Table Of ContentDie sexuelle Frage.
Eine naturwissenschaftliche, psychologische,
hygienische und soziologische Studie für
Gebildete
von
AUGUST FO REL,
Dr. med. phil. et jur., ehemaligem Prof, der Psychiatrie
und Direktor der Irrenanstalt in Zürich.
4. und 5. verbesserte und vermehrte Auflage^
(16.—25. Tausend).
MÜNCHEN 1906.
ERNST REINHARDT, Verlagsbuchhandlung
Karlsstrasse 4.
Alle Rechte, besonders das Recht der Übersetzung
Vorbehalten.
e
ßuchdruckerei M. Müller & Sohn, München
Meiner Frau
Emma geborene Steinheil
in Liebe und Verehrung
gewidmet.
Der Verfasser.
*
Vorwort zur ersten Auflage.
Das vorliegende Buch ist die Frucht langjähriger Erfahrungen
und Überlegungen. Eine Wurzel desselben stammt aus der Natur
forschung, und eine zweite aus einer langen Beschäftigung mit
der Psychologie kranker und gesunder Menschen. Die Sehnsucht
des menschlichen Gemütes und die Erfahrungen der Soziologie der
verschiedenen Menschenrassen und geschichtlichen Zeitperioden mit
den Ergebnissen der Naturforschung und den durch dieselben ans
Licht geförderten Gesetzen der psychischen und sexuellen Evolution
in harmonischen Einklang zu bringen — das ist ein Problem, das
sich unserem Zeitalter aufdrängt. Sein Scherflein zur bestmöglichen
Lösung jenes Problems beizutragen, ist eine Pflicht, die wir unseren
Nachkommen gegenüber zu erfüllen haben. Wir müssen für sie
ein glücklicheres Dasein vorbereiten als das unsrige, und wäre es
nur aus Dankbarkeit für die ungeheuren Kulturfortschritte, die wir
dem Schweiss, dem ¡¿Blut und ¡.vielfach dem Martyrium unserer
Vorgänger verdanken.
Ich bin mir der Grösse meiner Aufgabe und der Mängel
meines Buches völlig bewusst. Es war mir namentlich nicht mög
lich, die vorhandene Literatur genügend zu berücksichtigen. Ich habe
mich vor allem bemüht, die sexuelle Frage von allen Seiten in
einer Art zu behandeln und zu beleuchten, wie es meines Wissens
noch nicht geschehen ist. Andere werden dann die Mängel und
Lücken später verbessern.
Meinem lieben Freunde und Kollegen Herrn Dr. W. Bach
schulde ich für seine wertvollen Ratschläge und seine vortreffliche
Hilfe bei der Revision meiner Arbeit grossen Dank. Ich habe auch
Herrn Prof. Boveri zu danken, der die Güte hatte, die Ausführung
der Tafeln 1 und II zu überwachen.
Chigny près Morges, im Oktober 1904.
(Waadt, Schweiz).
Dr. A. Forel.
A’’
Vorwort zur vierten Auflage.
Die drei ersten Auflagen dieses Buches wurden so rasch ver
griffen, dass mir eine Revision nicht möglich war. Die vorliegende,
vierte Auflage wurde dagegen von mir revidiert, an vielen Stellen
verbessert und mit Zusätzen versehen. Aus logischen Gründen habe
ich aus dem früheren, nachträglich hinzugesetzten Kapitel XVIII, nun
Kapitel IX gemacht. Ich hebe unter anderem den höchst lehrreichen
Fall (S. 495), den ich Herrn Wundsam verdanke, hervor.
Die Beurteilungen, die das Buch erfahren hat, widersprechen
einander, wie zu erwarten stand, sind aber bis jetzt vorwiegend zu
stimmend, und ich fand bisher nichts in den Kritiken (von einigen
Detailpunkten abgesehen, für die ich den Kritikern recht dankbar
bin, und die ich entsprechend verbessert habe), was mich hätte
veranlassen können, in irgend einem wesentlichen Gebiete meine
Ansichten zu ändern. Dass die katholische Kirche und auch die
strenge protestantische .Orthodoxie Stellung gegen mein Buch
nehmen würden, war ja selbstverständlich zu erwarten. Ich freue
mich, anderseits zu konstatieren, dass eine Reihe protestantischer
Geistlicher mir umgekehrt vollauf zugestimmt haben. Weniger er
baulich ist das Verhalten sehr vieler offiziöser Vertreter von Staat,
Kirche und hergebrachter Sitte (vor allem in der Presse), die im
Grunde zustimmen, aber aus Angst, nach oben, rechts oder links
anzustossen, ignorieren, verschweigen und formell abweisen. Das
ist übrigens nur ein neuer Beleg für die von mir entwickelten
Anschauungen.
Anderseits erhalte ich fast täglich private Dankschreiben von
Personen, die auf eine oder die andere Weise in ihrem Sexualleben
unter den üblichen Vorurteilen und Irrlehren, sowie unter ihrer
Unkenntnis der natürlichen Verhältnisse bitter zu leiden hatten, und
denen das Buch eine Erlösung war, sogar oft Heilung brachte.
Dies beweist mir, dass mein Zweck erreicht worden ist.
Chigny près Morges, im November 1905.
(Schweiz).
Dr. A. Forel.
Inhalt.
Seite
Einleitung...............................................................................................................1
Kap. I. Die Fortpflanzung der Lebewesen. Keimgeschichte,
(Teilung, Jungfernzeugung, Konjunktion, Mneme, Ent
wicklung, Geschlechtsunterschiede, Kastration, Herma
phroditismus, Vererbung, Blastophthorie) . . . 5
Kap. II. Die Evolution oder Deszendenz (Stammgeschichte) der
Lebewesen...................................................................................36
Kap. III. Naturhistorische Bedingungen und Mechanismus der
menschlichen Begattung. Schwangerschaft. Korre
lative Geschlechtsmerkmale.......................................................46
Kap. IV. Der Geschlechtstrieb..........................................................................70
1. Der Geschlechtstrieb des Mannes.............................................75
2. Der Geschlechtstrieb des Weibes.............................................91
3. Der Flirt............................................................................................VI
Kap. V. Die sexuelle Liebe und die übrigen Ausstrahlungen des
Geschlechtstriebes im Seelenleben des Menschen . 102
Allgemeines...................................................................................102
Die sexuelle Liebe . . . . . . . . . 106
a) Die psychischen Ausstrahlungen der sexuellen Liebe
beim Manne. (Kühnheit, Zeugungstrieb, Eifersucht,
sexuelle Renommisterei, pornographischer Geist,
sexuelle Heuchelei, Prüderie und Schamgefühl, Jung
gesellentum) .....................................................................112
b) Die psychischen Ausstrahlungen der sexuellen Liebe
beim Weibe. (Alte Jungfrauen, Passivität und Sehn
sucht, Sich geben und Schwärmerei, Pantoffelehen,
Schwangerschaft und Mutterliebe, Affenliebe, Routine,
weibliche Eifersucht, Koketterie, weibliche Prüderie
und Schamgefühl) . " ...........................................................127
c) Fetischismus.................................................................................140
d) Beziehungen der Liebe zur Religion . . . . 141
Beispiele aus dem Leben (1—27)...............................................142
Kap. VI. Ethnologie, Urgeschichte und Geschichte des mensch
lichen Sexuallebens-und der E h e ............................................158
1. Ursprung der Ehe. . ..............................................159
2. Das Alter der Eheeinrichtungen............................................161
3. Kritik der Promiskuitätslehre............................................162
Seile
4. Ehe und Ehelosigkeit.........................................................167
5. Werbung etc.............................................................................169
6. Anziehungsmittel..................................................................170
7. Freiheit der Wahl.................................................................172
8. Geschlechtliche Zuchtwahl.................................................174
9. Ähnlichkeitsgesetz, Bastarde.................................................176
10. Verbot der Ehe zwischen Verwandten. . . . 177
11. Die Rolle der Gefühle und der Berechnung bei der
geschlechtlichen Zuchtwahl . . . . . . . 182
12. Raubehe und Kauf ehe........................................................184
13. Niedergang der Kauf ehe, Heiratsgut . . . .185
14. Hochzeitszeremonien und Vermählungsgebräuche 186
15. Formen der E he..................................................................186
16. Dauer der E h e .................................................................196
17. Zur Geschichte des ausserehelichen Geschlechts
verkehrs ..................................................................................198
'18. Rückblick................................... . . .201
19. Anhang. Einfluss der Rasse auf das Geschlechtsleben 202
Kap. VII. Die sexuelle E volution........................................................205
A. Phylogenie des Sexuallebens........................................205
B. Ontogenie des Sexuallebens................................................213
Kap. VIII. Sexuelle Pathologie.................................................................223
I. Pathologie der Geschlechtsorgane im allgemeinen . 224
II. Venerische Krankheiten........................................................226
III. Die sexuelle Psychopathologie........................................231
1. Reflexstörungen. . . . . . . . 233
2. Psychische Impotenz.........................................................234
3. Sexuelle Paradoxie.........................................................235
4. Sexuelle Anaesthesie oder angeborenes Fehlen des
Geschlechtsgefühles und -Triebes . . . . 237
5. Sexuelle Hyperaesthesie oder abnorme Steigerung
des Geschlechtstriebes................................................238
6. Onanie (Masturbation oder Selbstbefleckung) . 240
7. Perversionen des Geschlechtstriebes oder Paraesthe-
sien der sexuellen Empfindung . . . . 248
a) Geschlechtliche Neigung zu Personen des anderen
Geschlechtes in perverser Betätigung des Triebes 248
a) Sadismus.................................................................248
b) Masochismus . . . . . . . 250
c) Fetischismus.................................................. 256
d) Exhibitionismus................................................257
b) Geschlechtliche Neigung zu Personen desgleichen
Geschlechtes. (Homosexuelle Liebe und konträre
Sexualempfindung) ...........................................258