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im Nebelung 121 (November 2010)
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- Nachfolgend ein Bild des Autors, entnommen der Wikipedia.
Die Sünde
wider das Blut
Ein Zeitroman
von
Artur Dinter
„Glaubet nicht einem jeglichen Geist,
sondern prüfet die Geister, ob sie von
Gott sind.“
1. Joh. 4, 1.
Sechzehnte Auflage
171.—200. Tausend
1921
Verlag Matthes und T host, Leipzig
und Hartenstein im Erzgebirge
Der Einbandentwurf ist von Theodor
Schultze-Jasmer, Heidebrink. Druck von
Rudolf Gerstäcker, Leipzig. Verfasser und
Verleger behalten sich alle Rechte vor.
Copyright by Matthes und Thost, Leipzig
1921.
(Ohne diesen Vermerk ist geistiges
Eigentum in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika vogelfrei.)
Dem
Deutschen
Houston Stewart Chamberlain
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1.
In dem großen Saal des chemischen Laboratoriums der Univer-
sität brannte gegen Mitternacht noch Licht. Auf dem Arbeitstische
des Assistenten und Privatdozenten Dr. Hermann Kämpfer funkelte
allerlei chemisches Gerät. Dicht neben dem in einer Ecke des Saals
gelegenen Tische, hinter den starken Glaswänden eines in die
Wand gebauten Abzuges, kochte in einem mächtigen, auf hohem
eisernen Dreifuß ruhenden Glaskolben eine trübe Flüssigkeit. Unter
den unaufhörlichen Flammenhieben tobten und heulten die Mole-
küle durcheinander. Von unaussprechlichen Schmerzen gejagt,
rissen sie sich aus dem Zusammenhange der kochenden Flüssig-
keit los und entwichen durch den Kolbenhals in den angeschlos-
senen Kühler, um durch so viele Qualen und Schmerzen geläutert,
als krystallklare, stille Tropfen in die Vorlage zu wandern. Das
Stoßen und Stampfen des Kolbens und das Strudeln und Zischen
der Wasserluftpumpe erfüllten den weiten hallenden Saal mit einem
lauten, gleichmäßigen Geräusch von solcher Stärke, daß man in
einer Fabrikanlage zu sein vermeinte.
Vor der Mitte des Arbeitstisches saß auf einem Holzschemel der
junge Forscher, ein blonder Mann von etwa 30 Jahren. Er hatte sich
eben in dem wirren Gestrüpp von Gläsern, Flaschen, Kolben und
Röhren, das auf dem Arbeitstische wucherte, eine kleine Lichtung
gerodet von etwa Brustbreite im Geviert. Den so gewonnenen Platz
hatte er mit einem frischen Bogen weißen Glanzpapieres bedeckt,
das die umstehenden Flaschen und Fläschchen, die neugierig die
schlanken Hälse reckten, gebieterisch fernhielt. Über den so gesi-
cherten Arbeitsplatz saß er tiefgebeugt. In seinem blassen Gesicht
spielte fiebernde Erregung. Zwischen
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Daumen und Zeigefinger der linken Hand hielt er eine kleine
Krystallschale, deren hellen syrupartigen Inhalt er eifrig, ja gierig mit
der Lupe musterte. Die gesammelte Lichtflut eines elektrischen
Strahlenwerfers hatte er auf das Krystallschälchen gerichtet, daß es
funkelte und Blitze warf wie ein Riesendiamant.
Er traute seinen Augen kaum. In dem Syrup flimmerten wahr-
haftig Krystalle! Zwar unendlich winzige, mit unbewaffnetem Auge
kaum wahrnehmbare Flitterchen, aber zweifellos Krystalle, für den
Chemiker die sichere Gewähr, daß in dem Erzeugnis ein wohlbe-
stimmbarer Körper enthalten ist.
Sollte es diesmal geglückt sein? Fast zehn Jahre mühte er sich
nun schon ab mit eisenhartem Willen und zäher Ausdauer. Nach
monatelangen, höchst verwickelten Operationen und Reaktionen,
die er auf Grund der neugewonnenen Erfahrungen immer und
immer wieder abänderte und verbesserte, hatte er jedesmal statt
des erhofften krystallisierten Körpers diesen verwünschten Syrup
als Enderzeugnis erhalten, mit dem analytisch nichts anzufangen
war. Immer und immer wieder hatte er die gründlich durchdachten
und wohldurchrechneten Versuche von neuem angestellt mit uner-
müdlicher Geduld, er, der Ungeduldige, aber stets mit dem gleichen
Mißerfolge. Diesmal hatte er sich nun in einem bestimmten Stande
des Versuchs mit niederen Temperaturen und Drucken begnügt,
dafür aber auch drei Monate länger auf die zu erzielende chemische
Umsetzung warten müssen. Und siehe da, schon äußerlich unter-
schied sich diesmal das Enderzeugnis von dem früheren durch die
hellere Farbe, und nun hatten sich gar winzige Krystalle ausge-
schieden! An dem Gelingen der Arbeit, auf der er seine ganze
Zukunft aufbaute, hatte er bereits verzweifelt, und nun schien sie
geglückt.
Wie aber, wenn er sich doch irrte, die Arbeit abermals vergeb-
lich war und die ganze Hölle der Zweifel an sich und seinem
Forscherberuf von neuem sich auftat? Heiß schoß es ihm den
Rücken hinab. Aber ein Irrtum war ja nicht mehr möglich! In seinen
Händen hielt er ja die Krystalle! Ein ganzer Sternenhimmel funkelte
ihm ja aus der Schale entgegen! Wenn es ihm gelang, die zahllosen
winzigen Sternchen dieses Mikrokosmos zu fassen und ihrer nur
einige Tausendstel Gramm zusammen zu
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bringen, so daß eine Grundstoffbestimmung möglich war, dann
hatte er ja endgültige Gewißheit! Dann galt es nur noch, das
Verfahren der Darstellung so zu verbessern, daß eine genügende
Ausbeute möglich war zur Feststellung der chemischen und physi-
kalischen Eigenschaften des neuen Körpers. Dann war ihm — er
glühte bei dem Gedanken — die Unsterblichkeit gewiß! Für alle
Zeiten, solange es Menschen gab, würde sein Name unter den
ersten der Naturforscher aller Zeiten genannt werden als des
Entdeckers der Methode, das Eiweiß, den Träger alles irdischen
Lebens, aus den anorganischen Grundelementen aufzubauen! Das
Urgeheimnis der Natur, das Rätsel aller Rätsel, das Werden des
Lebens aus leblosem Stoff, er hätte es enthüllt! Von der Darstellung
des einfachen Eiweißkörpers, die ihm geglückt, bis zur Erzeugung
des lebenden Eiweißes in der lebendigen Zelle war der Weg zwar
noch unendlich weit! Aber er wäre gefunden! Und er hätte ihn
gefunden! Welch ungeheure, in ihren Folgen gar nicht abzusehende
Entdeckung!
Zitternd vor Erregung, mit verhaltenem Atem setzte er vorsichtig
das Schälchen, das eine ganze Schöpfung barg, aus der Hand. Und
in rätselhafter Gedankenverbindung mit seinem gegenwärtigem
Tun, trat ihm plötzlich die Stunde vor die Seele, die sein sonniges
Jugendglück mit einem Schlage zertrümmert hatte. Sein Vater
besaß ein kleines Bauerngut, das er sich Morgen für Morgen im
Schweiße seines Angesichts erworben hatte. Als gewöhnlicher
Ackerknecht hatte er angefangen. Mit den Ersparnissen seines
Knechtlohnes hatte er sich die billigen Steinäcker am Gebirgshang
gekauft und sie mit seiner Hände Arbeit urbar gemacht. Mit den
zusammengelesenen Steinen hatte er sich eigenhändig die Hütte
gebaut, in der er Jahre lang hauste, dann hatte er die Mutter gehei-
ratet, die ihm einige fette Äcker in die Ehe brachte, und von nun an
mehrte sich langsam, aber stetig sein Besitz. Wie er aber auch
arbeitete! Er war ein stiller, verschlossener, aber geistig regsamer
Kopf und unaufhörlich darauf bedacht, die Wirtschaftsmethoden zu
verbessern. Täglich nach Feierabend studierte er die landwirtschaft-
liche Wochenschrift. Ganz besonders interessierten ihn die neuen
landwirtschaftlichen Maschinen. Ihre Anschaffung aber mußte er
sich trotz der gün-
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stigen Abzahlungsbedingungen versagen, da er sich ausrechnete,
daß sie sich für den Kleinbetrieb, den er nur hatte, nicht lohnten. Um
so eifriger wandte er sich den neuen chemischen und biologischen
Methoden zu. Vorsichtig erprobte er sie zunächst auf einem kleinen
Versuchsacker, um sie dann, wenn sie sich bewährten, auf seine
gesamte Wirtschaft anzuwenden. So war er der erste Bauer der
ganzen Gegend, der mit künstlichem Phosphatdünger arbeitete. Die
Nachbarn bestaunten seine Erfolge, schrieben sie aber nicht dem
„neumodischen Firlefanz“ zu, sondern sagten, er habe eben großes
Glück, seit er die hübsche Windacker-Lene geheiratet hatte. In die
sei selbst der Herrgott verliebt, und so gerate ihm eben alles. An
ihren schwerfälligen Gehirnen aber pochte die neue Zeit vergebens
an, und sie kamen immer mehr zurück, je weiter es Amand Kämpfer
brachte. Ja geradezu Vergnügen bereitete es ihnen, wenn er für
gutes bares Geld ihnen einen Acker nach dem andern abkaufte.
Brauchten sie doch nun weniger zu arbeiten, und wenn‘s eben nicht
mehr ging, so zogen sie einfach in die Stadt, wo sich Gelegenheit
genug bot, ein Aus- und Unterkommen zu finden. Wozu sich von
früh bis spät auf dem Felde abrackern!
An den Studien des Vaters nahm Hermann, der in dem benach-
barten Landstädtchen das Gymnasium besuchte, den lebhaftesten
Anteil. Grenzenlos war der Stolz des Vaters, wenn der Junge ihm
Licht und Klarheit in das chemische Formelwesen brachte. Amand
Kämpfers Entschluß stand längst fest. Hermann, von seinen fünf
Kindern der Älteste, sollte ein studierter Landwirt werden. Mit ihm
zusammen würde er dann das Gut bewirtschaften. Dann werde man
soviel herauswirtschaften und ersparen, daß auch die drei jüngeren
Brüder was Tüchtiges werden konnten und der Jüngsten, der
Grethel einmal eine ansehnliche Aussteuer gesichert war. So
mehrte sich der Wohlstand der Familie, ihr Ruf und Ansehn von
Jahr zu Jahr.
Da erschien eines Ostersonntags, als Amand Kämpfer mit Frau
und Kindern eben aus der Kirche kam, auf dem Gütchen der Makler
Levisohn, ohne daß er gerufen war. Mit beweglichen Worten und
Handbewegungen legte er dem Vater dar, wie töricht es von ihm sei,
sich so langsam, Schritt für Schritt, empor-