Table Of ContentHEIDELBERGER TASCHENBüCHER
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Die
Relativitätstheorie
Einsteins
von
MaxBorn
unter Mitarbeit von
Walter Biem
vierte Auflage
mit 143 Abbildungen
1964
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
ISBN 978-3-540-03159-8 ISBN 978-3-662-00060-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-00060-1
Alle Rechte, insbesondere das der Obersetzung
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ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus
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© by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1964
Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag oHG. Berlin. Göttingen • Heidelberg 1964
Library of Congress Catalog Card Number 64-22576
Titel-Nr. 7283
Meiner lieben Frau
gewidmet
Vorwort
Die erste deutsche Auflage dieses Buches erschien 1920, zwei wei
tere folgten 1921 und 1922, eine englische übersetzung 1924. Seitdem
ist das Buch nicht wieder gedruckt worden, bis im Jahre 1962 der
amerikanische Verlag Dover Publieations, Ine. mir den Plan mitteilte,
das fast 40 Jahre alte Buch in der englischen Fassung neu herauszugeben.
Ich konnte nicht ohne weiteres einwilligen, da beträchtliche Abschnitte
ganz veraltet waren. Jedoch schien mir das Buch eine Besonderheit zu
haben, derentwegen es verdiente, erhalten und aufgefrischt zu wer
den. Es war seinerzeit aus einer Reihe von Vorlesungen hervorgegan
gen, die ich in Frankfurt a. M. vor einem großen Hörerkreis gehalten
hatte zu einer Zeit, da eine Welle allgemeinen Interesses für die Rela
tivitätstheorie und EINSTEINS Persönlichkeit sich ausbreitete. Diese
weltweite Teilnahme wurde ausgelöst durch die Bestätigung von EIN
STEINS Vorhersage der Ablenkung eines Lichtstrahls im Gravitations
feld der Sonne durch die Beobachtungen einer britischen Sonnen
finsternis-Expedition. Wenn auch vielleicht Sensationslust die Haupt
triebfeder dieses allgemeinen Interesses war, so war doch auch ein
verbreiteter, echter Wunsch nach Verständnis im Spiel. Ich stellte mir
die Aufgabe, diesen Wunsch nach Möglichkeit zu befriedigen. Das
wesentliche Hindernis dabei war der niedrige Stand physikalischen
und mathematischen Wissens. Ich benutzte in den Vorlesungen eine
halb-historische Methode der Darstellung, indem ich jeden gedanklichen
Schritt durch einfache Experimente und Dir.gramme erläuterte. Im
Druck ließen sich die Experimente nur mit Hilfe von Figuren beschrei
ben. Im Gebrauch mathematischer Formeln beschränkte ich mich auf
elementarste Algebra, lineare Gleichungen und Quadratwurzeln
(selbst quadratische Gleichungen und trigonometrische Funktionen wur
den vermieden oder umgangen) - kurz auf Dinge, die jeder höhere
Schüler gelernt hat. Grenzprozesse ließen sich nicht ganz vermeiden,
wurden aber so dargestellt, daß gesunder Menschenverstand genügte,
den Schlüssen zu folgen.
Seit jener Zeit sind viele Bücher über Relativitätstheorie erschienen,
wissenschaftliche und populäre. Die letzteren, einschließlich einiger
Darstellungen EINSTEINS selber, vermeiden im allgemeinen alle
mathematischen Formeln und Diagramme; sie beschreiben die Tat
sachen und Gedanken in gewöhnlicher Sprache und ein wenig philo
sophischer Terminologie - ein Verfahren, durch welches, meine ich,
nur eine äußerst oberflächliche Kenntnis der Relativitätstheorie ver-
VIII Vorwort
mittelt werden kann. Indessen ist in unserem Zeitalter die Natur
wissenschaft, die Physik im besonderen, ein grundlegender Teil unserer
Zivilisation geworden, und die Zahl der Menschen, die etwas davon
verstehen wollen, ist enorm gewachsen.
Als ich nun mein altes Buch wieder durchlas, hatte ich den Ein
druck, daß seine Darstellungsweise einer beträchtlichen Zahl von Men
schen etwas bieten könne, vor allem denen, die ohne Kenntnis höherer
Mathematik und moderner Physik sich noch an das in der Schule Ge
lernte erinnern und bereit sind, ein wenig nachzudenken.
Darum schlug ich dem amerikanischen Verlag vor, eine gründlich
überarbeitete und modernisierte Auflage herauszubringen, voraus
gesetzt, ich könnte einen jüngeren Mitarbeiter finden. Professor
GÜNTHER LEIBFRIED, da,mals in Göttingen, jetzt in Aachen, erklärte
sich bereit, mir zu helfen; und als die Arbeit der Durchsicht der Litera
tur, der Formulierung neuer Abschnitte, der Verbesserung des alten
Textes bald die ihm zur Verfügung stehende Zeit überschritt, fand er
einen weiteren Mitarbeiter in Dr. WAL TER BIEM, einem Mitglied seines
Instituts.
Nun hat der Springer-Verlag, der die ersten Auflagen vor 40 Jah
ren veröffentlicht hat, vorgeschlagen, eine deutsche Ausgabe auf Grund
der amerikanischen herauszubringen. Ich bin gern darauf eingegangen,
und Herr Dr. BIEM hat sich wieder bereit erklärt, mir zu helfen.
Die neue Auflage unterscheidet sich von der letzten deutschen durch
zahlreiche kleinere und größere Änderungen. Die alte Einleitung ver
trat eine philosophische Auffassung der naturwissenschaftlichen Grund
lagen, die ich heute zwar nicht für falsch, aber für einseitig und unvoll
ständig halte. Sie wurde daher durch eine neue ersetzt. Stark geändert
sind die beiden Kapitel VI und VII (spezielle und allgemeine
Relativitätstheorie). So sind z. B. die Begründungen der Einsteinschen
Beziehung zwischen Masse und Energie und die Abhängigkeit dieser
Größen von der Geschwindigkeit sehr verbessert worden, nämlich
durch Anwendung der Erhaltungssätze für Energie und Impuls auf
den Fall unelastischer Stöße. Der Abschnitt über die empirischen Be
lege der allgemeinen Relativitätstheorie ist der heutigen Situation an
gepaßt, und die zu erwartenden Fortschritte sind angedeutet worden.
Der Abschnitt "Makrokosmos und Mikrokosmos" der alten Auflagen
wurde umbenannt in "Kosmologie"; er enthält eine sehr gedrängte
übersicht über dieses Forschungsgebiet. Ich möchte hierzu zwei kurze,
eindrucksvolle Abhandlungen erwähnen, die uns von Nutzen waren,
die eine von O. HECKMANN (Von Erde und Weltall; A. Kröner
Verlag, Stuttgart, S. 149), die andere von W. L. GINSBURG (Fort
schritte der Physik, Bd. V, 1957, S. 16).
Trotz dieser Modernisierung spiegelt der Text an vielen Stellen die
Lage der physikalischen Forschung vor 40 Jahren wider. Eine voll
ständige Anpassung an die moderne Forschung wäre nur durch Schrei-
Vorwort IX
ben eines neuen Buches möglich gewesen, und das war nicht unsere Ab
sicht. Wie in den alten Auflagen sind im Text keine Zitate gegeben.
Die peinliche Frage der elektrischen und magnetischen Einheiten wurde
zugunsten des auch in den früheren Auflagen benutzten Gaussschen
Systems entschieden. Ich bin noch immer überzeugt, daß dies System
vom Standpunkt der Logik und Erkenntnistheorie befriedigender ist
als andere - wenn auch vielleicht nicht vom Standpunkt des prak
tischen Physikers und Ingenieurs - und daß es darum für den Unter
richt vorzuziehen ist.
Wer in die Relativitätstheorie tiefer eindringen will, muß natürlich
die nötigen Vorkenntnisse in Physik und Mathematik erwerben und
eines der neueren Lehrbücher zur Hand nehmen. Ohne vollständig sein
zu wollen, nenne ich die folgenden:
L. D. LANDAU und E. M. LIFSCHITZ, Lehrbuch der theoretischen
Physik, Band II, "Klassische Feldtheorie" (deutsche Ausgabe 1963). -
C. M0ller (1952), P. G. Bergmann (1942), beide englisch.
Das Buch von V. FOCK, "Theorie von Raum, Zeit und Gravitation"
dagegen stellt zwar die spezielle Relativitätstheorie richtig dar und ent
hält auch in den weiterführenden Kapiteln viele geistreiche Betrachtun
gen. Doch habe ich Beden"-en gegen die Behandlung der Grundlagen der
allgemeinen Relativitätstheorie. FOCK hält die grundlegende Erkenntnis,
die EINSTEIN zur allgemeinen Relativitätstheorie geführt hat, das so
genannte Äquivalenzprinzip, nur für angenähert richtig und versucht
es zu umgehen. Das ist nicht nur unhistorisch, sondern auch unrichtig,
wie von SEXL (Zeitschrift für Physik, 1962) und ROHRLICH (Annals
of Physics, 1963) nachgewiesen worden ist. Auch enthält das Buch
andere anfechtbare Behauptungen (z. B. wird das sogenannte Uhren
paradoxon nicht richtig dargestellt).
Ich möchte hier meinem Mitarbeiter für die viele Zeit und Mühe,
die er an das Zustandekommen dieser Auflage gewandt hat, herzlich
danken, ferner dem Verlag, der auf alle unsere Wünsche eingegangen
ist.
Max BORN
Inhaltsverzeichnis
Einleitung . . . . 1
I. Geometrie und Kosmologie 4
1. Ursprung der Raum- und Zeitmessung 4
2. Einheiten für Länge und Zeit . . . 4
3. Nullpunkt und Koordinatensystem . . 5
4. Die geometrischen Axiome. . . . . . 6
5. Das ptolemäische Weltsystem. . . . . 7
6. Das kopernikanische Weltsystem . . . 8
7. Der Ausbau der kopernikanischen Lehre 10
11. Die Grundgesetze der klassischen Mechanik 11
1. Gleichgewicht und Kraftbegriff . . . . . 11
2. Bewegungslehre - Geradlinige Bewegung 12
3. Bewegung in der Ebene . . . . 19
4. Kreisbewegung ...... . 21
5. Bewegung im Raum .... . 23
,§. Dynamik - Das Trägheitsgesetz 24
7. Kraftstöße ....... . 25
8. Die Wirkung von Kraftstößen 27
9. Masse und Impuls . . . 27
10. Kraft und Beschleunigung 30
11. Elastische Schwingungen 31
12. Gewicht und Masse. . . 35
13. Die analytische Mechanik 38
14. Der Energiesatz . . . . . . . . 40
15. Dynamische Einheiten von Kraft und Masse 43
111. Das Newtonsche Weltsystem .... 45
1. Der absolute Raum und die absolute Zeit 45
2. Newtons Anziehungsgesetz ..... . 49
3. Die allgemeine Gravitation . . . . . . 51
4.. Himmelsmechanik ............ . 54
5. Das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik 57
6. Der "eingeschränkt" absolute Raum . 59
7. Galilei-Transformationen . . . . . . 60
8. Trägheitskräfte ......... . 65
9. Die Fliehkräfte und der absolute Raum 67
IV. Die Grundgesetze der Optik 73
1. Der Äther ......... . . . . 73
2. Die Korpuskel- und die Wellentheorie des Lichtes 73
3. Die Lichtgeschwindigkeit ........ . . 77
4. Grundbegriffe der Wellenlehre - Interferenz . 82
5. Polarisation und Transversalität der Lichtwellen 89
Inhaltsverzeidmis XI
6. Der Äther als elastischer Festkörper. . . . 92
7. Die Optik bewegter Körper . . . . . . . . 101
8. Der Doppler-Effekt. . . . . . . . . . . . 104
-9: Die Mitführung des Lichtes durch die Materie. 110
10. Die Aberration. . . . . . . . . . . . . 120
11. Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . 123
V. Die Grundgesetze der Elektrodynamik. 125
1. Die Elektro- und Magneto-Statik . 125
2. Strom und Elektrolyse . . . . . 134
3. Widerstand und Stromwärme .. . 137
1, Elektromagnetismus ..... . 139
5. Faradays Kraftlinien . . . . . . 142
6. Der elektrische Verschiebungsstrom 150
7. Die magnetische Induktion. . . . 151
8. Die Nahwirkungstheorie Maxwells . 154
9. Die elektromagnetische Lichttheorie . 158
10. Der elektromagnetische Äther . . . 163
H. Hertz' Theorie der bewegten Körper 166
12. Die Elektronentheorie von Lorentz . 172
13. Die elektromagnetische Masse . . 179
14. Das Experiment von Michelson und Morley 185
15. Die Kontraktionshypothese . . . . . . . 188
VI. Das spezielle Einsteinsche Relativitätsprinzip 194
1. Der :Begriff der Gleichzeitigkeit ........... . 194
2. Die Einsteinsche Kinematik und die Lorentz-Transformationen 200
3. Geometrische Darstellung der Einsteinschen Kinematik. 205
4. Bewegte Maßstäbe und Uhren . . . 212
5. Schein und Wirklichkeit . . . . . . 216
6. Die Addition der Geschwindigkeiten 226
7. Einsteins Dynamik . . . . 230
8. Die Trägheit der Energie . 240
9. Energie und Impuls 249
10. Optik bewegter Körper . . 256
11. Minkowskis absolute Welt . 262
VII. Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins 266
1. Relativität bei beliebigen Bewegungen 266
2. Das Äquivalenzprinzip . . . . . . . . 269
3. Das Versagen der euklidischen Geometrie 273
4. Die Geometrie auf krummen Flächen . . 276
5. Das zweidimensionale Kontinuum . . . 282
6. Mathematik und Wirklichkeit . . . . . . . . . . 284
7. Die Maßbestimmung des raumzeitlichen Kontinuums. 288
8. Die Grundgesetze der neuen Mechanik ..... . 291
9. Mechanische Folgerungen und Bestätigungen . . . . . . 294
10. Vorhersagen der neuen Mechanik und ihre Bestätigungen. 299
11. Optische Folgerungen und Bestätigungen . 302
12. Kosmologie . . . . . . . 311
13. Die einheitliche Feldtheorie 321
14. Schlußwort ...... . 324
Namen- und Sachverzeichnis. . 325
Die wichtigsten Werke Max Borns 329
Einleitung
Die Entwicklung der Naturwissenschaft ist im allgemeinen ein
gleichförmiger, stetiger Vorgang. Gleichwohl sind darin bestimmte
Perioden unterscheidbar, die sich durch hervorragende experimentelle
Entdeckungen oder neue theoretische Gedanken abheben. Ein solcher
Wendepunkt lag um das Jahr 1600 und knüpft sich an den Namen
GALILEO GALILEIS, der die Grundlagen der empirischen Forsmungs
methode durch seine Untersuchungen mechanischer Vorgänge schuf und
außerdem überzeugende Beweise' des fünfzig Jahre vorher aufgestellten
Kopernikanischen Weltsystems erbrachte. Das bedeutete das Ende der
scholastischen Naturphilosophie, die sich auf die Lehre des Aristoteles
stützte, und den Anfang der modernen Naturwissenschaft.
Ein anderer Wendepunkt kam um das Jahr 1900 durch eine Flut
experimenteller Entdeckungen - Röntgenstrahlen, Radioaktivität,
Elektron u. a. - und durch zwei neue grundlegende Theorien
Quantentheorie und Relativitätstheorie. Die Quantentheorie wurde
genau an der Jahrhundertwende geboren, als MAX PLANCK seinen
revolutionären Begriff der Energieatome oder "Quanten" verkün<,lete.
Das war ein für die Entwicklung der Naturwissenschaft so entscheiden
des Ergebnis, daß es gewöhnlich als die Grenze zwischen "klassischer
Physik" und "moderner" oder "Quantenphysik" angesehen wird. Die
Relativitätstheorie sollte streng genommen nicht mit einem bestimmten
Datum und einem bestimmten Namen verbunden werden. Sie lag um
1900 sozusagen in der Luft, und mehrere große Mathematiker und
Physiker - um nur einige Namen zu nennen: LARMoR, FITZ
GERALD, LORENTz, POINCARE - waren im Besitze von wichtigen
Ergebnissen. Im Jahre 1905 gab EINSTEIN eine neue Begründung
der Theorie mit Hilfe sehr allgemeiner, philosophischer Prinzipien,
und einige Jahre später entwickelte HERMANN MINKOWSKI ihre end
gültige logische und mathematische Darstellung.
Der Grund dafür, daß gewöhnlich EINSTEINS Name allein mit
der Relativitätstheorie verbunden wird, ist die weitere Entwicklung:
seine Arbeit vom Jahre 1905 war nur der erste Schritt zu einer noch
tiefer dringenden "allgemeinen Relativitätstheorie", die eine neue
Theorie der Gravitation einschloß und unsere Vorstellungen vom
Aufbau des Universums auf eine völlig neue Basis stellte.
Die "spezielle" Relativitätstheorie vom Jahre 1905 kann mit glei
chem Rechte als das Ende der klassischen Periode oder als der Beginn
eines neuen Zeitalters der Physik angesehen werden. Denn sie ge-
Born, Die Relativitätstheorie