Table Of ContentDie "Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologic und Psychiatrie" stellen
eine Sammlung solcher Arbeiten dar, die einen Einzelgegenstand dieses Gebietes in
wissenschaftlich-methodischer Weise behandeln. Jede Arbeit solI ein in sich ab
geschlossenes Ganzes bilden. Diese Vorbedingung laBt die Aufnahme von Original
arbeiten, auch solchen groBeren Umfanges, nicht zu.
Die Sammlung mochte damit die Zeitschriften "Archiv fiir Psychiatrie und Nerven
kranlilleiten, vereinigt mit Zeitschrift fiir die gesamte Neurologie und Psychiatrie"
und "Deutsche Zeitschrift fiir Nervenheilkunde" erganzen. Sie wird deshalb deren
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Manuskripte nehmen entgegen
aus dem Gebiete der Psychiatrie: Prof. Dr. H. W. GRUHLE
Bonn, N ervenklinik
aus dem Gebiete der Anatomie: Prof. Dr. H. SPATZ
GieBen, FriedrichstraBe 24
aus dem Gebiete der Neurologie: Prof. Dr. P. VOGEL
Heidelberg, VoBstraBe 2
MONOGRAPHIEN AUS OEM GESAMTGEBIETE OER NEUROLOGIE UNO
PSYCHIATRIE
HERAUSGEGEBEN VON
H. W. GRUHLE - BON N . H. SPATZ - GIESSEN . P. VOGEL - HEIDELBERG
HEFT 81
DIE SAUERSTOFFVERSORGUNG
DES GEHIRNS UNO IHRE STORUNG
BEl DER LIQUORDRUCKSTEIGERUNG
UNO BEIM HIRNODEM
VON
H. GANSHIRT
DR.MED.
PRIVATDOZENT FUR NEUROLOGIE
OBERARZT DER NEUROLOGISCHEN KLINIK
DER MEDIZINISCHEN AKADEMIE DUSSELDORF
MIT 13 ABBILDUNGEN
SPRINGER-VERLAG
BERLIN· GOTTINGEN . HEIDELBERG
1957
AUB der Neurologischen KIinik der Medizinischen Akademie DUsseldorf
Direktor: Professor Dr. E. BAY
Aile Rechte,
insbesondere das der Obersetzung in fremde Sprachen,
vorbehalten
Ohne ausdriickllche Genehmigung des Verlages
1st es auch nlcht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus
auf photomechanischem Wage (Photokopie, Mikrokopie)
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© by Springer-Verlag OHG. Berlin· Gottingen· Heidelberg 1957
ISBN-13: 978-3-540-02199-5 e-ISBN-13: 978-3-642-86356-1
om: 10.1007/978-3-642-86356-1
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jedermann benutzt werden diirften
Inhaltsverzeichnis
Selte
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
I. Physiologie der Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns . 3
1. Blutsauerstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
2. Capillarisierung und funktionell anatomische Gegebenheiten der HirngefaJ3e 4
3. Durchblutungsregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5
4. Der Zellsauerstoff im Gehirn und das Modell des Kroghschen Gewebszylinders 8
5. Zusammenfassung zu I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
II. Durchblutung und Sauerstoffverbrauch des Hirns unter Normalbedingungen . 10
1. Definition der Normalbedingungen. . . . . . . . . . . . . . 10
2. Methodik der Durchblutungs- und Sauerstoffverbrauchsmessung. . . .. 11
3. Ergebnisse der Stickoxydulmethode . . . . . . . . . . . . . . . .. 12
4. Durchblutung und Sauerstoffverbrauch einzelner Hirnregionen und die Sauer-
stoffverbrauchsamplitude des Gehirns . . . . . . . 13
5. Zusammenfassung zu II .... . . . . . . . . . 14
III. Formen und Mechanismen der Mangelwirkungen am Hirn 15
1. Aligemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2. Hypoxische Hypoxydosen. . . . . . . . . . . . . 16
a) Arterielle Hypoxie S. 16 - b) Venose Hypoxie und ihre Unterformen S. 16
3. Nicht hypoxische Hypoxydosen 17
4. Zusammenfassung zu III . 18
IV. Die Vulnerabilitat des Gehirns 19
1. Definition, Vulnerabilitat und Wiederbelebungszeit . 19
2. Dberlebenszeit. Erholungslatenz und Erholungszeit. Das mathematische Korre-
lat des Begriffes: Vulnerabilitat des Gehirns . . . . . 20
3. Vulnerabilitat verschiedener zentralnervoser Gebiete . 22
4. Unvollstandige und zeitlich befristete Wiederbelebung 24
5. Zusammenfassung zu IV 25
V. Energieumsatz des Gehirns 26
1. Das Atmungssubstrat 26
2. Zur biologischen Oxydation im Nervengewebe 27
3. Die P ASTEuRSche Reaktion und ihre Bedeutung fiir die Energieausbeute 28
4. Energiestoffwechsel und nervose Funktion 30
5. Zusammenfassung zu V. . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
VI. Sauerstoffmangel durch Liquordrucksteigerung. . . . . . . . . 31
1. Zur Genese und zum klinischen Bild der Liquordrucksteigerung 31
2. Die Regulierung von Durchblutung und Sauerstoffversorgung bei erhohtem
Liquordruck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
a) SauerstoffiiberschuB S. 33 - b) Umstellungsreaktion S.35
3. Klinische Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
4. Form, Mechanismus und Wirkungen des Sauerstoffmangels bei der Liquor.
drucksteigerung . . . . 42
5. Zusammenfassung zu VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 47
IV Inhaltsverzeichnis
Sette
VII. Sauerstoifmangel beim Hirniidem. . . . . . . • . . . . 48
1. Allgemeines zur Hirnvolumenvermehrung. . . . . . . 48
a) Die Hirnodeme S.49 - b) Die Hirnschwellung S.50
2. Die Permeabilitatsfrage. . • . . . . . . . . . . . . . 51
3. Zum klinischen BiId der iidembedingten Schadelinnendrucksteigerung . 54
4. Klinische Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
5. Form, Mechanismus und Wirkungen des Sauerstoifmangels beim Hirnodem. 62
a) Die Besonderheiten der Sauerstoifversorgungsstorung beim Hirnodem
S. 62 - b) Mechanismus und Form des Sauerstoifmangels beim HirnOdem
S. 66 - c) Kombination von HirnOdem mit intrakranieller Drucksteige
rung S. 67 - d) Die Wirkungen des Sauerstoifmangels beim HirnOdem S. 68
6. ZusammenfaBBung zu VII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 70
VIII. Sauerstoifmangel durch fokale Ischamie, Oligamie, Zellfermentschitdigung und
sekundare Ischitmie . 71
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 71
2. Foble Ischamien . . . . . . . . . . . . . . . : . .. 72
a) Massenverschiebung S.72 - b) Staudruck S. 73 - c) Besonderheiten
der Gefii,13versorgung von Hirngeschwiilsten S. 73
3. Oligii.mische Hypoxydose des Gehirns. . . . . . . . . . . . . . . . .. 75
4. Histotoxische Hypoxydose des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . .. 76
5. Die sekundii.re Ischii.mie als letzte gemeinsame Endstrecke aller Hypoxydosen
des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 77
6. Die zeitliche Aufeinanderfolge der Sauerstoifmangelmechanismen am Gehirn
beim Vorliegen einer Hirngeschwulst . 77
7. Zusammenfassung zu VITI 79
IX. Therapeutische Folgerungen 80
Zusammenfassung 84
Literatur .... 86
Sachverzeichnis 97
Einleitung
Die Lehre yom Hirndruck blickt auf eine mehr als 50jahrige Tradition zuruck.
Ihre wesentlichen Arbeitsrichtungen sind die anatomisch-deskriptive, die atio
logische und die klinisch-therapeutische. Wie es zum Hirndruck kommt, definierte
REICHARDT erstmals in aIlgemeingultiger Form. Unabhangig von der Pathogenese
entsteht eine intrakranieIle Drucksteigerung dann, wenn ein Mil3verhaltnis zwi
schen Schadelkapazitat und Schadelinhalt derart vorliegt, daB der Inhalt den zur
VerfUgung stehenden Raum ubersteigt. Der Hirnschadel kann von vornherein zu
klein angelegt sein oder mit dem Wachs tum des Gehirns nicht Schritt halten,
oder aber der Schadelinhalt nimmt an Volumen infolge krankhafter Storungen zu.
Vorausgesetzt ist dabei immer, daB die Schadelkapsel mehr oder weniger starr ist
und die Schaffung neuen Raumes nicht oder nur unvoIlstandig zulaBt. Die FaIle
mit krankhafter Volumenzunahme des Schadelinhaltes im Laufe des Lebens uber
wiegen weitaus jene mit Mi13bildungen odeI' Entwicklungsstorungen des Hirn
schadels. Unter ersteren lassen sich 2 Hauptgruppen unterscheiden, einmal die,
bei denen die Liquormenge zunimmt, zum andern jene, bei denen das V olumen des
Hirns selbst ansteigt. In der deutschen Pathologie kennt man seit REICHARDT eine
Hirnvolumenvermehrung durch Odeme des Gehirns und eine solche durch Hirn
schwellung. 1m Erwachsenenalter sind es die Hirngeschwulste, die weitaus am
haufigsten eine Liquorstauung oder ein Hirnodem verursachen. Es ist daher ver
standlich, wenn sich die vorliegende Untersuchung im wesentlichen auf Hirn
tumorfaIle stutzt.
Fur die Klinik ist das Krankheitsbild des "Hirndrucks" ein feststehender Be
griff. Da Hirndruck am haufigsten in Verbindung mit Hirngeschwulsten auft ritt,
diese jeweils ihr spezielles, von der Lokalisation bestimmtes Erscheinungsbild her
vorrufen, konnen die Symptome des Hirndrucks in TumorfaIlen auch als AIl
gemeinerscheinungen der Hirngeschwulste bezeichnet werden. Manches "AIl
gemeinsymptom" ist indessen schon als lokal bedingte StOrung erkannt worden,
das historisch bekannteste Beispiel ist die Abducensparese, verursacht durch
Strangulation des Nerven durch Seitenaste der Arteria basilaris (CUSHING 1911).
Dem Bestreben, die Hirndruckerscheinungen lokalisatorisch zu erklaren, war je
doch kein durchschlagender Erfolg beschieden, die Anstrengungen, vor aIlem getra
gen von der lokalisatorisch ausgerichteten Hirnpathologie, erlahmten, das klinische
Bild des Hirndrucks harrt trotz seiner Bedeutung, die es in der Neurologie besitzt
und in der Neurochirurgie erlangt hat, weiter der Aufklarung.
Man hat kaum Grund zu der Annahme, daB die Drucksteigerung als solche scha
digend auf die nervose Substanz wirke. Das Nervengewebe halt erhebliche Drucke
aus ohne Beeintrachtigung seiner Funktion, wie man aus Tierexperimenten am
1
Gansbirt, Die Sauerstoffv"rsorgung des Gcbirng
2 Einleitung
Kaltbliiternerven weiB. Die Formveranderungen, denen das Hirn bei Schadel
innendrucksteigerung unterliegt, wurden eine Zeit lang in der Pathogenese der
Aligemeinerscheinungen des Hirndrucks in den Vordergrund gescho ben. Letztlich
kam diese Arbeitsrichtung aber wieder auf ein Lokalisieren mit anderen Methoden
hinaus und die Ergebnisse, die einer kritischen Betrachtung standhielten, blieben
sparlich. Einzig der dramatische Vorgang der Einklemmung und einige typische
pramortale Versagensweisen von Kreislaufund Atmung erhielten damit eine plau
sible pathophysiologische Unterlegung.
Die zunehmende Verbreitung der Rontgenkontrastdarstellung der HirngefaBe
lenkte dann die "Oberlegungen in eine andere Richtung. Man wurde dank der Serien
angiographie auf grobere Storungen der Hirndurchblutung bei intrakranieller
Drucksteigerung aufmerksam, vor aHem auf die Herabsetzung der Stromungs
geschwindigkeit des Blutes, und erkannte im Hirndruck kreislaufphysiologisch
einen den peripheren GefaBwiderstand betrachtlich steigernden Faktor. Zur selben
Zeit wurde eine klinisch brauchbare Methode zur Messung der Hirndurchblutung
am Menschen entwickelt und die Erkenntnisse der Angiographie erhielten hier
durch eine wertvolle quantitative Bereicherung.
Wenn das Transportsystem eines Staates, der iiber Lebensmittelvorrate nicht
verfiigt und dessen Biirger N ahrungsmittel nicht produzieren, zum Erliegen kommt,
so leidet die Bevolkerung Hunger. Die unmittelbare Ursache des Hungers ist der
Nahrungsmangel, der Zusammenbruch des Transportsystems ist nur mittelbar
wirksam. Will man der Durchblutungsstorung des Hirns bei der Schadelinnen
drucksteigerung einen EinfluB auf die Storung der Hirnfunktion beimessen -
und daran bestehen heute keine Zweifel mehr -, so darf man in der Durchblutungs
storung nur eine mittelbare und muB in der gestorten Sauerstotf- und Niihrstotf
versorgung die unmittelbare Ursache erblicken. Eine Bearbeitung des klinischen
Bildes und des pathophysiologischen Vorganges der intrakraniellen Drucksteige
rung unter dem Blickwinkel des Sauerstoffmangels setzt neben der Kenntnis der
hydro- und hamodynamischen Besonderheiten der Schadelinnendrucksteigerung
die Kenntnis der Sauerstoffversorgung des Gehirns voraus und verlangt die Dar
stellung der Lehre yom Sauerstoffmangel. Wenn die beiden Physiologen, denen wir
die wesentlichsten Fortschritte auf diesem Gebiete verdanken, auch eingestehen,
daB sie sich noch vor 16 Jahren keine rechte Vorstellung dariiber machen konnten,
was Sauerstoffmangel eigentlich sei und wie er wirke (OPITZ 1941, OPITZ U. SCHNEI
DER 1950), so geniigt ein Blick in die beiden genannten, 9 Jahre auseinander
liegenden, zusammenfassenden Darstellungen dieser Forscher, um die "Oberzeu
gung zu gewinnen, daB man sich heute schon sehr differenzierte Vorstellungen
iiber das Wesen des Sauerstoffmangels machen kann. Keineslalls ist Durchblu
tungsstorung einlach gleichzusetzen mit Sauerstotfmangel und dieser muB nicht ab
hangig sein von einer Durchblutungsstorung. Dennoch ist die Sauerstoffversor
gung eng mit der Blutversorgung verkniipft und eine Darstellung ersterer ist ohne
Beriicksichtigung der Durchblutung nicht denkbar. Aber selbst eingehende Kennt
nisse auf dem Gebiet der intrakraniellen Drucksteigerung und der Mechanismen
des Sauerstoffmangels am Gehirn wiirden eine gemeinsame Betrachtung beider
pathophysiologischer Vorgange in ihren Wechselwirkungen iiber ein Theoreti
sieren nicht hinauskommen lassen, weil bis in die jiingste Zeit das Problem unter
diesem Gesichtswinkel noch kaum betrachtet wurde, geschweige denn MeBergeb-
Blutsauerstoff 3
nisse in ausreichender Zahl mitgeteilt sind, die eine tragfahige Basis abgeben
konnten. Die Arbeit stlitzt sich deshalb vornehmlich auf das im Verlauf von 4 J ah
ren selbst untersuchte Krankengut, liber das sowohl hinsichtlich der intrakraniel
len Drucksteigerung und ihrer Ursachen wie der Hirndurchblutung und Sauer
stoffversorgung eigene Untersuchungs- und MeBergebnisse vorliegen.
Das Ziel der Arbeit ist die Herausarbeitung der Mechanismen des Sauerstoff
mangels, die bei den beiden genetischen Hauptformen der intrakraniellen Druak
steigerung, der hydrocephalen und der durch Hirnvolumenvermehrung bedingten, aUf
treten konnen. Die Anlage der Darstellung ist so getroffen, daB zunachst auf die
allgemeinen physiologischen Grundlagen liber die Sauel'stoffversorgung des Hirns
und den Sauerstoffmangel eingegangen wurde. BewuBt ist dabei Methodisches
grundlicher abgehandelt, wenn es den Schlussel zur sinnvollen Einordnung von
Ergebnissen in die Hand gab. Das Problem der Schadelinnendrucksteigerung
wurde fur die Liquorstauung und das Hirnodem getrennt dargestellt, da es sich
dem vVesen nach, und wie gezeigt werden wird, auch hinsichtlich des Mechanismus
der SauerstoffversorgungsstOrung, urn verschiedene pathophysiologische Vorgange
handelt. 1m letzten Abschnitt wird schlieBlich das herausgearbeitet, was den
beiden atiologischen Formen der Schadelinnendrucksteigerung hinsichtlich der
Sauerstoffversorgungsstorung gemeinsam ist und es werden die Sauerstoffmangel
formen gewurdigt, die zwar nicht ursachlich auf die Schadelinnendrucksteigerung
zuruckzufUhren sind, mit den Ursachen del' intrakraniellen Drucksteigerung aber
auf andere Art in Zusammenhang stehen und deshalb klinisch als zusatzliche
SauerstoffversorgungsstOrung in Betracht kommen konnen.
I. Physiologic der Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns
1. Blutsauerstoff
1m Blut ist der Sauerstoff in 2 Formen vorhanden, einmal an Hamoglobin
gebunden, zum andern physikalisch gelOst. Dem gebundenen Sauerstoff kommt fUr
die Versorgung nur mittelbare Bedeutung zu, er stellt den Vorrat dar, aus dem del'
physikalisch geloste Sauerstoff, der in die Zellen abwandert, ersetzt wird. Da nur
das frei geloste Gas zu diffundieren vermag, ist nur dieses von unmittelbarer Be
deutung fur die Versorgung del' Zelle. Die Menge des physikalisch im Blut gelOsten
Gases - etwa 0,3 Vol.-% - ist proportional dem Sauerstoffdruck. Sauerstoff
druck und Sauerstoffsattigung stehen in Abhangigkeit voneinander (Sauerstoff
bindungskurve). Der 02-Druck (p02) ist fUr die Sauerstoffversorgung der Zelle die
wichtigste GroBe. Er laBt sich errechnen aus del' prozentualen 02-Sattigung des
Hamoglobins und dem pH des Blutplasmas mit Hilfe der Henderson-N omogramme
(DILL, EDWARDS u. CONSOLAZIO 1937, DILL, GRAYBIEL, HURTADO u. TAQUINI
1939, OPITZ u. PALME 1944, OPITZ u. SCHNEIDER 1950) odeI' mittels polarographi
scher Methodik direkt messen (BARTELS u. LAUE 1951, BARTELS, BURGER,
ESCHWEILER u. LAUE 1951).
Zwischen dem Antransport von Sauerstoff im Blut, dem Ubergang von gebun
denem O in physikalisch gelosten und del' Diffusion des gelOsten O in die Zelle
2 2
besteht ein dynamisches Gleichgewicht. Erfolgt die Gewebsatmung zeitlich kon
stant, was fUr das Hirn zum Unterschied yom Muskel angenommen werden darf
1*
4 Physiologie der Sauerstoffversorgung
(OPITZ U. SCHNEIDER 1950), so ist der Sauerstoifdruck an jedem Punkt des Ge
webes ebenfalls konstant, d. h. es stellt sich ein "steady state" ein.
Der "Obergang von gebundenem in gelOsten O2 ist abhangig von der Temperatur
und von der Wasserstoffionenkonzentration im Blut (BARCROFf 1927), der An
transport von morphologischen und funktionellen Gegebenheiten des Kreislaufs,
die Diffusion von der GroBe des Druckabfalls zwischen Blut und Gewebe.
Mit abnehmender Temperatur wird O2 fester an Hamoglobin gebunden. Verschiebung der
Wasserstoffionenkonzentration des Blutes nach der sauren Seite laBt die Hb.0 ·Bindung
2
lockerer werden. Unter kIinischen Voraussetzungen, selbst unter den heute gegebenen der
klinstlichen Hibernation, wird ein Sauerstoffmangel bei Abktihlung nicht manifest, weil die
Sauerstoffbindungskurve sich erst bei verhaltnismaBig niedrigen, kIinisch keine Rolle mehr
spielenden Temperaturen einschneidend verii.ndert (DILL u. FORBES 1941). Das pH des arteriellen
Blutes des Menschen wurde bei 3800 mit 7,424, das des venosen Hirnblutes (Vena jugularis
internal mit 7,371 gemessen (GIBS, LENNOX, NIMS u. GreBs 1942). KETY U. SCHMIDT (1948b)
gelangten zu einem pH von 7,40 fUr arterielles Blut, 7,34 fUr venoses Hirnblut bei gesunden
jungen Mitnnern.
Der prozentuale Sauerstoffgehalt des arteriellen und des venosen Hirnblutes ist mittels des
van Slykeschen Apparates und der Entnahmetechnik von MYERSON, HALLORAN u. HmscR
(1927) oder jener von GIBBS, LENNOX U. GIBBS (1945) auch am Menschen leicht meBbar. Auf
die Bestimmung des Hirnsauerstoffverbrauchs soll im Teil II, 2 eingegangen werden.
2. Capillarisierung und funktionell anatomische Gegebenheiten der Hirngefii8e
Es ist auffallend, daB der Gehalt des Hirns an Capillarblut mit 2 Vol.-% gering
ist gegeniiber dem andererOrgane (7 Vol.-% imHerzen, 8Vol.-% in derNebenniere
(SJOSTRAND 1934). Ahnlich liegen die Verhaltnisse hinsichtlich derCapillarlange,
wo 1400 m/cc fUr Hirngewebe, II 000 m/cc fUr Herzgewebe gemessen wurden
(C.aAIGIE 1938, DUNNING U. WOLFF 1937). Eine Proportionalitat zwischen Capil
larisierung und Dichte und GroBe der Zellen besteht am Hirn nicht (DUNNING U.
WOLFF 1937), eher eine Abhangigkeit der Capillarisierung vom Gehalt der ZelI
strukturen an Mitochondrien (SCHARRER 1945). Eine Korrelation zwischen Ca
pillarisierung und AtmungsgroBe darf im Hirn angenommen werden (ABY 1899,
OBERSTEINER 1912); daB sie keine generelle ist, mag damit zusammenhangen,
daB die Capillaren nicht nur die 02-Versorgung vermitteln, sondern ebenso die
Nahrstoffversorgung und den Transport von Metaboliten und Inkreten. OPITZ u.
SCHNEIDER (1950) erkaren die paradox anmutende Tatsache, daB das Gehirn bei
seiner groBen Empfindlichkeit gegeniiber Sauerstoffmangel verhaltnismaBig spar
lich mit Capillaren ausgestattet ist, mit der Art, wie der 02-Bedarf befriedigt wird.
Am rhythmisch atmenden Muskel diirfte die Capillarisierung deshalb wesentlich
besser sein als am vergleichsweise kontinuierlich atmenden Him, weil sich die
Dimensionierung der sauerstoiftransportierenden Einrichtungen mehr nach den
Atmungsspitzen und weniger nach dem Atmungsdurchschnitt richtet.
Man darf annehmen, daB unter physiologischen Bedingungen aIle Capillaren
des Gehirns geoffn et sind und wie an anderen Organen so auch am Hirn der periphere
Widerstand durch die Arteriolen reguliert wird. Der Wandaufbau der Arteriolen
spricht dafur, dafJ sie sich nicht nur aktiv verengen, sondern auch aktiv erweitern
kiinnen. So fanden wir in der Wand von Himarteriolen die Muskelfasern in steilen
Schraubenspiralen angeordnet, wenn die Muskelfunktion durch Acetycholin ge
lahmt war und der Kreislauf kiinstIich aufrechterhalten wurde. Fiir den Bautyp
HirngefaJ3e, Durchblutungsregulation 5
der steilen Schraubenspirale haben GOERTTLER (1934) am Ductus deferens und
wir selbst (GANSHIRT 1944, 1949) an der Arteria umbilicalis eine aktive Lumen
erweiterung durch Muskelkontraktion nachweisen konnen. Durch die Umlagerung
der Muskelelemente wahrend der Kontraktion kann die GefaBdilatation in eine
GefaBkonstriktion (Spasmus) umschlagen. 1m FaIle einer Lahmung der Muskel
fasern ist daneben auch eine druckpassive GefiiBerweiterung moglich, wobei die
Frage offen bleiben muB, ob unter sol chen Bedingungen noch ein physiologischer
Zustand herrscht. Ein grundsatzlich anderer Bautyp ist nach unseren Beobach
tung en (GANSHIRT 1951 a) in den groBen Arterien der Hirnbasis verwirklicht. Dort
ziehen die Muskelfibrillen in ebenen, sich scherengitterartig durchfiechtenden
Radiarzugen von der Adventitia, in der sie verankert sind, zur Lamina elastica
interna. Eine so angeordnete Muskulatur fuhrt bei Kontraktion zu Lumenerwei
terung und Tonuszunahme der GefiiBwand. Der Volumenzuwachs wird durch das
reichlich vorhandene kollagene Bindegewebe aufgenommen, so daB die GefaB
dilatation nicht durch Dickenzunahme der Wand wieder reduziert wird. Auch eine
solche aktive GefiiBerweiterung ist von einer Umlagerung der einzelnen Muskel
elemente begleitet, die je 2 Fasern zu Antagonisten werden laBt, die sich von
einem bestimmten Punkt der GefaBdilatation an nur noch isometrisch kontra
hieren konnen, wodurch zwar der GefaBdilatation ein Ende gesetzt wird, eine
weitere Zunahme des GefiiBtonus aber noch moglich ist.
Diese Beobachtungen haben es uns wahrscheinlich gemacht, daB den groBen
basalen Hirnarterien nicht die Aufgabe einer quantitativen Regulierung des Blut
stromes zukommt, sondern die einer Reduktion der GefaBpulsationen. Eine iihn
liche Bedeutung durfte auch der Carotissyphon haben.
Diese AusfUhrungen, die Anspruch auf Vollstandigkeit nicht erheben, sollen
nur aufzeigen, daB das "Erfolgsorgan" der Durchblutungsregulation des Gehirns
durchaus nicht so eintoniger N atur ist, wie es die uberkommene Vorstellung von
Ring- und Langsmuskeln war. Die Bedeutung dieser neueren Erkenntnisse der
Schulen BENNINGHOFFS und GOERTTLERS, mit denen sich WEZLER U. SINN (1953)
stromungsphysikalisch auseinandersetzten, wurde von GOERTTLER (1953) mit den
Worten prazisiert: "Der Reiz als solcher ist nicht gestaltbildend, entscheidend ist
die Struktur des Erfolgsorgans". Die anschlieBend zu besprechenden physio
logischen Faktoren del' Durchblutungsregulation haben somit ein sehr differen
ziertes morphologisches Korrelat.
3. Durchblutungsregulation
Es ist eine bekannte Tatsache, daB unter physiologischen Bedingungen die
Hirndurchblutung auffallend konstant gefunden wird (NOELL u. SCHNEIDER
1948b, KETY U. SCHMIDT 1948b, GANSHIRT U. ZYLKA 1952b, BER~SMEIER U.
SIEMONS 1953c, GANSHIRT 1953). Dieser Befund weist hin auf eine geringe Vari
ation der Aktivitat und des Stoffwechsels des Gehirns, auf eine allzeit geoffnete
Capillarstrombahn und auf einen konstanten Gefiiptonus odeI', wie es anders aus
gedruckt wurde, auf eine untergeordnete Rolle der Vasomotorik (SCHMIDT u.
HENDRIX 1938, SCHNEIDER 1950). Anderungen der Hirndurchblutung sind einmal
moglich uber die Atmung und den Kreislauf, zum andern sind sie moglich von
der Gewebsseite her. Wahrend Atmung und Kreislauf in erster Linie die akute