl üstern, 
als sie sich auf der Schwelle nochmals umwandte. Und dann war 
sie es gewesen, die es sagte - leise, aus tiefstem Herzen. »Ich hab 
dich noch immer lieb, Will - trotz allem.« Gleich darauf schloß 
sich die Wohnungstür fast geräuschlos hinter ihr. Das knappe, leise 
Einschnappen des Schlosses, und sie war gegangen.
Er war aufgesprungen und rannte ihr nach, öffnete die Tür und 
horchte auf ihre Schritte, die sich die Treppe hinunter entfernten. Wie 
ein Geist beim Hahnenschrei verweilte noch ein schwaches vertrautes 
Parfüm zerfl ießend in der Luft. Er schloß die Tür, ging in sein grau- 
und gelbfarbenes Schlafzimmer und blickte aus dem Fenster. Sekunden 
später sah er sie den Gehsteig über queren. Er hörte das bohrende 
Geräusch des Anlassers, einmal, zweimal, und dann das Aufheulen 
des Motors. Sollte er das Fenster öffnen? »Warte, Molly, warte«, 
hörte er sich in der Einbildung rufen. Das Fenster blieb geschlossen; 
der Wagen fuhr an, bog um die Ecke, die Straße war wieder leer. Es 
war zu spät. Zu spät, gottlob! sagte eine barsche, höhnische Stimme. 
Ja, gott lob! Und dennoch, das Bewußtsein seiner Schuld verblieb, 
saß ihm tief in der Magengrube. Seine Schuld, die nagende Reue 
- aber durch die hindurch konnte er auch ein gräßliches Jubelge fühl 
verspüren. Jemand gemeiner, geiler, brutaler, jemand, der ihm fremd 
war und hassenswert und der dennoch er selber war, frohlockte, daß 
ihn nun nichts mehr daran hindern konnte zu haben, was er haben 
wollte. Und was er wollte, war ein ande res Parfüm, war die Wärme 
und Geschmeidigkeit eines jünge ren Körpers. »Gib acht«, sagte die 
Oboe. Ja, gib acht, sei ge wahr. Dessen gewahr sein, wenn er sich in 
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