Table Of ContentHeidelberger Taschenbiicher Band 36
Hans Grauert . Wolfgang Fischer
Differential-
und Integralrechnung II
Differentialrechnung in mehreren Vedinderlichen
Differentialgleichungen
Dritte, verbesserte Auflage
Mit 25 Abbildungen
Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1978
Professor Dr. HANS GRAUERT
Mathematisches Institut der Universidit
BunsenstraBe 3-5, 3400 Gottingen
Professor Dr. WOLFGANG FISCHER
Fachbereich Mathematik der Universitat Bremen
BibliothekstraBe, 2800 Bremen 33
AMS Subject Classifications (1970):
26-01, 26 A 54, 26 A 57, 34-01
ISBN-13: 978-3-540-08697-0 e-ISBN-13: 978-3-642-81234-7
DOl: 10.1007/978-3-642-81234-7
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Heidelberg 1968, 1973, 1978. Library of Congress Catalog Card Number 72-96045.
Herstellung: Konrad Triltsch, Graphischer Betrieb, 8700 Wiirzburg
2144/3140-543210
Heinrich Behnke
gewidmet
Vorwort zur dritten Auflage
Wir haben in der Neuauflage den Text der zweiten Auflage - ab
gesehen von der Berichtigung einiger Versehen - nur an wenigen
Stellen geandert, urn dem Leser das Verstandnis zu erleichtern.
Dezember 1977 H.GRAUERT
W. FISCHER
Vorwort zur zweiten Auflage
Wir haben in der Neuauflage einige Unklarheiten beseitigt und den
Text durch Beispiele iiber unendlich oft differenzierbare Funktionen
(Partition der Eins) und iiber differenzierbare Abbildungen (mit kon
stantem Rang) erganzt.
Februar 1973 H. GRAUERT
W. FISCHER
Vorwort zur ersten Auflage
Der nun vorliegende zweite Teil der dreibandigen Darstellung der
Differential- und Integralrechnung ist der Differentialrechnung der
Funktionen mehrerer reellen Veranderlichen und den gewohnlichen
Differentialgleichungen gewidmet. Er ist gedacht etwa fiir Studenten
im zweiten bis dritten Semester - dementsprechend wird vom Leser
nur die Kenntnis des wesentlichen Teils des Stoffs von Band lund dar
tiber hinaus Bekanntschaft mit dem Begriff des Vektorraums erwartet.
Die Autoren haben sich wieder urn einen strengen und system at i
schen Aufbau der Theorie bemiiht. Dabei waren sie bestrebt, unnotige
Abstraktionen und Verallgemeinerungen zu vermeiden, sie haben jedoch
gleichzeitig versucht, Definitionen und Methoden so zu bringen, daB sie
sich moglichst unmittelbar auf allgemeinste FaIle iibertragen lassen.
Beispielsweise besagt die Definition der (totalen) Differenzierbarkeit (in
anderen Worten): Eine reelle Funktion j, die in einer offenen Umgebung
U eines Punktes Xo in einem Zahlenraum IRn erklart ist, heiBt in Xo
VIII Vorwort
differenzierbar, wenn es eine in Xo stetige Abbildung x -+ ,1.£ von U in
den dual en Raum Hom (JRn, JR) gibt, so daB /(x)=f(xo)+,1x(x-xo)
gilt. Diese Definition ilbertragt sich auf den Fall, wo Xo Punkt eines
separierten topologischen Vektorraumes E ist und die Werte von f in
einem ebensolchen Vektorraum F liegen.
Man hat dazu den Raum Hom (E, F) der stetigen linearen Ab
bildungen von E in F mit einer Pseudotopologie zu versehen 1: Man
betrachtet z. B. genau die Filter £ auf Hom (E, F) als gegen 0 kon
vergent, die folgende Eigenschaft haben: Fur jeden Filter ~ auf Emit
m· ~ -+ 0 gilt £ (~) -+ 0 in F. Dabei ist m der Filter der Nullumge
m· m
bungen in JR, ~ wird von den N A mit N E und A E ~ erzeugt,
£ (~) von den L (A) = u A. (A) mit L E £ und A E~. Man kann nun
die Differenzierbarkeit ~~~au wie oben definieren, nur ist unter x -+ ,1x
jetzt eine in Xo stetige Abbildung von U in Hom (E, F) zu verstehen.
Man zeigt: Da die naturliche Abbildung Hom(E,F)XE-+F stetig ist,
ist ,1xo eindeutig bestimmt und kann als Ableitung von f im Punkt Xo
bezeichnet werden. Auch jetzt folgt aus der Differenzierbarkeit die
Stetigkeit; es gilt die Kettenregel. Urn zu zeigen, daB die Differenzier
barkeit eine lokale Eigenschaft ist, muB man noch voraussetzen, daB in E
zu jedem eindimensionalen Unterraum ein abgeschlossener Supplemen
tarraum existiert (das ist z. B. bei lokalkonvexen Vektorraumen der
Fall). - Die Pseudotopologie auf Hom (E, F) wird nur dann zu einer
Topologie, wenn man es mit normierten Vektorraumen zu tun hat;
dann ergibt sich die starke oder Norm-Topologie auf Hom (E, F).
In der Tat scheint die Klasse der Banachraume die groBte Klasse von
topologischen Vektorraumen zu sein, auf die sich die tieferen Satze der
Differentialrechnung ubertragen lassen.
Es sollen noch einige Angaben uber den Inhalt des Buches folgen.
1m ersten Kapitel wird der n-dimensionale Raum JRn eingefuhrt.
Dann werden Wege im JRn behandelt, insbesondere die Bogenlange und
der ausgezeichnete Parameter, und zwar so, daB im dritten Band
Kurvenintegrale langs rektifizierbarer Wege erklart werden konnen.
Das zweite Kapitel befaBt sich mit der Topologie des JRn. Die
grundlegenden Begriffe wie "Umgebung" werden so formuliert, daB
sie fur allgemeine topologische Raume sinnvoll bleiben. Besonders
betont werden der Begriff der kompakten Menge und die verschiedenen
Konvergenzbegriffe fur Funktionenfolgen.
Kapitel III beginnt mit der Definition der Differenzierbarkeit und
fuhrt his zur Taylorschen Formel und Taylorschen Reihe fur Funktio
nen von mehreren Veranderlichen.
In Kapitel IV werden zunachst kontra- und kovariante Tangential
vektoren (Differential e) sowie Pfaffsche Formen auf exakte Weise
1 Vgl. FRoHLIcHER/BucHER: Calculus in Vector Spaces without Norm.
Lecture Notes, Springer, Berlin 1966.
Vorwort IX
definiert. Die dabei benutzten Satze der linearen Algebra werden ohne
Beweis angegeben. Dann werden regulare Abbildungen und implizite
Funktionen eingehend untersucht. SchlieBlich wird in der Sprache der
Differentiale die Auffindung lokaler Extrema mit Nebenbedingungen
durch die Methode der Lagrangeschen Multiplikatoren dargestellt.
Bei der Behandlung der gewohnlichen Differentialgleichungen in
der zweiten Halfte des Buches konnte naturlich namentlich bei den
Losungsmethoden keine Vollstandigkeit angestrebt werden. Es werden
aber einerseits die fur den Physiker wichtigen Differentialgleichungen
ausfuhrlich und exakt diskutiert, andererseits werden auch die fur den
Mathematiker wichtigen Existenz-, Eindeutigkeits- und Stabilitatssatze
gebracht. Kapitel V fiihrt in Problemstellung und Methoden ein. Hier
wird auch die Schwingungsgleichung eingehend studiert.
Der Peanosche Existenzsatz wird in Kapitel VI hergeleitet. An
schlie6end werden Eindeutigkeit und glob ales Verhalten der Losungen
auf Grund der (lokalen) Lipschitz-Bedingung untersucht. Die wichtig
sten Stabilitatsaussagen und Satze uber Definitionsbereich und Differen
zierbarkeit der allgemeinen Losung cp (x, ~,'Y), d. h. der Losung in Ab
hangigkeit von den Anfangswerten, beschlie6en dieses Kapitel.
1m folgenden Kapitel beschaftigen wir uns mit dem Zusammenhang
zwischen Differentialgleichungen und Pfaffschen Formen. Die letzteren
erweisen sich wegen ihrer Koordinatenunabhangigkeit als angemessen
zur geometrischen Untersuchung der Integralkurvenschar einer Diffe
rentialgleichung in der Nahe einer isolierten Singularitat. SchlieBlich
werden das Picard-Linde16fsche Iterationsverfahren und die Potenz
reihenmethode dargestellt.
Das achte Kapitel enthalt die Untersuchung der Systeme von
gewohnlichen Differentialgleichungen und der Differentialgleichungen
hoherer Ordnung. Insbesondere werden lineare Systeme behandelt;
bis auf den Satz uber die Jordansche Normalform einer Matrix werden
alle benotigten Tatsachen uber die Eigenwerte und -vektoren sowie
uber die Matrixexponentialfunktion hier bewiesen. Kapitel und Buch
enden mit der Losung einiger fur die Anwendungen wichtigen speziellen
Differentialgleichungen: der Besselschen, der Legendreschen und der
Schrodingerschen (d. h. der radialen Komponente der Schrodinger
gleichung des Wasserstoffatoms). Diese Gleichungen werden als Rand
wertaufgaben betrachtet; bei der letztgenannten ergibt sich das inter
essante Phanomen, da6 nur fur eine diskrete Folge von Werten des
Parameters (d. i. im wesentlichen die Energie) Losungen existieren, die
den Randbedingungen genugen - entsprechend der von der Quanten
theorie geforderten diskreten Folge von Energieniveaus des Atoms.
Gottingen, im November 1967 H. GRAUERT
W. FISCHER
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Wege imlRn. . 1
§ 1. Der n-dimensionale Raum 1
§2. Wege ...••.•. 5
§ 3. BogenHinge . . . . . . 8
§ 4. Der ausgezeichnete Parameter 12
§ 5. Spezielle Kurven . . . . . 16
§ 6. Tangente und Kriimmung. . 20
Zweites Kapitel. Topologie des IRn 25
§ 1. Umgebungen 25
§ 2. Kompakte Mengen . 30
§ 3. Punktfolgen . . . 33
§ 4. Funktionen. Stetigkeit 35
§ 5. Funktionenfolgen . 39
§ 6. Abbildungen 42
Drittes Kapitel. Differentialrechnung mehrerer Veriinderlichen 49
§ 1. Differenzierbarkeit . . . . 49
§ 2. Elementare Regeln . . . . 53
§ 3. Ableitungen hoherer Ordnung 55
§ 4. Die Taylorsche Formel • . . 59
§ 5. Die Taylorsche Reihe 63
§ 6. Lokale Extrema . . . • . 69
§ 7. Einige unendlich oft differenzierbare Funktionen 73
Viertes Kapitel. Tangentialvektoren und reguHire Abbildungen . 78
§ o. Einiges aus der linearen Algebra 78
§ 1. Derivationen . . . . . . . . . 80
§ 2. Transformation von Tangentialvektoren 85
§ 3. Pfaffsche Formen . . . . . . . . 88
§ 4. ReguHire Abbildungen. . . . . . 91
§ 5. Umkehrabbildungen. . . . . . . . . 97
§ 6. Gleichungssysteme und implizite Funktionen 98
§ 7. Extrema bei Nebenbedingungen . . . . 105
Fun/tes Kapitel. Einige Typen gewohnlicher Differentialgleichungen 109
§ 1. Gewohnliche Differentialgleichungen erster Ordnung 109
§ 2. Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung 111
§ 3. Variablentransformation . . . . . . . . . . 115
§ 4. Die Riccatische Differentialgleichung . . . . . . 118
§ 5. Allgemeine Klassen von Differentialgleichungen 121
§ 6. Komplexwertige Funktionen . . . . . . . . . . . . 124
§ 7. Die homogene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung mit
konstanten Koeffizienten . . 127
Sechstes Kapitel. Existenzsatze. . 136
§ 1. Gleichartig stetige Funktionen 136
XII Inhaltsverzeichnis
§ 2. Der Existenzsatz von PEANO 139
§ 3. Die Lipschitz-Bedingung . . . . . 144
§ 4. Verlauf der Integralkurven im GroBen . .. . 145
§ 5. Abhangigkeit der Losungen von den Anfangsbedingungen 149
§ 6. Die allgemeine Losung . . . . . . . . . 153
§ 7. Die Stammfunktion einer Differentialgleichung 164
Siebtes Kapitel. Losungsmethoden 166
§ 1. Pfaffsche Formen . . . . . 166
§ 2. Regulare Punkte einer Pfaffschen Form 168
§ 3. Der Eulersche Multiplikator . . . . 170
§ 4. Differenzierbare Transformationen . . . . . . 173
§ 5. Singularitaten Pfaffscher Formen . . . . . . 174
§ 6. Das Iterationsverfahren von PICARD und LINDELOF 181
§ 7. Losung durch Potenzreihenansatz . . . . . . 184
Achtes Kapitel. Systeme von Differentialgleichungen, Differential
gleichungen hoherer Ordnung . . . . . . . . . . . 188
§ 1. Systeme von expliziten Differentialgleichungen erster Ordnung -
Existenz- und Eindeutigkeitssatze . . . . . . . . . . . . 188
§ 2. Lineare Systeme erster Ordnung . . . . . . . . . . . 191
§ 3. Homogene lineare Systeme mit konstanten Koeffizienten . . . 195
§ 4. Explizite gewohnliche Differentialgleichungen hoherer Ordnung . 204
§ 5. Spezielle Differentialgleichungen zweiter Ordnung 209
A. Die Besselsche Differentialgleichung . . 209
B. Die Legendresche Differentialgleichung . 211
C. Die Smrodinger-Gleimung 214
Literatur 221
Wimtige Bezeimnungen 222
Namen- und Samverzeimnis 223
1. Kapitel
Wege im Rn
§ 1. Der n-dimensionale Raum
Es sei n eine natiirliche Zahl. Unter dem n-dimensionalen reellen
Zahlenraum (in Zeichen: JRn) wollen wir die Menge aller geordneten
n-tupel (Xl, ... , Xn) von reellen Zahlen verstehen:
JRn={(XI, ... ,Xn): x,EJR fiir v=l, ... ,n}.
Ein Element des Rn nennen wir auch Punkt und bezeichnen es ab
kiirzend durch einen Frakturbuchstaben, z. B. (Xl, ... , Xn) = ~.
Auf der Menge JRn laBt sich die algebraische Struktur eines
Vektorraums iiber dem Korper JR (kurz: eines reellen Vektorraums)
einfiihren: Zu zwei Elementen ~ = (Xl, ... , Xn) und t) = (YI, ... , Yn)
werde als Summe definiert
zu einer reellen Zahl a und einem Element ~ = (Xl, ... , Xn) E JRn
werde als Produkt definiert
a ~ = (axI, ... , aXn) E JRn.
Mit Hilfe der Additionsaxiome fiir den reellen Zahlkorper priift man
leicht nach, daB Rn unter der eben eingefiihrten Addition eine
kommutative Gruppe bildet. Das neutrale Element ist das n-tupel
(0, ... , 0), der "Nullvektor" oder "Nullpunkt des JRn", den wir der
Einfachheit halber auch mit 0 bezeichnen, sofern MiBverstandnisse
nicht zu befiirchten sind. - Ebenso verifiziert man unter Hinzu
ziehung der Multiplikations- und Distributivitatsaxiome von R
folgende Regeln:
(a+b)~=a~+b~, a(~+t))=a~+at),
a(b~)=(ab)~, l·~=~
fiir aIle~, t) EJRn, a, b EJR.
Steht bei einer Betrachtung die Vektorraumstruktur des JRn im
Vordergrund, so wird man die Elemente des JRn als Vektoren be
zeichnen.