Table Of ContentHarald Fritzsch
Die verbogene
Raum-Zeit
Newton, Einstein und die Gravitation
Mit 109 Abbildungen
Piper München Zürich
Zeichnungen: Dieter Krahl, nach Vorlagen von
Gabriele Bodenmüller
Von Harald Fritzsch liegen in der Serie Piper außerdem vor:
Vom Urknall zum Zerfall (518)
Eine Formel verändert die Welt (1325)
Quarks (1655)
Ungekürzte Taschenbuchausgabe
1. Auflage November 1997
3. Auflage Oktober 2000
© 1996 Piper Verlag GmbH, München
Umschlag: Büro Hamburg
Stefanie Oberbeck, lsabel Bünermann
Umschlagabbildung: Image Bank
Foto Umschlagrückseite: Karl-Heinz Stein
Satz: Graphic Design Studio Krahl, Zorneding
Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany    ISBN 3-492-22546-2
Die im nachfolgenden dargelegte Theorie bildet die denkbar weit-
gehendste Verallgemeinerung der heute allgemein als »Relativi-
tätstheorie«  bezeichneten  Theorie;  die  letztere  nenne  ich  im
folgenden  zur  Unterscheidung  von  der  ersteren  »spezielle
Relativitätstheorie«  und  setze  sie  als  bekannt  voraus.  Die
Verallgemeinerung  der  Relativitätstheorie  wurde  sehr  erleichtert
durch die Gestalt, welche der speziellen Relativitätstheorie durch
Minkowski gegeben wurde, welcher Mathematiker zuerst die for-
male  Gleichwertigkeit  der  räumlichen  Koordinaten  und  der
Zeitkoordinate  klar  erkannte  und  für  den  Aufbau  der  Theorie
nutzbar machte.
Albert Einstein
(Anfang seiner Arbeit zur Grundlegung der
Allgemeinen Relativitätstheorie, in:
»Annalen der Physik«, 4. Folge 1916)
Inhalt
Vorwort.....................................................................................9
  1. Einleitung..........................................................................11
  2. Mit Einstein und Newton in Caputh..................................25
  3. Raffiniert ist der Herrgott..................................................35
  4. Teilchen und ihre Massen.................................................55
  5. Hallers Vortrag: Das Vakuum und die moderne Physik...75
  6. Masse - was ist das?..........................................................99
  7. Ist die Schwerkraft eine Kraft?.......................................113
  8. Das verbogene Licht.......................................................129
  9. Die krumme Flachwelt....................................................141
10. Krummer Raum und kosmische Faulheit........................163
11. Die verbogene Zeit..........................................................179
12. Materie in Raum und Zeit...............................................203
13. Ein Stern verbiegt Raum und Zeit...................................213
14. Der Friedhof der Sterne...................................................229
15. Die Mauer der gefrorenen Zeit........................................243
16. Im Vorhof der Hölle........................................................255
17. Monster der Raum-Zeit...................................................267
18. Kosmische Schwebungen................................................287
19. Einsteins Eselei und das dynamische Universum...........301
20. Die Entdeckung auf dem Mount Wilson.........................321
21. Echo des Urknalls...........................................................333
22. Die ersten Sekunden........................................................353
23. Ein kosmisches Märchen.................................................363
Epilog....................................................................................389
7
Anhang:
Die Grundideen der Speziellen Relativitätstheorie...............391
Glossar..................................................................................397
Nachweis der Zitate..............................................................406
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Vorwort
Anfang der 20er Jahre fragte ein Journalist den für seine Bonmots
bekannten  englischen  Astronomen  und  Astrophysiker  Arthur
Eddington, ob es wahr sei, daß nur drei Menschen auf der Welt die
Allgemeine Relativitätstheorie verstehen würden. Als Eddington
mit der Antwort zögerte, interpretierte dies der Journalist als über-
triebene Bescheidenheit und wiederholte seine Frage. Darauf sagte
Eddington: »Ich überlege nur, wer der dritte sein könnte.«
Zweifellos hat Eddington stark untertrieben, denn zu jener Zeit
haben sich zumindest einige Dutzend Physiker und Mathematiker
mit  Einsteins  Theorie  intensiv  beschäftigt.  Heute  sind  die
Grundzüge  der  Allgemeinen  Relativitätstheorie  den  meisten
Physikern zumindest in ihren groben Umrissen bekannt. Jedoch
kann  man  kaum  davon  reden,  daß  die  neue  Interpretation,  die
Einstein im Rahmen seiner Theorie dem Phänomen der Schwer-
kraft, der Zeit und dem Raum gab, einem größeren Publikum ver-
traut ist.
Die von Einstein entwickelten Vorstellungen über die Struktur
von  Raum  und  Zeit  wie  auch  einige  der  Konsequenzen  seiner
Ideen,  etwa  bezüglich  der  kosmologischen  Entwicklung,  sollten
jedoch Teil des allgemeinen Kulturguts sein. Künftige Generatio-
nen werden sie zu den wichtigsten Erkenntnissen unseres auslau-
fenden Jahrtausends zählen. Dieses Buch möge mit dazu beitragen,
daß Einsteins Ideen nicht nur von einem kleinen Teil von Fachleu-
ten verstanden, sondern Teil der Allgemeinbildung werden. Bei der
Eröffnung der Funkausstellung in Berlin im Jahre 1930 begann
Albert Einstein seine Rede mit den Worten: »Sollen sich alle schä-
men, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Tech-
9
nik bedienen und nicht mehr davon erfaßt haben, als eine Kuh von
der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frißt.«1
Die ersten Kapitel dieses Buches wurden während eines Frei-
semesters, das ich am CERN in Genf verbrachte, geschrieben. Den
Kollegen  der  CERN-Theorieabteilung  sei  für  die  freundliche
Hospitalität  gedankt.  Die  letzten  Kapitel  des  Buches  wurden
anläßlich eines Forschungsaufenthalts am California Institute of
Technology  in  Pasadena  konzipiert.  Den  Kollegen  des  Physik-
Departments  des  Caltech  gilt  mein  Dank  für  die  gewährte
Unterstützung  und  für  stimulierende  Diskussionen,  ebenso Mrs.
Helen  Tuck  für  die  Hilfe  beim  Beschaffen  von  Abbildungen.
Ferner danke ich Ulrich Petzold, Hanns Polanetz, Jochen Schörken
und Dr. Klaus Stadier vom Piper Verlag für viele nützliche Hin-
weise bei der Fertigstellung des Buches.
München, Februar 1996 Harald Fritzsch
10
1
Einleitung
Dem Zauber dieser Theorie wird sich
kaum jemand entziehen können, der sie
wirklich erfaßt hat.
Albert Einstein1.1
Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts deuteten sich die großen
weltpolitischen Veränderungen an, die letztlich zu einer Neugestal-
tung  der  politischen  Strukturen  in  Europa  nach  dem  Ersten
Weltkrieg führen sollten. Etwa um dieselbe Zeit nahm auch eine
revolutionäre  Umgestaltung  der  Naturwissenschaften  ihren  An-
fang.  So  entwickelte  der  eher  konservativ  eingestellte  deutsche
Physiker  Max  Planck  die  ersten  Ideen  zur  Quantentheorie,  die
letztlich zu einem radikalen Umbau der Physik und, mehr noch, der
Fundamente  der  Naturwissenschaften  führten.  Kurz  nach  dem
Beginn des neuen Jahrhunderts gab ein junger Beamter des Eid-
genössischen Patentamtes in Bern, Albert Einstein, den seit dem
ausgehenden Mittelalter festgefügten Begriffen von Raum und Zeit
eine neuartige Interpretation, indem er um 1905 die Grundlagen
der Relativitätstheorie, genauer der Speziellen Relativitätstheorie,
schuf.
Zur Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts war die klassische
Physik  das  Modell  und  Vorbild  für  die  Naturwissenschaften
schlechthin. Sie war von der klassischen Mechanik Isaac Newtons
(1643 -1727) beherrscht. Die Gesetze der Mechanik interpretierte
man  als  eherne  Naturgesetze,  die  universell  im  Kosmos  ihre
Gültigkeit hatten, ganz gleich, ob man die Bewegung von Körpern
auf  der  Erde  untersuchte  oder  aber  den  Bewegungsablauf  der
11
Planeten und Sterne im Weltraum. Der Kosmos wurde als ein rie-
siges Uhrwerk betrachtet, dessen Bewegungsabläufe von der klas-
sischen Physik bestimmt wurden. Die Grundpfeiler der Newton-
schen Mechanik waren die Stabilität und Unveränderlichkeit von
Raum, Zeitablauf und Materie im Kosmos.
Mit  Einsteins  Spezieller  Relativitätstheorie  erfuhren  diese
Begriffe  eine  neue  Deutung,  die  überraschende  Konsequenzen
nach sich zog. So erwiesen sich Raum und Zeit als Phänomene, die
vom  Zustand  des  Beobachters  abhängig  sind.  Auch  von  der
Universalität der Masse, einem wichtigen Aspekt der Newtonschen
Physik, mußte man Abschied nehmen: Masse konnte sich unter
gewissen Bedingungen in Energie verwandeln und umgekehrt, ent-
sprechend der Einsteinschen Gleichung E = mc2, eine Folge der
Speziellen Relativitätstheorie. Diese Relation besagt, daß jedem
Stück  Materie  eine  enorme  Energie  entspricht,  die  man  erhält,
wenn  man  die  entsprechende  Masse  mit  dem  Quadrat  der
Lichtgeschwindigkeit c (c = 300.000 km/s) multipliziert. Aller-
dings läßt sich diese Energie nur in Ausnahmefällen freisetzen,
etwa bei Kernreaktionen oder bei der Explosion eines Sterns im
Kosmos (»Supernova«).
Eine  der  interessanten  Konsequenzen  der  Speziellen  Rela-
tivitätstheorie, deren Grundlagen Einstein im Jahre 1905 konzi-
piert hatte, ist die Vereinheitlichung von Raum und Zeit. Es erwies
sich, daß es nicht möglich ist, Raum und Zeit als zwei völlig
getrennte Phänomene zu betrachten, wie es einst Newton gelehrt
hatte. In Einsteins Theorie verschmolzen Raum und Zeit zu einer
Einheit,  zur  Raum-Zeit.  Eine  der  Folgen  dieser  Einheit  ist  die
Abhängigkeit  des  Ablaufs  der  Zeit  vom  Bewegungszustand.  In
einem schnell bewegten System läuft die Zeit langsamer ab als in
einem ruhenden, was beispielsweise zum sogenannten Zwillings-
paradoxon führt - zwei Zwillinge, der eine in Ruhe auf der Erde,
der andere in schneller Bewegung etwa in einem Raumschiff im
Weltraum, altern verschieden rasch.
Diese und andere Konsequenzen der Relativitätstheorie schei-
nen im Widerspruch zur Erfahrung zu stehen, zu den intuitiven
Vorstellungen über den uns umgebenden Raum und den anschei-
12
nend  universell  dahinfließenden  Strom  der  Zeit,  die  in  jedem
Menschen  von  Geburt  an  entwickelt  sind.  Aus  diesem  Grunde
spricht man oft auch davon, daß die Relativitätstheorie zu einem
radikalen Umsturz der Begriffe von Raum und Zeit führte. Dies ist
jedoch nicht der Fall: Vielmehr handelt es sich vornehmlich um
eine Erweiterung dieser Begriffe für Situationen, die man im tägli-
chen Leben praktisch nicht antrifft - für Prozesse, bei denen sich
Körper, etwa Atomkerne oder Elementarteilchen, mit Geschwin-
digkeiten bewegen, die der Geschwindigkeit des Lichtes von etwa
300 000 Kilometer pro Sekunde nahekommen.
Eines  aber  hatte  die  Spezielle  Relativitätstheorie  mit  der
Newtonschen Lehre von Raum und Zeit gemeinsam: Raum und
Zeit waren nach Newtons Vorstellungen fest vorgegebene Erschei-
nungen - sie waren die Bühne, auf der die dynamischen Prozesse
der Welt stattfanden. Nichts vermochte die Struktur des Raumes
und den Ablauf der Zeit zu beeinflussen. In der Speziellen Relativi-
tätstheorie werden Raum und Zeit durch die Einheit von Raum und
Zeit - die Raum-Zeit - ersetzt. Aber auch bei letzterer handelt es
sich um einen festgefügten, ehernen Rahmen, unwandelbar und
unbeeinflußbar durch äußere Einflüsse.
Zwei  Jahre  nach  seiner  ersten  Arbeit  über  die  Spezielle
Relativitätstheorie, im Herbst 1907, beschäftigte sich Einstein erst-
mals damit, das Phänomen der Schwerkraft, also der Gravitation,
auf der Grundlage der von ihm geschaffenen neuen Interpretation
des Raumes und der Zeit näher zu verstehen. Bald wurde ihm klar,
daß  die  Relativitätstheorie  einer  beträchtlichen  Erweiterung
bedurfte, um die Gravitation mit einzubeziehen.
Als universelle physikalische Kraft war die Gravitation im Jahre
1666 von dem damals 23  Jahre  alten  Isaac  Newton in  seinem
Heimatort Woolsthorpe entdeckt worden. Der Überlieferung nach
war es ein vom Obstbaum in seinem Garten auf den Erdboden fal-
lender Apfel, der Newton zu der Überlegung führte, daß diejenige
Kraft, die den Apfel nach unten zieht, dieselbe Kraft sein muß wie
die, welche den Mond auf seine Bahn um die Erde zwingt, oder die
Kraft, die von der Sonne auf die Erde ausgeübt wird, damit sie ihre
jährlichen Kreise um die Sonne zieht. Aus dieser Idee entstand das
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