Table Of ContentSchriften der Finnischen Exegetischen Gesellschaft 26
DIE PARABELTHEORIE IM
MARKUSEVANGELIUM
von
Heikki Räisänen
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Schriften der Finnischen Exegetischen Gesellschaft 26
DIE PARABELTHEORIE IM
MARKUSEVANGELIUM
von
Heikki Räisänen
Helsinki 1973
ISBN 951-95 184-0-1
INHALT
I. DAS PROBLEM
1. Die Parabeltheorie (Mk 4u f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
2. Die Theorie als Ausdruck markinischer Theologie:
die communis opinio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
II. DIE THEMATIK DER PARABELTHEORIE IM
MARKUSEVANGELIUM
1. Die Gleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2. J esus und das Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . • . . . . . . . . . . . . 33
3. J esus und die Jünger ..... , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
III. REDAKTIONSKRITISCHE ANALYSE DER
GLEICHNISSAMMLUNG
1. Der Rahmen (V. 1-2, 33-34) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2. Jesus und die Jünger (V. 10, 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3. Die Deutung des Sämanngleichnisses (V. \4-20) . . . . . . . . . . . . 72
4. Die Spruchsammlung (V. 21-25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
5. Die Weckrufe (V. 3a, 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
6. Die Gleichnisse (V. 3b-8, 26-32) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
7. über den Gebrauch der Einführungsformeln als Kriterien einer
traditionsgeschichtlichen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
a. Das Problem . . . . • • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
b. !t.CI'i. lAI:"VEV cxÖ-rot"~; •••••••••••••• , , , ••••• , , • • • . • • • • • • • • . • 93
c. u'i. Alfya:~ cxÖ-roft; •••••••••••••••••.••••• , •••••••••••••.•• 102
d. !t.CII. h.EyEv cxÖ-rot"~; und lt.cxt A€yu cxÖ-rot"t; innerhalb dersel-
ben ·Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 06
e. ul hEyEV 108
8. Das Ergebnis IIO
IV. VERSCHIEDENE GLEICHNISAUFFASSUNGEN
IN MARKUS 4
1. Die ältere missionarische Auffassung ........................ II4
2. Die separatistische Auffassung (die Parabeltheorie) ............ II5
3. Die Auffassung des Markus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
ABKüRZUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . 128
LITERATURVERZEICHNIS ............••.•.................. 129
AUTORENREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
I. DAS PROBLEM
1. Die Parabeltheorie (Mk 411 f.)
Im vierten Kapitel des Markusevangeliums (Mk 4t-a4) wird
ausführlich geschildert, wie Jesus das Volk und seine Jünger in
Gleichnissen lehrt. Der Abschnitt lässt sich ungezwungen folgen
dermassen gliedern:
Einleitung (V. 1-2). Eine anschauliche Szene wird gemalt:
von einer grossen Volksmenge umgeben, steigt Jesus in ein Boot
und fängt von da aus an, das Volk zu lehren.
Das Gleichnis vom Sämann (V. 3-9).
Das Gespräch über den Sinn der Gleichnisrede (V. 10-12).
Jesus wird nach dem Sinn der Gleichnisse gefragt. Seine Ant
wort enthält die »Parabeltheorie».
Die Deutung des Siimanngleichnisses (V. 13-20).
Einzelne Sprüche (V. 21-25). Die Sprüche von Lampe und
Scheff~l, vom Offenbarwerden des Verborgenen, vom rechten
Hören, vom Mass und vom Geben und Wegnehmen.
Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (V. 26-29).
Das Gleichnis vom Senfkorn (V. 30-32).
Abschluss (V. 33-34). Während Jesus zum Volk in Gleich
. nissen sprach, legte er privatim seinen Jüngern alles aus.
Eine zentrale Stellung in dieser Komposition nehmen die Verse
10-12 ein. Ihr eigenartiger Inhalt ist längst aufgefallen und
hat eine unübersehbare Diskussion hervorgerufen. Nachdem er
dem Volk das Gleichnis vom Sämann erzählt hat, ist Jesus plötz
lich »allein». Da fragen »die, welche um ihn sind» zusammen
»mit den Zwölfen» nach dem Sinn der Gleichnisse (V. 10). Die
Antwort Jesus lautet:
5
u~tv ~~ ~uo~~p~ov 6~6o~a~ ~~' ßca~AECa, ~oü i2oÜ•
exECvo~, 6e ~ot, l~w ~v ~apcßoAat, ~• ~'YT« yCve~a~,
tvc ßA€~OYTE' ßÄi~wa~v KU~ ~~ t6wo~v.
,, _f t _f ' ' -
xc~ axovov~E' axouwa~v xc~ ~~ ouv~wo~v,
~~~o~e ~~~o~pi~~v xa~ &,E~V cu~ot,.
»Euch ist d~s Geheimnis des Reiches Gottes gegeben, jenen
aber, die draussen sind, wird alles in Parabeln zuteil1, auf dass
sie mit Augen sehen und nicht erkennen und mit Ohren hören
und nicht verstehen, damit sie nicht umkehren und ihnen ver
geben werde».
Hier wird eine schroffe Zweiteilung der Hörerschaft nach
drücklich festgestellt. Den einen ist »das Geheimnis des Reiches
Gottes» enthüllt worden. Den anderen wurde dieses Privileg
vorenthalten, und ihnen wird alles »in Parabeln» zuteil. Die
Gleichnisse enthüllen gar nichts. Ganz im Gegenteil: sie verhüllen
das Geheimnis, und sollen es. Sie verblenden die Hörer und
hindern das V erstehen. Das alles entspricht genau dem göttlichen
Plan; Jesus zitiert die Schrift (Jes 69-lo).
Die bevorzugte Gruppe der Ausgewählten besteht aus den
jenigen, die Jesus nach dem Sinn der Gleichnisse fragten. Diese
ot
Leute werden in V. 10 mit der stilistisch harten Wendung
I. Haacker, NovTest 1972, 219 ff., sucht wenig überzeugend eine ganz
neuartige ühersetzung zu begründen: "Euch wird das Uetzt noch) verborgene
Reich Gottes gegeben; bei jenen aber, die draussen stehen, wird es zum Spott."
{222). Unter Verweis auf 2 Thess 27 {~~ ~uo-~'l1p~ov di<; &vo~Ca<;) und Jos. bell
1470 möchte er IIIIO"~AECa als das Hauptwort ansehen, das durch ~uo-~'11p~ov
qualifiziert werde, und nicht umgekehrt ~vo-~'l1p~ov durch IIIIO"~AECu Statt
dieser Stellen sind jedoch sicher Stellen wie 1 Kor 41, Kol 22, Offb 107, Eph Ss,
Kol 4s, Eph ~1u, 1 Tim So oder 1 Tim 318 zum Vergleich heranzuziehen, wo
~uo-~'l1p~ov deutlich das Hauptwort ist. Wrede, Messiasgeheimnis 57 bemerkt
mit Recht, dass Mk 4u ebenso :Wohl von~~ ~uo-~'l1p~ov -roO .Coüoder -rii<; do-nw<;
die Rede sein könnte. Haacker muss denn auch V. llb in einer seltsamen
Weise interpretieren. Dabei hilft der Verweis auf ~v xapalloAV "zum Spott"
in Dtn 28n nichts, weil napaßoA'Ii dort wie überhaupt an entsprechenden altte
stamentlichen Stellen als ein warnendes Beispiel gemeint ist. Auch muss Haacker
aus V. llb -rci xcfv~• willkürlich als einen späteren Zusatz streichen.
6
nep1 O:V'fOV O'OV 't'Ot.<;; o~oexo: vorgestellt. Ausser den zwölf
Aposteln, über deren Erwählung kurz vorher berichtet worden
ist (313 rr.), gehört demnach eine nicht näher bestimmte Gruppe
von Anwesenden zu den Ausgewählten von V. 11. Da Jesus aber
t
»allein» sein soll Ko:'t'?.: 1J.6vo:c;; V. 10), kann man unter denen
>>um ihn» nur sehr wenige Personen verstehen.
Den Gegensatz der Auserwählten bilden »diejenigen, die
draussen sind». Da das »Haus», das bei Markus sonst oft in
entsprechenden Szenen als Kulisse dient, hier nicht erwähnt wird,
e
darf man ~w schwerlich konkret lokal verstehen.1a Vielmehr
steht das Wort hier metaphorisch für »Aussenstehende», die nicht
zu den »Unsrigen» gehören. Ausserhalb der Evangelien bezeichnet
o~ e~w im NT öfter die Ungläubigen (1 Kor S12 r., Kol 4s,
1 Thess 412). Das Pronomen exe:Cvot.c;; verbindet die Aussage
Y. 11 eng mit der vorher geschilderten Situation.2 Demnach kann
mit den »Aussenstehenden» im jetzigen Zusammenhang nur die
in V. 1 genannte Volksmenge gemeint sein, die in V. 10 nicht
mehr dabei ist. Die mysteriösen, verstockenden Gleichnisse gelten
also dem Volk.
Ein ähnlicher Kontrast wird in den abschliessenden Versen
33-34 dargestellt. Zu »ihnen», d.h. natürlich zu dem Volk, das
in V. 36 noch explizit als die Hörerschaft Jesu erwähnt wird,
redet J esus in Gleichnissen, und nur in Gleichnissen. Anders
steht .es mit seinen »eigenen Jüngern» (ot tot.ot. tJ.O:-&T)'t'o:C ).
Während Jesus zu dem Vqlk gar nicht ohne Gleichnisse spricht,
Ia. Gegen Wrede, a.a.O. 57 Anm. 1.
2. Gegen Coutts, StudEv II, 155; nach ihm "~xei'voc;; has nothing precise to
refer to", weshalb er das Pronomen auf 3at f. beziehen möchte. Ahnlieh Lam
brecht, Bijdr 1968, 37, der das einfach lokale l~w von 3at f. theologisch
überinterpretiert. ]eremias, Gleichnisse 11 bezeichnet das Demonstrativum als
"überflüssig", was er als ein Indiz aramäischer Herkunft ansieht; vgl. ders.,
Abendmahlsworte 176 mit Anm. 3. Doch jedes aramäische Demonstrativum ist
natürlich nicht "überflüssig"; mit der Berufung auf aramäischen Sprachge
brauch ist nur die Möglichkeit des Pleonasmus gegeben (vgl. Da/man, Jesus
Jeschua 164 zu Mt 2629). Im Kontext von Mk 4 ist ein betonteres Demonstra
tivum durchaus sinnvoll. Deshalb sollte man lieber auf dieses Kriterium palästi
nischer Überlieferung verzichten (Zirkelschluss).
7
legt er allein seinen Jüngern alles aus (V. 34). Im Unterschied
zu- V. 10 besteht der innere Kreis diesmal lediglich aus den
Aposteln.3 Eine andere Gruppe »um Jesus» wird nicht mehr
erwähnt.
Wenn man V. 10-12 und 33-34 zusammen nimmt, entsteht
etwa folgender Eindruck. Jesus hat zweierlei Hörer. Das aussen
stehende Volk darf nur Gleichnisse hören, damit es nichts von
dem »Geheimnis des Gottesreiches» verstehe.4 Den Jüngern ist
das Geheimnis >>gegeben», und sie erhalten die erforderlichen
Deutungen für alle Gleichnisse. Der Text besagt nicht, dass erst
das verkündigte Wort diese Zweiteilung bewirke. Es wird mit
keinem Wort angedeutet, dass die Reaktion des Hörers auf die
Gleichnisbotschaft Jesu an den Tag bringe, auf welche Seite er
gehört.5 Die beiden Klassen erscheinen als im voraus festgelegt.
Den Jüngern ist der Schlüssel des Verstehens gegeben, den ande
ren nicht. Die Jünger erfahren die Deutungen; die anderen nicht.
Natürlich ruft diese »Parabeltheorie» sofort eine Reihe von
Fragen und Bedenken hervor. Die Theorie widerspricht dem
Gesamtbild, das die Evangelien sowohl von dem Charakter der
Verkündigung J esu überhaupt als auch von seinem Gebrauch
von Gleichnissen entwerfen. Schon die Art, wie Jesus die Ge-
3. Bei Markus sind o~ I'CX~TJ~aC identisch mit den Zwölfen. Gni·lka, Ver
stockung 29 meint, o~ ~'"~TJ-rcxC bezeichne einen weiteren Kreis als die Zwölf. Vgl.
aber die Austauschbarkeit der Bezeichnungen in 67.30-31 und 63s; llu und llu;
931 und 1032 (beachte das nci~~ v in 1032, das auf die vorige Jüngerbelehrung in 931
Bezug nimmt). Der Verweis auf Rengstorf, ThW IV, 454 hilft nicht, da die
ser ganz allgemein spricht, ohne den spezifisch markinischen Sprachgebrauch
zu berücksichtigen; vgl. auch Rengstorf, ThW I, 425.
4. Ganz willkürlich wird V. 34a von Knox, Sources I, 35 interpretiert: Jesus
"never gave them (his hearers) long sermons without a parable to make them
more interesting"!
5. Oft wird die Parabeltheorie in diese Richtung abgeschwächt. V gl. z.B. T.
W. Manson, Teaching 76, 79 f.; Schniewind, Mk 76; Meinertz, Theologie I, 54;
Haapa, Mk 77; Schnackenburg, Mk 106; Gärtner, Mk 129; Conzelmann, Theo
logie 158; Moule, Festschr. Black 99 f.; Reploh, Markus 66. Dagegen mit Recht
z.B. Grant, Mk 700; Haenchen, Weg 165; Haufe, EvTh 1972, 416. In Joh 9su
ist es die Tätigkeit Jesu, die die Scheidung erst bewirkt; nicht aber hier.
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