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Titel der Dissertation
č
„Vja eslav Ivanovs Werk im deutschsprachigen Raum:
Autoversion und Fremdübersetzung“
verfasst von
MMag. Alexandra Moik
angestrebter akademischer Grad
Doktorin der Philosophie (Dr. phil.)
Wen, 2015
Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 792 243
Disertationsgebiet lt. Studienblatt: Slawistik
Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Fedor Poljakov
Prof. Andrei Chichkine
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ............................................................................................................................................ 4
Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................................................... 5
1. Einführung .................................................................................................................................... 6
1.1 Forschungsstand ......................................................................................................................... 7
1.2 Zielsetzung ................................................................................................................................. 9
1.3 Zugang zum Thema .................................................................................................................. 10
2. Vjačeslav Ivanovič Ivanov – Kurzbiographie .......................................................................... 13
2.1 Ausbildung und Frühwerk (1866-1905) ................................................................................... 13
2.2 Leitfigur der Symbolisten im vorrevolutionären Russland (1905-1917) .................................. 16
2.3 Von Moskau nach Baku (1917-1924) ...................................................................................... 18
2.4 Exil in Italien (1924-1949) ....................................................................................................... 20
3. Die Autoversion des Lettera ad Alessandro Pellegrini sopra la „Docta pietas“ ...................... 27
3.1 Enstehung des Lettera ad Pellegrini sopra la „Docta pietas“ und seiner Übersetzung .......... 29
3.2 Inhaltliche Eckpunkte des Lettera a Pellegrini ........................................................................ 32
3.3 Übersetzungsanalyse deutsches Translat versus italienisches Original .................................... 33
3.4 Ivanovs Umgang mit Zitaten als spezifisches Übersetzungsproblem ...................................... 46
4. Tы Еси (Du bist) in der Übertragung von Evsej Šor und die Eigenübersetzung Anima ...... 50
4.1 Evsej Šor als Übersetzer von Ivanov ........................................................................................ 50
4.2 Zur Entstehung von Anima ....................................................................................................... 53
4.3 Inhaltliche Eckpunkte von Anima ............................................................................................. 59
4.4 Übersetzungsanalyse von Šors Du bist versus Ivanovs Anima................................................. 60
4.5 Šors Übersetzungsverfahren bei Berdjaev und Ivanov ............................................................. 71
5. Der Sonettenkranz Любовь и смерть (Liebe und Tod) in Fremdübersetzungen ................. 75
5.1 Zu Entstehung und Übersetzbarkeit von Liebe und Tod .......................................................... 75
5.2 Wolfgang E. Groegers Übersetzung ......................................................................................... 77
5.3 Gustav von Festenbergs Übersetzung ....................................................................................... 84
5.4 Johannes von Guenther als Übersetzer des Sonettenkranzes.................................................... 93
2
6. Die Verse im Briefwechsel zwischen zwei Zimmerwinkeln in Autoversion ............................. 99
6.1 Zu Entstehung und Übersetzbarkeit der Verse im Briefwechsel .............................................. 99
6.2 Übersetzungsgeschichte der Verse im Briefwechsel .............................................................. 100
6.3 Ivanovs Übersetzungsverfahren bei den Versen im Briefwechsel .......................................... 112
7. Тантал (Tantalos) in der Übertragung Henry von Heiselers ............................................... 129
7.1 Zu Entstehung und Übersetzbarkeit des Tantalos .................................................................. 129
7.2 Henry von Heiseler als Tantalos-Übersetzer .......................................................................... 131
7.3 Übersetzungsgeschichte des deutschen Tantalos ................................................................... 133
7.4 Henry von Heiselers Übersetzungsprinzipien ........................................................................ 139
7.5 Heiselers Übersetzungsverfahren im Tantalos ....................................................................... 142
8. Conclusio ................................................................................................................................... 146
Anhang ............................................................................................................................................... 149
I. Zwei unveröffentlichte Briefe von Johannes von Guenther an Vjačeslav Ivanov .................. 149
II. Bildmaterial ............................................................................................................................ 156
III. Chronologische Liste der Werke Vjačeslav Ivanovs in deutscher Übersetzung .................... 168
IV. Abstract................................................................................................................................... 182
V. Заключение на русском языке ............................................................................................. 184
Quellen- und Literaturverzeichnis ................................................................................................... 190
Lebenslauf der Verfasserin ............................................................................................................... 208
3
Danksagung
Die Erstellung dieser Arbeit bedurfte der Hilfe zahlreicher Personen.
Prof. Dr. Fedor Poljakov gebührt mein aufrichtiger Dank für die stete Förderung während
des gesamten Studiums. Durch ihn wurde meine Begeisterung für die russische Literatur vor
vielen Jahren geweckt. Seine Unterstützung meines Dissertationsvorhabens und sein
wertvoller fachlicher Rat trugen maßgeblich zum Gelingen der Arbeit bei.
Für den Zugang zu unveröffentlichten Materialien im Römischen Ivanov-Archiv und die
persönliche Betreuung bei meiner Recherche vor Ort danke ich Prof. Andrei Chichkine
(Università degli Studi di Salerno).
Dr. Christoph Mattle gilt mein Dank für die Hilfe bei der Sichtung relevanter Bestände im
Nachlass Gustav Festenberg und die freundliche Genehmigung der Publikation von
Bildmaterial aus dem Nachlass.
Für ihre Unterstützung bei der Recherche von Quellen sei außerdem Nicolas Ducimetière
(Fondation Martin Bodmer), Miriam Haefele (Deutsches Literaturarchiv Marbach) und
Andrea Hipfinger (Österreichisches Literaturarchiv) gedankt.
Prof. Pamela Davidson (University College London) und Prof. Michael Wachtel (Princeton
University) danke ich für interessante Anregungen und Gespräche, die mir neue Blickwinkel
auf das Thema eröffnet haben.
Eine herausragende Stellung nimmt meine Familie ein, die mich mit jeder möglichen
Unterstützung bedacht hat. Ihr gilt mein inniger Dank.
4
Abkürzungsverzeichnis
Brief an Du Bos Wjatscheslaw Iwanow an Charles du Bos. Nachwort zum
„Briefwechsel zwischen zwei Zimmerwinkeln“. In: Corona V, 6
(1935), 706–716.
Brief an Pellegrini Wjatscheslaw Iwanow an Alessandro Pellegrini. In: Corona VII, 1
(1937), 94–108.
Briefwechsel Geršenzon Michail / Ivanov Vjačeslav: Briefwechsel zwischen zwei
Zimmerwinkeln. In: Die Kreatur I, 2 (1926), 159-199.
Lettera a Pellegrini Lettera ad Alessandro Pellegrini sopra la „Docta pietas“. In: Il
Convegno XIV, 8-12 (1933), 316–327.
ÖLA Österreichisches Literaturarchiv
RAI Römisches Archiv Vjačeslav Ivanovs (Римский Архив Вячеслава
Иванова)
5
1. Einführung
Перевод вообще бесконечно труднее
оригинального творчества вообще,
– а перевод на немецкий…1
In den ersten drei Dezennen des 20. Jahrhunderts fand ein besonders intensiver russisch-
deutscher kultureller Dialog statt, bedingt durch Ereignisse wie der Erste Weltkrieg, die
Oktoberrevolution und die nachfolgende Emigration russischer Intellektueller, die das
deutsche Interesse an Russland steigen ließen. Sprachbegabte „Brückenbauer“ legten die
Grundlage für diesen reichen kulturellen Austausch.
Als eine solche Persönlichkeit ist der Dichter und Kulturphilosoph Vjačeslav Ivanovič
Ivanov (1866-1949) anzusehen. Er gilt als eine der zentralen Figuren des Symbolismus in der
russischen Moderne, dem sogenannten „Silbernen Zeitalter“. Ausgebildet als klassischer
Philologe, trug er zu den geistigen Strömungen seiner Zeit auf vielfältige Weise bei. Er
schrieb über Themen, die von gesamteuropäischer Relevanz waren.
Ab 1924, als Ivanov aus der Sowjetunion ins Exil nach Italien zog, richtete er sich
unmittelbar an die westeuropäische Leserschaft. Im Gegensatz zum Großteil seiner
emigrierten Landsleute sah er sich nicht als Teil der Exilkultur an und mied die russischen
Emigrantenkreise. Daraus ergab sich für ihn ein neues, kleines aber erlesenes Publikum
europäischer Intellektueller, die ihrerseits wiederum großen Einfluss auf die geistigen
Strömungen der Zeit hatten. Unter ihnen waren literarische und philosophische Größen wie
Benedetto Croce, Ernst Robert Curtius, Charles du Bos und Thomas Mann.
Ivanov schrieb im Exil Essays auf Deutsch, Französisch und Italienisch und widmete sich
eingehend der Übersetzung seiner eigenen früheren Werke. Seine philologische Begabung,
das Studium in Deutschland und lange Aufenthalte in Frankreich und Italien ermöglichten es
ihm, in verschiedenen europäischen Sprachen zu arbeiten. Auch in dieser Hinsicht nahm er
eine Sonderstellung in der russischen Exilkultur ein. Er konnte sowohl Selbstübersetzungen
(Autoversionen) seines Werks anfertigen, als auch Übersetzungen anderer (im Folgenden als
Fremdübersetzungen bezeichnet) begutachten und revidieren. Sein Eingreifen verzögerte
1 Brief von Ivanov an Ėmilij Metner vom 4. März 1932, in В.И. Иванов и Э.К. Метнер. Переписка из двух
миров. Публикация В. Сапова. In: Вопросы литературы 3 (1994), 281–317, hier: 310–311 („Eine
Übersetzung ist überhaupt unendlich schwieriger als ein Originalwerk – und [erst] eine Übersetzung ins
Deutsche…“).
6
jedoch die Veröffentlichung und eine erhebliche Anzahl fast fertig redigierter Essays wurde
während seiner Lebenszeit nicht mehr publiziert. Andererseits liegt dadurch in seinem Falle
eine Reihe von Übersetzungen vor, die seinem Willen völlig entsprechen.
Innerhalb der Übersetzungen fällt den deutschen Publikationen eine besondere Bedeutung
zu, denn bereits zu Ivanovs Lebzeiten war sein Werk umfassend ins Deutsche übersetzt
worden, teilweise auch mehrfach, wie zum Beispiel der Briefwechsel zwischen zwei
Zimmerwinkeln.2 Damit war die Verbreitung von Ivanovs Werk auf Deutsch zu seinen
Lebzeiten weiter vorangeschritten als in anderen Sprachen wie dem Englischen oder
Italienischen, in die später ebenso große Teile seines Schaffens übertragen wurden.
Die Untersuchung von Ivanovs übersetztem Werk, insbesondere ins Deutsche, ist ein
Schlüssel zur Interpretation der russischen Originale und zum Verständnis, wie er den
westeuropäischen Kreisen die russische Kultur näher bringen wollte. Hier setzt das
vorliegende Forschungsprojekt an, das sich mit Ivanovs Rolle als Vermittler zwischen den
Kulturen und der Aufnahme seiner Werke in den westeuropäischen literarischen Kreisen
auseinandersetzt.
1.1 Forschungsstand
Ivanovs Tätigkeit als Übersetzer großer europäischer Denker fand weite Beachtung in der
Forschung, wie Pamela Davidsons 1996 zusammengestelltes Verzeichnis der Arbeiten über
Ivanov zeigt.3 Welchen Einfluss er umgekehrt durch von ihm angefertigte Übersetzungen
seiner eigenen Werke auf die westeuropäischen kulturellen Kreise nahm, stellt ein bislang
wenig untersuchtes Forschungsgebiet dar. Davidsons Verzeichnis erlaubt Rückschlüsse auf
eine sichtliche Vielfalt in der Rezeption Ivanovs in Westeuropa. Die zwischen 1903 und 1993
publizierten 1300 Arbeiten über Ivanov, die Davidson auflistet und nach Erscheinungsjahr
und Sprache sortiert, enthalten einen Anteil deutscher Publikationen von 4% (52 Einträge),
wovon die Hälfte zu Ivanovs Lebzeiten erschien.
2 Die Erstübersetzung stammt von Nikolaj Bubnov aus dem Jahr 1926: Michail Geršenzon / Vjačeslav Ivanov:
Briefwechsel zwischen zwei Zimmerwinkeln. In: Die Kreatur I, 2 (1926), 159–199. Sie gilt als der Beginn einer
europaweiten Ivanov-Rezeption, vgl. Сергей Аверинцев: Вячеслав Иванович Иванов. In: Символ 53–54
(2008), 3–20, hier: 19.
3 Pamela Davidson: Viacheslav Ivanov. A reference guide. New York: Hall 1996 (=A reference guide to
literature 3).
7
Einen Überblick über den beträchtlichen Umfang von Ivanovs deutschem Werk gibt
Pamela Davidsons 2012 erschienene Ivanov-Bibliographie. 4 Diese stellt erstmals eine
komplette Aufnahme seines Werks dar, das zu seiner Lebenszeit erschien, und umfasst
sowohl seine Übersetzungen fremder Schriftsteller als auch Autoversionen und fremde
Übersetzungen seines eigenen Werks. Davidson weist auf die Bedeutung hin, die
Übersetzungen in Ivanovs Leben spielten. Wie sich speziell seine Beziehung zur deutschen
Kultur in seinen Übersetzungen widerspiegelt, greift sie im einführenden Artikel zur
Bibliographie jedoch nicht auf.
Einen wichtigen Beitrag zur Beleuchtung von Ivanovs Verhältnis zur deutschen Kultur
liefern die Studien von Michael Wachtel, darunter die Publikation von Dichtung und
Korrespondenz aus Ivanovs deutschsprachigem Nachlass.5 Aus dem darin veröffentlichten
deutschsprachigen Briefverkehr Ivanovs mit dem Gelehrten Ernst Robert Curtius, den
Herausgebern Martin Buber und Herbert Steiner, dem Schriftsteller Bernt von Heiseler und
dem Philosophen Hans Vaihinger werden wesentliche Beziehungen, die er zur deutschen
Kulturwelt pflegte, ersichtlich. Wachtels Monographie beinhaltet neben deutschsprachiger
Korrespondenz Ivanovs fragmentarische deutsche Eigenübersetzungen der beiden großen
Dichtungen Повесть о Светомире Царевиче („Swätomirs Heiligenleben“) und Человек
(„Der Mensch“). Aufschlussreich ist vor allem die vergleichende Lektüre der von Wachtel
veröffentlichten Eigenübersetzung von Der Mensch mit einer früheren, von Roman
Dubrovkin publizierten und kommentierten Version des ersten Teils der Dichtung,6 durch die
spätere Verbesserungen des Dichters sichtbar werden. Dubrovkin vergleicht die deutsche
Autoversion des russischen Originals mit der italienischen Eigenübersetzung Ivanovs. Aus
seiner Analyse geht hervor, dass die italienische Übersetzung, von wenigen semantischen
Veränderungen abgesehen, eine getreue Wiedergabe des Originals darstellt, wohingegen die
deutsche Version signifikante Abweichungen aufweist. Daraus schließt er, dass das deutsche
4 Памела Дэвидсон: Библиография прижизненных публикаций произведений Вячеслава Иванова. 1898–
1949. Под редакции К. Ю. Лаппо-Данилевского. СПб: Каламос 2012. Die Bibliographie enthält 627
Einträge.
5 Vjačeslav Ivanov: Dichtung und Briefwechsel aus dem deutschsprachigen Nachlass. Hrsg. von Michael
Wachtel. Mainz: Liber 1995 (=Deutsch-russische Literaturbeziehungen 6). Siehe ferner: Michael Wachtel:
Russian symbolism and literary tradition. Goethe, Novalis and the poetics of Vyacheslav Ivanov. Madison:
University of Wisconsin Press 1994.
6 Роман Дубровкин: Немецкая версия мелопеи «Человек». Попытка интерпретации. In: Cahiers du monde
russe XXXV, 1-2 (1994), 301–330.
8
Translat, im Gegensatz zum italienischen, den Anspruch erhebt, ein neues, eigenständiges
Werk zu sein.
Wachtel hält in einem Artikel über den Redaktionsprozess bei Ivanov fest, dass das
Übersetzen in der russischen Emigrationsforschung ein allzu wenig behandeltes Thema sei.
Abgesehen von einer breiten Nabokov-Forschung, werde gerade die Autoversion wenig
beachtet.7 Interessante Hinweise zum Verständnis von Autoversionen russischer Literaten
liefert Elizabeth Beaujours Studie Alien Tongues, in der es speziell um bilinguale russische
Autoren der Emigration geht.8 Beaujour verdeutlicht in ihrer linguistischen Analyse, dass
bilinguale Emigranten mehr mit anderen bilingualen Autoren gemein haben, als mit ihren
emigrierten Landsleuten.
Weitere Einblicke in Ivanovs Einstellungen zum Übersetzen eröffnet die von Nina und
Dmitrij Segal herausgegebene Korrespondenz mit den Übersetzern Evsej Šor9 und Fëdor
Stepun10.
Trotz Hinweisen der Ivanov-Forschung auf die Bedeutung seines übersetzten Werkes für
das Verständnis seiner Schriften, stellt eine eingehende Betrachtung seiner Autoversionen und
Fremdübersetzungen ins Deutsche bislang ein Forschungsdesiderat dar.
1.2 Zielsetzung
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, Ivanovs Rolle als Vermittler im russisch-deutschen
kulturellen Dialog während seiner Zeit im Exil (1924-1949) zu beleuchten. Dies soll durch
eine Untersuchung der deutschen Übersetzungen seiner Werke aus dem Silbernen Zeitalter,
die ursprünglich nicht explizit für ein westeuropäisches Publikum geschrieben worden waren,
erfolgen.
7 Michael Wachtel: Die Kunst des Redigierens. Das Übersetzungsverfahren bei Vjačeslav Ivanov. In: Miloš
Okuka, Ulrich Schweier (Hg.), Germano-slavistische Beiträge. Festschrift für Peter Rehder zum 65. Geburtstag.
München 2004 (=Die Welt der Slaven: Sammelbände 21), 539–547, hier: 539.
8 Elizabeth Beaujour: Alien Tongues. Bilingual Russian Writers of the „First“ Emigration. Ithaca: Cornell
University Press 1989.
9 Переписка Иванова с Е. Д. Шором. Подготовка текста и комментарии Д. Сегал, Н. Сегал (Рудник). In:
Символ 53–54 (2008), 338–403.
10 Димитрий Сегал / Нина Сегал: Начало эмиграции. Переписка Е. Д. Шора с Ф. А. Степуном и
Вячеславом Ивановым. In: Sergej Averincev, Rosmarie Ziegler (Hg.), Vjačeslav Ivanov und seine Zeit.
Frankfurt am Main, u.a. 2002, 457–546.
9
Es gilt erstens die Frage zu beantworten, wie sich Ivanovs Verhältnis zur deutschen Kultur
in seinen Übersetzungen äußert. Um diese Erkenntnisse aus seinen übersetzten Schriften
gewinnen zu können, ist es notwendig, Autoversionen und Fremdübersetzungen in gleicher
Weise zu betrachten. Als wesentliches Spezifikum der Autoversion wird von den
europäischen Translationskulturen angesehen, dass dem als Übersetzer fungierenden Autor
alle Freiheiten eingeräumt werden, die dem Fremdübersetzer aufgrund der Verpflichtung zur
Originaltreue verwehrt bleiben. Der Autor ist damit die oberste Schiedsinstanz, die über die
Zulässigkeit von Übersetzungsverfahren urteilt.11 In Ivanovs Korrespondenz wird dieser
Anspruch deutlich, ausschließlich selbst gute oder weniger gelungene Übersetzungen
beurteilen zu können. Autoversionen und Fremdübersetzungen sollen unter Berücksichtigung
des Aspekts verglichen werden, dass die Autorität des Autors, die von den rezipierenden
Kreisen zugeschrieben wird, ihm selbst ungleich mehr Freiheiten einräumt als dem fremden
Übersetzer.
Zweitens soll auf die Frage eingegangen werden, wie die übersetzten Werke Ivanovs im
deutschsprachigen Raum aufgenommen wurden. Dabei soll untersucht werden, welche
Intensität Ivanovs Austausch mit den Übersetzern seiner Werke einnahm und welche
Bedeutung diesen bei der Verbreitung seines Werks zukommt.
1.3 Zugang zum Thema
Um ein Verständnis von Ivanovs Beziehung zur deutschen Kultur aus seinen ins Deutsche
übersetzten Schriften gewinnen zu können, ist es notwendig, Ivanovs Motivation für die Wahl
von Autoversionen gegenüber Fremdübersetzungen zu untersuchen. Aus welchem Grund ein
Autor eine Autoversion anfertigt ist grundsätzlich abhängig von der Funktion, die eine
Selbstübersetzung erfüllen sollte. Die Translationswissenschaft unterscheidet hier drei
Funktionen, die, wie in der Arbeit gezeigt werden soll, bei Ivanov in unterschiedlichem Maß
11 Erich Prunč: „Quod licet Iovi …“. In: TexTconText 15 = NF 5, 2 (2001), 165–179, hier: 165. Prunč räumt ein,
dass sich die „Selbstzensorenfunktion“ der Autoren nicht unter allen Umständen positiv auf die Qualität
auswirke. Außerdem sei die „Wahrheit“ eines Textes nicht a priori gegeben, sondern werde erst im jeweiligen
Kontext zugeschrieben. Damit bringe auch der Übersetzer durch seine Aufnahme und Wiedergabe des Originals
einen Aspekt der Wahrheit ein. Eine Autoversion könne nicht unter allen Umständen höherwertig als eine
Fremdübersetzung angesehen werden.
10
Description:Ivanovs Tätigkeit als Übersetzer großer europäischer Denker fand weite и перевода приводила к тому, что мысли Иванова развивались