Table Of ContentTRÄNKLE • DIE SPRACHKUNST DES PROPERZ
UND DIE TRADITION DER LATEINISCHEN DICHTERSPRACHE
HERMES
ZEITSCHRIFT FÜR KLASSISCHE PHILOLOGIE
EINZELSCHRIFTEN
HERAUSGEGEBEN VON
KARL BÜCHNER · HERMANN GUNDERT
HERBERT NESSELHAUF
HEFT 15
DIE SPRACHKUNST DES PROPERZ UND DIE
TRADITION DER LATEINISCHEN DICHTERSPRACHE
VON HERMANN TRÄNKLE
FRANZ STEINER VERLAG GMBH· vVIESBADEN
1960
DIE SPRACHKUNST DES PROPERZ
UND DIE TRADITION DER
LATEINISCHEN DICHTERSPRACHE
VON
HERMANN TRÄNKLE
FRANZ STEINER VERLAG GMBH· WIESBADEN
. . .
960
· I
Alle Rechte vorbehalten - Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch
nicht gestattet, einzelne Teile des Werkes auf photomechanischem Wege (Photokopie,
Mikrokopie usw.) zu vervielfältigen - © 1960 by Franz Steiner Verlag GmbH, Wies-
baden - Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Gesamtherstellung: Buchdruckerei L. C. Wittich, Darmstadt
Printed in Germany
VORWORT
Keiner der augusteischen Dichter bereitet dem unmittelbaren Verständnis
so große Schwierigkeiten wie Properz, bei keinem gehen die Meinungen der
Erklärer auch der letzten Jahrzehnte über Wortlaut und Wortsinn so weit
auseinander wie bei ihm. Dies ist bedingt durch zwei Tatsachen: durch den
entmutigenden Zustand der Überlieferung, noch mehr aber durch die heraus
fordernde Eigenwilligkeit seiner Sprache, so daß auch der kundige Leser oft
kaum ein Urteil darüber zu wagen vermag, was Properz zuzutrauen ist und
was nicht. Aus der besonderen Art des Dichters seine Sprache zu erklären und
so zu ihrem Verständnis beizutragen, ist der Sinn dieser Arbeit, die im Dezem
ber 1957 der Philosophischen Fakultät der Universität München als Disser
tation vorgelegt wurde. Sie hätte weder geschrieben noch veröffentlicht werden
können ohne vielfache Hilfe, für die ich an dieser Stelle von Herzen meinen
Dank sage.
Vor allem gilt er Herrn Prof. Friedrich Klingner, der mir das Verständnis für
die lateinische Dichtung geöffnet und das Werden der Arbeit mit geduldigem,
stets weiterführendem Rat begleitet hat, dann Herrn Generalredaktor Dr. Wil
helm Ehlers für die Erlaubnis, Bibliothek und Zettelmaterial des Thesaurus
Linguae Latinae zu benützen, den Herausgebern der Hermes-Einzelschriften
für die Aufnahme in die Reihe, Herrn Prof. Karl Büchner überdies für wert
volle Hinweise, der Deutschen Forschungsgemeinschaft für einen bedeutenden
Zuschuß zu den Druckkosten und schließlich meinem Freunde Dr. Winfried
Bühler für die Durchsicht der Druckbogen.
München, Oktober 1959 Hermann Tränkle
INHALTSVERZEICHNIS
I. Einleitung
1
Geschichte des Problems 1 - Notwendigkeit eines Vergleichs mit dem Sprach
gebrauch anderer Dichter 5 - Umgangssprache und Dichtersprache, Gemein
samkeit, Wirkung der einen auf die andere 6 - Berücksichtigung des Wort
zusammenhangs 12 - Verschiedene Stilhöhe verschiedener Dichtgattungen 17
- Sprache als Ausdruck des Innern des einzelnen Dichters 18 - Beurteilung
des Properz im Altertum 19 - Stilentwicklung 21
II. Properz und die Tradition der Dichtersprache
22
1. Der Einfluß des C. Gallus und der Neoteriker.. 22
2. Archaismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3. Der Einfluß des Virgil . . . . . . . . . . . . . . 49
4. Wortneubildungen, Konstruktionsneuerungen, Neuverbindungen . . 57
5. Der Präpositionengebrauch des Properz . . 85
III. Charakteristisch-drastische Ausdrücke 95
1. Die stilistischen Voraussetzungen . . . . . . 95
Dichtgedrängte Zusammenfassung mehrerer Vorstellungen 95 - Vergleich zu
Tibull und Ovid 96 - Neigung zum drastischen Heraustreiben 97 - Freude am
beispielhaften Einzelfall 99 - Scharfe Ausprägung der Einzelheit rno - Durch
brechung der natürlichen Ordnung in der Satzfolge I02 - Gestaltung innerer
Bewegung 1 o 3
2. Die Ausdrücke selbst . 108
a) Substantive I IO
b) Adjektive . . . . . . 128
c) Verba . . . . . . . . 132
IV. Formen der lebendigen Wechselrede 143
1. Der dialogische Charakter der properzischen Elegie.. 143
Vergleich zu Tibull 14 3 - Scheindialog 146 - Apostrophe 14 7
2. Die Formen selbst .................................. 149
Interjektionen und parataktische Kurzsätze 149 - Sonstige affektische Ele
mente in verschiedenen Satztypen 153 - Affektische Elemente, die sich aus der
Rücksicht auf den Gesprächspartner ergeben 159 - Distanzsprache 167
V. Wechsel in der Stilhöhe
.. 172
I. EINLEITUNG
Seit die klassischen Philologen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
begannen, die sprachlichen Besonderheiten der lateinischen Schriftsteller syste
matisch zu sammeln, hat die Eigenart des Properz Verwunderung erregt.
Schon M. HAUPTä ußert bei aller Verehrung für den Dichter vorsichtig, seine
Sprache sei manchmal ungepflegt 1 Als man dann die verschiedenen Stil
•
arten und Sondersprachen deutlicher zu scheiden begann, lag es nahe, jene
Stellen des Anstoßes der lebendigen Umgangssprache zuzuweisen. So hat sich
G. UHLMANNn ach manchen Vorarbeiten von anderen in seiner zusammen
fassenden Dissertation „De Sexti Properti genere dicendi", Münster 1909, die
Aufgabe gesetzt zu zeigen, ,,wo und wie weit der Dichter seinen eigenen Weg
geht oder sich einer vulgären und archaischen Ausdrucksweise bedient"
(S. 1). Der Begriff „vulgär" vertritt hier die gesamte Umgangssprache ohne
Unterschied und wird von dem des „Archaischen" nicht deutlich getrennt;
denn UHLMANNw ollte nicht so sehr archaische oder umgangssprachliche Ele
mente in der Sprache des Properz aufdecken, als vielmehr, wie es in Stilunter
suchungen der damaligen Zeit öfter geschieht, Abweichungen von der für
vorbildlich gehaltenen Sprache der Reden und Lehrschriften Ciceros und der
Commentarii Caesars. Deswegen werden seine reichen Sammlungen nur durch
ein negatives Band zusammengehalten und geben kein wirkliches Bild von der
sprachlichen Eigenart des Properz, so daß der Leser der Arbeit verwundert
fragt, wie ein Dichter so Verschiedenartiges in seinem Werk vereinigen könne.
Schließlich beschäftigt sich UHLMANnNu r mit Fragen der Syntax, ohne Formen
lehre und Wortwahl zu beachten. E. NEUMANNh at dann in der klugen und
fleißigen Dissertation „De cottidiani sermonis apud Propertium proprietatibus",
Königsberg 1925, wesentlich besser gerüstet durch die inzwischen erschienenen
bedeutenden Werke der Stilforschung, die Frage nach dem umgangssprach
lichen Einfluß bei Properz noch einmal gestellt und ist ihm auf allen Gebieten
der Grammatik nachgegangen. Wortformen und Wortwahl sind berücksichtigt
und viele Beobachtungen zusammengetragen. NEUMANNk ann sich ein so
häufiges Abgleiten von den Normen eines Sprachkunstwerks nur mit der stili
stischen Nachlässigkeit und Flüchtigkeit des Dichters erklären. Immer wieder
ist von seiner „neglegentia" und „incuria" die Rede2 die der „diligentia"
,
z.
1 Opuscul. I, 85. 1 B. 15, 39.
1 Hermes-Einzelschriften, Heft 15
2 Einleitung
und „elegantia" seines Zeitgenossen Tibull im Sinne des damals noch un
widerlegten Aufsatzes von R. BÜRGER1 entgegengesetzt werden. Wenn wir
dieser Arbeit glauben, sehen wir, wie Properz, durch den Zwang des Vers
maßes beengt und ohne allzu sicheres Stilgefühl, immer wieder zu unange
messenen Wörtern und Fügungen greift, während Tibull, den Gesetzen der
Analogisten folgend, Verse von makelloser Schönheit des Ausdrucks zu formen
vermag. Freilich wäre diese Bewertung nur uneingeschränkt gültig, wenn die
gleichen strengen Normen, die NEUM. für Tibull voraussetzte, auch für die
übrigen großen Dichter der augusteischen Zeit nachgewiesen worden wären.
Aber die Werke des Virgil, Horaz und Ovid tragen durchaus ihr eigenes
Gepräge, und nun sind BÜRGERSE rgebnisse, die im Grunde immer noch auf
der Vorstellung von der auch für die Dichter vorbildlichen Sprache der klas
sischen Prosaschriftsteller, vor allem Caesars, beruhen, von B. AXELS0Nz win
gend widerlegt worden 2 so daß uns selbst Tibull nicht mehr als der unbe
,
dingte Analogist erscheint, für den ihn NEUMANNn och halten konnte. NEU
MANNSe igene Untersuchungen haben viel Anerkennung gefunden 3 und sind
im wesentlichen bis heute unbestritten. Besonders wichtig war es, daß
J.
B. HOFMANNih nen glaubte und die Ergebnisse in seine Werke übernahm 4
•
So erscheint in manchen neueren Arbeiten zur Stilforschung das Wort vom
umgangssprachlichen Einfluß bei Properz fast als ein wissenschaftliches Schlag
wort und tritt an die Stelle sorgfältiger Erklärung.
Wenn z. B. HoFM. Umg. 97f. die Verwendung von Negationen im Sinne
einer verstärkten Verneinung bespricht, erwähnt er zunächst einige Beispiele
aus Plautus, Terenz und sogar Ciceros Reden, und fährt dann fort: ,,Von
Späteren bietet Catull 76, 3 nec foedere nullo einen zweifelsfreien Beleg, ver
einzelt auch Dichter mit vulgärem Einschlag wie Ovid, Prop., Sulpicia; Virgil
nur Georg. 4, 453. 5 Sehen wir bei Properz nach, so finden wir auch bei ihm
"
nur ein einziges Beispiel im letzten Vers eines Gedichtes, in dem der Dichter
seine Sorge ausspricht, weil Cynthia von Rom aufs Land verreisen will,
2, 19, 31f.:
quin ego in assidua mutem tua nomina lingua:
absenti nemo non nocuisse velit 8
•
1 Beiträge zur elegantia des Tibull. XixpLn~f ür Leo, Berlin 19u,3 71ff. 1 u4ff.
1 Z. B. P. TROLL: Forschungsbericht zur röm. Elegie, Bursian 235, 1923, 171, HoFM.
Synt. 351.
• HoFM. Synt. 438 nennt Properz sogar einen „ volkstümlichen Autor".
6 Dazu kommt Aen. 11, 72 5 f. at non haec nullis hominum satoY atque deOYumo bseroans oculis.
• Das überlieferte non ist hier gegen SCHUSTERb eizubehalten. non= ne als Satz-
negation ist in der lateinischen Dichtung seit Cat. 66, 91 nicht selten. Siehe Prop. 1, 8, 13;
3, 15, 11 Vgl. HoFM. Synt. 573f., WACKERN. Synt. II, 259! Vers 32 muß dann natürlich
als selbständiger Wunschsatz aufgefaßt werden.