Table Of ContentDie verstimmte Demokratie
Stephan Braun • Alexander Geisler (Hrsg.)
Die verstimmte Demokratie
Moderne Volksherrschaft
zwischen Aufbruch und Frustration
Herausgeber
Stephan Braun Alexander Geisler
Stuttgart, Deutschland Berlin, Deutschland
ISBN 978-3-531-18410-4 ISBN 978-3-531-19035-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-531-19035-8
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Inhalt
Stephan Braun und Alexander Geisler
Die verstimmte Demokratie –
Perspektiven auf gestern, heute und morgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Teil I
Wege und Irrwege der Demokratie – Ideen, Institutionen
und das politische Personal zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Lagebilder und Zukunftsaussichten moderner Demokratie
Karl-Rudolf Korte
Nein-Sagen – Die Demokratie bewegt sich ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Oliver Nachtwey
Postsouveränität und Postdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
Bettina Westle
Souveräne Teilhabe unter Unsicherheit und Halbwissen:
Politisches Wissen und politische Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . 51
Anna Klein, Wilhelm Heitmeyer und Andreas Zick
Demokratie als Kitt einer gespaltenen Gesellschaft ? . . . . . . . . . . . . . . 69
Die deutsche Parteiendemokratie in der Kritik
Elmar Wiesendahl
Unpopulär aus Tradition
Parteienverachtung in Deutschland und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . 79
Andrea Nahles
Die demokratische Entkopplung zwischen Politik und Bürger
Wir brauchen eine neue demokratische Kultur in Wirtschaft,
Gesellschaft und Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
6 Inhalt
Thomas Leif
Im Tal der Ahnungslosen – Politikberater als Kompetenzsimulatoren
im Schatten der politischen Misstrauensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . 103
Alexander Gallus
Die Schönwetterdemokratie im Umfragetief:
Weniger Demoskopie wagen ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Andreas Dörner
Inszenierung in der Politik: nur Show oder
ein konstitutives Moment des Politischen ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Alexander Häusler
Selektive Inanspruchnahme des Demokratischen: Rechtspopulistische
Politik der Feindbilder im Namen der Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . . . 131
Fritz Plasser
Amerika, Du hast es besser ?
Über Furcht und Freude an amerikanischen Verhältnissen . . . . . . . . . . . 141
Politiker – inkompetent, ungeliebt und abgehoben?
Werner J. Patzelt
Abgeordnete und ihr Beruf
Von wahren Vorurteilen und falschen Vorverurteilungen . . . . . . . . . . . 153
Miro Jennerjahn
Politik als Lebenswelt und Karriere:
Warum wir die Politiker haben, die wir haben . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Gerd Langguth
Lebensferne Wichtigtuer ?
Karriereprofile der neuen Politikergeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Oskar Negt
Plädoyer für mehr Gesellschaftsutopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Inhalt 7
Teil II
Experimente auf dem Weg zu einer anderen Demokratie
Direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung – jenseits von Stuttgart 21
Theo Schiller
Direkte Demokratie – die mühsame Öffnung zum Volksentscheid . . . . . . . 199
Frank Decker
Möglichkeiten und Grenzen der direkten Demokratie –
das Beispiel Stuttgart 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Arno Luik
Essay: Zukunftsmodell Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
Rainer Nübel
Mitreden, streiten. Und zuhören ?
Die Volksversammlung in Stuttgart: Beobachtungen
und Anmerkungen zu einer neuen alten demokratischen Einrichtung . . . . . 229
Wolfgang Gessenharter
Chancen und Grenzen von Bürgerbeteiligungen – Theorie und Praxis
Probleme heutiger politischer Kultur und Bürgerbeteiligung . . . . . . . . . 237
Ein neuer Dialog zwischen Bürger und Politik
Hans J. Kleinsteuber (†) und Kathrin Voss
abgeordnetenwatch.de – Bürger fragen, Politiker antworten . . . . . . . . . 249
Günter Metzges
Politik im Netz der Jedermann-Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Nicolle Pfaff
Demokratie lernen ? Jugend zwischen Politikverdrossenheit und Protest . . . 269
Anne Seifert und Franziska Nagy
Demokratie-Lernen an der Schule
Service-Learning – Lernen durch Engagement
als demokratiepädagogische Unterrichtsmethode . . . . . . . . . . . . . . 287
8 Inhalt
Gisela Erler
E-Partizipation: Bürgerbeteiligung für Baden-Württemberg –
Wie wir die Politik öffnen können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Christine Arbogast und Vinzenz Huzel
„Man kann die Politik richtig fühlen“ –
Erfahrungen mit dem Planspiel Kommunalpolitik
der Friedrich-Ebert-Stiftung in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . 309
Nachwort und Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Autoren und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Die verstimmte Demokratie –
Perspektiven auf gestern, heute und morgen
Stephan Braun und Alexander Geisler
„Und jetzt scheiß ich auf eure Demokratie, ich glaub so ungerecht wie heut-
zutage war sie noch nie. Ich scheiß auf Diäten mit Jojo-Effekt, ihr wollt
auf’s Volk scheißen und denkt ihr werdet sauber geleckt, wem’s schmeckt.
Ich hab kein Bock auf eure ungerechten Steuern, genauso gut könnt ich
mein Geld im Backofen verfeuern.“
Xavier Naidoo: Abgrund, Telegramm für X, 2005.
Kurz vor Weihnachten 2011 wurde der Mannheimer Musiker Xavier Naidoo, bekannt als
Solokünstler und Mitglied der Popgruppe „Söhne Mannheims“, in seiner Heimatstadt
mit der Hans-Lenz-Medaille geehrt, vergeben von der öffentlich eher unauffälligen Bun-
desvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO). Das Medienecho war zumindest
regional beachtlich, selbst wenn der Geehrte zugeben musste, erst durch die Verleihung
erfahren zu haben, dass es überhaupt einen solchen Verband gibt.1
Ihren Namen verdankt die Auszeichnung dem dritten Präsidenten der BDO, der
als liberaler Spitzenpolitiker unter anderem Bundesminister für wissenschaftliche For-
schung im Kabinett des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer war. Die Laudatio
übernahm der FDP-Bundestagsabgeordnete Ernst Burgbacher, seit 2009 parlamenta-
rischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie und seines
Zeichens Präsident des BDO.
„Es steht fest, dass sein musikalisches Schaffen unzählige junge Menschen verschie-
denster Herkunft darin bestärkt hat, Musik als Ausdrucksform zu nutzen“2, würdigte
Burgbacher die Verdienste Naidoos. Offen ist, ob er dabei an Zeilen wie diese dachte, die
Naidoo noch wenige Jahre zuvor in Musik gefasst hatte:
„Mit der Fernbedienung in der Hand, sehn wir euren Untergang, das Leichentuch ist aufge-
spannt, das ganze Land blickt ganz gebannt auf die Damen und Herren in schwarz und ich
sage euch das war’s und jetzt brauchen wir ihn auch nicht mehr den MdB aus Glas.“3
Diese Anekdote veranschaulicht eine ganze Reihe von Aspekten, denen sich der vor-
liegende Sammelband widmet. Einerseits illustriert sie die enge wechselseitige Ver-
flechtung von Politik, Verbandswesen, Kulturszene und Bürgergesellschaft, der sich
selbst diejenigen kaum entziehen können, die sich als scharfe Kritiker der so genann-
ten „politischen Klasse“ zu profilieren suchen. Zweitens erlaubt sie einen Einblick in
S. Braun, A. Geisler (Hrsg.), Die verstimmte Demokratie, DOI 10.1007/978-3-531-19035-8_1,
© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012
10 Stephan Braun und Alexander Geisler
die Aufmerksamkeitsmechanismen einer Öffentlichkeit, die primär über Massenmedien
hergestellt wird, und zeigt, wie sich auf dieser Klaviatur spielen lässt, um journalistische
Aufmerksamkeit auf politisches und gesellschaftliches Engagement zu lenken. Und drit-
tens lenkt sie den Blick auf die – zumindest vormals – vehement postulierte Distanz
eines gesellschaftl ichen Vorbilds gegenüber der Demokratie beziehungsweise der Art
und Weise, wie sie in Deutschland funktioniert.
1 Ein Blick zurück: Die Demokratiekrise als Dauerzustand ?
Diagnosen die andeuten, dass in der deutschen Gesellschaft einiges im Argen liegt, wenn
es um die Demokratie und ihre Repräsentanten geht, sind keineswegs neu. Im Gegen-
teil: „Die Klage über politische Parteien und Eliten, die Warnung vor der Entfremdung
der Bürger von den demokratischen Institutionen gehört in modernen Konsumenten-
demokratien seit langem zum festen Bestand des öffentlichen politischen Diskurses.“4
Das gilt sogar für die Demokratie im Allgemeinen, deren Historie sich durchaus als
„Geschichte ihrer Krisen“5 lesen lässt. Im Rückblick genießt sie erst seit dem vergangenen
Jahrhundert jenes überwiegend positive Image, das ihr in den westlichen Industrielän-
dern gegenwärtig attestiert wird:
„Der großen Mehrheit der Philosophen, Staatswissenschaftler und Politiker galt die Demo-
kratie lange als eine schlechte Staatsform, als wankelmütige „Pöbelherrschaft“, bestenfalls als
eine Ordnung, die nur im Rahmen kleiner Gemeinwesen zu verwirklichen sei und – wenn
überhaupt – nur akzeptabel wurde, wenn sie mit Elementen anderer Staatsformen, insbe-
sondere der Monarchie, Aristokratie oder Oligarchie vermischt und hierdurch gemäßigt
wurde.“6
Dieses eher skeptische Bild wurde erst im Zuge der Durchsetzung des Verfassungsstaa-
tes und der Entstehung moderner Massendemokratien in ein optimistischeres Licht ge-
rückt, sodass von einer weitgehenden Anerkennung demokratischer Herrschaftsformen
nicht vor dem 20. Jahrhundert die Rede sein kann.7 Gerade in Deutschland kann die
die Demokratie keineswegs auf eine lange Zeit unangefochtener Vorherrschaft zurück-
blicken, wie auch der Historiker Paul Nolte betont:
„Im vergangenen Jahrzehnt ist eine neue Debatte über die Demokratie entbrannt, die grund-
sätzliche Fragen an die Zukunftsfähigkeit demokratischer Regierungsformen aufgeworfen
hat, ihrer Institutionen wie der Parteien und Parlamente ebenso wie des tieferen Fundaments
von demokratischer Gesellschaft und Kultur. In Deutschland war die Demokratie lange Zeit
nicht selbstverständlich: Die Weimarer Republik ist gescheitert, auch an einem Mangel an
demokratischer Gesinnung, die nach 1945 in der jungen Bundesrepublik erst gelernt wer-
den musste, zumal von den Eliten und den bürgerlichen Schichten. Die DDR versuchte bis