Table Of ContentDIE LUNGENPHTHISE
ERGEBNISSE VERGLEICHENDER
RONTGENOLOGISCH=ANATOMISCHER
UNTERSUCHUNGEN
VON
SIEGFRIED GRAFF LEOPOLD KQPFERLE
A. O. PROFESSOR DER PATHOLOG. ANATOMIE A. O. PROFESSOR DER INNEREN MEDIZIN
HEIDELBERG FREIBURG I. B.
MIT ZZl BILOERN
10 PHOTHOGRAPHISCHEN TAFELN
UNO 8 STEREOSKOPENBILOERN
IN BESONOEREM BANOE . SOWlE
3 FARBIGEN BILOERN 1M TEXT
TEXTTEIL
BERLIN· VERLAG VON JULIUS SPRINGER· 1923
ISBN-13: 978-3-642-98632-1 e-ISBN-13: 978-3-642-99447-0
DOl: 10.1007/978-3-642-99447-0
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER OBERSETZUNG IN
FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN.
COPYRIGHT 1923 BY JULIUS SPRINGER IN BERLIN.
SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDITION 1923
Geleitwort.
Der Gedanke, die morphologischen Vorgange, welche der Lungenschwindsucht
zugrunde liegen, vergleichend rontgenologisch und anatomisch an dem gleichen Objekte
zu ergriinden, war zu verlockend, als daB nicht von den verschiedensten Seiten aus
der Versuch gemacht worden ware, ihn in die Tat umzusetzen. SoUten aber sichere,
fiir die Klinik fruchtbare Ergebnisse erzielt werden, so muBten die Untersuchungs
methoden auf beiden Seiten an der Erfahrung' gereift und einwandfrei sein. Auch
muBte zwischen Kliniker und Anatom das notige Einverstandnis iiber die Benennung,
Einteilung mid Wertung der verschiedenen phthisis chen Lungenveranderungen be
stehen. Endlich verlangte das iiberaus bunte Bild der Phthise die Untersuchung eines
recht groBen Materials und dieses wieder die notige Ausdauer und Geduld.
Wenn ich dem gemeinsamen Werk der beiden Verfasser ein Geleitwort mitgeben
solI, weil die anatomischen Arbeiten den Ausgangspunkt desselben bildeten, so kann
ich dasselbe sehr kurz fassen, indem ich der aus eigenster Anschauung gewonnenen
Uberzeugung Ausdruck gebe, daB aUe vorgenannten Bedingungen fur das Gelingen
einer solchen Untersuchung hier in bester Weise erfuUt waren. Nur wer selbst solche
angesteUt, wird die darauf verwendete Miihe zu schatzen wissen. Moge der Erfolg
ihr entsprechen!
Ludwig Aschoff.
Vorwort.
Die Klinik der Lungenphthise hat es von jeher als ihre wichtigste Aufgabe
betrachtet, Art und Ausdehnung der Erkrankung moglichst klar und eindeutig zu
erkennen und insbesondere eine Vorstellung zu gewinnen von den anatomischen
Zustandsbildern im Beginn und im Ablaufe der Erkrankung. Die prognostische
Beurteilung und Aufstellung des Heilplanes kniipfen sich in erster Linie an die
Erkenntnis von der Art und der Ausdehnung der Krankheitsvorgange in den Lungen.
Mit diesen stehen auch die neuerdings wieder in den Vordergrund gestellten immun
biologischen Vorgange ortlicher und allgemeiner Art im engsten Zusammenhang.
,Jede Erkenntnismethode, die uns eine Vorstellung vermittelt von den anatomischen
Vorgangen del' erkrankten Lunge, beeinfluBt und fordert also unser diagnostisches
Konnen und das therapeutische Handeln. Die Beziehung der optischen Dichtigkeits
differenzierung des Rontgenverfahrens zu den anatomischen Veranderungen der
Lungen hat schon vor Jahren eine Anzahl Forscher veranlaBt" auf dem Wege ver
gleichender rontgenologisch-anatomischer Untersuchungen eine anatomische Deutung
der Schattenerscheinungen des Rontgenbildes anzustreben. Von den Ergebnissen
dieser Arbeiten ausgehend haben wir an einer groBen Anzahl von Krankheitsfallen,
bei denen eine ausreichende klinische Beobachtung, eine sorgfaltige rontgenologische
Untersuchung und die spatere Moglichkeit des anatomischen Vergleiches vorlag,
systematische vergleichende Untersuchungen vorgenommen. Die Arb e i ten
wurden gemeinsam in dem Pathologischen Institut und in der
Medizinischen Klinik der Universitat Freiburg i. B. durchgefiihrt.
1m Laufe von 4 Jahren wurde ein groBes Material gesammelt und es konnten die
ersten Untersuchungsergebnisse im ,Jahre 1920 in den Brauerschen Beitragen mit
geteilt werden. In del' Folgezeit wurde nach mehrfacher Durcharbeitung des gesamten
Untersuchungsmaterials eine Anzahl von 52 Fallen fiir die Zusammenstellung und
bildlic'be Darstellung in diesem Atlaswerke ausgewahlt.
Betrachtliche auBere Schwierigkeiten mehrfacher Art haben das Erscheinen des
Werkes unliebsam verzogert. Die praktische Durchfiihrung der Untersuchungen
wurde uns erleichtert durch Unterstiitzungen seitens der Robert Koch-Stiftung und
der wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg i. B. Herrn Geheimrat Schwalbe,
der sich urn die Zuwendung aus del' Robert Koch-Stiftung besonders bemiihte, danken
wir an dieser Stelle fiir seine Miihewaltung.
Nicht zuletzt gebiihrt unser Dank der Verlagsbuchhandlung Julius Springer in
Berlin, die keinerlei lVIiihe gescheut hat, das Atlaswerk in bester und schonster Weise
auszugestalten.
s.
Graff, Heidelberg. L. Kiipferle, Freiburg i. B.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Methoden und Fehlerquellen vergll'ichender riintgenologisch-anatomischer Untersuchungen 3
A. Methoden del' Untersuehung
B. Fehlerquellen ....... . 5
III. Das normale Thoraxbild. . . . . . R
Seine Beziehung zu Lappengrenzen; EintPilung naeh FeldeI'll . 8
IV. Allgemeine Gesichtspunkte fiir die Beurteilung des Riintgenbildes und des anatomisehen Bildes 11
V. Die pathologische Anatomie der Lungenphthise. . . . . . . 14
A. Die histologisehe Reaktion auf das erfolgl'eiehe Eindl'ingen des Ph thisC'-
bazillus ..................... . 14
a) Die (vol'wiegend) exsudative Reaktion und ihl'e Folgezustande. . . . . . 15
b) Die (vol'wiegend) produktive Reaktion und ihl'e Folgezustande . . . . . 16
B. Entwieklung und Gestaltung del' histologisehen Verandel'ungen im Lungen-
gewebe. . . . . . . . . . . . . . 17
a) Die Erkl'ankung des Pal'enehyms . 18
1. Bei bronehogener Entwicklung. 18
2. Bei hamatogener Entwicklung . 20
h) Folgezustande des azinos-nodosen und lobulal'-kasigen Herdes . 21
Narhenzustande und Kavernenhildung. . . . . . . . . . . . 21
c) Unspezifisehe Folgeerscheinungen del' phthisischen Herdbildungen 24
d) Die Erkrankung del' Bronchien und GefaBe 25
e) Die El'kl'ankung del' Pleura . . . . . . . . . 26
f) Die Erkrankung del' Lymphknoten . . . . . . 28
C. Die pathologische Anatomie hezeiehnender KrankhE'itshildC'l' del' Lungen-
phthise, ihre Entwicklung und ihr Ausgang . . . . . . 28
a) Del' Primaraffekt (Pl'imarkomplex) und seine Folgezustandf'. . 30
b) Die bronchogenen Formen del' Lungenphthise . . . . . . . . 31
1. Die lobular-e:x:sudative und -kasige Phthise (exsudative bzw. kasige Pneumonic) 32
2. Die lobular-exsudative und .kasig-ulzel'iPl'ende Phthise (exsudative hzw. kasige
Bronchopncumonie). . . . . . . . . . . . . . 33
3. Die azinos-nodose und nodos·kavernose Pht,hise. . . . 31)
4. Die nodos-zirl'hotische kavernose PhthisC' . . . . . . . 36
5. Zirrhotische Phthise (Komplex del' Vernarbung) als (spezifisch) ausgeheiltC' Phthilw 37
c) Die hamatogene disseminierte Phthise (Miliartuberkulose) del' Lungen . . . . 39
d) Pl'adilektionswege und Pradilektionsstf'Ilen del' Ausheilung und des ZCJ'falls. . . .. 41
e) Die anatomischen Unterlagen der sog. Hilustuherkulose und Hilusausbreitung . .. 41)
VI. Gestaltung und Ausgang der pathologisch-anatomischen Reaktionsformen der Lungenphthise
im Riintgenbilde, im anatomischen Praparat und in der histologischen Darstellung (Einheitsbilder) 47
A. Die exsudativ-kasige Herdbildung . . 47
B. Die pl'oduktive Herdbildung . . . . . 47
C. Del' induriertc Herd und die Zirrhosc 48
D. Die frisch cntstandene Kav('rnp 49
E. Die abgekapselte Kaverne . . . 50
VIII Inhaltsverzeichnis.
Seite
VII. Die Einzelergebnisse vergleichender rontgenologisch-anatomischer Untersuchung von 52 Fallen
der Lungenphthise. . . . . . . . . . . 51
VIII. Die Rontgendiagnostik der Lungenphthise . . . . . . 194
A. Die Schattengebilde del' Lungenzeichnung . 194
a) Die nol'male Lungenzeichnung . . 194
b) Die verstarkte GefaBzeichnung. . . . . . . . 198
c) Die vel'stal'kte Bronchialzeichnung . . . . . . 198
B. Die Einzelerscheinungen phthisischel' Lungenveranderungen 199
a) Die exsudative (lobulare) Hel'dbildung. . . . . 199
b) Die produktive (azinos-nodose) Herdbildung. . 200
c) Ausheilungsvorgange, Induration und Zil'rhosc . 201
d) Zerfallserscheinungen - Kaverne. . . . . . . 202
e) Lymphknoten und Primarkomplex . . . . . . 209
C. Die bronchogenen Formen der Lungenphthise . 211
a) Die vorwiegend lobulal'-exsudativen Formen del' Phthise 213
b) Die vorwiegend nodos-pJOduktiven Formen del' Phthise. 215
c) Ausheilungsvorgange, nodos-indurierende und induriel'end-zirrhotische Formen der
Phthise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
D. Die hamatogen-disseminiertenFormender Lungenph thise (Miliartu bel' kulose) 221
E. Die Erkrankung der Pleura ..... . 225
F. Del' Pneumothorax . 231
Literaturverzeichnis zu Abschnitt VIII. 235
Neuere Literatur zur pathologischen Anatomie der Lungenphthise 237
I. Einleitung.
Lange Zeit vor der Entdeckung des Kochschen Phthise- oder TuberkelbaziUus 1)
bestand das Bestreben, der klinischen Beurteilung der Lungenphthise pathologisch
anatomische Gesichtspunkte zugrunde zu legen. Man versuchte durch die physikalischen
Untersuchungsmethoden der Perkussion und Auskultation im Zusammenhang mit
anderen klinischen Beo bacht ungserge bnissen bestimmte Verlaufsformen der ph thisischen
Lungenerkrankung voneinander abzugrenzen. In dieser Weise haben VOl' aHem Bayle
und Laennec und spaterhin eine Anzahl anderer Autoren (Beneke, A. Frankel,
Sokolowski, L. Bard) bestimmte Verlaufsformen der Phthise aufgesteUt
und dabei auf pathologisch-anatomische Veranderungen Bezug genommen
(E. MeiBen). ABe diese Autoren bringen die Gestaltung der Krankheitsbilder in
Beziehung zu auBeren Einflussen und insbesondere zu solchen der morphologischen
Konstitution. In del' ersten Zeit nach Entdeckung des Krankheitserregers brachte man
Art und Starke del' Infektion in Zusammenhang mit del' Vielgestaltigkeit der Krank
heitsbilder; dieser Standpunkt kann heute als aufgegeben gelten. Von groBerem
EinfluB blieb die konstitutionelle Frage, bei welcher neben und innerhalb der
"ererbten" konstitutioneBen Gesamtanlage die morphologischen lokalen Disposi
tionen (Freund, v. Hansemann, Hart und Harras u. a.) in den Vordergrund
traten. Endlich zwang die experimentelle lmmunitatsforschung (v. Behring, Romer)
auch beim Menschen dem Immunitatsproblem groBere Aufmerksamkeit zu widmen.
Heute wissen wir aus den wertvollen Arbeiten von Kretz und besonders von K. E.
Ranke, daB Art und Ausbreitung del' Krankheit weniger durch die Konstitution und
Disposition als durch i mmun bi ologi sche Vorgange bestimmt werden, die mit Art,
Grad der Infektion, mit dem zeitlichen Auftreten del'selben und schlieBlich mit den
Ausbreitungswegen des Infektionserregers in engstem Zusammenhange stehen.
Wenn es auch verstandlich erscheint., daB man nach Bekanntsein des Krankheits
erregers geneigt war, die Vielgestaltigkeit der Krankheitsbilder in Zusammenhang zu
bringen mit der Art und Starke der Infektion, so muB es doeh auffallen, daB man in
dieser Zeit viel weniger Ge,vicht legte auf die besondere Art der anatomischen Ver
anderungen im Bereich des erkrankten Ge bietes, als auf die mit der Schwere des Krank
heitsbildes verknupfte Vorstellung von der Ausdehnung del' Erkrankung. Diese
Tatsache findet beredten Ausdruck in del' aus dieser Zeit stammenden sogenannten
Stadieneinteilung nach Turban und Gerhardt. Obzwar auch bei dieser auf ana
tomische Veranderungen Rucksicht genommen wird, so stellt sie doch das quantitative
Prinzip, d. h. die Ausdehnung del' Erkrankung in den Vordergrund. Ihr Anwendungs
bereich fUr praktisch-statistische Zwecke ist unbestreitbar. Sie erweist sich aber als
unzulanglich, wenn es gilt, im Einzel£alle prognostisch-therapeutische Fragen zu erortern
und zu beantworten. "Fur die Beurteilung des einzelnen Kranken bildet die Ausdehnung
del' Tuberkulose nur den auBeren Rahmen, der das wirkliehe Bild begrenzt. Sein maB
gebender Inhalt wird nur durch die Art des Zustandes bestimmt" (E. v. Romberg).
Erneut ist die Forderung zu erheben, daB die Aufstellung klinischer Gruppen in
erster Linie auf qualitative pathologiseh-anatomisehe Grundlagen zu be
ziehen ist. Diese schon am Krankenbette auf Grund der klinischen Beobachtung und
kliniseher Untersuchungsmethoden zu erschlieBen, ist in jedem FaIle anzustreben.
1) Wir folgen der Nomenklatur Aschoffs: Phthisebazillus. Phthise usw.
Grilff-Kiipferle, Lungenphthise.
2 Einleitung.
Vor allem sind es die physikalischen Untersuchungsmethoden der Perkussion,
Auskultation und im Verein mit diesen die optische Dichtigkeitsdifferenzierung des
Rontgenbildes, die berufen sind, in geg ens ei ti ger Er g an z un g uns Auf
schiuB zu verschaffen uber das anatomische Geschehen im Korperinnern. DaB es
schon Iediglich durch die alteren physikalischen Untersuchungsmethoden gelingt, die
Erscheinungsformen von Lungenphthise klinisch abzugrenzen, das haben die Arbeiten
A. Frankels in Gemeinschaft mit E. Albrecht gezeigt. In jiingster Zeit hat
E. v. Romberg dieses Verfahren noch weiter ausgebaut und darauf hingewiesen,
wie die durch Perkussion und Auskultation zu erschIieBenden anatomischen Ver
anderungen durch die Ergebnisse der Rontgenuntersuchung erganzt und vervoll
standigt werden. Mit Recht betont er die Bedeutung, die in der gegenseitigen
Erganzung der durch die Perkussion gewonnenen akustischen und dmch das Rontgen
bild erstrebten optischen Dichtigkeitsdifferenzierung liegt fur die Beurteilung ana
tomischer Veranderungen der Lungen. Die Perkussion hat dabei den Vorzug, daB
sie Dichtigkeitsdifferenzen auf beliebige Stellen der Brustkorboberflache zu beziehen
vermag, wahrend die'durch Dichtigkeitsdifferenzen der Lungen bedingten Schatten
erscheinungen des Rontgenbiides auf eine Ebene projiziert werden. Dem Rontgen
bilde gebiihrt aber der unbestreitbare Vorzug, die einzelnen Herderscheinungen
der Lungen in einer klaren und plastischen Weise zur Darstellung zu bringen, wie
es durch die Perkussion niemals moglich ist. Vor Jahren schon hat Tur ban gelegentlich
einer Diskussion uber die Bedeutung des Rontgenverfahrens fur die Diagnose der be
ginnenden Lungenphthise die Ansicht ausgesprochen, daB man mit Hilfe des Rontgen
verfahrens wohl zu einer Differenzierung der pathologisch-anatomischen Arten der
Lungenphthise gelangen werde, wie sie durch physikalische Untersuchungsmethoden
nicht moglich seL Die Beurteilung des Rontgenbildes darf sich jedoch nicht mit einer
Bewertung der Schattenerscheinungen als MaB fiir Sitz und Ausdehnung der Er
krankung begnugen, sondern sie muB Beziehung gewinnen zu bestimmten anatomischen
Zustandsanderungen der Lunge. Die Bedeutung dieser Tatsache hat auch Kennon
Dunham!) in seinem Werke hervorgehoben. An die Stelle einer rein spekula
ti yen Betrach tungsweise der vielgestaltigen Sch attenerschein ungen des
Ron tgen bildes muG eine auf vergleichend-anatomische Untersuchungen
sich stutzende anatomische Deutung des Rontgenbildes treten. DerVergleich
des Rontgenbildes mit dem anatomischen Praparate muG zunachst darauf gerichtet
sein, "bestimmte, ihrem anatomischen Charakter nach vollstandig verschiedene Er
scheinungsformen der Phthise voneinander zu trennen. In jiingster Zeit hat besonders
L. Aschoff mit Nachdruck darauf hingewiesen, daB fur die Ausheilung phthisischer
Krankheitsveranderungen nicht so sehr die Ausdehnung der Erkrankung maBgebend
ist, als der anatomische Charakter des Krankheitsvorganges. Wenn es also gelingt,
nach dieser Richtung die grundsatzlich verschiedenen Reaktionserscheinungen
der produktiven und exsudativen Phthise schon am Lebenden aus den
Schattenbildungen des Rontgenbildes zu erkennen, so liegt dariri ein wichtiger Fort
schritt fUr die prognostische und therapeutische Beurteilung des Einzelfalles. Denn
fur die Prognose sowohl wie fiir das therapeutische Handeln ist der anatomische
Charakter des Krankheitsvorganges von richtunggebender Bedeutung. Aus dieser Er
kenntnis heraus haben wir uns die Aufgabe gestellt, auf Grund systematischer ver
gleichender Untersuchungen des Rontgenbildes mit den anatomischen Veranderungen
eine anatomische Analyse des Rontgen bildes zu schaffen.
1) Kennon Dunham, Cincinnati Ohio, "The X Ray Examination of the chest for pulmonary
Tuberculosis". Southworth Company, Troy, New York.
II. Methoden und Fehlerquellen vergleichender rontgenologisch
anatomischer Untersuchungen.
A. Methoden der Untersuchung.
Systematische vergleichende Untersuchungen des Rontgenbildes mit anatomischen
Befunden wurden erstmals d urch Z i e g 1e r und K r a use (1910) unt ernommen. Spaterhin
haben Schut, van Dehn und ABmann ahnliche Vergleichsuntersuchungen aus
gefiihrt. AHe diese Autoren sind in der Weise vorgegangen, daB sie in der Haupt
sache Leichenaufnahmen, ganz vereinzelt nur Aufnahmen, die am Lebenden gemacht
worden waren, in Vergleich brachten mit den Ergebnissen der durch die iibliche Sek
tionstechnik erschlossenen anatomischen Veranderungen. Auf diese Weise versuchten
sie eine anatomische Deutung der verschiedenartigen Schattenbildungen des Rontgen
bildes herbeizufiihren.
Diesen Untersuchungen fehlt jedoch insgesamt das Bestreben einer
Unterscheidung bestimmter anatomischer Erscheinungsformen der
Lungenphthise. Sie beziehen sich im wesentlichen auf grobe anatomische Zustands
anderungen der Lunge, ohne eine Zergliederung der vielgestaltigen Schattenerschei
nungen des Rontgenbildes mit Bezugnahme auf die vielfaltigen pathologisch
anatomischen Veranderungen zu versuchen. Vor aHem aber konnte es auf dem
Wege dieser vergleichenden Methode niemals gelingen, eine topographische Beziehung
zu gewinnen zwischen den vielgestaltigen, in eine Ebene projizierten Schatten
erscheinungen des Rontgenbildes und den in den verschiedenen Korpertiefen liegen
den pathologisch-anatomischen Herdveranderungen. Es muBte also eine Methode
gefunden werden, die eine einwandfreie topographische Beziehungsmoglichkeit der in
den Lungen sich findenden Krankheitserscheinungen zu den Schattenerscheinungen
des Rontgenbildes gestattete. In dieser Richtung bot das von Brauer und Beneke
beschriebene Verfahren schon wesentliche Vorziige.
Diese Autoren gingen in der Weise vor, daB sie die intrathorakal von der Pul
monalis aus mit Formalin gehartete Lunge nach Abbindung der Trachea herausnahmen
und in Serienschnitte zerlegten. Dieses Verfahren hatten auch wir zunachst fUr unsere
vergleichenden Untersuchungen angewandt und vereinzelte so gewonnene anatomische
Schnittbilder aus der ersten Zeit unserer vergleichenden Untersuchungen sind hier
mit aufgenommen. Es zeigte sich jedoch bald, daB auch die nach der Brauerschen
Methode gewonnenen anatomischen Praparate nicht allen Anforderungen ent
sprachen, die fiir eine mehrfache, zu verschiedenen Zeiten vorzunehmende ver
gleichende Untersuchung gefordert werden muBten. Die Lungen begannen nach
einiger Zeit zu schrumpfen, mehr oder weniger ausgedehnte Pleuraverwachsungen
fiihrten bei der Herausnahme der Lungen zu ZerreiBungen des Praparates und er
schwerten so vielfach die anatomische Beurteilung.
1*
4 Methoden und Fehlerquellen vergleichender rontgenologisch-anatomischer Untersuchungen.
Um diese fUr eine vergleichende Beurteilung aus Pleuraverwachsung und Lungen
schrumpfung sich ergebenden Fehler auszuschalten, such ten wir ein Verf ahren
anzuwenden, wobei die Topographie der Lungen im Brustkorbraume
tunlichst gewahrt wurde. Diese Forderung erschien uns am besten erfullt, in der
ursprunglich von Hauser und dann von Loeschcke zu anderen Untersuchungs
zwecken angewandten Hartungsmethode des Brustkorbes. Durch Injektion von
etwa 8-10 1 warmer 10%iger Formalinlosung in die Schenkelvene gelang es, die
Lungen intrathorakal zu harten und in ihrer Lage zum Brustraum zu erhalten. Das
zu den vergleichenden Untersuchungen zu verwertende Praparat wurde dann in der
Weise gewonnen, daB Hals- und Brustorgane im Zusammenhang mit dem ganzen
Brustkorb der Leiche entnommen wurden. Nach 12-24 Stunden war gewohnlich
die Hartung so weitvorgeschritten, daB die Lungen. nach Abnahme der vorderen
Brustwand die durch Formalin fixierte Lage behielten. Die Brustkorbwand konnte
dann weiterhin beiderseits mittels Knochenzange bis zur mittleren Frontalebene
entfernt und die Brustorgane konnten auf diese Weise fur beliebig viele Frontal
serienschnitte freigelegt werden.
Die vergleichende Untersuchung zwischen dem Originalrontgennegativ und
dem anatomischen Praparate erfolgte dann in der Weise, daB die in Frontal
serienschnitte zerlegte Lunge ventro-dorsalwarts systematisch nach anatomischen
Veranderungen durchsucht und diese mit den Schattenerscheinungen des Rontgen
bildes in Vergleich gebracht wurden. Die Klarung feiner anatomischer Reaktions
erscheinungen erfolgte vielfach durch die Entnahme kleiner Gewebsstuckchen zur
Herstellung eines mikroskopischen Praparates. Auf diese Weise gelang es einerseits,
die in verschiedenen Tiefen des Brustkorbraumes liegenden phthisischen Herd- und
Gewebsveranderungen in Beziehung zu bringen zu fraglichen Schattenbildungen auf
der Rontgenplatte und andererseits bestimmte Schattenerscheinungen durch Auf
suchen entsprechender zugehoriger pathologisch-anatomischer Zustandsanderungen
der Lungen zu deuten.
Von jedem einzelnen Fane wurden aus der groBen Anzahl der Serienschnitte nur
die fur die Klarung des Rontgenbildes wichtigsten Teile ausgewahlt und fiir die bildliche
Darstellung photographisch aufgenommen. Die anatomische Beschreibung dieser
Serienschnittbilder wurde an Hand des anatomischen Praparates mit dem Rontgen
befunde in Vergleich gebracht und auf diese Weise gewissermaBen eine anatomische
Auflosung der vielfach komplizierten Erscheinungen des Rontgenbildes angestrebt.
Die wichtigsten Vergleichsergebnisse sind im epikritischen Sinne als "vergleichende
Beurteilung" der ausfUhrlichen rontgenologischen und anatomischen Beschreibung
angegliedert.
Von den llO systematisch untersuchten Fallen wurden 52 ausgewahlt. Von diesen
52 Fallen sind jeweilen ein oder auch mehrere Rontgenbilder wiedergegeben, und aus
der Zahl der Serienschnitte sind die fiir die vergleichende Beurteilung wichtigsten
Bilder zusammengestellt worden. Aus auBeren Grunden muBte eine Beschrankung
auf durchschnittlich drei anatomische Bilder eintreten. Selbstverstandlich ist die
Zahl der in jedem einzelnen FaIle gemachten Serienschnitte erheblich groBer .
. Zum Vergleich mit dem anatomischen Praparat wurde ausschlieBlich das auch
sonst zu diagnostischen Zwecken regelmaBig zur Anwendung gelangende dorso-ventrale
Rontgenbild herangezogen. Es war naheliegend, zur Vervollstandigung der topo
graphischen Tiefenvorstellung auch eine anatomische Analyse des in umgekehrter
Richtung aufgenommenen Bildes, der ventro-dorsalen Aufnahme, mit zu verwerten.