Table Of ContentRheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften
Natur-, Ingenieur-und Wirtschaftswissenschaften Vorträge · N 383
Herausgegeben von der
Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften
LOTHAR JAENICKE
Differenzierung und Musterbildung
bei einfachen Organismen
GERHARD W. ROEB, FRITZ FÜHR
Kurzlebige Isotope in der Pflanzenphysiologie
am Beispiel des 11C-Radiokohlenstoffs
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
362. Sitzungarn 8. November 1989 in Düsseldorf
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Joenicke, Lothar:
Differenzierung und Musterbildung bei einfachen Organismen/
:L:o:t:h!a"r= Ja.ednieckse . Kurzlebt Isotope in der Pflanzenphysiologie
11CRadio ohlenstoffs I Gerhard W. Roeb;
(Vorträge I Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften:
Natur·, Ingenieur· und Wirtschaftswissenschaften; N 383)
ISBN 978-3-663-20072-7
dNeEs : Roeb, Gerhard W.: Kurzlebige Isotope in der Pflanzenphysiologie am Beispiel
11CRadiokodhelse nstoffs; Führ, Fritz: KUrzlebige Isotope in der Pflaßzenphysiolo
gie am Beispiel 11CRadiokohlenstoffs;
Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften {Düsseldorf):
Vorträge I Natur-, Ingenieur-und Wirtschaftswissenschaften
Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International.
© 1990 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Ve rlag GmbH Opladen 1990
Herstellung: Westdeutscher Verlag
ISSN 0066-5754
ISBN 978-3-663-20072-7 ISBN 978-3-663-20431-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-20431-2
Inhalt
Lotbar Jaenicke, Köln
Differenzierung und Musterbildung bei einfachen Organismen
Embryonalentwicklung ist ein Gen-programmiertes Netzwerk . . . . . . . . . 7
Das Grundmuster ist die Blaupause des Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Determinierung, Festlegung, Differenzierung -
drei Grundbegriffe der Entwicklungsbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Experimentelle Analyse der zellulären Entwicklungsstufen . . . . . . . . . . . . . 10
Spezifizierung, Determinierung, Potenz-drei Typen der Festlegung . . . . . 14
Mosaik und Regulation entscheiden das Zell-Schicksal . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Sporen-und Gametenbildung-einfachste Differenzierungsvorgänge . . . . . 16
Spezialisierende amöboide Zellen bilden den Schleimpilz aus . . . . . . . . . . . 20
Musterbildung durch Brechen der Symmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Steuerung der Morphogenese bei Acetabularia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Polarität wird durch Stoffgradienten fixiert - das Fucus-Ei . . . . . . . . . . . . . . 25
Regeneration durch Morphogene bei Hydra und Griffithsia . . . . . . . . . . . . . 26
Musterbildung und ihre Kontrolle - das Volvox·System . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Entwicklungsmechanik vielzelliger Lebewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Von der Totipotenz zum Spezialistentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Ontogenese und Organogenese nach der Blaupause des Körper-Grundplans 39
Das Entwicklungsprogramm der Insekten ist nicht kontinuierlich . . . . . . . 40
Embryogenese und Gewebsregeneration ähneln einander . . . . . . . . . . . . . . 43
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Diskussionsbeiträge
Professor Dr. rer. nat. Dietrich Neumann; Professor Dr. phil. Lotbar
jaenicke; Professor Dr. rer. nat. Klaus Heckmann; Professor jozefS. Schel~
Ph.D.; Professor Dr.-Ing.PaulArthur Mäcke; Professor Dr.med., Dr.rer.
nat. Wilhelm Stoffel; Professor Dr. rer. nat. Ulrich Thurm; Professor Dr.
phil. nat., Dr. h. c. Reinhard Selten; Professor Dr. rer. nat. Elmar W. Weiler 47
6 Inhalt
Gerhard W. Roeb, Fritz Führ, Jülich,
vorgetragen von Fritz Führ
Kurzlebige Isotope in der Pflanzenphysiologie
am Beispiel des 11C-Radiokohlenstoffs
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Das kurzlebige 11C-Radioisotop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
Produktion des 11C02 • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 66
Die 11C02-Applikationsapparatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
14COrApplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Meßdatenedassung und -Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Ergebnisbeispiele und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
Diskussionsbeiträge
Professor Dr. phil. Lotbar ]aenicke; Professor Dr. agr. Fritz Führ; Professor
Dr. agr. Klaus-Ulrich Heyland; Professor Dr. med., Dr. rer. nat. Wilhelm
Stoffel; Professor Dr. agr. habil. Walter Kühbauch; Professor Dr.-Ing. Paul
Artbur Mäcke; Professor Dr. phil. nat. habil. Hermann Flohn; Professor
]ozefS. Schell, Ph. D.; Professor Dr. rer. nat. Dietrich Neumann . . . . . . . . 81
Differenzierung und Musterbildung
bei einfachen Organismen
von Lotbar ]aenicke, Köln
Modelle zu benutzen, ist so eine eigene Kunst:
Soundsoviel ist davon zu erlernen. Weder die Absicht,
die Vorlage genau zu treffen, noch die Absicht, sie
schnell zu verlassen, ist das Richtige.
Bert Brecht, Notizen zu Mutter Courage
Embryonalentwicklung ist ein Gen-programmiertes Netzwerk
Es ist eindrucksvoll zu verfolgen, wie aus einer Einzelzelle, der befruchteten
Ei-Zelle, ein ganzer Organismus wird; wie sich Zellen ordnen und verschieben, zu
unterschiedlichen Funktionen differenzieren und ein Programm abspulen, das
einem wohl-orchestrierten und -dirigierten Ballett gleicht. Die ontogenetische Ent
wicklung folgt tatsächlich einer inneren Choreographie, die im Grundprinzip in
der Desoxyribonukleinsäure des Kerns niedergelegt und codifiziert ist, aber durch
vielerlei Wechselwirkungen zwischen Stoffgradienten und den entstehenden Zell
verbänden moduliert wird. So finden die Zellen den ihnen zugehörigen Ort, an
dem sie die ihnen zustehende Funktion, statisch oder dynamisch, als Struktur
oder Katalyseelement ausüben können [1, 2].
Man hofft, von verschiedenen Seiten die in diesen offensichdich wohlgeordne
ten Wegen liegenden Rätsel zu lösen, die klarerweise eine molekulare Basis haben
und von Ursache zu Wirkung in immer feiner verzweigten Kaskaden ablaufen.
Diese Bemühungen gehen von der Anorganischen Chemie, die etwa das Studium
der Mineralisation in Zellen zum Ausgangspunkt nimmt [3], bis zur Embryologie
des Menschen als dem eigentlichen Denk-und Motivationsziel aller von Menschen
angestrebten Deutungen, um folgend, lenkend und ordnend in das Geschehen ein
greifen zu können [4].
In über hundertjähriger Arbeit haben sich die Entwicklungsbiologen und
Embryologen in die Tiefe der auslösenden Ursachen der Ontogenese und in die
Details des Verhaltens von Zellen und Zellverbänden hinabgearbeitet und stoßen
an die Grenzen des mit ihren Sonden Erreichbaren. In den letzten Jahrzehnten
haben die neuen, umfassenden und doch feinauflösenden Verfahren der Bioche
mie, der Molekularbiologie und der Molekulargenetik sich vom Molekül zum
8 Lothar Ja enicke
Molekularen, vom Elementaren zum Komplexen, zu den Molekülaggregaten und
makromolekularen Funktionen heraufgearbeitet, um zu verstehen, wie die Dinge,
die zur Differenzierung in Zellen, von Zellen und durch Zellen führen, funktionie
ren. Das hat bereits zu einem Verständnis der zugrundeliegenden Stoffwechsel
ereignisse, der Regel-und Signalmechanismen geführt -Erkenntnisse, die uns hof
fen lassen, daß sich bald beide Richtungen treffen und der Tunnel der Dunkelheit
der Wirkung einer verwirrenden Zahl von Fakten und Faktoren dem Licht einer
gemeinsamen und produktiven Deutung weicht, aus der wir auch Hoffnung für
diejenigen schöpfen können, bei denen die normalen Entwicklungsvorgänge nicht
ordnungs-und programmgemäß ablaufen.
Es ist aber noch nicht so weit. Die Begrenztheit der Methoden auf der einen Seite
und die Unzulänglichkeit der Konzepte auf der anderen zeigen sich bisher unüber
brückbar. Die beiden Welten des Chemikers und des Biologen [5] haben sich noch
nicht zu einer integrierenden Überlappung gefunden; im Gegenteil, man hat den
Eindruck, daß sie - nach einem kurzen Anlauf der Hoffnung - wieder weiter aus
einanderdriften, seitdem die Molekularbiologen die Biochemie als ihrer Wissen
schaft dürftigeren, da Anspruch-loseren Teil ansehen. Es ist noch Zeit zu einer
Umkehr, und ich will einige Beispiele geben, wie und wo interessante, zusammen
führende Probleme der Entwicklungsbiochemie, vor allem bei niederen Lebens
formen, liegen, die bescheideneren experimentellen Aufwand erfordern.
Das Grundmuster ist die Blaupause des Organismus
Der Embryologe alter Schule näherte sich den molekularen Vorgängen der
Differenzierung mit chirurgischen Eingriffen und histologischen Methoden und
mußte dabei in Kauf nehmen, in eine methodologische Unschärfefalle zu geraten;
der Entwicklungsbiologe von heute kombiniert die schonende Immunologie mit
molekularbiologischen Sonden.
Die entwicklungsbiologischen Grundfragen sind: Wie entstehen Grundmuster
und wie werden sie erhalten? Wie werden die Proportionen dieses Grundmusters
reguliert? Wie wird es in stabile und klonal vererbbare Zellzustände umgewandelt,
die letztlich mit bestimmten Zellbewegungen und endgültiger Determinierung ver
bunden sind?
Wir erwarten dadurch die Antwort auf bestimmte Fragen der Entwicklung, die
sich nicht nur auf Struktur und Funktion einzelner Komponenten eines Systems
beziehen, sondern auf die zugrundeliegenden Eigenschaften und Mechanismen der
Musterbildung im Netzwerk der Wechselbeziehungen, natürlich aus der Perspek
tive der Biochemie, also auf stofflicher Basis.
Differenzierung und Musterbildung 9
Ein Grundmuster verbindet die Konzentrationshöhenlinien einer jeden mor
phogenetisch aktiven Substanz, die an der cytoplasmatischen Verteilung und an
der zellulären Induktion beteiligt ist [6 ] . Ihre Edorschung edolgt auf zwei Ebenen,
einer allgemeinen, auf der wir zu edahren hoffen, welche Mechanismen ein be
stimmtes Zellverhalten auslösen kann, und einer besonderen, die uns die Details
der daran beteiligten Substanzen beschreibt sowie die Einzelheiten ihrer kineti
schen Beziehungen. Welche von den beiden Fragestellungen die bessere Antwort
gibt, weiß man erst zum Schluß. Gibt es viele chemische Substanzen, die einen Vor
gang beeinflussen, wird das natürlich den am Allgemeinen Interessierten nicht
zufriedenstellen, obgleich man sicher nach solchen Details suchen muß. Wenn sich
aber die biochemischen Mechanismen als einfach und universell herausstellen,
wird man diese tatsächlichen Mechanismen selbstverständlich den möglichen, die
man austüfteln kann, vorziehen. Verallgemeinern kann ein Problem klarer erken
nen lassen, aber keine spezifischen Tatsachen beweisen. Es bleibt also, Mechanis
men Punkt für Punkt zu untersuchen, Substanzen zu identifizieren, ihre Mengen
zu bestimmen und ihr Verhalten zu vedolgen. Das ist eine sehr schwierige Auf
gabe, und die Suche nach einer Substanz in der Zelle, die an einer örtlichen Spezifi
zierung beteiligt ist, wurde in einem plastischen Bild verglichen mit der "Suche
nach einer Kontaktlinse in einem Schwimmbad - mit der zusätzlichen Schwierig
keit, daß die Linse sich unterdes im Wasser gelöst haben kann" [4].
Determinierung, Festlegung, Differenzierung -
drei Grundbegriffe der Entwicklungsbiologie
Die wesentlichen Probleme der Embryologie waren den Entwicklungsbiologen
lange vor der Ära der Molekularbiologie bekannt: Wie kommt es, daß das befruch
tete, totipotente Ei sich über pluripotente Zellhaufen zu unipotenten Geweben
entwickelt? Wann geschieht das? Leiten sich diese spezialisierten Zellen von den
Ausgangszellen ab? - Oder sind es Zellgruppen, in denen dies geschieht? Sind die
"Entscheidungen", die frühe Embryonalzellen in die verschiedenen Gewebe diri
gieren, den Entscheidungen gleich, die Vorläufer-oder Stammzellen zur Bildung
ihrer Abkömmlinge lenken? Und schließlich: Sind die Entscheidungen im Zell
kern unwiderruflich?
Zur Klärung der Begriffe sei zunächst ein Glossar gegeben (Tabelle 1). Wir sagen:
Eine Zelle ist determiniert, wenn sie die Instruktion erhält, späterNachkommen zu
haben, die einen bestimmten Typ, bestimmte Produkte oder bestimmte Funktionen
ausbilden. Während der Determinierung wird - oft durch stoffliche Faktoren - die
Zelle auf die spätere Differenzierung verpflichtet (committed). Bei der Differenzie
rung einer solchen determinierten und verpflichteten Zelle wird dann nur eine Aus-