Table Of ContentDie Leseliste
Kommentierte Empfehlungen
Zusammengestellt von
Sabine Griese, Hubert Kerscher,
Albert Meier, Claudia Stockinger
Philipp Reclam jun. Stuttgart
Universal-Bibliothek Nr. 8900
Alle Rechte Vorbehalten
© 1994 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
Satz: Wilhelm Röck, Weinsberg
Druck und Bindung: Reclam, Ditzingen.
Printed in Germany 1994
RECLAM und UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene
Warenzeichen der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
ISBN 3-15-008900-X
Inhalt
Vorbemerkung...................................................... 7
Deutschsprachige Literatur................... 11
Mittelalter . . . ...................................................... 11
Humanismus und Reformation ........................ 20
Barock................................................................... 24
Aufklärung ........................................................ . 29
Sturm und Drang................................................ 39
Klassik................................................................... 44
Romantik.............................................................. 51
Biedermeier und Vormärz ................................... 59
Bürgerlicher Realismus .................................. . 66
Naturalismus bis Expressionismus ................... 72
Weimarer Republik und Drittes Reich............. 82
Literatur seit 1945: Bundesrepublik Deutschland,
Österreich, Schweiz........................................ 91
Literatur der DDR .............................................. 104
Fremdsprachige Literaturen ..................... 113
Orientalische und asiatische Literatur ............. 113
Griechische Literatur........................................... 117
Lateinische Literatur der Antike . ...................... 121
Lateinische Literatur des Mittelalters................ 125
Italienische Literatur ........................................... 128
Französische Literatur ............................................134
Spanische und portugiesische Literatur ...............143
Lateinamerikanische Literatur ...............................149
Russische Literatur .................................................151
Skandinavische Literatur..........................................157
Englische Literatur ..................................................162
Nordamerikanische Literatur..................................171
Philosophie . ..........................................................179
Auswahlbibliographie 197
Vorbemerkung
Ein kultivierter Mensch muß nicht alle Bücher durch-
gesehen haben.
René Descartes
Das Leben ist so kurz ! Selbst wenn Sie ein Bücherfres-
ser sind, und nur fünf Tage brauchen, um ein Buch
zweimal zu lesen, schaffen Sie im Jahre nur 70. Und für
die fünfundvierzig Jahre, von Fünfzehn bis Sechzig, die
man aufnahmefähig ist, ergibt das 3.150 Bände : die
wollen sorgfältigst ausgewählt sein !
Amo Schmidt
Die folgende Zusammenstellung versteht sich nicht als Be-
stenliste, die das Gelungenste der Literatur vom Wertlose-
ren scheidet. Der Auslese liegt vielmehr die Überlegung zu-
gründe, von welchen Autoren und Werken aus ein zuverläs-
siger, fach wissenschaftlich verantwortbarer Einstieg in den
Entwicklungsgang namentlich der deutschen Literatur zu
finden ist. Auf diese Weise werden die Konsequenzen aus
dem einzigen Ergebnis des Dauerstreits um Recht und
Möglichkeit eines literarischen »Kanons« gezogen: daß das
Kriterium des künstlerischen Rangs nicht brauchbar ist. Je-
der Versuch nämlich, einen Katalog des ästhetisch Vollkom-
menen zu präsentieren, wäre von vornherein zum Scheitern
verurteilt, weil es der Selektion an konsensfahigen Normen
fehlen müßte - in allzu vielen Fällen ließen sich die Entschei-
düngen mit stichhaltigen Gründen diskreditieren.
Statt um künstlerische Dignität geht es folglich nur um den
Gebrauchswert. Im Rahmen einer insgesamt noch über-
schaubaren, mittelfristig als Lesepensum auch ernst zu neh-
menden Zahl von Werken werden diejenigen Epochen,
Gattungen, Stilrichtungen, Motive und Autoren erfaßt, die
sich im literaturgeschichtlichen Rückblick als besonders fol-
genreich oder zeittypisch darstellen. Für jede dieser Strö
mungen und Formen steht ein möglichst treffendes, aus-
sagekräftiges Werk. So vertritt z. B. Iphigenie auf Tauris das
klassische Drama Goethes; Torquato Tasso könnte dies zwar
gleichermaßen leisten, doch schafft der Verzicht auf eines
von beiden Platz fiir solche Texte, die vom herkömmlichen
Kanon-Verständnis regelmäßig ausgeblendet worden sind:
z. B. Karl Grünbergs Roman Brennende Ruhr, der die Arbei-
terliteratur der Weimarer Republik repräsentiert. Die Kom-
mentierung der Titel in Stichworten und Daten dient dabei
dem ersten Überblick über die jeweilige historische Bedeu-
tung und Eigenart in stofflicher oder formaler Hinsicht.
Diese Konzeption reagiert vor allem auf die Orientierungs-
bedürfnisse derer, die nicht ausschließlich zur Unterhaltung
und zum poetischen Genuß, sondern mit fachlichem Inter-
esse lesen wollen. Gedacht ist in erster Linie an Studenten
der Germanistik, darüber hinaus an Schüler, Lehrer und alle
anderen, die sich von Berufs wegen mit Literatur befassen.
Die pragmatische Ausrichtung erklärt des weiteren auch das
Festhalten an der traditionellen Epocheneinteilung (»Ba-
rock« / »Klassik« / »Romantik« usw.), der kraft Ancienni-
tät eine gewisse Neutralität zukommt. Ähnliches gilt für die
Behandlung der ausländischen Autoren und Werke: Da die
deutschsprachige Literatur im Mittelpunkt steht, können
die fremdsprachigen Literaturen zum einen nur in perspek-
tivischer Verkürzung berücksichtigt werden; aus den glei-
chen Umfangsgründen war zum anderen die rigorose Be-
schränkung auf wenige Nationalliteraturen nicht zu vermei-
den (wenn z.B. Italien Berücksichtigung findet und die
Niederlande nicht, so rechtfertigt sich das in erster Linie
durch die wesentlich intensivere und dauerhaftere Einwir-
kung italienischer Dichtung auf die deutsche).
Die ursprünglich an visierte Zahl von insgesamt 500 Werk-
titeln hat sich dennoch als unerreichbar erwiesen. Sie war als
Kompromiß festgesetzt worden zwischen der literarischen
Vielfalt einerseits und dem Anspruch andererseits, ein indi-
viduell noch zu bewältigendes Lesepensum anzubieten. In
einer ersten Arbeitsphase hatte die konsequente Anwen-
dung der genannten Auswahlprinzipien zu einem Korpus
von weit über 1000 Titeln geführt, das sich dann nur in
einem Bußkampf eigener Art auf die jetzt vorgelegten gut
600 reduzieren ließ. Immerhin ist auch damit der in Kanon-
Diskussionen oft erhobenen Forderung nach quantitativer
Erweiterung Folge geleistet: Aufgenommen sind neben den
im engeren Sinn »poetischen« Werken (Epen, Dramen, Ge-
dichte, Romane usw.) auch essayistische Arbeiten sowie
kulturhistorische und philosophische Sachliteratur. Die
deutsche Literatur steht damit in eben dem weltliterarischen
und ideengeschichtlichen Kontext, ohne den ihre Binnen-
entwicklung nicht begreifbar wäre.
Unabweisbar ist, daß trotz aller Aporien der Kanonbildung
das Bedürfnis nach Hilfestellung im Gewirr der Weltlitera-
tur bei Schülern und Studenten ungebrochen fortbesteht.
Die zahlreichen Ratgeber vom Typ »Was Germanisten lesen
sollten«, wie sie vor allem an Universitäten - offiziell oder
nicht - in Umlauf sind, belegen dies mit hinlänglicher Deut-
lichkeit. Die vorliegende »Leseliste« schließt an dieses Be-
dürfnis an, fuhrt jedoch weiter. Worauf sie abzielt, ist nicht
die Vorbereitung des Benutzers auf institutioneil definierte
Ansprüche (Prüfungen) und auch nicht der Hinweis auf das,
was einer kennen müßte, der als Abiturient oder Dr. phil.
mitreden wollte. Als Nebeneffekt soll dies nicht stören ־־
ausschlaggebend bleibt jedoch das Ziel, die reale Dynamik
der Literaturgeschichte in markanten Werken zu benennen
und besser erfahrbar zu machen.
Es versteht sich von selbst, daß solche Vorschläge trotz
ihrer systematischen Anlage lediglich provisorischen An-
Spruch erheben dürfen. Insofern rechtfertigen sie sich vor
allem dort, wo sie zum eigenständigen Lesen und Weiterle-
sen Anlaß geben, folglich auch zur kritischen Revision
motivieren.
Die Werke werden in chronologischer Folge aufgefuhrt,
nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung (abgekürzt: Entst.),
des Erstdrucks (ED) bzw. der Uraufführung (UA). Die
Titel erscheinen in originaler Schreibweise; gelegentlich
geht ein gängiger Kurztitel voraus. Bei den fremdsprachi-
gen Literaturen wird nach dem Originaltitel der geläufige
deutsche Titel genannt - außer dort, wo beide Titel gleich
lauten - und das Jahr der ersten (vollständigen oder teilwei-
sen) Übersetzung des Werkes angegeben (EÜ). Wo deut-
sehe Autoren des Humanismus, der Reformation und des
Barock ihre Werke zunächst lateinisch veröffentlicht haben,
wird der Titel der zeitgenössischen deutschen Erstüber-
setzung mit dem Namen des Übersetzers (Ü) genannt.
Deutschsprachige Literatur
Mittelalter
Hildebrandslied
Entst.: vor 830. - ED: Würzburg 1729.
Heldenlied in 68 althochdeutschen Stabreimversen; der ein-
zige Zeuge der reichen mündlich tradierten germanischen
Heldendichtung in der deutschen Literatur schildert, wie
der heimgekehrte Hildebrand seinen Sohn Hadubrand, der
ihn nicht erkennt, im Kampf tötet.
Otfrid von Weißenburg: Evangelienbuch
Otfridi evangeliorum Liber: veterum Germanorum grammati-
cae, poeseos, theologiae praeclarum monimentum. Evangelien־
buch in alfrenckischen reimen durch Otfriden von Weissenburg,
Münch zu S. Gallen vor sibenhundert jaren beschriben...
Entst.: zwischen 863 und 871. - ED: Basel 1571.
Evangelienharmonie (Leben Jesu) in althochdeutscher Spra-
che, formal innovativ durch die Einführung des Endreims;
stützt sich bei der theologischen Auslegung auf die in jener
Zeit bedeutenden Bibelkommentare (u. a. Gregor d. Gr.,
Alkuin).
Ezzolied
Entst.: zwischen 1057 und 1065. - ED: Wien 1879.
Frühmittelhochdeutsches hymnisches Gedicht, von dem
Bamberger Domkanoniker Ezzo auf Anregung seines Bi-
schofs Gunther verfaßt, in zwei Versionen erhalten; kom