Table Of ContentFORSCH U NGSBE RICHTE
DES WIRTSCHAFTS- UNO VERKEHRSMINISTERIUMS
NORORH E I N -WESTFALEN
Herausgegeben von Staatssekretar Prof. Dr. h. c. Leo Brandt
Nr. 362
Professor Dr. med. Gunther Lehmann
Dipl.-Phys. Dieter Dieckmann
Max -Planck -Institut fur Arbeitsphysiologie, Dortmund
Die Wirkung mechanischer Schwingungen (0,5 bis 100 Hertz)
auf den Menschen
Als Manuskript gedruckt
WESTDEUTSCHER VERLAG / KOLN UNO OPLADEN
1956
ISBN 978-3-663-03204-5 ISBN 978-3-663-04393-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-04393-5
Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
G 1 i e d e run g
. . . . .
1. Themastellung · · · · · · · · · · · · · · s. 5
2. Uberblick tiber bisherige Untersuchungen · · • · · s. 5
2. 1 Physiologisch-medizinische Untersuchungen · · · · · · s. 6
2.2 Untersuchungen tiber das subjektive Empfinden · · · · · · s. 9
2.3 Physikalische Untersuchungen · · · · S. 11
2.4 Technische Untersuchungen · · · · · S. 11
•
3. Durchftihrung: Vertikale Schwingungen S. 12
3.1 Idee der Durchftihrung · · · · · · · · · · · · S. 12
• • • •
3. 11 Apparaturen zur Schwingungserregung S. 12
3.2 Experimentelle Untersuchungen · · · · · · · s. 16
•
3.21 Beschleunigungsmessungen · · · · · s. 16
3.211 Apparaturen · · · · · s. 16
3.212 Versuche · · · · · · · · · · S. 18
•
3.213 Deutung · · · · s. 19
•
3.22 Physiologische Untersuchungen · · · · · · s. 23
•
3.221 Apparaturen und Vorversuche · · s. 25
•
3.222 Hauptversuche · · · · · · · · · · s. 30
3.223 Deutung · · · · · · · · · · S. 32
• •
3.23 Messung der Krafttibertragung · · · · · · S. 32
•
3.231 Theoretische Grundlagen S. 32
3.232 Apparaturen · · · · · · · · s. 37
•
3.233 Versuche · · · · · · · · · · · · · s. 39
3.234 Deutung und theoretische Auswertung · · · · · S. 39
3.24 Vergleichende Betrachtung der Untersuchungsergeb-
. .
nisse · · · · · · · · · · · · · s. 44
3.3 Vorschlag eines BewertungsmaBstabes und Vergleich mit
bisherigen Untersuchungen · · · · · · · · · · · · · · • · s. 45
4. Durchfiihrung: Horizontale Schwingungen S. 58
4.1 Idee der Durchfiihrung · · · · · · · · · · · · · · · · S. 58
• •
4.11 Apparatur zur Schwingungserregung S. 58
4.2 Experimentelle Untersuchungen · · · · · · · • · · · · s. 59
4.21 Beschleunigungsmessungen · · · · S. 59
4.22 Zyklographische Aufnahmen · · · · · · s. 73
• • •
4.3 Deutung der Versuchsergebnisse • · · · · · · • · s. 75
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Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
5. Durchftihrung: Vergleich zwischen vertikaler, schrager und
horizontaler Schwingungsbee influs sung · · · · · s. 76
. . . .
5. 1 Idee der Durchftihrung · · · s. 76
•
5. 11 Apparatur zur Schwingungserregung · · · · · · s. 76
•
5.2 Experimentelle Untersuchungen · · · · · s. 76
• •
5.21 Physiologische Untersuchungen und subjektives Urteil s. 76
5.22 Zyklographische Aufnahmen · • · • · · · · · • • • · s. 77
5.3 Deutung der Versuchsergebnisse · · · · · · · s. 77
•
6. Zusammenfassung und SchluBfolgerung · · s. 78
• • •
7. Anhang: Praktische Untersuchungen · · · · · · · · S. 80
• •
7.1 Untersuchungen an Schleppersitzen · · · · S. 81
• • • • • • • •
7.2 Untersuchungen in einer Weberei · · · · · · · · · S. 84
•
7.3 Untersuchungen im Autobus · · S. 85
• • • •
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8. Literaturverzeichnis · · · · · · S. 89
• •
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1. Themastellung
Die Beeinflussung des Menschen durch Schwingungen als Gegenstand wissen
schaftlicher und praktischer Untersuchungen muB zum Ziel haben, Vorstel
lungen vom physikalischen, physiologischen und gegebenenfalls psychischen
Verhalten des Menschen unter SchwingungseinfluB zu bekommen.
Die vorliegenden Untersuchungen stellen mit physikalischen Methoden das
mechanische Schwingungsverhalten des menschlichen Kerpers dar und messen
mit physiologischen Methoden die Belastung des Menschen, die vom physi
kalischen Schwingungsverhalten abhangt. Die Untersuchungsergebnisse phy
sikalischer und physiologischer Art werden zur Definition eines Belastungs
maBstabes ftihren, mit dessen Hilfe kritische Belastungsfalle erkannt wer
den kennen. Die Berticksichtigung der Schwingungseigenschaften des Menschen
bei technischen Konstruktionen kann von vornherein solche kritischen FaIle
ausschlieBen.
Wegen der physikalischen Unterschiede in der Einwirkung von vertikalen
und horizontalen Schwingungen auf den Menschen, die auch meBtechnische
Unterschiede bedingen, werden die horizontalen Schwingungen gesondert be
handelt. Weiterhin wird ein Vergleich zwischen vertikaler, schrager und
horizontaler Erregung durchgeftihrt.
1m Anhang werden einige praktische Untersuchungen dargestellt, an denen
die Untersuchungsmethoden und der BelastungsmaBstab erprobt worden sind.
2. Uberblick tiber bisherige Untersuchungen
Der EinfluB mechanischer Schwingungen auf den Menschen war bereits wieder
holt Gegenstand der medizinischen wie auch der technischen Forschung. Die
Techniker behandelten dabei im wesentlichen das Problem der Belastbarkeit,
vielleicht noch das der Beeinflussung der Sinnesorgane; die Mediziner in
teressierten sich in zahlreichen Untersuchungen ftir die Frage des Vibra
tionssinnes und verwandter Gebiete, in einzelnen Arbeiten aber auch ftir
den Energieverbrauch, den Blutkreislauf, die Abnahme der Reflexe und ahn
liche Fragen bei SchwingungseinfluB.
Die Diskussion der physiologisch-medizinischen Forschung um die Vibra
tionsempfindung einzelner Teile des menschlichen Korpers, etwa der Fin-
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gerkuppe, die als Vibrationssinn von vielen Autoren als eine besondere
Sinnesqualitat angesehen wird, von anderen dagegen als eine schnelle Sukzes
sion von Druckempfindungen betrachtet wird, spielt bei der hier vorliegen
den Fragestellung keine wesentliche Rolle1). Es sollen daher nur die Ar
beiten behandelt werden, die sich mit dem EinfluB von Schwingungen auf
den ganzen Menschen befassen.
Speziell bei den Untersuchungen medizinischer Art haben wir zu unterschei
den zwischen einer physiologischen Fragestellung, also etwa nach dem Ver
halten des Kreislaufs, des Stoffwechsels, der Reflexe, und den Fragen der
allgemeinen "Belastung" des Menschen, die infolge Fehlens eines quantita
tiven MaBstabes ftir den Begriff "Belastung" mit rein medizinischen objek
tiven Methoden nur teilweise zuganglich sind. Hier trat bei den bisheri
gen Untersuchungen die Methode des subjektiven Urteils in die Lticke, die
jedoch nicht unbedingt ein MaB ftir die Schadlichkeit der Belastung lie
fert.
Die bisherigen medizinischen Arbeiten werden in einem Abschnitt zusammen
gefaBt wiedergegeben. Dann folgen die ftir die hier vorliegende Fragestel
lung wichtigen bisherigen Untersuchungen mit Hilfe des Empfindens sowie
physikalische Untersuchungen. Ebenfalls finden einige Arbeiten technischer
Art Erwahnung, die, haufig als Nebenergebnisse nur angedeutet, gewisse
Angaben tiber Belastungshohen geben. Diese Angaben sind allerdings mit Vor
sicht zu verwenden, da sie oft nur spezielle Gtiltigkeit haben und meist
auf einem engen Erfahrungsbereich beruhen.
2.1 Physiologisch-medizinische Untersuchungen
Nachdem in den Jahren nach 1930 durch Untersuchungen des subjektiven Emp
findens bei SchwingungseinfluB (siehe Seite 9 ) eine besonders auch den
Ingenieur interessierende Fragestellung aufgeworfen worden war, erschie
nen seit 1937 einige Arbeiten von COERMANN (1 bis 5) tiber medizinische
Seiten des Problems, jedoch in Anlehnung an Fragestellungen, die die Luft
fahrtforschung aufwarf. In ausgesprochen vielseitigen Versuchsreihen wur
den untersucht:
1. Literaturhinweis: KEIDEL, W.D. "Vibrationsrezeption". Monographienreihe
"Erlanger Forschungen", Reihe B, Band 2. Verlag Universitatsbund Er
langen 1956
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Blutkreislauf
Stoffwechsel
Patellarsehnenreflex
Helligkeitsunterscheidung
Sehscharfe, a. Nadelduse
b. Punktabstand
Getast
Handruhe
Kinasthesie
Reaktionszeit
Aufmerksamkeit
Konzentration, a. Bourdon
b. Kraepelin
Karperdampfung, physikalisch
Die untersuchten Frequenzen liegen bei 15 bis uber 1000 Hertz sinusfar
miger Schwingungen. Als wesentliches Ergebnis wird festgestellt, daB nur
bei relativ hohen Belastungen, wie zum Beispiel 50 Hertz 0,5 mm Amplitude,
Anderungen dieser GraBen auftreten. Der Patellarsehnenreflex jedoch wird
auch bei geringeren Belastungen in starkem MaBe schwacher und kann ganz
verschwinden. Bei labilen Personen kann es Stunden dauern, ehe er wieder
seine volle Starke erreicht hat. Die Sehscharfe leidet besonders bei ge
wissen Frequenzen EinbuBe, so um 25 Hertz sehr stark und auch um 60 Hertz.
Es werden Resonanzstellen des Auges vermutet, wahrend physikalische Damp
fungsuntersuchungen nach Auffassung COERMANNS keine Resonanzstellen ab
15 Hertz mehr erkennen lassen. Bei ertragbaren Schwingweg-Amplituden
(0,05 mm) sind bei Frequenzen uber 140 Hertz keine Schwingungen mehr am
Kopf festzustellen. Die Schadigungsgrenzen werden bedeutend haher als die
von REIHER und MEISTER (siehe S. 10) angesetzt.
Ebenfalls 1939 wurde eine Arbeit von E.A. MULLER (6) veraffentlicht, die
eine gute Erganzung zu den Arbeiten von COERMANN darstellt. Sie umfaBt
den Frequenzbereich von 2 bis 20 Hertz und schlieBt somit nach niedrigen
Frequenzen an die Arbeit von COERMANN an. Die Untersuchungen wurden bei
Amplituden von 0,08 bis 1,6 cm durchgefuhrt, bei vertikalen Schwingungen.
Die subjektive Ertraglichkeitsgrenze hat nach MULLER ahnlichen Verlauf
wie die nach REIHER und MEISTER, liegt aber etwa um eine Zehnerpotenz der
erregenden Amplitude haher. Fur die Kopfschwingung im Vergleich zu den
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erregenden Schwingungen wurden starke Uberhohungen um 100 bis 200 Prozent
zwischen 4 und 5 Hertz festgestellt. Diese Ergebnisse sind im Stehen und
Sitzen etwa gleich. Ein Anstieg des Energieverbrauchs, besonders im 0te-
hen, wurde durch aktive Muskelarbeit der Beine erklart. Uber 4 Hertz stieg
die Ventilation starker an als es der durch die erhohte Muskelarbeit be
dingten Zunahme des Sauerstoffverbrauchs entsprechen wlirde. Hierfur wer
den die durch Tragheitskrafte hervorgerufenen Bewegungen der Eingeweide
zwischen Zwerchfell und Bauchdecke verantwortlich gemacht. Die Zunahme
des Energieverbrauchs wurde als etwa proportional del' Frequenz und der
Amplitude festgestellt. Beim Stehen ist die Zunahme erheblich groBer als
im Sitzen, was auf statische Muskelarbeit zur Aufrechterhaltung des Gleich
gewichtes und dynamische Muskelarbeit als reflektorische Eigenbewegung
gegen die Schwingungen zuruckgefuhrt wird. Kreislaufuntersuchungen erga
ben eine Erhohung del' Pulszahl bis zu 14 je Minute und Blutdrucksenkung
bis zu 14 Torr. Ebenfalls wurde die Hauttemperatur am Unterschenkel ge
messen, die abfallende Tendenz aufweist.
SOMMER (7), LOECKLE (8) und GOLDMANN (9) haben besonders die Abnahme und
das Verschwinden des Patellar-Sehnenreflexes untersucht. Auf Grund ihrer
Experimente werden verschiedenartige Deutungen der Ursache del' Reflexmin
derung angegeben. SOMMER untersuchte den Unterarm unter Vibration und
maE die Aktionsstrome der durch die Vibration ausgelosten Eigenreflexe.
Er stellt nach 90 Minuten keine Ermudung fest. Daher ist SOMMER del' An
sicht, daB die Versuche COERMANNS nicht als Ermtidung von Eigenreflexen ge
deutet werden konnen sondern als Schockwirkung auf zentrale Ganglien.
LOECKLE untersuchte den Patellar-Sehnenreflex, den Achilles-Sehnenreflex
und den Vorderarm-Periostreflex. Die Ergebnisse von COERMANN wurden be
statigt und durch Beeinflussung des vegetativen Nervensystems erklart, wo
bei von einer Tonisierung der Reflexmuskulatur und einer Ermtidung des Re
flexbogens gesprochen wird. Der schlagartige Ausfall des Reflexes bei star
ken Erschtitterungen laBt sich hierdurch nicht erklaren. Die motorischen
und sensiblen Funktionen erwiesen sich als ungestort.
GOLDMANN hat Versuche an Katzen unternommen bei Frequenzen von 10 bis 600
Hertz; Amplituden von 1 mm bringen den Patellar-Sehnenreflex zum Verschwin
den. GOLDMANN sieht keinen Zusammenhang zwischen Reflexausfall und sympa
thischer Innervation. Er meint, daB die Vibration den Reflex dauernd er
regt und so eine zusatzliche Einzelerregung sich nicht mehr dUl'chsetzt.
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Forschungsberichte des Wirtschafts- und Ver~3hrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Einige spezielle Untersuchungen, insbesondere der Luftfahrtforschung ge
ben noch einige Hinweise auf Storungen durch Vibration: FINKLE und POPPEN
(10) stellten fest, daB bei Flugzeugvibrationen der Blutzuckerspiegel an
wachst, Ermtidung festzustellen ist und das Gehor nachlaBt. ROSKE (11) be
obachtet bei Vibration eine teilweise Herabsetzung der Sehleistung, RUFF
(15, 16) untersuchte hohe stoBformige Beschleunigungen. Selbst bei StoBen
geringerer Starke rufen diese oft innere Verletzungen hervor, die durch
geeignete, mit Dampfung versehene Gtirtelkonstruktionen abgefangen werden
konnen. In dies em Zusammenhang ist die Seekrankheit zu erwahnen, die von
GELLER (12) untersucht wurde. Er stellt eine Abhangigkeit der Haufigkeit
und Schwere der Seekrankheit von der Beschleunigung der Schiffsschwingun
gen fest; es wird eine oft betrachtliche Erhohung der Pulsfrequenz und
haufig eine Irregularitat des Pulses gefunden. Parallel damit lauft eine
Erniedrigung des Blutdruckes. Durch die Schiffsbewegung wird bei Menschen
mit labilem Kreislauf bereits ohne die typischen Anzeichen der Seekrank
heit eine Beeintrachtigung der geistigen und korperlichen Leistungsfahig
keit festgestellt.
Versuche an einem statistischen Material von Ratten und Kaninchen hat SUEDl
(13, 14) durchgeftihrt. Er stellt nach 24-sttindiger Vibration geringe Tem
peratursteigerungen fest. Bei Kaninchen untersuchte er den Unterschied
zwischen horizontaler und vertikaler Vibration. Bei vertikaler Vibration
ist eine geringe Abnahme des Korpergewichtes festzustellen, bei horizon
taler Vibration ist die Gewichtsabnahme groBer. Die Tiere mit horizontaler
Vibration starben frtiher als die vertikal vibrierten, frtihestens nach 9
Tagen, spatestens nach 21 Tagen. Einige Tiere starben an Krankheiten, die
durch die Vibration hervorgerufen worden waren. Aus diesen Versuchen wird
der SchluB gezogen, daB, etwa in der Eisenbahn, die horizontalen - und
Schaukelbewegungen weitaus schadigender sind als die vertikalen Erschtit
terungen. Weiter wurden mit horizontalen Schwingungen bei Amplituden bis
zu vier Zentimetern hungernde Ratten untersucht, die im Durchschnitt nach
etwa 2 Tagen starben, wahrend eine nicht vibrierte Vergleichsgruppe nach
im Durchschnitt 6 Tagen starb. Es wird der SchluB gezogen, daB die Vibra
tion die Lebenszeit erheblich herabsetzt.
2.2 Untersuchungen tiber das subjektive Empfinden
JANEWAY (19), JACKLIN (20), Mc FARLAND (21), ZAND (22, 23), CONSTANT
(24, 25), BEST (26), POSTLETHWAITE (27) und andere Autoren, die im folgen-
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