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Wie souverän darf der Konsument auf Versicherungsmärkten sein?
Nachfragerverhalten und Regulierung aufVersicherungsmärkten . . . . . . . . . . . 3
Von Prof Dr. J.-Matthias Gra/v. d. Schulenburg
Wettbewerb und Verbraucherschutz auf dem Versicherungs markt 19
Von Prof Dr. Roland Eisen, Prof Dr. Wolfg ang Müller
und Prof Dr. Peter Zweifel
Der EG-Binnenmarkt und seine Auswirkungen auf den deutschen Markt für
private Lebensversicherungen ...................................... 37
Von Sven-Michael Slottko
Auswirkungen der Marktöffnung für die private Krankenversicherung 51
Von Dipl.-Math. Klaus Bohn
EG '94: Die deutschen Schadenversicherer in einer deregulierten
Versicherungswelt ............................................... 69
Von Dr. Hartmut Nickel-Waninger
Was bringt der EG-Versicherungsmarkt der versicherungsnehmenden
Wirtschaft? Auswirkungen der Marktöffnung für Industrie und Gewerbe 89
Von Johann Hendrik Mohr
Fallstudie: Risikoanalyse und optimale Deckung privater Risiken .......... 101
Von Dipl.-K/m. Carlos Reiss
Herausgeber: Prof. Dr. Wolfgang Müller, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Seminar
für Versicherungs lehre, Mertonstraße 17, 6000 Frankfurt a. M.
Bezugsbedingungen: Einzelband 78,-DM . Abonnementspreis 70,20 DM
Schriftenreihe: ISSN 0582-0545
Bestellnummer dieses Bandes:
Zitierweise: SzU, Band 45, Wiesbaden 1992
ISBN 978-3-409-17917-1 ISBN 978-3-663-13479-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-13479-4
© Springer Fachmedien Wiesbaden 1992
Ursprünglich erschienen bei Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. rh. Gabler GmbH, Wiesbaden 1992.
Vorwort
Vorwort
Europa 1994 - für die europäische private Versicherungs wirtschaft wird der einheitliche
Binnenmarkt erst mit einer kleinen zeitlichen Verzögerung verwirklicht werden. Freilich
sind die politischen Grundsatzentscheidungen bereits gefallen und niemand zweifelt daran,
daß noch in diesem Jahre 1992 die Rechtsgrundlagen in der Form von EG-Richtlinien durch
den Ministerrat verabschiedet werden. Zum 1. Juli 1994 soll dann die neue EG
Versicherungsmarktordnung in Kraft treten. Nach dem Herkunftslandprinzip gestattet sie
jedem europäischen Versicherungsunternehmen, das nach den Regeln seines Heimatlandes
zugelassen worden ist, den freien Zutritt zu allen anderen EG-Versicherungsmärkten.
Für die deutsche Versicherungs wirtschaft wird dadurch eine fast lOOjährige Epoche der
intensiven staatlichen Aufsicht, der weitreichenden Regulierung von Preis- und Produkt
wettbewerb sowie der Abschottung gegenüber ausländischer Konkurrenz beendet. Der
Wandel von der staatlich kontrollierten und vor allzu heftigem Wettbewerb beschützten
Versicherungs wirtschaft hin zu einer liberalen Marktordnung in europäischen Dimensionen
wird allen Marktteilnehmern erhebliche Anpassungsleistungen abverlangen. Die deutschen
Versicherungsunternehmen werden größere Spielräume für unternehmerische Entschei
dungsautonomie erhalten, müssen aber auch die Fachkompetenz entwickeln, um mit stär
kerem Wettbewerbsdruck und erhöhtem Marktrisiko erfolgreich umzugehen. Die Versi
cherungskäufer werden häufig noch lernen müssen, daß Qualitäten und Preise der privaten
Versicherungsprodukte - im Gegensatz zur Sozialversicherung - erheblichen Schwan
kungen unterworfen sein können und daß sich deshalb höhere Anstrengungen bei der Suche
nach günstigen Angeboten lohnen.
Während die Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes für die Versicherungsunter
nehmen schon seit einiger Zeit diskutiert werden, sind bisher nur wenige Untersuchungen
vorgelegt worden, die sich mit den Konsequenzen der neuen Wettbewerbssituation für die
Nachfrager näher beschäftigen. Deshalb ist der vorliegende Band der "Schriften zur Un
temehmensführung" hauptsächlich diesem Aspekt der künftigen Versicherungsmärkte
gewidmet.
Im Vordergrund steht dabei die Nachfragesituation der privaten Haushalte, also der Ver
brauchergruppe, die mehr als 90 % aller Versicherungsverträge abschließt und die nach den
Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft vor starken Nachteilen im Wettbewerb
geschützt werden soll. Mit grundsätzlichen Überlegungen zum Verhalten der Verbraucher
auf Versicherungsmärkten sowie zu den Möglichkeiten des Verbraucherschutzes beschäf
tigen sich folglich die bei den ersten Beiträge des Bandes.
J. M. Grafv.d. Schulenburg stellt zunächst in kompakter Form die Vorteile und Schwächen
der bisher herrschenden intensiven Marktregulierung, die als Instrument des Verbraucher
schutzes verstanden wird, gegenüber. Sodann werden die Ergebnisse mehrerer empirischer
Untersuchungen über das Verbraucherverhalten auf dem deutschen Versicherungsmarkt
vorgelegt. Die bisherige strikte staatliche Aufsicht, so die zentrale Schlußfolgerung aus
diesen Untersuchungen, hat die Entwicklung souveränen Konsumentenverhaltens im Ver
sicherungsbereich stark behindert.
2 Vorwort
Die Notwendigkeit für einen wirksamen Verbraucherschutz unter den Bedingungen des
Preis- und Produktwettbewerbs auf dem liberalisierten Versicherungsmarkt wird in dem
Beitrag von R. Eisen, W. Müller und P. Zweifel herausgestellt. Allerdings soll der Ver
braucherschutz nicht - wie bislang auf dem deutschen Versicherungsmarkt - den Wettbe
werb deformieren oder ersticken, sondern mit wettbewerbskonformen Maßnahmen
durchgeführt werden. Unter dieser grundsätzlichen Voraussetzung werden mehrere In
strumente des Verbraucherschutzes - durch spezifische Verbraucherinstitutionen sowie
durch private und staatliche regulierende Eingriffe in das Marktgeschehen - erörtert.
In den nachfolgenden drei Beiträgen werden die für die privaten Versicherungskäufer
besonders wichtigen Versicherungsprodukte im Hinblick auf die unter Wettbewerbsbe
dingungen zu erwartenden Entwicklungstendenzen betrachtet:
S.-M. Slottko behandelt die Lebensversicherung;
K. Bohn setzt sich mit der Krankenversicherung auseinander und
H. Nickel-Waninger analysiert die relevanten Sparten der Schadenversicherung, insbe
sondere, aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung, die Kraftfahrt- Versicherung.
Gerade weil diese Beiträge von Versicherungsunternehmern verfaßt worden sind, die
sowohl künftige Wettbewerbsszenarien entwerfen als auch durch ihre Entscheidungen die
künftige Wettbewerbsrealität mitgestalten werden, vermitteln diese Darstellungen recht
differenzierte Hinweise auf Veränderungen auf den Versicherungsmärkten, mit denen der
Verbraucher rechnen muß.
Mit der Studie von J. H. Mohr wird auch die gewerbliche Wirtschaft, insbesondere die
Industrie, in ihrer Rolle als Versicherungsnachfrager in die Betrachtungen einbezogen.
Obwohl sich die Marktveränderungen bei den Industrieversicherungen aus verschiedenen
Gründen nicht so drastisch wie beim Privatkundengeschäft vollziehen werden, ist dennoch
mit einem strukturellen Wandel und neuen Produkten zu rechnen.
Der Band wird mit einer Fallstudie von C. Reiss abgeschlossen, in der anhand von Fall
beispielen gezeigt wird, welche Aufgaben der Versicherungsmakler für private Versiche
rungskäufer wahrnehmen kann. Als unabhängiger Intermediär zwischen privaten Nach
fragern und Versicherungsunternehmen wird der Makler unter Wettbewerbsbedingungen
sicherlich eine deutlich wichtigere Rolle spielen als bisher.
WOLFGANG MÜLLER
Wie souverän darf der Konsument
auf Versicherungsmärkten sein?
Nachfragerverhalten und Regulierung
auf Versicherungsmärkten
Prof. Dr. J.-Matthias Grafv. d. Schulenburg, Hannover
Inhaltsübersicht
1. Einleitung
2. Ökonomische Gründe für eine Regulierungspolitik auf Versicherungsmärkten
3. Konsumentenverhalten auf Versicherungsmärkten
4. Abschließende Bemerkung
Literaturverzeichnis
Für eine kritische Durchsicht des Manuskriptes und wertvolle Anregungen danke ich Frau Dipl.-Ök.
Susanne Wähling.
4 J.-Matthias Gra/v. d. Schulenburg
1. Einleitung
Die Vertragsfreiheit zwischen Käufern und Verkäufern ist auf Versicherungsmärkten
erheblich eingeschränkt. Dies liegt an vielfältigen staatlichen und verbandsmäßigen Re
gulierungen. Letztgenannte sind in der Regel Folge der staatlichen Regulierungen. Aller
dings greifen verbandliche oder ständische Selbstregulierungsmaßnahmen häufig dann
nicht mehr, wenn der Wettbewerb zunimmt und sie nicht durch einen staatlichen Rechts
rahmen verankert sind. Dieses "Zusammenspiel" von staatlicher Regulierung und Selbst
regulierung kann besonders gut auf Finanzdienstleistungsmärkten, aber auch im Gesund
heitswesen, dem Transportwesen und dem Handwerk beobachtet werden. Dabei weisen die
Instrumente der Regulierung auf Versicherungsmärkten ein breites Spektrum auf: Das
Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen wacht über die Zulassung zum Ge
schäftsbetrieb und übt eine materielle Staatsaufsicht mit weitreichenden Eingriffsmög
lichkeiten aus. Für Lebens- und Krankenversicherer gilt das Spartentrennungsgebot, d. h.
sie dürfen nicht mit anderen Sparten zusammen betrieben werden. Bei der Lebens-, Kran
ken-und Kfz-Versicherungl sind die Preise - die bei Versicherung je nach der Rechtsform
Prämien (AG) oder Beiträge (VVaG, öff.-rechtl.) genannt werden - reguliert. Darüber hinaus
gibt es Vorschriften zur Zulassung zum Geschäftsbetrieb und nach Sparten differenzierte
Produktregulierungen (Allgemeine Versicherungsbedingungen) sowie Kapitalanlagevor
schriften. 2 Der staatliche Markteingriff ist also bei den einzelnen Versicherungszweigen sehr
unterschiedlich und kann als ein Kontinuum an Regulierungstiefe aufgefaßt werden, an
dessen einem Ende der liberale Rückversicherungsmarkt liegt und an dessen anderem Ende
die Sozialversicherung angesiedelt ist, die durch Körperschaften des öffentlichen Rechts
"angeboten" wird.
Monopolanbieter Konkurrenzanbieter
~ 77% 23%
Öffentlich Privat Öffentlich Privat
Nachfrage rechtlich rechtlich rechtlich rechtlich
Pflicht- I. z. B. gesetzliche Rentenver- H. z. B. Haftpflichtversicherung für
versicherung sicherung, Unfallversicherung, Autohalter und Jäger, Luftver-
89% Arbeitslosenversicherung kehrsversicherung, Gebäude-
feuerversicherung, Kankenver-
sicherung im Teilbereich
Freiwillige III. z. B. Gebäudefeuerversicherung IV. z. B. Lebensversicherung mit
Versicherung in Bayern, freiwillige Versiche- Ausnahmen, Sachversicherung
11% rung in der GRV mit Ausnahmen
Anmerkungen: Bei der Schätzung der Anteile wurde berücksichtigt, daß die gesetzlichen Krankenversicherer
auch freiwillige Mitglieder haben und daß nicht alle Teile des Sozialbudgets der Abdeckung von Risiken im
engeren Sinne dienen.
Abbildung 1: Struktur von Versicherungsmärkten in der sozialen Marktwirtschaft
1 Vgl. hierzu Flöthmann (1989).
2 Vgl. zu den Instrumenten der Versicherungsmarktregulierung und der (De)Regulierungsdiskussion Famy
(1989).
Wie souverän dmf der Konsument aufVersicherungsmärkten sein? 5
Aus der Sicht des privaten Versicherungsnachfragers stellt sich der Versicherungsmarkt
(unter Einbeziehung der Sozialversicherung) wie folgt dar: In einigen Fällen kann er frei
entscheiden, ob er sich versichern will oder nicht, in anderen unterliegt er einer Pflicht
versicherung. In einigen Fällen kann der Nachfrager zwischen mehreren Anbietern wählen,
in anderen muß er sich bei einem bestimmten Versicherer versichern. Abbildung 1 erfaßt
diesen Sachverhalt in einer vereinfachten Darstellung, wobei die angegebenen Prozentsätze
Schätzungen für den jeweiligen Anteil am gesamten Prämienvolumen darstellen. Sie
machen deutlich, daß nur ein relativ kleiner Teil (unterer rechter Quadrant) einem freien
Markt nahekommt. Aber auch in diesem Teil gelten die Regeln der Versicherungsaufsicht
und des Versicherungsvertragsgesetzes einschließlich der von Verbänden erarbeiteten und
der Aufsicht genehmigten "Allgemeinen Vertragsbedingungen" .
Eine Reihe von Fragen drängen sich angesichts dieser doch sehr weitreichenden staatlichen
Markteingriffe auf:
1. Ist eine so weitgehende Regulierung ökonomisch begründbar?
2. Welchen Einfluß hat die Versicherungsmarktregulierung auf das Konsumentenverhalten,
d. h. die private Risikovorsorge?
3. Welche Änderungen ergeben sich auf Versicherungsmärkten, wenn eine forcierte De-
regulierungspolitik betrieben wird?
Die erste Frage betrifft nicht nur ein theoretisches Problem, sondern eine Antwort auf sie
kann auch Hinweise darauf geben, in welche Richtung die Marktordnung auf Finanz
dienstleistungsmärkten im allgemeinen und auf Versicherungsmärkten im speziellen wei
terentwickelt werden sollte.
Die zweite Frage ist für die Anbieter von Versicherungsleistungen von besonderem Inter
esse, denn sie beschäftigt sich mit dem Verhalten der Nachfrager.
Die dritte Frage erhält einen aktuellen Bezug durch die EG-Deregulierungs- und Harmo
nisierungspolitik. Wenden wir uns zunächst der ersten Frage zu.
2. Ökonomische Gründe für eine Regulierungspolitik
auf Versicherungsmärkten
Seit einigen Jahren wird heftig diskutiert, ob und inwieweit die Regulierung auf Versiche
rungsmärkten zu Wohlfahrtsverlusten, d. h. volkswirtschaftlichen Kosten, führt.3 Obwohl
dieses Thema schon seit einigen Jahren versicherungsökonomisches Forschungsgebiet ist,
hat es durch den EG-Harmonisierungsprozeß an Bedeutung gewonnen. Die Schaffung eines
gemeinsamen Finanzdienstleistungsmarktes bedingt auch eine Entscheidung darüber, auf
welchem Niveau der Regulierung der zu vollendende europäische Versicherungsmarkt
eingependelt werden soll: z. B. eher auf dem restriktiven deutschen Niveau? Deshalb ist
anzunehmen, daß die bisherige Leitlinie der EG-Harmonisierung - nämlich das weitgehende
3Vgl. Finsinger (1983), Eggerstedt (1987b), Famy (1987), Deregulierungskommission (1990).
6 l.-Matthias Gra/v. d. Schulenburg
Beibehalten nationaler Aufsichtsrechte und des Einflusses nationaler Branchenverbände der
Versicherung4 - nur ein Übergangsstadium markiert.
Es wird häufig übersehen, daß die Deregulierung von Märkten, welche durch starke
Staatseingriffe und verbandliche Selbstregulierung gekennzeichnet sind, nicht nur eine
Mode ist, sondern einen langfristigen Prozeß5 darstellt, der den Märkten die notwendige
Funktionstüchtigkeit und Anpassungsfähigkeit an veränderte Produktionsbedingungen und
Nachfragerpräferenzen verleiht.
Die Argumente für einen Abbau der staatlichen Marktregulierungen sind schnell genannt:
Die Staatsaufsicht führt zu überhöhten Preisen, da die Unternehmen in ihrer Dispositions
freiheit - z. B. bei der Kapitalanlage, der Prämienkalkulation und der Unternehmensorga
nisation - eingeschränkt sind. Sie vermindert zudem die Anreize für Prozeß-und Produkt
innovationen (aufgrund Allgemeiner Versicherungsbedingungen) und beschränkt den
Wettbewerb durch Zugangsbarrieren6 (durch Zulassung zum Geschäftsbetrieb und einge
schränkte Niederlassungs-und Dienstleistungsfreiheit für ausländische Unternehmen). Alle
diese Phänomene führen zu volkswirtschaftlichen Verlusten, da der Bürger "zu viel" für die
Risikoabsicherung bezahlen muß und die Anbieter die Leistungen ineffizient erbringen.
Der Argumentation der Deregulierungsvertreter wird in der Regel entgegen gehalten, daß
die von ihnen vorgebrachte empirische Fundierung der Argumente fehlerhaft ist?;
sich das System der deutschen Versicherungsmarktaufsicht bewährt hat, der US
amerikanische und britische Versicherungsmarkt jedoch Insolvenzen zu verzeichnen
hat;
der Wettbewerb auf Versicherungsmärkten eigentlich intensiv genug ist. 8
Alle drei Argumente überzeugen nicht. Selbst wenn die empirischen Studien der Deregu
lierungsadvokaten fehlerhaft sind oder ihnen fehlende Praxiskenntnis vorgeworfen werden
kann, sagt dies nichts über die Richtigkeit ihrer Grundthesen aus. Im übrigen liegt in einer
Marktwirtschaft die Beweislast bei den Regulierungsvertretern, d. h. sie müssen nachwei
sen, daß der Markt versagt und staatliches Handeln geboten ist.
Das zweite Argument gegen Deregulierung gehört in die Rubrik "Das haben wir schon
immer so gemacht". Konkurse gehören jedoch zum Wesen der Marktwirtschaft und - wie
ausländische Erfahrungen zeigen - kann der Gläubigerschutz auch durch andere Instrumente
sichergestellt werden, die eine geringere Regulierungsintensität haben. 9
4 V gl. zur Delegation von EG-Kompetenzen bei der Versicherungsmarktregulierung auf Verbände Zweifel/Eisen
(1991).
5 Als historisches Beispiel kann die (partielle) Deregulierung des mittelalterlichen Handwerkswesens durch
Friedrich 11. genannt werden, die erst das Entstehen von Manufakturbetrieben als Vorläufer moderner
Industrieproduktion ennöglichte. In neuerer Zeit hat vor allem die forcierte DeregulierungspoJitik der
US-Präsidenten Carter und Reagan in den Bereichen Luftfahrt, Transport und Telekommunikation die
Notwendigkeit des Abbaus staatlicher Markteingriffe deutlich gemacht.
6 Vgl. zu der Bedeutung von Zugangsbarrieren Weizsäcker (1980).
7 Vgl. Rauhut (1984, 1985), sowie FWV (1989).
8 Das ist das Hauptargument der FWV-Studie (1989). Vgl. hierzu die kritische Besprechung von Schulenburg
(1990).
9 Z. B. die Schaffung eines Garantiefonds. Vgl. Eggerstedt (1987a) und Trapp (1986).
Wie souverän darf der Konsument aufVersicherungsmärkten sein? 7
Das letzte Argument beruht auf einem Mißverständnis. Regulierung führt keineswegs immer
zu einem Weniger an Wettbewerb. Gerade in regulierten Märkten, in denen häufig ein hoher
Konzentrationsgrad und große Gewinnchancen bestehen, ist der Wettbewerb besonders hart
- speziell dann, wenn der Preiswettbewerb durch Nicht-Preiswettbewerb substituiert wird
bzw. werden muß, weil der erstgenannte durch die Regulierung eingeschränkt ist.
Dennoch sind bestimmte und begrenzte staatliche Marktregulierungen auf Versicherungs
märkten mit Hilfe der ökonomischen Theorie begründbar. Dabei können vier Gruppen von
Argumenten genannt werden:
Probleme aufgrund asymmetrischer Informationsverteilungen;
risikotheoretische Argumente;
produktionstheoretische Argumente und
distributive Argumente.
Das Geschäft der Versicherung beruht auf der Existenz von Informationsdefiziten. 10 Es
fehlen die Informationen über den Zeitpunkt und das Ausmaß zukünftiger Schadenfälle.
Durch aktuarische und statistische Verfahren versucht der Versicherer, den Schadenbedarf
kalkulierbar und das Risiko durch Zusammenfassung von Einzelrisiken handhabbar zu
machen. Hinzu kommen für ihn Informationsprobleme in Form von Moral Hazard und
Adverse Selection, die Folge asymmetrischer Informationsverteilungen sind.
Mit Moral Hazard wird eine im einzelnen schwer zu beobachtende - und daher schwer
kontrollierbare - Verhaltensänderung der Versicherten bezeichnet, die durch den Versi
cherungsschutz induziert wird. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine Kerze in der Scheune
umfällt, ist nach Abschluß des Versicherungsvertrages höher als vorher (auf bayerisch:
"warm abtragen"). Die Versicherungsunternehmen wissen zwar, daß ein Teil der gemel
deten Schadenfälle auf Fahrlässigkeit, unterlassene Schadenverhütungsmaßnahmen und
Vorsatz zurückgehen, aber sie können dies häufig nicht auf den Einzelfall beziehen.
Volkswirtschaftliche Verluste durch zu hohe Schadenaufwendungen und zu geringe
Schadenverhütungs-und -minderungsaktivitäten sind die Folge.
Adverse Selection hat ihre Ursache in dem Umstand, daß die Versicherer nicht durch
genügende Prämiendifferenzierung der Unterschiedlichkeit der Risiken in ihrem Bestand
Rechnung tragen können. Das Marktgeschehen kann aufgrund dessen zu einer Kumulation
"schlechter Risiken" bei einzelnen Versicherern führen, die dann nicht mehr wettbe
werbsfähig sind. Zudem wird bei einer Durchschnittskalkulation der Versicherungsschutz
für die "guten Risiken" relativ teuer und daher als Risikomanagement zu wenig einge
setzt.
Moral Hazard und Adverse Selection führen also zu volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsver
lusten (V -Ineffizienzen) und Wettbewerbsverzerrungen. Durch marktregulierende Eingriffe
- wie z. B. Informationspflicht und Pflichtversicherung sowie Kalkulationsvorschriften -
können diese Verluste gegebenenfalls gemindert werden. 11
10 Vor allem Müller (1981, 1988) hat deutlich gemacht, daß Versicherung das Geschäft mit Informationen ist
und in einer Welt vollkommener Informationen keine Existenzberechtigung hat.
11 Vgl. Strassl (1988).
8 J.-Matthias Grafv. d. Schulenburg
Die Möglichkeit der Haftungsbegrenzung -durch das Unternehmensrecht (GmbH, AG) und
die Garantie des Existenzminimums - führt zu einem risikotheoretischen Argument. Ge
setzliche Haftungsbegrenzungen führen dazu, daß für hohe aber seltene Haftungsschäden
und Verluste zu wenig Versicherungsschutz freiwillig nachgefragt wird. 12 Man verhält sich
somit risikofreudiger als man es bei unbegrenzter Haftung täte.
Als aktuelles Beispiel kann hier die Diskussion um die Pflegeversicherung angeführt
werden. Derzeit wird ein großer Teil der Pflegeleistungen durch die Sozialhilfe finanziert,
da das Einkommen vieler pflegebedürftiger alter Menschen unter das Sozialhilfeniveau fällt.
Die Existenz der Sozialhilfe ihrerseits mindert aber den Ameiz für jüngere Menschen,
freiwillig eine Pflegeversicherung abzuschließen. Der Staat reagiert darauf, indem er die
Einführung einer Pflichtpflegeversicherung erwägt - sicherlich eine der stärksten Markt
regulierungen, die weitere regulierende Maßnahmen nach sich zieht (Regulierung der
Versicherungsbedingungen und Preise).
Ein weiteres risikotheoretisches Argument für staatliche Markteingriffe ist die festzustel
lende Minderschätzung zukünftiger Bedürfnisse gegenüber gegenwärtigen Bedürfnissen.
Dies kann zu einer zu geringen individuellen Zukunftsvorsorge - speziell gegen das Al
ters- und Krankheitsrisiko - führen. Da diese Risiken bei ungenügender individueller
Vorsorge von der Gesellschaft getragen werden müssen, bewirkt eine zu geringe Zu
kunftsvorsorge negative externe Effekte für die Allgemeinheit (social cost). Externe Effekte
stellen generell eine Schwachstelle marktmäßiger Koordination dar. 13
Als produktionstheoretisches Argument für Marktversagen werden die Größenvorteile
(economies of scale, economies of scope) angeführt, die im Rahmen des Versicherungs
geschäftes auftreten können. Derartige Skaleneffekte sind sowohl bei der Informations
verarbeitung als auch bei der Konsolidierung von Risiken festzustellen. 14 Märkte, deren
Produktion durch Größenvorteile gekennzeichnet ist, weisen Konzentrationstendenzen auf,
die zu einer Minderung der Wettbewerbsintensität und zu übergroßer Marktrnacht einzelner
Anbieter führen. Regulierende Markteingriffe können deshalb in diesen Fällen durch eine
aktive Wettbewerbspolitik begründet sein. 15
Allerdings ist nicht nur der bisherige empirische Nachweis schwach, daß bei der Versi
cherungsproduktion erhebliche Größen vorteile existieren - so können z. B. die Organisa
tionkosten mit der Unternehmensgröße steigen - sondern auch die oben kurz dargestellte
theoretische Begründung ist in der modemen Wirtschaftstheorie umstritten. 16
Als letzte Gruppe von Gründen für staatliche Marktregulierungen werden verteilungspoli
tische Argumente genannt. Sie basieren auf - nicht unumstrittene - Gerechtigkeitsvorstel-
12 Vgl. Sinn (1980).
13 V gl. die grundlegenden Arbeiten von Coase (1960) und Posner (1974), welche eine breite wissenschaftliche
Diskussion ausgelöst haben, siehe beispielsweise die Beiträge in Schulenburg/Skogh (1986).
14 Siehe zum Phänomen auf Versicherungsmärkten Kotsch (1991).
15 Vgl. zur wirtschaftstheoretischen Begründung Finsinger (1991), S. 79 ff. und Blankart (1991), S. 51 ff.
16 Es handelt sich hierbei speziell um die Theorie des natürlichen Monopols, welches bei Größenvorteilen, d. h.
sinkenden Durchschnittskosten, entsteht. Die Anfang der 80er Jahre entwickelte Theorie der bestreitbaren
Märkte (contestable markets) widerspricht der Theorie des natürlichen Monopols. V gl. BaumoljPanzarjWillig
(1982).