Table Of ContentMelanie Oechler
Dienstleistungsqualität in der Sozialen Arbeit
Melanie Oechler
Dienstleistungs-
qualität in der
Sozialen Arbeit
Eine rhetorische
Modernisierung
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Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Jugendhilfe im Wandel“ der
Universitäten Dortmund und Bielefeld.Die Arbeit wurde an der Fakultät Erziehungswissenschaft
und Soziologie der Technischen Universität Dortmund als Dissertation angenommen.
1.Auflage 2009
Alle Rechte vorbehalten
© VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2009
Lektorat:Monika Mülhausen
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Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg
Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands
ISBN 978-3-531-16528-8
1 Dienstleistungsqualität als rhetorische Modernisierung Sozialer Arbeit 5
Inhaltsverzeichnis
1 Dienstleistungsqualität als rhetorische Modernisierung Sozialer Arbeit................7
2 Sozialpolitische Bezugspunkte der Qualität.............................................................13
2.1 Vom Versorgungsstaat zum aktivierenden bzw. sozialinvestiven Staat...........16
2.2 Von der Subsidiarität zum Wettbewerb............................................................27
2.3 Vom Klienten zum selbstbestimmten Akteur...................................................36
3 Soziale Arbeit als Dienstleistung...............................................................................47
3.1 Der erste Dienstleistungsdiskurs revisited........................................................49
3.2 Von der christlichen Nächstenliebe zur Dienstleistung.....................................57
3.3 Das Dienstleistungskonzept und die Verwaltungsmodernisierung...................68
4 Von der Dienstleistung zur Dienstleistungsqualität................................................77
4.1 Qualität ist die Antwort – aber was war die Frage?..........................................78
4.1.1 Qualität im Zuge der Ökonomisierung des Sozialen.........................................80
4.1.2 Qualität revisited...............................................................................................86
4.1.3 Qualität – Alter Wein in neuen Schläuchen?....................................................91
4.2 Verheißungen der Qualitätsdebatte...................................................................94
4.2.1 Qualität aus der sozialpolitischen Perspektive..................................................96
4.2.2 Qualität aus der organisatorischen Perspektive...............................................101
4.2.3 Qualität aus der professionellen Perspektive...................................................105
4.3 Der Adressat im Qualitätsdiskurs....................................................................109
5 Das Hilfeplanverfahren bei den erzieherischen Hilfen.........................................111
5.1 Der Umgang mit Unsicherheiten....................................................................113
5.1.1 Entscheidungsprozesse und Hilfeplanung in der Vergangenheit....................116
5.1.2 Die Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII............................................................125
5.2 Hilfeplanung als Steuerungsinstrumentarium.................................................131
5.2.1 Sozialpolitische Ressourcensteuerung durch das Hilfeplanverfahren.............134
5.2.2 Professionalisierung durch Hilfeplanung?......................................................139
5.2.3 Fachliche Standards bzw. Qualitätsstandards in der Hilfeplanung.................146
6 Die Adressatinnen und Adressaten im Hilfeplanverfahren..................................153
7 Ausblick: Die unendliche Suche nach neuen Legitimationsstrategien.................171
8 Literaturverzeichnis.................................................................................................177
9 Anhang......................................................................................................................203
1 Dienstleistungsqualität als rhetorische Modernisierung Sozialer Arbeit 7
1 Dienstleistungsqualität als rhetorische Modernisierung
Sozialer Arbeit
Für den Bereich der Sozialen Arbeit gibt es bis heute kaum eine angemessene Definition
des Begriffs Dienstleistungsqualität. Die Ursache hierfür ist weniger ein Mangel an Be-
schäftigung mit dem Qualitätsthema in der Sozialen Arbeit (vgl. Helmke u.a. 2000;
Köpp/Neumann 2003; Beckmann u.a. 2004a; Galiläer 2005), als vielmehr der Umstand,
dass mit dem Begriff „Qualität“ eine ganze Reihe sich zum Teil gegenseitig ausschließende
Ziele und Interessen verbunden sind – von der Kostenreduzierung bis hin zu Demokratisie-
rungsbestrebungen. Der Versuch, die verschiedenen Interpretationen sozialpolitischer und
sozialpädagogischer Qualitätsverständnisse in einer einzigen Definition auszudrücken, steht
nicht im Zentrum der folgenden Ausführungen; vielmehr steht im Mittelpunkt dieses Bu-
ches die Spurensuche nach Verheißungen und Argumentationsfiguren der Qualitätsdebatte
in der Sozialen Arbeit. Einen Bezugspunkt dieser Debatte stellen in diesem Zusammenhang
deren Adressatinnen und Adressaten dar. Unter der Prämisse, dass die Qualität von Dienst-
leistungen auf die Leistungsempfängerinnen und -empfänger gerichtet ist, beziehen sich
sowohl Sozialpolitik als auch Soziale Arbeit auf die Adressatinnen und Adressaten. Aus
diesem Grund wird der Fokus des Folgenden auf die Adressatenorientierung in der Quali-
tätsdebatte gerichtet.
Die zunehmende Bedeutung von Qualität für nahezu alle Arbeitsfelder der Sozialen
Arbeit in modernen Gesellschaften wird vor allem als funktionelle Notwendigkeit disku-
tiert. Dienstleistungsqualität ist aus sozialpolitischer und sozialpädagogischer Sicht primär
dann von Interesse, wenn sie Momente der Effizienz, Effektivität und Legitimität ausweist.
Und gerade die andauernden Auseinandersetzungen mit sozialpolitischen Rahmenbedin-
gungen, organisatorischen Zwängen, den Schwierigkeiten und Unsicherheiten in Entschei-
dungsprozessen über sozialpädagogische Hilfen sowie die immer wieder auftauchenden
Grundsatzfragen nach der Legitimität Sozialer Arbeit lassen Qualität zu einem zentralen
Konstrukt nicht nur der Sozialpolitik, sondern auch vieler (sozial-)pädagogischer Hand-
lungsfelder werden.
Bereits ein erster Blick in die Qualitätsdebatte zeigt, dass es in erster Linie Verfahren
sind, die unter dem Begriff der personenbezogenen sozialen Dienstleistung in der Sozialen
Arbeit eingesetzt werden. So findet sich spätestens mit der Einführung der § 78 a ff. SGB
VIII der Versuch, durch spezifische organisatorische und rechtliche Vorgaben eine Optimie-
rung der sozialpädagogischen Praxis herbeizuführen. Durch die zu treffenden Leistungs-,
Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen kommt es zu einem neuen Kooperations-
verhältnis zwischen staatlichen Kostenträgern und den leistungserbringenden Diensten und
Einrichtungen. Zwar handelt es sich im ökonomischen Kontext um Fragen der Refinanzie-
rung von Anbietern sozialer Dienstleistungen, gleichzeitig zielen die Vereinbarungen auf
einen Nachweis der Qualität der erbrachten Leistungen. Diese Kontextbedingungen sollen
dazu beitragen, „gute“ Soziale Arbeit gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber den po-
tentiellen Adressatinnen und Adressaten herauszustellen. Zielpunkte der Debatten für den
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Nachweis einer Qualität professionellen Handelns gehen auf das traditionelle Abhängig-
keitsverhältnis der Adressatinnen und Adressaten von den Professionellen zurück. Die Be-
ziehung zwischen Professionellen und Adressatinnen und Adressaten wird dabei als primär
asymmetrische Beziehung verstanden, die es auszubalancieren gilt. Betrachtet man die histo-
rischen Auseinandersetzungen über diesen Prozess, kann festgehalten werden, dass dieser
Versuch seit den 1970er Jahren mit den Tendenzen einer Verrechtlichung und einer darin
eingelagerten Stärkung der Adressatin bzw. des Adressaten einhergeht. Diese Verrechtli-
chung findet, so die Thematisierung in den Debatten, im Dienste der Adressatinnen und
Adressaten statt, die nicht mehr Objekt intransparenter Entscheidungen von Fachkräften
sind. Mit Verfahren, wie z.B. der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII in der Kinder- und Ju-
gendhilfe werden sozialpädagogische Entscheidungsprozesse institutionalisiert, in denen die
Beteiligungsrechte der betroffenen Familie bei der Inanspruchnahme öffentlich gewährleis-
teter Sozialleistungen explizit festgeschrieben werden und ihnen damit im Interaktionspro-
zess mit den Professionellen eine stärkere Position zugesprochen wird.
Umso erstaunlicher ist es, dass empirische Studien zur Hilfeplanung zeigen, dass deren
Planungsprozess aus der Perspektive der Betroffenen auch nach fast 20jähriger Implemen-
tation nach wie vor als entwicklungsbedürftig bis undurchschaubar bewertet wird (vgl. z.B.
Strehler 2005). Damit drohen Verfahren, die mit der Zielsetzung nach partizipativen und
demokratischen Verhältnissen in der Sozialen Arbeit angetreten sind und wie sie vor allem
im Dienstleistungskonzept der 1990er Jahren zunächst propagiert wurden, an ihren Zielset-
zungen vorbei zu agieren.
Vor diesem Hintergrund will der vorliegende Band zweierlei diskutieren:
Es wird das Konstrukt der Dienstleistungsqualität im Rahmen von sozialpolitischen
und sozialpädagogischen Diskursen analysiert. Die Verwendung und das Operieren mit
neuen Ausdrücken, die zumindest rhetorisch immer eine potentielle Verbesserung der sozi-
alpädagogischen Praxis verheißen, bedürfen einer näheren Betrachtung. Denn wie schon
Dieter Baake bei seiner Analyse des Begriffs Handlungskompetenz mit Blick auf die päda-
gogische Gesamtdiskussion vermerkt hat, ist es „allemal eine fröhliche Wissenschaft, mit
neuen Ausdrücken operieren zu können. Freilich ist es das eine, Programm zu entwerfen;
ein anderes, die problematische Implikation dieser Programme, mögliche Unklarheiten und
Ungereimtheiten zu durchdenken mit der Absicht, sie entweder aufzuheben oder in der
Begriffsverwendung Verschiebungen vorzunehmen“ (vgl. Baacke 1984, S. 148). In kriti-
scher Absicht wird daher die Einführung neuer Begrifflichkeiten für die sozialpädagogische
Praxis hinterfragt. Denn der Wandel in den konzeptionellen Orientierungen zeigt die Ge-
fahr, die in der unbedachten Verwendung diesbezüglicher Begriffe liegt, die wiederum
ihren Geburtsort in Modernisierungsaktivitäten im öffentlichen Sektor haben. Soziale Ar-
beit macht sich, schließt sie sich an die Begriffsverwendung an (wenn auch in kritischer
Absicht), von den modernisierungstheoretischen Deutungen abhängig.
Zweitens werden die Steuerungsphantasien sozialpolitischer als auch sozialpädagogi-
scher Akteure, wie sie sich in simplen Reiz-Reaktionsschemata, die sowohl auf der indivi-
duellen Ebene sowie auf der kollektiven Organisationsebene kodifiziert sind, mit Blick auf
ihren Modernisierungshalt in den Blick genommen. Im Zentrum stehen hierbei vor allem
die Adressatinnen und Adressaten Sozialer Arbeit. Es wird davon ausgegangen, dass die
Debatte um Dienstleistungsqualität ihren Ansatzpunkt im administrativen Bereich der Sozi-
alen Arbeit hat, aber von der fachlichen Seite mit dem Ziel einer Optimierung der sozialpä-
dagogischen Praxis adaptiert wurde. Dies hat Konsequenzen hinsichtlich der Verheißungen
1 Dienstleistungsqualität als rhetorische Modernisierung Sozialer Arbeit 9
und der Risiken bei der Neudefinition des Adressatenstatus. Ausgangsthese ist, dass der
Adressat bzw. die Adressatin in der Diskussion um Dienstleistungsqualität in der Sozialen
Arbeit eine besondere Rolle spielt, wobei er bzw. sie maximal zur Legitimation herangezo-
gen wird. Es wird versucht, mit Hilfe neuer Konzepte die althergebrachten Probleme (wie
das doppelte Mandat und das Technologiedefizit der Sozialen Arbeit) zu bearbeiten. Auf-
fällig ist jedoch, dass beides nicht gelöst wird. Mit den neuen Konzepten wird gleichzeitig
aber hinterrücks eine andere Denkart etabliert. So stellt ein wichtiges strategisches Ziel dar,
mit „Total Quality Management“ zu einer Bewusstseinsänderung der Organisationsleitun-
gen und Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter zu kommen. Denn erst dadurch wird eine um-
fassende Verhaltensänderung möglich. „Die Abrichtung der Produzenten wird identisch mit
ihrer Ausrichtung am Konsumenten“ (Bröckling 2000, S. 137). Die rhetorische Modernisie-
rung führt implizit eine veränderte Bewusstseinshaltung mit, die im Endeffekt – so jeden-
falls die Verheißungen – dem Adressaten bzw. der Adressatin dienen sollen. Dies gilt es
kritisch zu hinterfragen.
Die der Arbeit zugrunde gelegten Hypothesen zur Dienstleistungsqualität in der Sozia-
len Arbeit werden im Folgenden auf verschiedenen Analyseebenen erfasst:
Die sozialpolitischen Wandlungsprozesse, in denen sich Prämissen der Bereitstellung
sozialpolitischer und sozialpädagogischer Unterstützungssysteme verändern wird im Hin-
blick auf seine Folgen für die Institutionalisierung Sozialer Dienste rekonstruiert. Diese
Rekonstruktion des sozialpädagogischen Jahrhunderts (vgl. Rauschenbach 1999a) findet
unter der Schwerpunktsetzung der Ideen der sozialen Gerechtigkeit und die jeweilige Kon-
struktion der Bürgerinnen und Bürger innerhalb der sozialpolitischen Programme statt (vgl.
Kap. 2). Die Entstehung und Ausdifferenzierung des Wohlfahrtsstaates entwickelt sich
angesichts fiskalischer Mindereinnahmen und steigender Kosten für die Bereitstellung
sozialer Dienstleistungen zu einer Geschichte auf der Suche nach geeigneten Modellen der
Effizienz- und Effektivitätssteigerung. Dies schlägt einerseits auf ursprüngliche Leitideen
des Wohlfahrtsstaates zurück, gleichzeitig verändert es gesellschaftstheoretische Bezugs-
punkte Sozialer Arbeit. Die Konsequenzen in Form des Einzugs von makro- und mikro-
ökonomischen Konzepten führen letztendlich zu Entstehung der Qualitätsfrage innerhalb
des modernisierungstheoretischen Kontextes. Die Diskussion um die Dienstleistungsquali-
tät Sozialer Arbeit ist zwar einerseits ein Ergebnis sozialpolitischer Veränderungen, ande-
rerseits ist sie durch tradierte strukturelle Gegebenheiten selbst produziert worden, so dass
von einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis zwischen sozialpolitischen und sozialpä-
dagogischen Interessen auszugehen ist (zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Sozialpoli-
tik vgl. Kaufmann 1973; Olk 2008).
Diese Kontextualisierung der Qualitätsdebatte hat ihren Ursprung in dem gesell-
schafts- und sozialpolitischen sowie professionstheoretischen Diskurs der Dienstleistungs-
theorien. Die Rede von Sozialer Arbeit als Dienstleistung ist mittlerweile soziapädagogi-
sches Grundwissen. Gleichwohl wird seit fast 20 Jahren der Begriff Dienstleistung in fach-
lichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen debattiert. Soziale Arbeit als Dienst-
leistung ist einerseits als ein Versuch zu werten, eine moderne Standortbestimmung der
Sozialen Arbeit mit einer sozialpolitischen Programmatik zu verknüpfen (vgl. Schaar-
schuch u.a. 2001; Flösser/Oechler 2005). Mit dem Dienstleistungskonzept werden sowohl
die andauernden Auseinandersetzungen mit sozialpolitischen Rahmenbedingungen, organi-
satorischen Zwängen sowie die Schwierigkeit eines liebevollen bzw. solidarischen Um-
gangs mit den Adressatinnen und Adressaten Sozialer Arbeit zusammengebracht und, so
10 1 Dienstleistungsqualität als rhetorische Modernisierung Sozialer Arbeit
die Begründung dieses Ansatzes, unterschiedliche thematische Ebenen, die bislang nur in
ihren zweiseitigen Beziehungen diskutiert wurden (vgl. Olk u.a. 2003), zusammengedacht
und die Adressatenseite gegenüber der Professionsseite gestärkt. Somit handelt es sich bei
der Dienstleistungsorientierung um eine mittlerweile als selbstverständliche und zentrale
Kategorie übergreifender Handlungskonzepte in der Sozialen Arbeit (vgl. Kap. 3). Ihrem
Verständnis entsprechend wird mit Dienstleistungen etwas Positives assoziiert. Bei der
Sozialen Arbeit handelt es sich um soziale Prozesse von Unterstützung derjenigen Perso-
nen, die ihre Probleme nicht selbständig lösen können. Andererseits können es auch dieje-
nigen Prozesse sein, die gegen den Willen bzw. autoritär an jemanden erbracht werden.
Inwieweit man bei letzterem noch von Dienstleistungen sprechen kann, ist in der Fachdis-
kussionen umstritten (vgl. Späth 1994; Schaarschuch 1999). Der Nährwert der Dienstleis-
tungsdebatte besteht aber vor allem in der Privilegierung der Adressatin bzw. Adressaten
bzw. in einer Nachfrageorientierung (BMFSFJ 1994, S. 581ff.). Dies hat weit reichende
Konsequenzen für Organisationen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe, denen in
den modernen Gesellschaften eine zunehmende Rolle bei der Statuszuweisung zugeschrie-
ben wird. Mit der programmatischen Neuorientierung der Sozialen Arbeit bzw. der Kinder-
und Jugendhilfe erfährt der Adressat bzw. die Adressatin von öffentlich erbrachten sozialen
Dienstleistungen eine offensichtliche Bedeutungsaufwertung. Das professionelle Handeln
wird aus der beliebigen Selbstverpflichtung des professionellen Ethos herausgeholt und
einem Rechtsverhältnis unterworfen. Durch spezifische organisatorische, rechtliche Vorga-
ben und Beteiligung in Rechtsverfahren sollen die partizipatorischen Verhältnisse von
Adressatinnen und Adressaten gegenüber den Professionellen verbessert, aus professionel-
len Selbstverpflichtungen herausgelöst und der Versuch einer Ausbalancierung von Asym-
metrien unternommen werden. Das Ziel ist es, den Betroffenen mehr Einfluss zu sichern,
um mit ihren eigenen Vorstellungen und Bewertungen in fachlichen Aushandlungsprozes-
sen nicht nur akzeptiert, sondern als Subjekte wahrgenommen zu werden Diese vorrangig
dem professionellen Handeln zugeschriebenen Konflikte erhalten durch die Qualitätsdis-
kussion insofern eine Unterstützung, da hier der professionellen Selbstverortungsdebatte
erneut Raum gegeben wird.
Mit der Debatte um „Qualität“ wird ein stärkeres Dienstleistungsbewusstsein im Sinne
eines neuen professionellen Handlungsmusters verbunden. Man sieht in der Qualitätsdis-
kussion einerseits eine Chance zur gezielten Verbesserung der eigenen Praxis – anders
ausgedrückt eine interne Professionalisierung – andererseits hofft man auf eine verbesserte
öffentliche Darstellung der Sozialen Arbeit. Letzteres wird sich insbesondere vor dem Hin-
tergrund von Legitimationsverlusten der Angebote bzw. sozialen Organisationen erhofft.
Dabei lässt sich die Selbstverständlichkeit der Qualitätsdebatte ursprünglich darauf zurück-
führen, dass sie als öffentliche und sozialpolitische Auseinandersetzung ein altes Thema
aufgreift – und zwar die Frage, wie die kommunalen Haushalte konsolidiert werden kön-
nen. Im Folgenden gilt es darzustellen, dass dies nur die eine Seite der Medaille ist. Die
Qualitätsdebatte einseitig unter Professionalisierungsgesichtspunkten zu lesen, vernachläs-
sigt die vielfältigen anderen Interessen und Konsequenzen, die mit dieser Debatte verbun-
den sind (vgl. Kap. 4). Auch dabei kann die Förderlichkeit des Dienstleistungskonzeptes
zur Analyse der unterschiedlichen Perspektiven genutzt werden, um die Thematisierung der
verschiedenen Ebenen und der darin angesiedelten Akteursgruppierungen nachzuzeichnen.
Dadurch wird deutlich, dass die Qualitätsdebatte auch als „Trojanisches Pferd“ im Profes-
sionalisierungsdiskurs interpretiert werden kann.
1 Dienstleistungsqualität als rhetorische Modernisierung Sozialer Arbeit 11
Gemessen an dem Prüfkriterium der Verankerung subjektiver Rechte in der Dienstleis-
tungsproduktion wird das für den Paradigmenwechsel in der Sozialen Arbeit bzw. Kinder-
und Jugendhilfe kennzeichnende Beteiligungsverfahren der Hilfeplanung (Mitwirkung,
Hilfeplan nach § 36 SGB VIII) hinsichtlich der Ideen, die zur Kodifizierung des Verfahrens
in der Kinder- und Jugendhilfe geführt haben, in einem letzten Teil einer näheren Betrach-
tung unterzogen (vgl. Kap. 5). Diese theoretischen Zwischenbilanzen werden durch empiri-
sche Ergebnisse zur Hilfeplanung in der Kinder- und Jugendhilfe unterlegt (vgl. Kap. 6).
Die Rhetorik aller Debatten besteht darin, dass durch die Verwendung von Topoi, wie bei-
spielsweise Dienstleistung und Qualität, eine Neuorientierung in der Sozialen Arbeit dekla-
riert wird, indem der Adressatin bzw. dem Adressaten von öffentlich erbrachten sozialen
Dienstleistungen eine offensichtliche Bedeutungsaufwertung erfährt, obwohl er bzw. sie
maximal zur Legitimation herangezogen wird.
2 Sozialpolitische Bezugspunkte der Qualität 13
2 Sozialpolitische Bezugspunkte der Qualität
Sucht man nach Gründen für die Tatsache, dass vor allem seit der zweiten Hälfte der
1990er Jahre Dienstleistungsqualität offensichtlich als ein Mess- und Steuerungsinstru-
ment1 aus der Ökonomie zunehmend auch in der Sozialen Arbeit angewendet wird, so ist
davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung zu wesentlichen Teilen auf die ideologi-
sche und ökonomische Kritik öffentlich erbrachter sozialer Dienstleistungen zurückführen
lässt. Während in den angelsächsischen Ländern die Diskussion um die Qualität sozialer
Dienste ungefähr zehn Jahre früher stattfand, wird Qualität erst mit dem Wandel vom
Wohlfahrtsstaat zum Wettbewerbs- (vgl. Heinze u.a. 1999) über den zum „aktivierenden
Sozialstaat“ (Bundesregierung 1999; Lamping u.a. 2002) bis hin zum sozialinvestiven Staat
(vgl. Giddens 1999; Priddat 2003) Gegenstand von politischen Aushandlungsprozessen (zur
britischen Perspektive vgl. Hallett/Harris 2004). Im Zuge der Ökonomisierung Sozialer
Arbeit (vgl. Speck 1999; Elsen u.a. 2000; Kessl 2002; Pothmann 2003) gewinnt die Diskus-
sion um die Qualität öffentlich erbrachter Sozialer Dienstleistungen insofern an Bedeutung,
da die nunmehr liberale Wettbewerbsordnung mit ihren staatlichen Eingriffen und Wettbe-
werbsgarantien nur bei Vorliegen eines Überprüfbarkeitskriteriums funktioniert: der
Dienstleistungsqualität. Die Qualität sozialer Dienstleistungen wird seit Mitte der 1990er
Jahre mittels Qualitätsmanagementmodellen gesichert bzw. die Qualität Sozialer Arbeit soll
weiterentwickelt werden. Vor allem gilt die Dienstleistungsqualität als fachliche und politi-
sche Legitimation gegenüber den jeweiligen Akteursgruppen (Kostenträgern, Management,
Professionellen und Adressaten, vgl. Beckmann u.a. 2004b).
Solche Behauptungen basieren auf der Argumentation der Managementtheorien, dass
Qualität beobachtbar, messbar und kundenorientiert ist (vgl. Bruhn 1991; Seghezzi 1996;
Daumenlang/Palm 1997). Insbesondere die in den Definitionen hervorgehobene Verbindlich-
keit bei der Leistungserbringung und der in der Regel positive Zweckbezug zielen auf eine
Sicherung, Entwicklung, Maximierung und Kontrolle von Produkten bzw. Dienstleistungen.
In der betriebswirtschaftlichen Diskussion wird Qualität als „Erfolgfaktor im Wettbewerb
beschworen“ (Bruhn 1991, S. 347).
Die Auseinandersetzung um Qualität Sozialer Arbeit lässt sich einerseits auf das seit
der Gründung der Bundesrepublik Deutschland quantitative Wachstum an Personal, Ein-
richtungen und Diensten sowie Aufgaben und Handlungsfelder zurückführen (ausführlich
vgl. Rauschenbach/Züchner 2001). Diese Expansion Sozialer Arbeit erreichte ihren Höhe-
punkt in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Galten seit der Weimarer Re-
publik eher rechtliche und ökonomische Interventionsformen als die zentralen sozialpoliti-
schen Steuerungsformen innerhalb der westlichen Gesellschaften, so gewannen seit den
1970er Jahren die sozialökologische Interventionsformen, wie z.B. die personenbezogenen
sozialen Dienstleistungen an Bedeutung (vgl. Kaufmann 1982). Diese Expansions-, Ausdif-
1 Ein weiteres Information- und Steuerungsinstrument, welches aus der Ökonomie in den Bereich der Sozia-
len Arbeit implementiert und dort auch verwendet wird, stellen Kennzahlen und -ziffern dar (vgl. Jordan/
Reismann 1998; Pothmann 2003).