Table Of ContentDie
Praxis der Zahnextraktion
einfchlieElich
der 6rtlichen Schmerzbetaubung.
Die
Praxis der Zahnextraktion
einfchliefilich
der ortlichen Schmerzbetaubung.
Kurzgefafites Lehrbuch fur A.rzte, Zahnorzte und Studierende
von
o.
a. Pro£ Dr. B. Mayrhofer,
Vorftand des k. k. zahnarztli<hen Univerfitatsinftitutes und Primararzt
am Allgemeinen Krankenhaufe in Innsbrum.
Mit 54 Abbildungen im Text.
Wiesbaden.
Ve rl a 9 von .1. F. B erg man n
1911.
Nachdruck verboten.
Obersetznngen in allen Sprachen vorbehalten.
ISBN-13: 978-3-642-90089-1 e-ISBN-13: 978-3-642-91946-6
DOl: 10.1007/978-3-642-91946-6
Copyright 1911 by J. F. Bergmann.
Softcover reprint ofthe hardcover 1st edition 1911
Vorwort.
Es gibt zwar mehrfach Rueher und zusammenfassende Abhand
lungen, welche die Zahnextraktion behandeln, dennoch habe ich dem An
trage des Verlages, dieses Thema noch einmal fUr sich zu bearbeiten,
gerne Folge geleistet, da Gegenstande, welche so direkt aus der Praxis
gegriffen sind, wie die Lehre vom Zahnziehen, ganz gut eine Dar
stellung von verschiedenen Seiten vertragen; und wenn die eigenen Er
fahrungen in Praxis und Unterricht der Schilderung hie und da ein
subjektives Geprage aufdriickten, so diirfte darin !mum ein Nachteil er
blickt werden, wahrend andererseits die vom Herkommlichen etwas ab
weichende Auffassung und Gruppierung des Stoffes vielleicht der Mehr
zahl meiner Leser, wie ich wiinschen mochte, zusagt.
Die mit Rucksicht auf den Praktiker ausgewahlten Literaturan
gab en beziehen sich hauptsachlich auf neuere Publikationen, insbesondere
solche der letzten Jahre.
Innsbruck, im August 1911.
B. ll'IaYI'hofer.
Inhalt.
Seite
VOl'Wort • • . . . . . . . . . . . III
Einleitung. . . . . . . . . . . • . 1
Erster Tell. Die ortliche Schmerzbetaubung 3
Erster Absehnitt. Allgemeines . . . . 3
Z w e it e I' A b s e h nit t. Ortliehe Schmerzbetaubung dUl'eh physikalisehe
Mittel . . . . . . . . . • • . • . . . . . . . . . .. 5
Dritter Absehnitt. Ortlicbe Sehmerzbetaubung durch chemisehe Mittel 7
1. Materia medica . . . 7
2. Die Injektionsspritze . . . . . 11
3. Die Injektionstechnik. • . . . 14
Zweitel' Teil. Die Extl'aktion del' Zahne 20
Ers ter A h s ehn itt. Desinfektion • • . 20
Z wei t erA b s e h nit t. Die Zangenextraktion 23
I. Die Zangenextraktion im Oberkiefer 24
1. Die Extraktion des zentralen Schneidezahnes 24
2. Die Extraktion des lateralen Sehneidezahnes 26
Die Resektions·Extraktion . 27
3. Die Extraktion des Eckzahnes . . . . . 29
4. Die Extraktion der Pramolaren . . . . . 30
5. Die Extraktion des ersten und zweiten Molaren 32
6. Die Extraktion des Weisbeitszahnes 34
II. Die Zangenextraktion im Unterkiefer 35
1. Die Extraktion del' Sehneidezahne 35
2. Die Extl'aktion des Eekzahnes 37
3. Die Extraktion del' Pramolaren ' . 37
4. Die Extraktion des ersten und zweiten Molal'en 38
5. Die Extraktion des Weisheitszahnes . . • . 39
Dritter Ahsehnitt. Die pathologisehe Anatomie del' ZahDe uDd Kiefer
in ibrer Bedeutung ffir den Extraktionsmechanismus 42
I. Pathologische Anatomie del' Zahne 43
1. Anomalien del' Form . . 43
2. Karies . . • . . • . 43
Extraktion der Wurzeln 44
Die Hebelextraktion . 44
Die Sehraubenextraktion 48
Extraktion kari6ser Milchzahne . 49
Inhalt. VII
Seite
II. Pathologische Anatomie der Kiefer. . . • . 51
IlL Pathologisches Verhil.ltnis zwischen Zahn nnd Kiefer 53
Vicrter Abschnitt. Die operative Extraktion . . . . 56
Fllnfter Abschnitt. Die Nachbehandlung del' Extraktion. 60
Sec h s t erA b s c h nit t. Die Indikationsstellnng fUr die Zahnextl'sktion 65
Siebenter Abschnitt. Die Pathologie der Zahnextraktion 68
1. Falsche Extraktion . . . . . . 68
2. Die Extraktionsfraktur . . . . . 70
3. Extraktion und Nebenverletzungen . 76
. 4. Extraktion und Nachblutung . . . 78
5. Exiraktion nnd Nachschmerz . . . 80
6. ExtJ'aktion nnd Infektion . . . . 82
7. 1l:xtraktion nnd seltenere Komplikationen 85
Abkurzungen.
B. kl. W. = Berliner klinische W ochenschrift.
D. M. f. Z. = Deutsche Monatsscbrift fiir Zahnheilkunde.
D. M. W. = Deutsche medizinische Wochenschrift.
D. Z. i. V. = Deutsche Zahnheilkunde in VOl'tragen. Herausgegeben von Julius
Witzel. Leipzig. G; Thieme.
D. Z. W. = Deutsche zahnarztliche Wochenschrift.
Erg. d. g. Z. = Ergebnisse del' gesamten Zahnheilkunde, herausgegeben von G. Fischer
uod B. Mayrhofer, Wiesbaden, J. F. Bergmann.
Korr. f. Schw. A.. = KOl'respondenzblatt fUr Schweizer A.rzte •.
Med. Kl. = Medizinische Klinik.
M. M. W. = Miinchener medizinische Wochenschrift.
O. U. V. f. Z. = OstelTeichisch.Ungarische Vierteljahrsschrift far Zahnheilkunde.
O. Z. f. St. = Osterreichische Zeitschrift fiir Stomatologie.
Schw. V. f. Z. = Schweizer Vierteljahresschrift fUr Zahnheilkunde.
W. kl. W. = Wiener klinische Wochenschrift.
W. M. W. = Wiener medizinische Wochenschrift.
Z. f. Ch. = Zentralblatt fill' Chirurgie.
Einleitung.
Aus der Geschichte der Chirurgie wissen wir, daB es eine Zeit
gab, in der man zwischen "hoherer" und "niederer" Chirurgie unter
schied. Die erstere lag in den Hiinden der Fachchirurgen, letztere
wurde hauptsachlich von Laien ausgeiibt. Zu den sogenannten "niederen
Operationen" gehOrte damals nicht bloB das Zahnziehen, sondern auch
noch die Blasenstein- und die Brucboperation. Neben "Zahnbrechern"
zogen "Stein- und Bruchschneider" auf den Jahrmarkten herum und
boten ihre Kunst dem leidenden Publikum an. Es war rohe und roheste
Empirie, was da getrieben wurde, neben viel Scharlatanerie und Schwindel,
der sich hier breitmachte, gab es unter den Bruchschneidern aber auch
hochbegabte Leute, es sei nur an den beriihmten Pet e I' F ran coin
Lausanne erinnert, zu dem mancher Jiinger der Medizin in die Lehre
ging. Nichtsdestoweniger konnten sich die Fachchirurgen lange Zeit
hindurch nicht entschlieBen, sich mit diesen "niederen Operationen",
welche auch von Nichtarzten ausgefiihrt werden durften, zu befassen.
Als sie aber spater damit anfingen, auch dieses Gebiet in den Bereich
ihrer Tatigkeit einzubeziehen, da wurden unter den Hiinden der all
mahlich immet:. mehr naturwissenschaftlicb, insbesonders anatomisch
sich bildenden Arzte, die nun daran gingen,' die Verhaltnisse theoretiscb
klarzulegen, aus der empirischen Bruch- und Sieinschneiderei nach und
nach auf wissenschaftlich medizinischer Grundlage aufgebaute chirur
gische Operationen.
Ahnlich verhalt es sich mit del' Zahnextraktion, ja mit del' Zahn
heilkunde iiberhaupt, nul' mit dem Unterschiede, daB sich die Ent
wicklung del' Chirurgie aus den genannten Anfangen bis zur heutigen
Rohe im Verlaufe von Jahrhunderten, die Entwicklung der Zahn
heilkunde aber von der Empirie zur Wissenschaft in wenigen Jahr
zehnten vollzog, entsprechend dem raschen Kulturfortschritte des 19.
Jahrhunderts, insbesondere aber, weil die Zahnarzte die naturwissen
schaftIichen Errungenschaften des letzteren bereits vorfanden und sich
zunutze machen konnten. Dementsprechend werden heutzutage an die
fachgemasse Ausfiihrung einer Zahnextraktion so hohe Anspriiche gestellt,
daB zwischen ihr und einem laienhaften ZabnreiBen eine nicht minder
weite Kluft gahnt, als zwischen einem aseptischen Bassini-Brenner und
del' alten Bruchschneiderei.
Eine Fiille von Forschung und Beobachtung hat diesen Umschwung
angebahnt, insbesondere haben genauere anatomische Studien zur Aus
bildung einer rationellen Extraktionsmechanik und zur Konstruktion
B. Mayrhofer, Praxis der Zahnextraktion. 1
2 Einleitung.
eines dieser angepaBten Instrumentariums geflihrt, die Schmerzlosigkeit
wesentlich zur Vervollkommnung der Technik beigetragen und die Anti
septik es moglich gemacht, die operative Entfernung del' Zahne auch
unter den ungunstigsten mechanischen Verhaltnissen durch Anpassung
des Eingriffes an den Einzelfall nach wissenschaftlichen Prinzipien aus
zufiihren und damit die Kunst des Extrahierens auf die Hohe einer
chirurgischen Operation gehoben.
Urn die Voraussetzungen fiir eine wissenschaftliche Zahnextraktion
kennen zu lernen, werden wir uns daher mit del' Anatomie del' Zahne
und Kiefer im Hinblick auf unsere speziellen Zwecke befassen mussen,
dann die Extraktionsmechanik besprechen und uns gIeichzeitig mit dem
Instrumentarium bekannt machen. Des weiteren werden wir dann die
Handhabung del' Antiseptik, die Nachbehandlung del' Extraktion,
namentlich die Blutstillung, die operativen Extraktionen, die Pathologie
del' Extraktion und scblieBlich Indlkation und Kontraindikation in den
Kreis unserer Betrachtungen ziehen. An die Spitze unserer Aus
fiihrungen wollen wir abel' die Lehre von del' ortlichen Schmerzbetaubung
stell en , denn bauptsachlich auf diesel' Basis ist die Zahnextraktion das
geworden, was sie heute ist.
Erster Teil.
Die ortliche Schmerzbetaubung.
Erster Abschni tt.
Allgemeines.
Zur Herbeifiihrung von Schmerzlosigkeit stehen fiir die Zahn
extraktion zwei Methoden zur Verfiigung, die Allgemein-Narkose und
die Lokal-Anasthesie. Was die erstere anlangt, so war ja die Zahn
extraktioll iiberhaupt die erste chirurgische Operation, welche in Allgemein
batau bung ausgefiihrt wurde 1 und ein Zahnarzt, Will i am M 0 r t.!> n in
Boston, war es, der im Jahre 1846 als erster durch Einatmung von Ather
dampfen seine Patienten behufs schmerzloser Zahnextraktion in einen
kiinstlichen Schlaf versetzte. Welche kolossale U m walzung diese Er
findung eines Zahnarztes fiir die Chirurgie im Gefolge hatte, ist hinlanglich
bekannt. Schon ein Jahr spater, im November 1847., empfahl der
Gynakologe S imp son das Chloroform an Stelle des Athers. GroBer
Enthusiasmus ergriff die chirurgische Welt, aber bald wurden einige
Chloroform-Todesfiille gemeldet und es ist daher begreiflich, daB man
fiir klein ere chirurgische Eingriffe, also insbesonders fiir die Zahn
extraktion, nach ungefahrIichen Narkotizis suchte. Bromathyl, Stick
oxyd, dessen Kombination mit Sauerstoff als Lachgas, Pental unseligen
Angedenkens, l\.therrausch usw. kamen nach der Reihe auf. Da wurde
anfangs der Achtzigerjahre das Kokain entdeckt, von den 'Augenarzten
(K 0 II e r) zuerst erfolgreich aIlgewendet und empfohlen und nun gelangte
die lokale Anasthesie in den Vordergrund des Interesses, speziell auch
fiir die Zahnextraktion. Aber infolge viel zu hoch genommener Dosierung
stiftete das neue Mittel groBes Unhei\. Man Hest von 20-, selbst
30prozentigen Li:isungen, welche eingespritzt wurden, und bald erschienen
Berichte von Todesfiillen nach Kokaininjektion. Die Folge war, daB das
Kokain in der zahniirztlichen Literatur von verschiedenen Seiten in
Verruf erkliirt wurde und man sich wieder den leichteren Narkotizis,
insbesondere dem Bromathyl und Lachgas und der Ausbildung kurz
dauernder Narkosen zuwendete. Zwar haben einzelne Forscher, so ins
besondere B lei c h s t e i n e r in Gr a z, auch mit schwachen, .zwei-,
selbst einprozentigen Losungen ganz gute Resultate gemeldet, doch ohne
allgemeine Nachahmung zu finden. Erst vor wenigen Jahren trat
1. H. Till man n s: Lehrhuch der allgemeinen Chirurgie. Leipzig 1904.
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