Table Of ContentDie technische Mechanik
des Maschineningenieurs
mit besonderer Beriicksichtigung
der Anwendungen
Von
Dipl.-Ing. P. Stephan
Regierungs-Banmeister, Professor
Zweiter Band
Die Statik der Maschinenteile
Mit 276 Textfiguren
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
ISBN 978-3-662-01871-2 ISBN 978-3-662-02166-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-02166-8
AUe Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in
fremde Sprachen, vorbehalten.
Copyright 1921 by Springer-Verlag Berlin Heidelberg
Ursprunglich erschienen bei Julius Springer in Berlin 1921
Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1921
Vorwort.
Der vorliegende Band laBt vielleicht deutlicher als del' erste das
Ziel erkennen, das der Verfasser vor Augen hatte: Es sollte nicl1t bloB
eine moglichst knappe Darlegung der Grundgesetze der technischen
Mechanik gegeben, sondern vor allen Dingen ihre Anwendung auf die
einschlagigen Fa,He der maschinentechnischen Praxis gezeigt werden.
Das Buch enthalt deshalb die Erfahrungszahlen, die zur Zeit vor
liegen, in groBerer Vollstandigkeit als die meisten Hand- und Nach
schlagebucher. Man kann den Beispielrechnungen entnehmen, daB die
jetzt vorliegenden Zahlenwerte fast immer genugen - am wenigsten
vielleicht im letzten Abschnitt -, urn sichere Vorausberechnungen zu
gestatten. Die Dbereinstimmung mit den angezogenen Versuchsergeb
nissen ist jedenfalls keine gemachte, sondern ergibt sich von selbst
aus den anderen Versuchen entstammenden Ausgangswerten.
Wenn auch eine gewisse Vollstandigkeit bei der Behandlung des
Stoffes angestrebt wurde, so war es naturlich doch unmoglich, sie rest
los durchzufUhren. Es war auch nicht beabsichtigt, etwa ein Rezept
buch zu schaffen, das fur jeden in der Praxis einmal vorkommenden
Fall sofort die Losung in einem fertig vorgerechneten Beispiel liefert.
Woltl aber solI es die Anleitung bieten, auch andere ahnliche oder
weitergehende Probleme zu lOsen; zu dem Zweck sind die Hillweise
auf einschlagige Arbeiten gegeben worden.
1m bewuBten Gegensatz zu der gebrauchlichen Darstellung hat der
Verfasser den Wirkungsgrad der Getriebe auf rein statischem Wege
erklart und berechnet. Man entgeht dadurch mit Sicherheit einer zu
ganzlich verfehlten Ergebnissen fUhrenden miBverstandlichen Auf
fassung del' Arbeitsgleichung. Wohin die letztere fUhren kann, lehrt
eine vor einigen Jahren in einer anerkannt guten technischen Zeit
schrift veroffentlichte Berechnung des Beispiels 113. Es wird darin
zahlenmaBig nachgewiesen, daB, wenn in das Getriebe auf del' einen
Seite 6 PS eingeleitet werden, auf der anderen Seite 3,3 PS heraus
kommen und im Getriebe selbst 96,4 PS wirken, und das, nachdem
das Perpetuum mobile bereits 70 bzw. 65 Jahre vorher durch Ma yer
und Helmholtz erledigt worden ist. Diese eigenartige Rechnung
wird in mehreren Zuschriften von anderen Seiten noch ausdrucklich
als richtig anerkannt! Del' Hinweis durfte wohl ohne weiteres die
ZweckmaBigkeit des vom Verfasser gewahlten Weges beglaubigen, del'
im ubrigen genau so einfach ist wie die ubliche Arbeitsgleichung.
Altona, im Jnni 1921.
P. Stephan.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
1. Del' Hebel. . . 1
2. Die Hebelwagl'n 17
:t Die Reibung . 28
4. Del' Keil 55
O. Die Traglager 62
6. Die Spurlager 76
7. Del' Rollwiderstand 84
8. Del' Spurkranz . 95
9. Die Kugel- und Rollenlager . 112
10. Die Raderiibersetzung 122
11. Die Reibungsriider 140
12. Die Zahnriider . 150
13. Die Schrauben . 193
14. Das Schneckenrad 204
15. Die Rolle, Seilsteifigkeit . ·220
16. Die Bandreibung . 230
17. Die Riemen- und Seiltriebe 239
18. Eingeschobene Lehren del' Mathematik
a) Goniometrische Formeln 35
b) Die Kegelschnitte . . . 97
c) Die zyklisch en Kurven. 150
d) Unbestimmte Formen 209
Sachverzeichnis . . . . . . . 265
Die Statik der Maschinenteile.
Nachdem im ersten Bande die allgemeinen Satze -aber die Zu
sammensetzung und Zerlegung von Kraften und Drehmomenten sowie
-aber das Gleichgewicht auseinandergesetzt worden sind, sollen sie im
vorliegenden Bande auf die am haufigsten vorkommenden Maschinen
teile angewendet werden.
In erster Linie werden aus den Lehren des ersten BandeH die fol
genden Satze benutzt werden:
Uberall, wo Ber-ahrung eines Korpers durch einen allderen statt
findet, treten Kraftwirkungen auf, die senkrecht zur Ber-ahrungsflache
gerichtet sind.
Einzelkriifte, geme ssen in kg oder t, suchen eine geradlinige Ver
schiebung hervorzurufen oder zu verhindern. Drehmomente, gemessen
in mkg oder mt, suchen eine Drehbewegung hervorzurufen oder zu
verhindern.
Zwei Krafte sind im Gleichgewicht, wenn sie in dieselbe Wirkungs
linie fallen, gleich groB sind, aber entgegengesetzte Richtung haben.
Drei Krafte sind im Gleichgewicht, wenll ihre Wirkungslinien in
derselben Ebene liegen und durch denselben Punkt gehen und sie nach
GroBe und Richtung hintereinander ahgetragen ein geschlossenes Drei
eck hilden.
Beliebig viele in derselben Ebene wirkende Krafte sind im Gleich-
gewicht, wenn
die Summe ihrer wagerechten Seitenkrafte Null ergibt,
die Summe ihrer senkrechten Seitenkriifte Null ergibt,
die Summe aller Drehmomente in bezug auf denselben Punkt Null
ergibt.
1. Der Hebel.
Ein Hebel ist ein fester, um eine Achse drehbarer Korper, der zum
Angriff verschiedener Krafte eingerichtet ist, die im allgemeinen in
derselben Ebene wirken.
Je nach der For m unterscheidet man gerade Hebel nach Fig. 1
und 2, gekr-ammte Hebel etwa gemaB Fig. 3, Winkelhebel nach Fig. 4.
Der gerade Hebel heiBt einarmig, wenn aIle Krafte auf derselben Seite
der Drehachse angreifen (Fig. 1), dagegell zweiarmig, wenn sich die
Drehachse zwischen den Kraften befindet (Fig. 2).
Stephan, Technische J\1echaDik. II. 1
2 Der Hebel.
Auf'das Verhaltnis der eigentlichen HebelkraIte P zueinander hat
die Form des Hebels keinerlei EinfluB. H6chstens ist ein gekrummter
Hebel insofern vorteilhafter, als er den zweckmaBigsten Angriff einer
menschlichen Kraft erleichtern kann, wie z. B. die Fig. 3 andeutet.
o
Fig. 1. Fig. 2.
Ein Hebel, bei dem die angreifenclen Krafte in zwei verschiedenen,
zueinander parallelen Ebenen wirken, ist die in Fig. 5 dargestellte
Schwinge, die bei Dampfmaschinen-Schiebersteurungen Anwendung
fincletl).
Auf den Hebel, clessen Eigengewicht G im Abstande a von der Dreh
achse 0 angreift, wirken ferner die ebenfalls lotrechten Krafte PI und P
2
Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5.
in den Entfernungen II und 12 von der Drehachse ein. Man erhalt
dann aus der Gleichgewichtsbedingung fur die Drehmomente in bezug
auf die Drehachse 0 (Fig. I und 2):
+ P2 ·l2 - PI . 11 + G· a = 0 . (I)
1m Fall des einarmigen Hebels ist, da 11 von der Drehachse aus
dieselbe Richtung hat wie 12, PI negativ, also entgegengesetzt zu P2
gerichtet. 1m Fall des zweiarmigen Hebels ist 11 negativ, also PI gleich
gerichtet mit P
2'
Da G im Verhaltnis zu den P im allgemeinen klein ist, so kann es
haufig auBer acht gelassen werden, und die Gleichung (I) geht uber in
(2a)
oder
_!2
PI
P2 - 11 . (2b)
1) Z. B. Haeder, Die Dampfmaschine. 1. Auf!. 1890.
Der Hebel. 3
Die K raft e am Hebel verhalten sich umgekehrt wie die Hebel
arme2).
Der Satz gilt auch noch, wenn der Hebel sich aus der in den Fig. I
und 2 gezeichneten Regelstellung urn einen beliebigen Winkel IX gedreht
hat (Fig. 6). Denn werden die Krafte Pin
ihre Seitenkrafte senkrecht und parallel zu
den Hebellangen l zerlegt, so lautet die
Momentengleichung in bezug auf die Dreh
achse 0
die nach Hebung von cos IX wieder in die F·1 9 .6.
Gleichung (2a) ubergeht.
Fur den wagerechten Hebel unter lotrechten Kraften P und Gist
del' Achsdruck
beim einarmigen Hebel: N = PI + P + G, (3a)
+2 +
beim zweiarmigen Hebel: -N = - PI P2 G, (3b)
also da PI meist wesentlich groBer ist als P2, im allgemeinen negativ.
Der einarmige Hebel ist anzuwenden, wenn die beiden Hebelkrafte P
entgegengesetzte Richtung haben mussen; er hat einen verhaltnismaBig
kleinen Achsdruck N. Der zweiarmige Hebel findet Anwendung bei
gleichgerichteten Hebelkraften; sein Achsdruck ist verhaltnismaBig groB.
Der Achsdruck bleibt unverandert, wie auch der Hebel ausschwingt,
solange die Krafte P die lotrechte Richtung beibehalten.
Beispiel 1. Eine Handdruekpumpe, deren Kolben d = 5 em Durehmesser
hat, werde dureh einen einarmigen Hebel betrieben, an dem die Kolbenstange
in 11 = 8 em Entfernung von der Drehaehse angreift. Die Lange 12 des Hebels
ist zu ermitteln unter der Bedingung, daB der Arbeiter nieht mit mehr als
P2 = 20 kg driieken solI, wenn der Gegendruek des Wassers p = 9 bzw. 16 kgJem2
betragt.
Das Hebelgewieht kann hier vernaehlassigt werden. Somit gilt Gleiehung (2a)
in der Form
4;,; . d2 • P . 11 = P 2 • 12 ,
also mit dem zuerst angegebenen Zahlenwert von p
12 = 210 ·4JT- · 52 • 9 . 8 '-' 71 em.
Fiir p = 16 at erhalt man hiernaeh
16
l2 = 71 . 9-'" 126 em.
Beispiel 2. Das Sieherheitsventil eines Dampfkessels fUr p = 12 at "Ober
druek habe den groBten zulassigen Durehmesser d = 7,95 em 3), es greife an
dem Belastungshebel im Abstand II = 10 em an. Zu bereehnen ist die GroBe
des erforderliehen Belastungsgewiehtes P2, das im Abstand l2 = 64 em an der
2) Leonardo da Vinci, 1499.
3) Die allgemeinen polizeiliehen Bestimmungen iiber die Anlegung von Land
dampfkesseln von 1908 sehreiben als groBten Ventildruek 600 kg vor.
1*
4 Der Hebel.
Hebeldrehaehse angflbraeht wird, wenn noeh das Hebelgewieht G = 1,25 kg den
Abstand a = 32 em von der Drehaehse hat, ferner der Auflagerdruek N des
Hebels (Fig. 7).
Die Gleiehung (1) ergibt
P s = T1 · ( "J4r . d2 • P • II - G . a ):=: r4 . 7,95 2 . 12 . 6140 - 1, 2.5 . 6342-
2
= 93,07 - 0,63 "'" 92,4 kg.
Gleiehung (5) liefert
N = 595,7 - 92,4 - 1,25"", 502 kg.
Die spatere AUBwiegung des fertiggestellten Ventils ergebe daB Hebelgewieht
G = 1,22 kg, das Belastungsgewieht Ps = 93,38 kg, den Abstand a = 31,4 em
(dureh Auswiegen auf einer Messersehneide beBtimmt). Dann ist daB Be·
lastungsgewieht anzubringen im Abstand
1 . (' ) 5918,4
l2 = --- 595,7·10 - 1,22·31,4 = '9338 = 63,4 em.
93,38 . ,
i_-o-- D--
Fig. 7. Fig. 8.
Beispiel 3. Eine Kondensatorpumpe naeh Fig. 8 habe den Kolbendureh
messer D = 55 em, der Kolben wiege mit dem dariiberstehenden Wasser und
der Sehubstange G1 = 380 kg. Die Sehubstange greift an einem zweiarmigen
Hebel von den Langen II = 45 em und l2 = 75 em an. Anzugeben ist die groBte
Druekkraft Ps, die an dem Hebel ausgeiibt werden muE, wenn der Kondensator
druek PI = 0,1 at betragt.
Es ist
(4)
also naeh Formel (1)
(i·
Ps = D2 • PI + G1) • -~! = (~ .552.0,1 + 380) . ~~ "'" 370 kg.
Die Kraft ist etwas zu klein bereehnet, weil zu dem Gewieht noeb Reibungs
widerstande und Massendriieke treten.
Derselbe Hebel kann auch abwechselnd als einarmiger llnd zwei
armiger Verwendung finden.
Beispiel 4. Zu bestimmen ist der Dampfdruek, mit dem die Dampfmasehine
der Schwungradandrehvorriehtung naeh Fig. 9 arbeiten muE, wenn der Klinken-
Der Hebel. 5
druck PI = 3500 kg betragen soIl. Es ist der Kolbendurchmesser D = 15 cm,
der Kolbenstangendurchmesser d = 4 cm, die Hebellange II = 26 em, l2 = 45 cm.
Bei abwarts gehendem Kolben gilt Gleichung (2a) in der Form
-=-.
D2 • P . la = Pl· II ,
4
also
__ PI . II _ 3500·26 _ 11 5 t
p--- -- - , a.
~ . D2 la 152 . 45
]1;.
4 4
Bei aufwarts gehendem Kolben ist PI urn den Winkel IX schrag gerichtet,
und zwar ist tg IX = 0,475, also cos IX = 1 . Die Klinke erfahrt somit
VI +0,475a
die Belastung ~ = 3500 ·1 1,2255,,- 3880 kg. Die Gleichung (2a) lautet in
cos IX
dem Fall
woraus folgt
3500 26
p = . 45 = 12,3 at.
~ . (152 - 42)
4
o
'-t
.I!'ig. 9. Fig. 10 .
Der Mittelwert betragt somit
11,5 + 12,3 12
P = 2 "'" at.
Sind die auf den Hebel einwirkenden Krafte nicht aIle parallel,
so sind die zur Kraftrichtung senkrecht stehenden Langen l als Hebel
arme einzusetzen, denn das Drehmoment ist stets das Produkt aus
der Kraft und dem zu ihr senkrecht stehenden Abstand von der
Drehachse.
Beispiel 5. Der niedergehende Kolben der doppeltwirkenden Kondensator
pumpe nach Fig. 10 iibt die Gegenkraft P{ = 70 kg aus, der aufwi;irtsgehende
6 Der Hebel.
die Gegenkraft Pi' = 680 kg. Die Hebelliingen seien ~ = 45 em, ls = 120 em.
Anzugeben ist die Kraft P 2 •
Man kann hier ohne wesentliehen Fehler annehmen, daB die drei Krafte in
allen Stellungen den gleiehen Winkel mit dem Hebel bilden. Dann ist naeh
Gleiehung (2b)
P2 =ll~ . (Pi + P;) = 14250 ' (70 + 680) <Xl 280 kg.
s
Beispiel 6. Auf den Winkelhebel naeh Fig. 11, dessen Kraftangriffszapfen
nur zur besseren Aufnahme der Krafte noeh dureh eine SehlieBe verbunden sind,
wirke die Kraft PI = 450 kg in wagereehter Riehtung am Hebelarm II = 42 em.
Anzugeben ist die Kraft Ps' deren Hebelarm l2 = ]20 em betragt.
Man erhiilt sofort aus Gleiehung (2b)
II 42 k
P2 = Pl' Z-= 450: f20 = 157,8 g.
s
/.
Fig. 11. Fig. 12.
Diese Reehnung gilt fiir die Mittellage des Winkelhebels. In den auBersten
Lagen ist II = 39 em und ls = 112 em, so daB sieh ergibt
39
P2 = 450 '1l2 = 156,7 kg.
Selbstverstandlieh ist zur zweekmaBigen Ausnutzung des Hebels die Sehub
stange lo so anzuordnen, daB in den auBersten Lagen des Winkelhebels ihr Winkel
gegen den Hebelarm ls urn den gleiehen Betrag von einem Reehten abweieht,
was der Fall ist, wenn er in der einen Mittellage gerade einen Reehten betragt4).
Man bemerkt, daB wenn die Kraft durch den Hebel verringert wird,
der Ausschlag sich in demselben Verhii.ltnis vergroBert und umgekehrt.
4) Herbst, D. p. J. 1908.