Table Of ContentDie unmittelbare
Kranken-Untersuchung
Von
Dr. Paul Martini
o. ö. Professor an der Universität Bonn
Zweite, umgearbeitete Auflage
Mit 46 Abbildungen
•
Springer-Verlag Berlin Beideiberg GmbH 1944
ISBN 978-3-662-40497-3 ISBN 978-3-662-40974-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-40974-9
Alle Remte,
Insbesondere das der Übersetzung in fremde Spramen, vorbehalten..
Eine englisme und elnl! ltalienisme Übersetzung sind ersmienen.
Copyright 1927 and 1944 by Springer-Verlag Berlin Heidelberg
Ursprünglich erschienen bei J . .f'. Bergmann in Münmen 1944
Softcoverreprint ofthe bardeover 2nd edition 1944
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage.
Das kleine Buch, das heute den Weg antritt zu denen, die
Ärzte werden wollen, will zeigen, wie der Arzt, vorerst ohne
weitere als die einfachsten Hilfsmittel, vom kranken Menschen
E~ndrücke in sich aufnehmen kann. Dazu müssen ihm die
krankhaften Veränderungen erst "auffallen". Erste Aufgabe ist
hier also, die Möglichkeiten und Richtungen zu zeigen, in denen
der Arzt seine Sinne gebrauchen kann, um das Kranke an einem
Menschen erkennen und beurteilen zu können.
An neuen diagnostischen Möglichkeiten ist in den letzten
Jahrzehnten eine Legion entstanden. Aber die täglichen Me
thoden des praktischen Arztes; fern von der Klinik, sind doch
im wesentlichen die gleichen geblieben. Den physikalischen
Methoden unter ihnen ist dies Buch gewidmet. Es hat den
Ehrgeiz zu lehren, wie groß das Arbeitsfeld dieser Methoden
ist, wieviel Boden hier fruchtbar gemacht werden kann. Es
gibt manches gute Buch, das dem gleichen Ziele zustrebt; aber
wie die Menschen verschieden denken, so ist auch verschieden
die Art und Weise wie sie lernen. Wenn dem einen oder andern
durch die hier augewandte Art geholfen werden wird, ein Stück
weiter zu kommen, so ist das Buch nicht umsonst hinausgezogen.
München, Herbst 1926.
PAUL MARTINI.
Vorwort zur zweiten Auflage.
Der Bereich der unmittelbaren Krankenuntersuchung ist
weiter und enger zugleich als der dieses Buches. Die neuro
logische Untersuchung, die hier fehlt, gehört zu ihr; auf der an
deren Seite umfaßt diese "unmittelbare Krankenuntersuchung"
im Ekg eine Methode, die sicher nicht mehr unmittelbar ist.
Scharfe, ganz folgerichtige Grenzziehungen würden sich aber
mit den klinischen Aufgaben dieses Buches nicht vereinbaren
lV Vorwort zur zweiten Auflage.
lassen. Eine klinische Darstellung der neurologischen Unter
suchung würde geradezu ein neues Buch bedeuten; dazu ist
das Nervensystem von FRIEDRICH VON MüLLER in dem Taschen
buch der medizinischen Diagnostik vollendet dargestellt. Auf
die Formv$"änderungen des Ekg konnte nicht verzichtet werden;
zur unmittelbaren Krankenuntersuchung gehört die Lehre von
den Herzunregelmäßigkeiten, diese können heute nicht mehr
befriedigend erörtert werden ohne das Ekg, das Ekg aber nicht,
ohne daß auch auf seine Formveränderungen eingegangen würde.
Neu hinzugekommen ist das Kapitel .,Anamnese", und da~
wichtige Problem der Kreislauf-Atemfunktionsprüfung wurde
in der Form entwickelt, wie sie in meiner Klinik seit vielen
Jahren sich bewährt hat.
Ich habe mich mich wie vor auf die Erscheinungen be
schränkt, die mir wirklich als fundiert erscheinen, d. h. die mit
einiger Regelhaftigkeit beobachtet werden und deshalb als
typisch gelten können. Das gilt besonders von der Betrachtung
des Kranken. Es sollte Phänomenen, die nur gelegentlich zur
Beoba.ch.tung kommen, nicht der Rang von charakteristischen
Krankheitssymptomen eingeräumt werden, solange sie noch nicht
als regelhaft bezeichnet werden dürfen und solange noch nicht
klargelegt ist, ob sie nicht auch in anderen Lagen in ähnlicher
Häufigkeit registriert werden können.
Fräulein Dr. H~NNEMARIE WoLFF danke ich herzlich für
die viele Mühe, die sie mir bei der Neubearbeitung des Buches
abgenommen hat.
Bonn, Herbst 1943.
PAUL MARTINI.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Über das Wesen der ärztlichen Untersuchung .. 1
Allgemeine Diagnostik.
A. Die Betrachtung des Kranken . . . . . . . . . . . . . 5
Inspektion . . . . . ' . . . . . . . . . . . . . . . • . . . 5
Körpergröße S. 6. - Körperumfang S. 7.-Körperform S. 8. -
Körperbautypen und Temperamente S. 9. - Haltung S. 12. -
Lage S. 12.-
Haut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Hautfarbe S. 18.-Behaarung S. 20. - Spezielle Hautverän·
derungen S. 22.
Gesicht und Schädel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
AugeS. 25.-Nase S. 27.-Mundhöhle S. 28.-Hals S. 30.
Brustkorb S. 31. - Bauch S. 33.
Gliedmaßen . . . . . . . . . . . . 38
B~ Die Anamnese. . . . . . . . . . 40
Über die diagnostische Psychoanalyse SO
C. Die Behorchung des Kranken. . 55
I. Physikalische Einführung in die diagnostische Akustik 56
II. Geschichte der akustischen Diagnostik 62
III. Die Perkussion • . . . . . . . . 62
1. Methodik der Perkussion • . . . . 63
2. Ziele und Arten der Perkussion . . • . . . . 64
3. Die Grundlagen der vergleichenden Perkussion. . 64
4. Die Grundlagen der topographischen Perkussion . 69
IV. Die Auskultation . . . . • . . . . . . . . . . . . 74
Das Stethoskop S. 74. - Eigentöne und Eigengeräusche,
die Schalleitung S. 7 5.
D. Die Betastung des menschlichen Körpers, Palpation 76
E. Der Sehtnerz . . . • • . • . • • . . • . 78
F. <!eruchsinn und Krankenuntersuchung. 83
Die spezielle Diagnostik.
Die topographischen Punkte, Linien und Regionen 86
A. Die Atmungsorgane . . . • . • . . • 87
I. Die Symptomatik der oberen Luftwege 87
II. Anatomie und Physiologie der Atmung 89
III. Die Perkussion der Lunge • • . . . . 91
1. Die topographische Perkussion • . • • . . • . 91
Die unteren Lungengrenzen S. 91. - Zwerchfellstand
S. 93. - Die medialen Lungengrenzen S. 94.
VI Inhaltsverzeichnis.
Seite
2. Die vergleichende Perkussion der Lunge . . . . . . . 95
Der gedämpfte Schall S. 98. - Der besonders laute
und tiefe SchallS. 99.-Anwendung auf den Lungenschall
S. 99.-Die Tympanie S. 100.-Die perkussorischen Hohl
raumsymptome S. 101. - Vergleichende Perkussion und
Streifenperkussion S. 104.
IV. Die Auskultation der Lunge 105
1. Die Atemgeräusche . . . 105
Das Vesikuläratmen S. 106. Das pathologische
Bronchialatmen S.113.
2. Die Schalleitung der Stimme durch die Lunge. 116
3. Die Nebengeräusche ...... . 121
a) Die pulmonalen Nebengeräusche . . . . . . 122
b) Pleurale Geräusche • . . . . . . . . . . . 127
4. Atem- und Nebengeräusche als Hohlraumsymptome 129
s. Zur akustischen Untersuchung der Lungenspitzen 132
V. Synopsis der Lungenkrankheiten ; . . . . .. 136
1. Erkrankungen der Bronchien . . . . . 136
2. Erkrankungen des Lungengewebes selbst. 138
3. Erkrankungen des Brustfells . . . . . . 143
B. Spezielle Diagnostik des Kreislaufs ..... 145
I. Anatomie und Physiologie des Herzens . . . . 145
Der Klappenapparat S. 145. - Das Reizleitungssystem
S. 147. -Die Herzschlagfolge S. 148. - Ihre reflektorische
Regulation S. 149. ~ Schlagvolm:hen S. 149. - Herzhyper
trophie und Dilatation S. 150.
li. Inspektion und Palpation der Herzgegend . . . . . . . . 1 53
Der Herzspitzenstoß S. 154. - Epigastrische Pulsation
S. 156.-Das Symptom von ÜLIVER-CARDERELLI S. 156. -
Der negative Herzstoß S. 156.
111. Die Perkussion des Herzens • . . . . . . . . . . . . . 157
Die tiefen Herzgrenzen S. 1 57. - Die oberflächlichen
Herzgrenzen S. 158. - Die Normalmaße der Herzgrenzen
S. 158.-Die Bewertung der Herzdämpfung S. 160.-Ver
größerung des Herzens S. 163.
IV. Die Auskultation des Herzens . . • . . . . . . . . . . 165
1. Die Entstehung der Herztöne J.llld ihre zeitliche Beziehung
zur Herzaktion . . . . . . . . . . . 166
2. Die akustische An~lyse der Herzaktion . . 168
3. Die Veränderungen der Herztöne 170
4. Die Herzgeräusche . . . . . . . . . . . 175
a) Die karc;lialen Geräusche einsch 1. der a kziden teilen
Geräusche •.......... 176
b) Die extrakardialen Herzgeräusche . . . . . . . . . 185
V. Das Elektrokardiogramm .............. . 187
1. Seine Entstehung, die Höhen und Abstände der Wellen
und Zacken, ~ie Ableitungen . . . . . . 187
2. Das Ekg bei Anderung der Lage und Maße des Herzens 190
3. Die Formveränderungen des Ekg . . . . . . . . 192
a) Der Vorhofkomplex ............. . 192
b) Die Formveränderungen des Kammerkomplexes. 192
Inhaltsverzeichnis. VII
Seite
4. Die Unregelmäßigkeiten des Herzens . . . . • . . . 200
a) Störungen der Reizbildung: Sinusarrhythmie, die Extra
systolie, die paroxysmale Tachykardie, Vorhofflattern
und Flimmern (Arrhythmia perpetu~~r) . . • . . . . 200
b) Störungen der Reizleitung. . . . ......... 211
Partieller und totaler Vorhofkammerblock S. 212.
Sinusvorhofblock S. 215.
VI. Die Blutgefäße • • . . • • . • . . . . . . • . . 215
1. Die Pulsationen und der Blutdruck . • . . . • 215
2. Die Diagnostik der Arterien . . . . . . . . . . 220
a) Die Inspektion und Auskultation der Arterien 220
b) Die Palpation der Arterien und Blutdruckmessung . 223
3. Die Diagnostik der Venen . . . . 232
a) Inspektion und Palpation . . . . . . 232
b) Die Auskultation der Venen 233
VII. Synopsis der Herz- und Gefäßkrankheiten. 235
1. Herzmuskelerkrankungen. 235
2. Herzklappenerkrankungen 236
3. Herzbeutelerkrankungen . 239
4. Arterienerkrankungen • . .240
VIII. Die Beurteilung und Funktionsprüfung des Herzens 241
Die spezielle Diagnostik der Bauchorgane . . 248
I. Die Perkussion des Bauches . . . . . . . . . 249
Die Qualitäten des Bauchschalles S. 249. - Die topo
graphische Perkussion des Bauches S. 250.
II. Die Auskultation des Bauches . 221
III. Die Betastung des Bauches. . . . 252
1. Die Ziele der Bauchpalpation . . 253
2. Die Prinzipien der Bauchpalpation 253
3· Die palpatorische Tumordiagnostik 259
4· Die Fluktuation. . . • . . . . . 262
5· Der palpatorische Schmerz . . . • 263
IV. Die Diagnostik der einzelnen Organe 264
1. Die Speiseröhre 264
2. Der Magen . . . . . . 265
3. Der Darm • . . . . • 267
4. Die Leber . • . . . . 271
5. Die Bauchspeicheldrüse 275
6. Die Milz . . . 276
7. Die Nieren . . 280
8. Die Harnblase 282
Sachverzeichnis .. 284
Ober das Wesen der ärztlichen Untersuchung.
Das ärztliche Erkennen soll nicht Ergebnis einer passiven
Aufnahme sein, vielmehr das Erzeugnis einer stetig zu er
neuernden Betätigung des Geistes; es setzt eine, oft mühe
volle, geistige Bearbeitung des Gegenstandes, des kranken
Menschen, voraus. Die größere oder geringere Kunst, mit der
dieses Erkenntnisstreben geübt wird, ist im Einzelfall wie
im allgemeinen nicht nur ein Geschenk des Ingeniums; es
muß und kann bewußt geschult werden: besonders der all
gehende Arzt soll mit all seinen Sinnen spüren, bis sich ihm
später viele Symptome auch ohne bewußtes Suchen offenbaren
werden.
Von den fünf Sinnen, die sich auf äußere Empfindung be
ziehen, vermitteln zwei, der Geschmack und der Geruch, eine
Vorstellung, die für den Menschen mehr die eines Behagens
oder Mißbehagens als der Erkenntnis des Gegenstalldes bedeutet.
Dieseil zwei Sillllen gegenüber tragen die Silllle des Gesichts,
des Gehörs und des Tastgefühls wesentlich zur Erkelllltnis des
Gegenstandes bei.
Die Betastung vermittelt uns die ersten räumlichen Er
fahrungen, und ohne sie fehlte uns überhaupt der Begriff einer
körperlicheil Gestalt. Auch über nicht zu rasche Bewegungen
kann sie etwas aussagen. Aber sie ist ein recht einseitiger
Sinn, der im allgemeiD.en nur über feste Materien Auskunft
gibt.
Das Gehör gibt uns Kunde über Bewegungen gasförmiger
sowohl, wie fester UD.d flüssiger Medien. Ohne Bewegung keine
Beteiligung des Gehörs; dazu muß diese Bewegung noch be
stimmte Voraussetzungen der Beschleunigung erfüllen. In diesen
BediD.gungen liegt die Begrenzung des Gehörs, in der Aus
dehnung auf jede Art der Materie liegt seine Vielseitigkeit.
Das Gesicht erstreckt sich auf iede feste und flüssige Materie
und auf manche gasförmige. Es gibt über Größenverhältnisse
Auskunft, dort wo die anderen Sinne schon längst versagen,
über Form, Farbe und sonstige Eigenschaften der Oberfläche.
Martini, Krankenuntersuchung. 2. Aufl. 1
2 Über das Wesen der ärztlichen Untersuchung.
Seine Wahrnehmungen beziehen sich auf die Ruhe wie auf
die Bewegung. Es können von ihm sowohl Einzelwahrneh
mungen aufgenommen als auch ganze Bilder aus Gruppen von
Einzelwahrnehmungen aufgebaut werden. Das Gesicht ist so
der Uneingeschränkteste der Sinne und, wenn man so will, der
edelste.
Je allgemeiner eine Erkenntnismöglichkeit ist, um so mehr
wird sie an der Spitze unserer Krankenuntersuchung stehen,
um Richtung und Gang der weiteren Methoden zu bestimmen.
Es bedeutet Zeitverschwendung, mit speziellen Formen der
Untersuchung zu beginnen, ohne erst den Kranken als Ganzes
betrachtet zu haben. "Betrachtung" aber ist Inspektion, und
't'o
&i'Jyaa1Jat o"oneiY 1 ist wie für Hippokrates, so auch für uns
noch ein Hauptteil der ärztlichen Kunst. Die Methoden der
übrigen Sinnesorgane sind notwendigerweise Einzeluntersu
chungen; ihre Vielzahl hat die Betrachtung diese primitivste,
deshalb aber auch umfassendste 'Möglichkeit der Einsicht zurück
treten lassen. Es darf nicht vorkommen, daß ein Kranker
perkutiert, auskultiert, chemisch und mikroskopisch durch
untersucht wird, ehe er nur einmal als Ganzes vom Kopf bis zu
Fuß betrachtet worden ist. Nicht weniger grundsätzlich falsch
ist es und oft genug verhängnisvoll, wenn ein Kranker an Lunge,
Herz und Magen geröntgt, dann ein Elektrokardiogramm von
ihm aufgenommen wird, und wenn man vielleicht auch noch
sein Blut mikroskopischen und chemischen Untersuchungen
unterzieht oder unterziehen läßt, ehe er überhaupt einmal
gründlich unmittelbar untersucht worden ist. Wenn die Be
trachtung, die zusammen mit der Betastung früheren Jahr
hunderten ein und alles war, so außer Kurs gekommen ist, so
liegt das nicht daran; daß heute die Kunst des Beobachtens
mit dem Auge, "der ärztliche Blick", verloren gegangen und
nicht mehr erlernbar wäre; Grund ist vielmehr, daß das natur
wissenschaftliche Zeitalter das anschauliche Denken überhaupt
zurückgedrängt hat gegenüber der schrittweise vorgehenden
Analyse. Hier ist es Zeit, wertvolle alte Kräfte wieder mehr
in den Vordergrund zu stellen, ohne in den umgekehrten Fehler
zu verfallen und die im letzten Jahrhundert gewonnenen Ein
sichten in die Lebensvorgänge zu unterschätzen. Wohl ist es
in manchen Fällen möglich, allein aus der Anschauung des
Ganzen die Krankheit zu erkennen, Es kommen- ungerechnet
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