Table Of Content®
TUSCULUM-BÜCHEREI
Herausgeber Hans Färber und Max Faltner
DIE SPRÜCHE
DES PUBLILIUS SYRUS
Lateinisch - Deutsch
ed. Hermann Beckby
ERNST HEIMERAN VERLAG · MÜNCHEN
ι. Auflege 1969. Nr. 422
Druck: Η. Laupp jr. Binden: Heinr. Koch, beide Tübingen
ÜBERSICHT
Einführung 7
Die Sprüche des Publilius Syrus 14
Antike Zeugnisse 65
Anhang 79
Handschriften 80
Ausgaben 80
Bibliographie 82
Zur Textgestaltung 83
5
EINFÜHRUNG
Jahrelang hatte im 17. Jahrhundert der Schauspieler Tabarin die
Pariser mit seinen geistreichen Bonmots entzückt. Von Mund zu
Mund waren die lustigen Ein- und Ausfälle des witzigen Kopfes
gegangen. Dann, als er schließlich starb und seine Drolerien unter-
zugehen drohten, taten sich Freunde zusammen, sammelten seine
Scherze und gaben sie als Fazetienbuch heraus.
Ähnlich bei Publilius Syrus. Auch er, Dichter und Schauspieler zu-
gleich, hatte viele Jahre die Römer mit seinen komischen, von Sinn-
sprüchen durchzogenen Szenen erfreut, und als er gestorben war,
retteten Liebhaber dieser Kunst seine damals schon geflügelten
Worte vor dem Untergang und veröffentlichten sie, alphabetisch
geordnet, als kleines Büchlein. Das geschah wahrscheinlich schon
um die Zeitenwende. Und dieses Büchlein hatte einen kaum geahn-
ten, Jahrhunderte überdauernden Erfolg: Es war ein Schlager und
wurde rasch zum klassischen Werk.
Doch wer war eigentlich Publilius Syrus ? Ein Mimendichter. Der
Mimus, alte griechische Volkskunst, gelangte im 3. Jahrhundert v.C.
nach Italien, wo er, kultisch gebunden, am derb-ausgelassenen
Feste der Floralien zur Aufführung kam. Die älteste Notiz findet
sich für das Jahr 211 v.C. Kleine dramatische Szenen aus dem ge-
wöhnlichen Leben und den Tagesereignissen wurden, zunächst in
Prosa, später operettenhaft mehr und mehr mit Versen durchsetzt,
in burlesker Komik und oft grobem Witz auf der Bühne improvi-
siert. Um 150 v.C. nahm der Mimus schon festere Gestalt an: Ge-
sang-, Tanz- und Sprechteile wechselten miteinander ab. Seine
erste Blütezeit erlebte er in der Mitte des I.Jahrhunderts v.C.
Theokrits Idyllen, Herondas' Mimiamben, aber auch der heutige
türkische Karagös, die Sketchs unserer Kleinkunstbühnen und man-
7
che Hörspiele vermitteln ein Bild dieser Possen. Stegreifpossen
waren es. Nur selten kam es zu literarischer Fixierung. Lediglich
von zwei Stücken des Publilius, „Brummbär" (Murmureo) und
„Die Baumbeschneider" (Putatores) betitelt, erfahren wir, daß sie
veröffentlicht wurden.
Über den Dichter selbst wissen wir herzlich wenig. Nicht einmal,
welchen eigenen Namen er hatte. Er stammte aus Syrien und war
etwa i.J. 93 v.C., vermutlich zu Antiochia,geboren; danach nannte
man ihn Syrus. Als Sklavenjunge kam er um 83 nach Italien, wo
ihn ein Freigelassener kaufte.
Schon bald fiel der Junge seinem neuen Herrn durch Schönheit,
Witz und vor allem durch seine Schlagfertigkeit auf, wovon Macro-
bius einige Proben gibt. Schließlich stellte der Freigelassene den
Knaben seinem eigenen früheren Patronus vor, der vielleicht der
Vater von Ciceros zweiter Frau war. Der fand Gefallen an dem
Jungen und beschloß, ihn schulisch ausbilden zu lassen. Damit war
dessen Glück gemacht; auch die Freiheit wurde ihm bald geschenkt,
und nach dem Patronus wurde er nun Publilius genannt.
Der junge Mann wandte sich dem Mimus zu, dichtete eine große
Menge Stücke und spielte auch selbst auf der Bühne mit. Rasch
wurde er in den Provinzstädten bekannt. Von Jahr zu Jahr wuchs
sein Ruhm, obwohl die hohe Literatur von diesen Possen keinerlei
Notiz nahm. Schließlich lud Cäsar, als er i.J. 46 v.C. seine Trium-
phalspiele gab, ihn dazu nach Rom ein. Dort, im Konkurrenzkampf
mit dem bisher als Stern erster Größe anerkannten römischen
Ritter und Mimendichter Decimus Laberius, besiegte er vor einem
erlauchten Publikum, darunter Cäsar und Cicero, den um etwa
dreizehn Jahre Älteren. Von nun an war Publilius unbestritten der
König des Mimus. Die Zeit seines Todes ist unbekannt.
Was den Mimus unter anderem kennzeichnete, waren die einge-
flochtenen Sentenzen. Gerade dafür hatte der Römer, mehr noch
als der Grieche, eine besondere Vorhebe. Wie das Kunstgewerbe
ihn mehr anzog als freie Kunst, so liebte er auch in der Dichtung
besonders das „Angewandte", das Didaktische, wie es in Fabeln,
Sprüchen, Satiren, Epigrammen u.dgl. hervortritt. Und hierin
kam Publilius dem Römer reichlich entgegen, wobei ihm der eigene
8
orientalische Sinn für Spruchpoesie zugute kam. Ja, es scheint so-
gar höchstwahrscheinlich, daß einzelne Dramenfiguren in Nach-
ahmung der alten Stichomythie sich hier und da ein Spruchduell,
ein Wortgefecht in Sentenzen geliefert haben, wie etwa:
A. Mehr als Verstand vermag das Glück beim Menschen (F 27).
B. Die Tat, die sich aufs Glück verläßt, mißglückt (M 12).
Oder
A. Der Balsam für ein Unrecht heißt Vergessen (I 21).
B. Wer altes Unrecht trägt, wird neues wecken (V 16).
Oder
A. Lust mit Erinnerung an Gefahr ist kläglich (M 57).
B. Gerade nach Verbotnem geht Begierde (N 17).
Solche Beispiele lassen sich häufen1. Das Verblüffende, das darin
liegt, brachte Publilius brausenden Beifall ein und zeitigte im Volk
eine wahre Manie: Man schleuderte sich in der täglichen Unter-
haltung Sentenzen teils des Publilius, teils selbstverfertigte zu, die
der Gesprächspartner nach eigenem Fabrikat wie einen aufgefan-
genen Ball wieder zurückwarf. Cäsar redete den Laberius bei der
Siegerehrung mit einem aus dem Stegreif gedichteten und des
Mimus würdigen Senar an. Der Advokat Murredius (um Zeiten-
wende) stellte in zwei Plädoyers jeweils einen von ihm selbst gebil-
deten Sinnspruch ä la Publilius an die Spitze seiner Reden, und
Petronius legt in seinem Roman dem Trimalchio 16 Sentenzen in
den Mund, die er Publilius zuspricht, die aber tatsächlich eigenes
Wachstum sind.
Erstaunlich ist - und darin vor allem liegt ihr literarischer Wert
daß diese Verse, die der Überlieferung nach Stegreifpoesie waren,
in ungewöhnlicher Menge eine scharfgeschliffene und wohlabge-
wogene sprachliche Formung erfahren haben. Ich führe nur wenige
Beispiele an; sie lassen sich beliebig vermehren. Man beachte den
Gleichlauf der Worte in Η 22:
Honeste parcas improbo, ut parcas probo.
•Vgl. Β ίο: Β 3I,V32:M 71, C I2. D23.D 6:D I8,C 39: I 57, Μ 41: R 2 usw.
9
Die chiastische Stellung in C 32:
Cum ames, rum sapias, aut cum sapias, rum ames.
Die Assonanzen (a und i) in A 10:
Amid vitia si feras, facias tua.
Die Alliteration (p) in I 13:
Impune pecces in eum, qui peccat prior.
Den Reim in A 56:
Amid mores noveris, non oderis.
Die Antithesen in Ν 14 und I 1:
Necesse est minima maximorum esse initia.
Inferior resdt, quicquid peccat superior.
Das etymologische Spiel in I 50:
Iniuriam facilius facias quam feras.
All das (was in einer Übersetzimg sich der Nachahmung meist ent-
zieht) macht es verständlich, daß das Sentenzenbüchlein großes
Aufsehen erregte und sofort einschlug. Schon Cassius Severus
(* um 40 v. C.) zitierte eine Menge dieser Sprüche. Der Rhetor
Volcacius Moschus (um 1) verfaßte eine Schrift darüber. Der
Ältere Seneca (t um 41 n.C.) fand sie ausgezeichnet. Der Jüngere,
Philosoph und selbst glänzender Stilist, (f 65 n. C.) begeisterte sich
daran, und noch zu seiner Zeit wurden Stücke des Dichters unter
großem Applaus im Theater aufgeführt. Gellius (um 175 η. C.)
versichert, die Sprüche lebten als Zitate in aller Mund, und um
400 n.C. benutzte der Grieche Palladas sie zu eigenen Dichtungen8.
Schon im 1.Jahrhundert n.C. dürften sie Schullektüre geworden
sein und blieben es, wie Hieronymus (t 419) und Augustinus
(t 43°) bezeugen, bis mindestens tun 400.
Das Bühnenspiel selbst hatte trotz heftigster Bekämpfung ein zähes,
unverwüstliches Leben. Anlaß zur Bekämpfung bot der Mimus
freilich zur Genüge. Die derben, meist unmißverständlichen Späße
und die Tänze, in denen die Schauspielerinnen ein Striptease vor-
führten oder überhaupt nur mir ihrer Haut bekleidet ihre verfäng-
lichen Künste zeigten, ernteten bei den breiten Massen zwar rau-
schenden Beifall, stießen aber andere verständlicherweise ab, so daß
' Vgl. etwa S 40 mit Anthologia Graeca X 91 und Τ 2 mit X 9g.
10