Table Of ContentJan Kalbitzer
Digitale
Paranoia
Online bleiben, ohne den
Verstand zu verlieren
Mit 12 Illustrationen
von Katharina Grossmann-Hensel
C.H.Beck
1. Auflage. 2016
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2016
Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie, Christian Otto,
unter Verwendung von Motiven von shutterstock
ISBN Buch 978 3 406 69791 3
ISBN eBook 978 3 406 69792 0
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Für Luise
die liebevoll erträgt, dass ich fast alles an mir selbst
ausprobieren muss, bevor ich es verstehe
di|gi|ta|le Pa|ra|noia, die
digital
Psychologie / Medizin, populärwissenschaftlich
im Zusammenhang mit dem Internet ste-
hend, von englisch digit = Ziffer, Stelle (in
der Anzeige eines elektronischen Geräts), ur-
sprünglich von lateinisch digitus = Finger,
Zehe (zur Bedeutung «Ziffer» wahrscheinlich
über das Zählen mit den Fingern).
Paranoia
umgangssprachlich irrationale Angst oder
Über zeugung, von griechisch pará = neben
und noũs = Verstand.
Ein übermäßiges Misstrauen
gegenüber dem Internet
Inhalt
1. Wie das Internet mein Leben verändert hat . . . . . . . 9
2. Das langsame Erwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3. Online – wo ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Experiment 1: Was ist anders an der Zeit im
Internet? 63
Experiment 2: Wiedereinführung räumlicher
Grenzen 75
Experiment 3: «Kulturbotschafter» im Internet 83
Experiment 4: Ihr digitales Alter Ego 91
4. Klug handeln in einer unbekannten Welt . . . . . . . . . 95
Experiment 5: Folgen Sie Ihren Kindern 105
Experiment 6: Finden Sie Flow im Internet 117
Experiment 7: Das Kathrin- Passig- Experiment 125
5. Digitale Paranoia – und wie man mit ihr umgeht . . 129
Experiment 8: Therapie der digitalen Paranoia 137
Experiment 9: Tun Sie etwas … 153
6. Lassen Sie sich nicht verrückt machen . . . . . . . . . . . 157
Experiment 10: Machen Sie jemanden einen Tag
lang glücklich und beobachten Sie
sein Internetverhalten 171
Experiment 11: Verortung in sozialen Beziehungen 183
Experiment 12: Werden Sie Teil einer Gruppe, die
das Internet der Zukunft gestaltet
(oder gründen Sie eine) 193
7. Was wird aus uns werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Anhang
Zitierte Texte, Videos und wissenschaftliche
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
1. Wie das Internet mein Leben
verändert hat
Das Internet ist allgegenwärtig. Mit dem Internet infor-
mieren wir uns, wir kommunizieren über das Internet,
und wir synchronisieren unser Leben miteinander. Es gibt
kaum noch Menschen, die das nicht tun, für die meisten
ist es völlig selbstverständlich. So selbstverständlich, als
sei das Internet immer schon da gewesen. Und trotzdem
bleibt es uns irgendwie fremd. Diese Technik hat ihren
Weg so rasant in unseren Alltag gefunden, dass unser Ver-
hältnis zu ihr bislang ungeklärt geblieben ist. Und unge-
klärte Verhältnisse führen zu Problemen; fragen Sie Ihren
Psychiater oder Psychotherapeuten.
Mit Mitte dreißig fühle ich mich gerade noch eher jung.
Nur wenn ich über das Internet nachdenke, habe ich das
Gefühl, schon sehr alt zu sein. In meiner Kindheit gab es
(für die Allgemeinheit) kein Internet. Meine erste E-Mail-
Adresse legte ich mir Ende der 1990 er Jahre zu. Um die
Jahrtausendwende hatte ich den ersten Computer mit eige-
nem Internetzugang in meinem Zimmer. Das war vor fünf-
zehn Jahren. Innerhalb dieser Zeitspanne hat das Internet
mein Leben grundlegend verändert. Und nicht nur meins.
Ich kenne niemanden, den es nicht verändert hat.
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Zunächst war die westliche Gesellschaft – was das In-
ternet anbelangt – noch in zwei große Gruppen unter-
teilt: die Enthusiasten und diejenigen, denen es egal oder
suspekt war. Aber selbst wenn Sie zu der zweiten Gruppe
gehören, besitzen Sie mittlerweile mit ziemlicher Sicher-
heit ein Smartphone oder werden sich bald eins anschaf-
fen. Und wenn Sie eins haben, dann empfangen Sie darauf
wahrscheinlich auch regelmäßig arbeitsrelevante E-Mails,
wie wir alle mittlerweile. Wir spüren, dass uns diese Ent-
wicklung verändert hat. Und nicht wenige beobachten
diese Entwicklung mit Sorge.
Es soll nicht verleugnet werden, dass ein Teil unserer
Sorgen, wie wir seit einigen Jahren wissen, berechtigt
sind. Für viele Firmen etwa, deren Angebote wir im Inter-
net nutzen, zählt die Maximierung ihres Wissens über un-
ser (Kauf-)Verhalten alles und unsere Privatsphäre wenig
bis gar nichts. Es gibt immer noch wenige Gesetze, die uns
schützen, und selbst diese werden oft nicht eingehalten.
Die Geheimdienste einiger Staaten scheinen zudem durch
das Internet nahezu unbegrenzten Zugang auf alle Daten
zu haben, die sich in irgendeiner Form über uns sammeln
lassen, und sie versuchen, daraus ein Risikoprofil zu er-
stellen, um potentielle «Feinde» schneller erkennen und
besser überwachen zu können. Wir wissen mittlerweile
auch, dass selbst in den freien westlichen Gesellschaften
jeder in ihr Visier geraten kann, auch Sie und ich. Und sei
es, weil der Nachbar auf unserer letzten Party ein Foto von
unserem Wohnzimmer gemacht und auf Facebook gepos-
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tet hat – i nklusive der Fotowand, auf der wir auf einem
Bild als Jugendliche mit Palästinensertuch zu sehen sind.
Aber auch jenseits dieser offenkundigen Bedrohungen
behagt vielen die aktuelle Entwicklung nicht. Es ist nicht
nur die Tatsache, dass wir ständig erreichbar sind – wir
erleben auch einen generellen Verlust von zeitlichen und
räumlichen Strukturen. Früher war unser Tag unterteilt
durch feste Termine, durch eine räumliche Trennung zwi-
schen Arbeitsplatz und Zuhause, durch ein klar struk-
turiertes Fernsehprogramm und Mitteilungen, die zu
bestimmten Zeiten mit der Post kamen oder auf dem
Anrufbeantworter auf unsere Rückkehr nach Hause war-
teten. Mittlerweile erfahren wir alles an jedem Ort und
können arbeiten oder auf Informationen zugreifen, wann
immer wir wollen. Wobei «wollen» nicht der richtige Aus-
druck ist. Wissen wir eigentlich, was genau wir tun wol-
len? Oder tun wir vieles einfach, ohne genauer zu wissen,
warum wir uns so verhalten? Es fällt den meisten von uns
offenkundig schwer, die früher (also in der analogen Welt)
von außen auferlegten Strukturen nun (im digitalen Zeit-
alter) durch eigene, innere Strukturen zu ersetzen. Vielen
Menschen, die mit mir sprechen, gelingt dies zunächst
nicht. Sie beschreiben das Gefühl, vom Internet «einge-
saugt» zu werden bzw. darin zu «versacken».
Wie verändert uns diese Entwicklung? Werden wir uns
an sie gewöhnen und einen selbstverständlichen Umgang
mit ihr pflegen? Oder bringt das Internet die Grundele-
mente unseres Daseins so sehr ins Wanken, dass wir er-
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