Table Of ContentSTUDIEN ZUR
SPRACHE, GESCHICHTE UND KULTUR
DES ISLAMISCHEN ORIENTS
Beihefte zur Zeitschrift „Der Islam"
Herausgegeben von
BERTOLD SPULER
Neue Folge
BAND 3
1968
WALTER DE GRUYTER & CO. / BERLIN
BENEDIKT REINERT
Die Lehre vom tawakkul
in der klassischen Sufik
1968
WALTER DE GRUYTER & CO. / BERLIN
Publiziert mit Unterstützung des Fonds zur Förderung
von Lehre und Forschung an der Universität Basel
©
Aichiv-Nr. 4119 68/1
Copyright 1968 by Walter de GruyterACo., vormals Θ. J. GOschen'sche Verlagshandlung—J. Guttentag,
Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer—Karl J. Trübner—Veit & Comp. Berlin—Printed In Germany.
Alle Hechte des Kachdrucks, der photomechanlschen Wiedergabe, der Herstellung von Photokopien
und Mikrofilmen, auch auszugsweise, vorbehalten.
Herstellung: J. J. Augustin, Glückstadt
Inhaltsverzeichnis
Teil I: Einleitung
Α. Die ursprüngliche Bedeutung von tawakkala 1
1. Die Wurzel wkl und die Wurzelfremden Synonyma zu tawakkala . 1
2. Das absolut, ohne die Präposition 'cUä verwendete tawakkala ... 5
3. tawakkul und tiqah 7
B. Gotteserkenntnis, Glaube, Gewißheit und tawakkul 13
1. Glaube und tawakkul 13
2. Die Glaubensinhalte (Gotteserkenntnis) als Ausgangsbasen des
tawakkul» 15
3. Gewißheit (gesteigerter Glaube) und tawakkul 16
4. Die Entwicklung des £awa&&uZ(-Zustand)s aus der Gotteserkenntnis 19
5. Das Verhältnis von taioakkul-ZuBtaxid und tawakkul- Werken .... 21
Teil II: Die Grundlagen tawakkule
A. Tawhid und göttliche Bestimmung 23
1. Abwandlungen des elementaren ihlä$ 23
2. Die Schau des einen Wirkenden in der Vielheit der Handelnden . 24
3. Die spekulative Deutung der Einheitsschau 25
4. Bestimmungsschranke und Durchschlagskraft der Bestimmung . 31
5. Der Bestimmungsdeterminismus auf dem Gebiet des Lebensunter-
haltes (rizq) 36
6. Der tawhid des Wirkens auf dem Gebiet des Lebensunterhaltes . 40
B. Die übrigen Grundlagen des tawakkul» 43
1. Die gute Meinung von Gott 43
2. Die Überzeugung von der besseren (besten) Wahl Gottes 45
3. Die Gewißheit, von Gott betreut zu werden 46
4. Die Garantie des Unterhalte 49
δ. Gottes Allwissenheit 52
Teil ΠΙ: Der tawakkul-Zustand
A. Die Polarisierung des Denkens und Empfindens auf Gott 54
1. Der Begriff des zua tandlichen tawhid und Polytheismus 54
2. Die Furchtlosigkeit des mutawakkils vor dem Erschaffenen 59
3. Die Konzentration des Hoffens und Begehrens auf Gott 61
4. Die gwr'änische Betonung der Richtung des tawakkul» 67
B. Innere Buhe und Ausgeglichenheit 69
1. Die innere Buhe als Charakteristicum des mutawakkile 69
2. Die Sorglosigkeit bezüglich des Lebensunterhaltes 71
3. Die nafa (Triebseele) als Herd innerer Unruhe 79
4. Die Überwindung der nafa. Askese. Verzicht auf die Welt 85
VI Inhaltsverzeichnis
C. Die Haltung des mutawakküa gegenüber dem Geschehen 90
1. Ergebung (tasllm) und Hingebving (tafvmd) 90
2. Die negativen Aequivalente: Lassen eigenen Wollens, eigenen
Wählens (tark al-ihtiyär) und eigenen Planens (tark al-tadbir) ... 94
3. Die Zufriedenheit und ihre Quelle, die Gottesliebe 100
4. Standhaftigkeit und Geduld (safer) 112
5. Das Ausharren (sabr) und dessen Beziehung zum tawakkul im Qur'än 123
6. Die Lossagung von eigener Macht und Kraft und Entwerdung . 129
7. Die Begründung dieser tawakkul-Formen mit den tawakkul-Motiven
von Teil II 134
Teil IV: Die tawakkul-Werke
A. Die ausschließliche Hinwendung zu Gott und das Problem der
Mittel 141
1. Die ausschließliche Hinwendung zu Gott 141
2. Das Problem der Mittel (asbäb) 145
3. Die Anwendung auf dem Gebiet des Lebensunterhaltes, Verbot des
Betteins 152
4. Die betonte Irrationalität des tawakkuls 157
5. Der asketische Verzicht auf die Welt als treibende Bildungskraft
der fczwa&M-Praktiken 161
B. Die Gleichgültigkeit gegenüber der Gefahr 162
1. Das provokative Verhalten des mutawakkile gegenüber der Gefahr 162
2. Die Motive 165
3. Die Mißachtung der Gefahr bei der Durchführung einer Idee ... 168
4. Der Sonderfall des Gebetes 169
C. Der Nichterwerb 170
1. Die These der Unvereinbarkeit von tawakkul und Erwerb 170
2. Die dogmatische Begründung 171
3. Der Nichterwerb als Konsequenz der Aufopferung des Diesseits
zugunsten des Jenseits 178
4. Der Nichterwerb aus Skrupelhaftigkeit 183
D. Das Lassen des Aufspeicherns 190
1. Als towoifcAtiZ-Postulat 190
2. Das Motiv der ständigen Todeserwartung 191
3. Die übrigen Motive 195
E. Das Reisen ohne Wegzehrung 197
1. Der Begriff des Reisens calä l-tawakkul oder *oiä l-tatfrid 197
2. Die dogmatischen Motive 198
3. Die Praxis als Ausdruck der Loslösung von ma'lüm und Mitteln. 200
4. Wüstenreisen mit und ohne Reiseziel 203
F. Der Verzicht sich zu heilen 207
1. Die Lehre von der Unvereinbarkeit des tawakkule mit der Bekämp-
fung einer Krankheit 207
2. Die sufischen Motive 207
3. Die dogmatische Begründung 211
4. Die Verurteilung bestimmter Heilmethoden ' 213
Inhaltsverzeichnis VII
Teil V: Die Kritik des praktischen tawakhul»
A. Die Zersetzung der Idee des praktischen tawakhulβ 217
1. Der Vorwurf der Unnatürlichkeit und Irrationalität 217
2. Die ungelöste Gegenüberstellung der praktischen tawakkid-Vostu-
late und der Anforderungen des Lebens 219
3. Die Lösung durch die Bestimmung des tawakkide als reinen Zustand 223
4. Die tieferen Ursachen der Wandlung des Gesichtspunktes 226
5. Die Umdeutung der tawafe&uZ-Praktiken zu asketischen Postulaten
und die Konzeption eines variierenden praktischen tawakhuls ... 230
B. Der Begriff der Fähigkeit zu den tawakkid-Werken 232
1. Die Erkenntnis, daß es zum Betreiben der towafc&uZ-Praktiken
gewisser Voraussetzungen bedürfe 232
2. Die Voraussetzungen: Gewißheit, §ahr und Verzicht auf die Welt 233
3. Starke und schwache Gläubige und ihre Verpflichtungen 235
C. Das Problem der aunnah 240
1. Das Problem der Tatsache, daß die Vorbilder der islamischen
Gemeinde sich nicht an die praktischen towafe&uZ-Postulate hielten 240
2. Der Qur'än als Zeugnis für die Unverbindlichkeit der praktischen
taiiwifciiZ-Postulate 242
3. Die aunnah und ihre Bildner 244
4. Sahls Lösung des Konflikts zwischen sunnah und tawakktd-Postu-
laten 247
δ. Der Malätnatiyah-Gedanke 240
D. Die sozial-wirtschaftliche Problematik des Nichterwerbs 252
1. DM Leben auf Kosten anderer 252
2. Die dadurch entstehende Abhängigkeit und die Unempiindlichkeit
der mutawakkilün für dae Problem 253
3. Das indirekte Betteln 257
4. Die wirtschaftlichen Auswirkungen 260
E. Der Konflikt zwischen „Gesetz" und tawakhul 262
1. Die Gleichgültigkeit der rriviawakkilün gegenüber dem Unterhalt
von Weib und Kind 262
2. Der Durchbruch der orthodoxen Anschauung, der Familienvater
habe für den Unterhalt seiner Angehörigen zu sorgen 264
3. Die Auseinandersetzung mit der Gefahr, bei proviantlosen Wüsten-
reisen zu verhungern 267
4. Die pflichtbewußtseinzersetzende Kraft des irrationalen tawakhuls 269
F. Die sufische Kritik des praktischen tawakkide 272
1. Der Glaube an die erfolgreiche Wirkung des tawakkide 272
2. Gegenstimmen. Der Erfolg ist geistiger Art 276
3. Die Kritik der Erwartung, für den tawakhul belohnt zu werden . 278
4. Die Kritik eines tawakhul» um des Unterhaltes willen 282
5. Das Postulat des objektlosen tawakkule 283
Teil VI: Anhang
Graduierungsformen des tawakkule 285
1. Die tawakkul- Graduierung als Resultat der Vermittlung zwischen
unvereinbaren towa&&uZ-Auffassungen 285
VIII Inhaltsverzeichnis
2. Die Normierung auf drei Stufen 286
3. Beispiele für den Niederschlag von Kritik und Subtilisierung des
tawakktda in Form einer tawakkvl-Graduierung 289
Namenregister 293
Sachwortverzeichnis 328
Bibliographie 340
I
Einleitung
Α. Die ursprüngliche Bedeutung von tawakkala
1. Die Wurzel wkl, deren V. Verbalstamm unser tawakkala bildet,
erfaßt im Arabischen den Sinnkomplex, der mit den Begriffen 'Beauf-
tragung, Vollmacht' verbunden ist. Der I. Stamm bedeutet '(jemand
etwas) anvertrauen, überantworten' (Inf. kilah). Dazu gehören die Sub-
stantive wakil (Bevollmächtigter, verantwortlicher Betreuer, Auf-
seher) und wakälah (Vollmacht, Betreuung). Der II. Stamm bezeichnet
— was sachlich auf dasselbe herauskommt — die Einsetzung eines
wakils und der VIII. Stamm, mit calä konstruiert, das Verhältnis zum
waltil, das 'Sichverlassen auf ihn'. Dazu gibt es eine Anzahl fremd-
radikaliger Synonyma: fai&wada (übergeben) zum I. Stamm, i'tamada
<alä (sich stützen, verlassen auf), seltener istanada ilä (sich anlehnen
an, stützen auf),'awvxda calä (sich stützen, verlassen auf, Hilfe suchen
bei) und rakana ilä (sich stützen auf) zum VIII. Stamm. Beide Grup-
pen, sowohl der Komplex des VIII. Stammes mit dessen Synonymen
als auch der entsprechende des I. und des damit nah verwandten
II. Stammes werden zur Definition, Umschreibung (in Qur'än-Kom-
mentaren) und Stellvertretung von tawakkala verwendet (a). Letzteres
allerdings wesentlich häufiger bei den Ausdrücken der ersten Gruppe,
die überhaupt dem ursprünglichen Sinn von tawakkala näher zu stehen
scheinen als die der zweiten. Jene begegnen oft allein, diese dagegen
gern durch einen Vertreter der ersten ergänzt, als Wesensinhalt des
tawakkula definiert (b). Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen
tawakkala und den andern Ausdrücken besteht darin, daß diese
profan, jener aber gewöhnlich nur in bezug auf Gott verwendet wird.
Die ausdrückliche Herleitung des tawakkula aus dem Begriff des
wakils finde ich erstmals bei Abü 'Utmän al-Hiri belegt (c). Hinweise
auf ein Bewußtsein dieses Zusammenhange lassen sich jedoch schon
aus früherer Zeit beibringen (d). Man kann sogar die Frage aufwerfen,
ob die etymologische Verknüpfung von tawakkala und wakil nicht
bereits in der gw'äraschen Formel „Verlaß dich auf Gott, Gott genügt
als waläl" vorliegt (d).
1 Beinert
2 Einleitung IAJal-3
a) 1. Der Ausdruck Synonymem, ist ein. problematischer Begriff. Echte Sy-
nonyma, d. h. Wörter, deren Begriffsbereiche sich genau überdecken, sind
bestenfalls selten. Darum geht es uns hier jedoch nicht. An den erwähnten
parallelen Ausdrücken zu tawakkala interessiert uns nur soviel, daß sie das
Wesen oder zum mindesten einen Wesenszug unseres Begriffe enthalten. Dies
verpflichtet uns, auch solche Betrachtungen und Äußerungen in die Unter-
suchung einzubeziehen, die nicht mit dem Worte tawakkala selbst, sondern mit
einem jener Ausdrücke arbeiten.
2. Die begriffliche Nahe eines Ausdrucks zu einem andern zeigt sich nament-
lich darin, daß er dessen Stelle einnehmen kann, α) Die Möglichkeit, tawakkala
zu vertreten, ist in erster Linie bei ittakala, dem VIII. Stamm des Radikale wkl
gegeben, unter gewissen Bedingungen sogar angebracht (vgl. III A3h2). Die
beiden Ausdrücke werden einander bisweilen definitionsmäßig gleichgesetzt. So
Lieän 11, 734b, 10; Ihyä' 4, 253, 22/Wehr, Öazzäli, 40, -11. ß) Ebenfalls beliebt
als Stellvertreter von tawakkala ist i'tamada. Als einige wenige Beispiele dafür
mögen die in IVAidly; IVBib4; ΙΙΙΑ1β2γ; IVA2f2ß; IIA5bl8 erwähnten
Sprüche dienen, γ) Für rakana ilä und istanada ilä in dieser Funktion sei auf die
Dicta ΙΠΑ2β2γ und IIIAifly verwiesen. 8) Für wakala und wakkala lassen eich
keine Belege beibringen. Ihr Begriffsbereich deckt sich offenbar zu wenig mit
dem von tawakkala.
3. Die Verwendung synonymer Ausdrucke zur Wesensbestimmung des tawak-
kide darf jedoch nicht ohne weiteres als Beweis für ihre begriffliche Identität
damit angesehen werden. Die sufischen Definitionen sind keine reinen Verbal-
definitionen, sondern sind dazu bestimmt, dem definierten Begriff mehr Relief
zu geben. Oft geben sie ihm eine bewußt einseitige, subjektive oder überspitzte
Farbe. Je näher daher die Bedeutung eines Synonymons zu der von tawakkul
steht, desto weniger wird man es zu dessen Definition benützen, α) Dies ist tat-
sächlich der Fall bei ittakala, das ich noch nie in dieser Funktion angetroffen
habe, ß) Hingegen verwendet man zur Definition von tawakkala häufig i'tamada,
allerdings mit der Einschränkung, daß es regelmäßig durch einen andern Be-
griff ergänzt wird, κ) Sei es nun durch nähere Bestimmung der Art und Weise
des i'timäd wie bei 'Amr b. 'Utmän, der den tawakkul als „sich richtig auf Gott
verlassen" deutete (Haqä'iq 287a, 3), a) sei es, daß der Sitz des i'timäd, das
Herz (vgl. IB4el und VA3a) miterwähnt wird. So schon Ibn 'Uyaynah (Haqä'iq
195b, 2), ferner Ibn Masrüq (Tab. Sul. 239, 2f.). i) Öunayd fugt noch den Gel-
tungsbereich bei: „(Tawakkvl besteht darin), daß sich das Herz in allen Lagen
(ahwäl, vielleicht konkret das Problem von III B2e2) auf Gott verläßt" (Luma'
53, 2f.). 1) Oder sei es, daß speziell die Richtung des i'timäd hervorgehoben
wird. So wie öazzäli sagt: „Tawakktd ist Ausdruck dafür, daß sich das Herz
auf den wakll allein verläßt" (Ihyä' 4, 253, 23f.), ähnlich äußert sich Ibn al-
Öawzi (Talhls 269, 12f.). n) Häufig bildet der i'timäd bloß einen Teilinhalt des
tawakktUa unter einer Mehrzahl von tawakkul-Elementen. Beispiele bieten
Harräz (Sidq 35, 9), Abu «Utmän al-Hiri (Haqä'iq 195a, 10f.; Ria. Qui. 84, 19f.,
übers. IÜAadly), Husayn (b. Man?ür al-Halläg?) (Haqä'iq 286b, -3; übersetzt
ΙΙΙΑθάΙγ), Ibn Qayyim (Madärifi 2, 136, -6). l) Auch dann ist der i'timäd oft
mit einer Ergänzung der vorher genannten Art verbunden. So bei Mü^&sibi
(Hüyah 10, 104, 3), Kubrä (Fawä'ih 88, 7f.), Ibn Qayyim (Μαά&ηξ 2, 120,
-4). γ) Istanada findet man selten in tawafefoul-Definitionen. Ein Beispiel
liefert Ibn Qayyim, Mad&ritj 2, 120, -4, wo jedoch dieser Auedruck bloß Teil-