Table Of ContentBierkens Die Urteilsbildung in der Psychodiagnostik
Die Urteilsbildung
in der Psychodiagnostik
von
Pieter B. Bierkens
®)
19 68
Johann Ambrosius Barth . Mtinchen
DR. P. B. BIERKENS, RET DENKEN VAN DE PSYCHOLOOG
Een verkenning van het psymodiagnostism redeneerproces
(Bijdragen tot de psychologie 10)
Assen 1966 Koninklijke Van Gorcum &. Compo N.V.
Autorisierte Obertragung aus dem Niederllindischen
- nach einer unveroffentlichten N eufassung des Originals -
von
WALTHER VONTIN
© Johann Ambrosius Barth Mtinchen 1968
Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1968
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen
Wiedergabe und der Ubersetzung, vorbehalten.
Gesamtherstellung: Graphische Werkstatten Kosel, Kempten
ISBN-13: 978-3-642-86393-6 e-ISBN-13: 978-3-642-86392-9
DOT: 10.1007/978-3-642-86392-9
Inhaltsverzeichnis
Einleitung . . 9
ERSTES KAPITEL Die gegenwartige Situation der Psychologie 13
I. DIE METHODENDISKUSSION 13
II. KRITISCHER KOMMENTAR • 16
1. Objektivitat in der wissenschaftlichen Psychologie . 17
2. Der Platz der Mathematik in der Psychologie . . . 18
3. Die Psychologie des Alltags und die wissenschaftliche Psychologie 20
4. Einige Anmerkungen tiber die Personlichkeitswissenschaft 22
III. DIE PROBLEMATIK DER KLrNISCHEN PSYCHODIAGNOSTIK 24
1. Idiographisches und nomothetisches Verfahren 25
2. Die Aufgabe der Psychodiagnostik. . . . . . . . . 28
3. Kritik an den projektiven Methoden. . . . . . . . 30
ZWEITES KAPITEL Die psychodiagnostische Untersuchung . 33
1. Einige Begriffsbestimmungen. . . . . . . . 33
2. Die Ausgangspunkte des Psychodiagnostikers . . . . 35
3. Die psychologische Fragestellung . . . . . . . . . . 36
4. Probleme der Einleitung und Durchftihrung von Testuntersuchungen 38
5. Das Problem der Normen . . . . . . . . . . . 40
6. Die Person des Psychodiagnostikers als "Variable« 41
7. Einftihrungsgesprach und Exploration. 44
8. Bestimmung von Eigenschaften . 46
9. Hypothesen . . . . . . . . . . . . 50
10. Interpretationen . . . . . . . . . . 51
11. Testpsychologische Konsequenzen der psychologischen Fragestellung 54
12. Die Reihenfolge der Tests . . 55
13. Die Intelligenzuntersuchung. . . . . . . 56
14. Zwei Arten der Evidenz . . . . . . . . . 57
15. Die Anwendbarkeit projektiver Verfahren 58
16. Das Gutachten . . . . . . . . . . . . . 62
DRITTES KAPITEL Syllogistische und natiirliche Urteilsfindung 67
I. DIE INFERENZTHEORIE (SCHLUSSFOLGERUNGSTHEORIE) VON
SARBIN, TAFT UND BAILEY •...•......•. 67
1. Zie1setzung und Standortbestimmung . . . . . . . 67
2. Das System der Voraussetzungen ("postulate-system«) 69
3. Die okologische Organisation . . . . . . . . . . . 70
4. Die kognitive Organisation . . . . . . . . . . . . 72
5. Die wechse1seitige Einwirkung der okologischen und der kognitiven
Organisation . . . . . . . . . . 73
6. Die Mangel der klinischen Inferenz 78
7. Reaktionen in der Literatur . 82
8. Vorlaufige Wtirdigung . . . . . . 85
7
II. NEWMANS ANALYSE DER INFERENZ •••••.•..•... 90
1. »A Grammar of Assent« - »Entwurf einer Zustimmungslehreu 90
2. Zusammenfassende Darstellung der »Grammar of Assent« . .. . 91
al Einige Begriffsbestimmungen bl Der Wert und die Grenzen der
formalen Logik cl Das implizite Folgem dl Der Folgerungssinn
{»The Illative Sense«l el GewiBheit und Wahrheit fl Einige histo-
rische Hintergriinde der "Grammar of Assent« .
3. Die Bedeutung der »Grammar of Assent« ftir die Psychologie . 103
VIERTES KAPITEL Varianten psychodiagnostischer Denkprozesse 106
1. Formen der psychodiagnostischen SchluBfolgerung. . . . . . 107
al Die formal-logische Form der Inferenz bl Die »informale« Folge
rung cl Die »natUrliche" Folgerung
2. Empirische Untersuchung des klinisch-psychologischen Denkprozesses 115
3. Der psychodiagnostische DenkprozeB in aktualgenetischer Betrachtung 119
4. Ein Fall aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
5. Analyse der psychodiagnostischen Urteilsfindung tiber diesen Patienten 128
6. Die Konvergenzmethode in der Geschichtswissenschaft . . 136
7. GewiBheit und Wahrscheinlichkeit 138
8. Die psychologische Beratung . . . . . . . . . . . . . 140
FUNFTES KAPITEL Die bessere wissenschaftliche Fundierung der
psychodiagnostischen Praxis - Probleme und Moglichkeiten . . . . 146
1. Der Beitrag der Forschung zum Beurteilen Anderer . . . . . . . . 149
al Der Zusammenhang zwischen subjektiver GewiBheit und Urteils
richtigkeit bl Der EinfluB der Ausbildung des Psychologen auf die
Richtigkeit seines Urteils cl Eigenschaften guter Beurteiler
2. Probleme beim Auswerten kombinierter Gegebenheiten . . . . . . 159
3. Der psychologische Test . . . . . . . . .'. . . . . . . . . . . 164
4. Der Psychodiagnostiker im Lichte der »Entscheidungslehre« {Decision
Theory I 168
SchluBbetrachtung 172
Englische, franzosische und lateinische Zitate . 177
Literatur ................. . 186
8
Einleitung
Die Geschichte scheint in unserer Zeit schneller abzulaufen als je zuvor.
Der Mensch von heute ist sich dessen bewuBt, daB er in einer Kultur
periode lebt, in der sich sehr schnell neue Formen des Zusammenlebens,
der Arbeit, des Gottesdienstes, der Erziehung, des Unterrichts und der
Erholung entwickeln. Dieses BewuBtsein fuhrt viele Menschen zur Kritik
an der jungsten Vergangenheit und llillt sie die historische Bedingtheit
gegenwartiger Kulturformen erkennen. Das ist das Thema vieler, vor
aHem sozialpadagogischer Schriften, in denen die Mitburger von heute
ermahnt werden, sich urn eine wandlungsfahige geistige Aufgeschlossen
heit zu bemuhen und notfalls zu lernen, "mit Unsicherheiten zu leben«.
Die Sicherheiten von einst scheinen sich, zur Beunruhigung vieler Men
schen, zu verfluchtigen. Kunz (1957, S. 96) spricht in diesem Zusammen
hang von einer "Erweichung des Wirklichkeitscharakters der wesenhaften
Wirklichkeiten«. Es ist, so fahrt er fort, "als sei an die Stelle des Granits
uberall ein beliebig bestimmbarer Brei getreten«.
Anderseits muB aber auch festgestellt werden, daB der Durchschnitts
mensch von heute ein sehr viel weniger krisenhaftes und mit Unsicherheit
erfulltes Leben fuhrt, als eifrige Kulturpessimisten uns immer wieder glau
ben machen wollen.
Man darf auch nicht von der Vorstellung ausgehen, das BewuBtsein des
schnellen Wandels in unserer Kultur und die damit verbundene Kritik
an fruheren Standpunkten seien allein spate Auswirkungen des Nach
kriegs-Denkens. Dies BewuBtsein treffen wir auch in vergangenen Jahr
hunderten an. Jede Epoche ist in Gefahr, ihre eigenen Schwierigkeiten
gegenuber denen def vorangegangenen Generationen betrachtlich zu
tiberschatzen. Als ein Beispiel sei Goethe angefuhrt, der in seinen "Wahl
verwandtschaften« (erschienen 1809) Eduard, eine seiner Haupdiguren,
ausrufen llillt: "Es ist schlimm genug, daB man jetzt nichts mehr fur sein
ganzes Leben lernen kann. Unsere Vorfahren hielten sich an den Unter
richt, den sie in der Jugend empfingen; wir aber mussen jetzt aIle runf
Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen«
(4. Kapitel).
Auch die Selbstkritik der Psychologie ist kein neues Phanomen. Die kurze
Geschichte dieser jungen Wissenschaft zeigt, daB es praktisch von Anfang
an viele wissenschaftliche Plankeleien gegeben hat.
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Trotzdem ist in der Psychologie besonders neuerdings eine Krise der
Uberzeugungskraft und ein Abbrockeln alter, gesichert erscheinender Po
sitionen festzustellen. Manchmal hat man den Eindruck eines bis dahin
unbekannten Bildersturmes. Auf die ziemlich kurze Periode imponieren
der Erkenntnisse (lames, Freud, lung, Adler, Spranger, KretsCbmer - urn
nur einige Namen zu nennen) und des Vertrauens in den psychologischen
Test als Arbeitsmittel folgte, besonders nach dem Zweiten Weltkrieg,
eine Zeit intensiver methodischer Besinnung und der kritischen, oft skep
tischen Abwertung des heutigen wissenschaftlichen Ranges der Psychologie.
Publikationen wie die von De Groot (1961), Strasser (1964) und LinsCboten
(1964) sind daftir symptomatisch.
Ich glaube, daB die interne Selbstkritik der Psychologie zugleich ein Sym
ptom jenes breiteren Kulturphanomens ist, von dem schon die Rede war,
um so mehr, als die Psychologie mit der Gesamtkultur in einem ProzeB
wechselseitiger Beeinflussung eng verbunden ist. In einem Kulturklima,
wie ich es skizziert habe, kann der Glaube an die Unfehlbarkeit der
eigenen psychologischen Wissenschaft wohl kaum gedeihen.
Dariiber hinaus muB die Selbstbesinnung innerhalb der Psychologie noch
unter einem anderen Aspekt gesehen werden: als das sehr willkommene
Ringen um eine eigene definitive wissenschaftliche und gesellschaftliche
Identitat. Das ist eine Entwicklungskrise, die jede junge Wissenschaft ein
mal durchlaufen muK
Die Entwicklungsproblematik wird noch dadurch besonders verstiirkt, daB
die Psychologie in hoherem MaBe als die meisten anderen Wissenschaften
weitverzweigte Wurzeln im vorwissenschaftlichen Denken hat, wodurch
die Abgrenzung der eigenen Identitat erschwert wird.
1m tibrigen wirkt aber die selbstkritische Haltung der Psychologie sich
durchaus nicht liihmend aus, vielmehr regt sie zu gezielten Forschungen
und Publikationen an. Das gilt auch fur das Spezialgebiet der Psychodia
gnostik, wo man sich intensiv urn immer bessere Methoden bemtiht.
Verglichen mit der groBen Anzahl von Untersuchungen und Veroffent
lichungen tiber psychodiagnostische Probleme, hat der DenkprozeB, der
sich beim praktizierenden (klinischen) Psychologen abspielt, wenn er auf
grund des ihm vorliegenden Materials zu seinem Urteil gelangt, bisher nur
wenig Beachtung gefunden.
Weitaus die meisten Untersuchungen tiber das Beurteilen von Menschen
beschiiftigen sich mit dem Resultat, aber nicht mit dem ProzeB des Urtei
lens. Yom Resultat her zieht man dann vielleicht Rtickschltisse auf die Zu
verlassigkeit der Gegebenheiten (z. B. Fotos, RorschachprotokolleL auf die
sich die Beurteilung sttitzt. Je nach der Art des Beurteilungsauftrags, den der
Psychologe erhalt (z. B. allgemeine Personenbeschreibung oder spezielle
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Vorhersagen), und des Beurteilungsmaterials (z. B. psychometrisch erlangte
Testergebnisse oder Protokolle von projektiven Tests) vermuten die
Untersucher dann Unterscb.iede in der Art, in der eine Urteilsbildung bei
den Versuchspersonen zustande kommt. lch erwahne in diesem Zusam
menhang den Unterscb.ied zwischen einem mehr einftihlenden, »intui
tiven« und einem mehr logisch-rationalen Vorgehen. Aber niemals wird
die spezifische Art der Urteilsbildung selbst deutlich beschrieben.
Es ist z. B. auch aU£fallend, daB tiber diesen wichtigen Aspekt der psy
chologischen Praxis in dem 1964 von R. Hei{3 herausgegebenen groBen
Handbuch »Psychologische Diagnostik« kaurn etwas zu finden ist. In dem
neuen »Handbook of Clinical Psychology«, das B. Wolman 1965 heraus
gegeben hat, sucht man sogar vergebens nach Angaben zu diesem Thema.
Die wenigen Publikationen, die sich mit diesem Thema speziell besch1if
tigen, sind fast aIle amerikanischen Ursprungs (z. B. Meebl 1954 1960
j j
Koester 1954 McAItbur 1954 Parker 1958 Sarbin, Taft und Bailey 1960
j j j j
Tborne 1960, 1961aj Holt 1961 Mahrer-Young 1961).
j
lch betrete mit dieser Untersuchung also ein Feld, das noch so gut wie un
bestellt ist, und kann daher auch nicht mehr bieten als eine erste Ge
landeerkundung und ein wenig Urbarmachung.
Mein erstes und vornehmstes Ziel ist eine deskriptive und zugleich kri
tisch wertende Untersuchung der Wege, die der Psychodiagnostiker, ins
besondere der klinische Psychologe, einzuscb.lagen p£legt, urn zu seiner
Aussage zu gelangen.
Daftir will ich nicht nur das zu Rate ziehen, was in der Literatur zu die
sem Thema (oft auch nur implizite) an Material vorliegt, sondern auch
auf meine eigene Erfahrung als praktizierender Psychologe zurtickgreifen.
1m AnschluB daran werde ich:
a) den spezifischen Ort und die Funktion des personlichen Beitrags be
scb.reiben, den der Psychologe im Rahmen der psychodiagnostischen
Untersuchung leistet,
b) die Bedeutung nachweisen, die ,. H. Newmans Analysen des sogenann
ten »impliziten« schluBfolgernden Denkens haben,
c) die Moglicb.keiten und Grenzen einer besseren wissenschaftlichen Fun-
dierung der psychodiagnostischen Untersuchung darstellen.
1m 1. Kapitel wird die Methodendiskussion in der gegenwartigen Psycho
logie und die damit zusammenhangende Problematik im Bereiche der
Psychodiagnostik behandelt. Dadurch mochte ich das Hauptthema dieses
Buches in einen breiteren Zusammenhang stellen.
1m 2. Kapitel sollen - im Sinne einer vorHiufigen Gelandebeschreibung - die
Ausgangspunkte und die kognitiven Aktivitli.ten des praktizierenden Psy
chodiagnostikers einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.
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Das 3. Kapitel hat die logische Struktur des klinisch-psychologischen Ur
teilsprozesses zum Gegenstand. Ich werde zuerst tiber die Theorie der
"klinischen Inferenz« von Sarbin, Taft und Bailey berichten und sie dann
einer kritischen Betrachtung unterziehen; im Rahmen des Kommentars
zu diesen Autoren sodann in einem Exkurs tiber J. H. Newmans Ansich
ten tiber das SchluBfolgem berichten, die m. E. rur die Denkpsychologie
im allgemeinen und insbesondere ftir das Thema dieses Buches bedeutsam
sind.
1m Lichte dieser Ausruhrungen, besonders der zu Newman, werde ich im
4. Kapitel versuchen, die verschiedenen Varianten psychodiagnostischer
Denkprozesse darzulegen.
Zur grundsatzlichen Einstellung meiner Schrift sei vorweg bemerkt,
daB ich die personliche Interpretationsfahigkeit und die Kreativitat des
Psychologen bei der klinischen Untersuchung auBerordentlich hoch ein
schatze, auch dann noch, wenn das Test-Instrumentarium, das ihm zur
Verftigungsteht, in Zukunft einmal umfangreicher, aufschluBreicher und
zuverlassiger sein wird, als es heute noch der Fall ist. Denn die Ausstat
tung mit Hilfsmitteln und deren Verbesserung stoBen in der Praxis ja stets
an die festen Grenzen der konkreten und vielgestaltigen menschlichen
Wirklichl{eit.
Ich glaube aber dennoch, daB die obere Grenze einer wissenschaftlichen
Verbesserung der Psychodiagnostik noch lange nicht erreicht ist. Darauf
gehe ich im 5. Kapitel naher ein.
Auf der Grundlage aller Befunde dieses Buches werde ich zum SchluB auf
bisher noch ungelOste Probleme hinweisen, die durch weitere Forschung
in absehbarer Zeit gelost werden sollten und gelost werden mtissen.
Quellenangaben werden in diesem Buch in der Weise gegeben, daB hinter
jedem Autorennamen in Klammem die Jahreszahl der betreffenden Publi
kation angegeben wird, die der Leser am Ende dieses Buches in einer alpha
betischen Literaturliste aufsuchen kann. Folgt nach einem Semikolon noch
eine zweite Jahreszahl, so verweist sie auf eine weitere Veroffentlichung
desselben Autors.
Die hochgeruckten kleinen Ziffem nach Zitaten aus englischen, franzosi
schen und lateinischen Quellen verweisen auf deren originalen Wortlaut
imAnhang.
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ERSTES KAPITEL
Die gegenwartige Situation der Psychologie
1. DIE METHODENDISKUSSION
Der angehende Student der Psychologie pflegt beim Beginn seines Stu
diums zu erwarten, hier sollten ihm die Geheimnisse der menschlichen
Seele wissenschaftlich entschlUsselt werden. Zu seiner groBen Enttau
schung merkt er dann sehr bald, daB die empirische Psychologie offenbar
mit dem Begriff "Seele« Uberhaupt nichts und mit dem Begriff "Psyche«
immer weniger anfangen kann. Der Student muB sich fUr nUchterne Ab
handlungen Uber Verhaltensvariable interessieren, und er tut gut daran,
sich schnell mit statistischen Untersuchungsmethoden vertraut zu machen,
wenn er nicht von vornherein den AnschluB verpassen will. Er wird er
fahren, daB eine Theorie - moglichst quantitativ - nachpmfbar, d. h. veri
fizierbar bzw. falsif1zierbar sein muB. Er mag dann sogar eine Zeitlang
glauben, daB eine gute Untersuchungsleistung (selbst eine ganz einfache),
wenn sie nur nach den Spielregeln der geforderten Wissenschaftlichkeit
durchgefUhrt wird, wertvoller ist als das, was man den "Blick fUr den
Menschen« nennt.
Diese ErnUchterung - das muB nachdmcklich betont werden - hat etwas
sehr Gesundes. Wissenschaftlich-psychologische Beschaftigung mit dem
Menschen kann einfach nicht ohne wei teres durch die Psychologie des
Alltags bestimmt werden. Sie findet ihre Norm in ihrem Gegenstand und
in dem wissenschaftlichen Charakter ihrer Methode.
Genau dies sind Ubrigens die historischen kritischen Punkte, die so alt sind
wie die junge Geschichte der empirischen Psychologie selbst (Wellek 1958).
Allmahlich hat man sich, wenn auch erst in groBen ZUgen, damber einigen
konnen, was den Gegenstand der Psychologie ausmacht: Es ist das mensch
liche Verhalten. Aber hier beginnen bereits die Schwierigkeiten. Zwar ist
die Bestimmung des Objekts der Psychologie eine meta-psychologische Fra
ge, aber man muB sogleich hinzufUgen, daB in der Praxis nicht nur das
Objekt die Methode bestimmt, sondern daB auch die Wahl der Methode
weitgehend das Objekt bestimmt. Objekt und Methode sind Teile eines
Kreislaufes. Besonders an der Geschichte der Naturwissenschaften kann
man sehen, daB oft die Methode alter ist als die Formulierung dessen, wo
mit sie sich beschaftigt (Heisenberg 1959).
In der Geschichte der empirischen Psychologie gab es immer zwei Betrach
tungsweisen des psychologischen Studienobjekts. Die Bezeichnung fUr die
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