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378.32/.34: 378.36/.37
FORSCH U NGSBE RICHTE
DES WIRTSCHAFTS- UND VERKEHRSMINISTERIUMS
NORDRH EI N-WESTFALE N
Herausgegeben von Staatssekretär Prof. Dr. h. c. Dr. E. h. Leo Brandt
Nr.601
Werner Barho
Ekkehard Stiller
Die Lage des technisch-wissenschaftlichen Nachwuchses
und der technisch-wissenschaftlichen Hochschulen
in der Bundesrepublik
All Manuskript gedruckt
WESTDEUTSCHER VERLAG I KOLN UND OPLADEN
1958
ISBN 978-3-663-03457-5 ISBN 978-3-663-04646-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-04646-2
Forschungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Dieser Forschungsbericht erscheint gleichzeitig als Heft Nr. 9 der
Schriftenreihe des Deutschen Instituts für Talentstudien im Westdeut
schen Verlag, Köln und Opladen
Forschungsberichtedes Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Vorwort
Das Deutsche Institut für Talentstudien hat bei seiner Gründung am
18. Dezember 1956 es als eine seiner Hauptaufgaben übernommen, engen
Kontakt mit den "jungen Menschen als einzelne Gruppe und als Gruppe"
zu halten, sie zu ermuntern, die individuellen und kollekti·ven Probleme
auf diesem Gebiete selbst in Angriff zu nehmen".
Ich habe diese Grundregel schon in meiner Eigenschaft als Hauptgeschäfts
führer des Deutschen Studentenwerkes 1920-1933 befolgt, ebenso, vielleicht
in noch verstärktem Maße, während meiner Tätigkeit als akademischer
Lehrer in England und Amerika 1934 bis 1954.
Es war für mich deshalb eine Selbstverständlichkeit, auch als Leiter des
Deutschen Institutes für Talentstudien jeder Aufforderung, vor Studenten
und Schülern zu sprechen, mit besonderer Freude nachzukommen. Dabei
habe ich jede Gelegenheit ergriffen, ausführliche Gespräche mit einzel
nen Studenten zu führen.
Die Arbeiten der drei Studenten
Hans von Stebut
Werner Barho
Ekkehard Stiller
sind das Resultat solcher Gespräche.
Es ist ein Grundsatz jeder ,echten Pädagogik, daß das Lernen, Verstehen
und Begreifen nicht von den Älteren auf die Jüngeren her abträufeln soll,
sondern sich als ein belebender Vorgang des Austausches zwischen Jüngeren
und Älteren gestalten muß. In diesem Sinne möchte ich den drei Autoren
auch an dieser Stelle aufrichtig danken für viele Anregungen.
Die heutige jüngere Generation ist durch ernste und schwere Ereignisse
frühzeitig gereift. Um aber selbst dem Anschein des Altklugen entgegen
zutreten, werden die Standpunkte und Gesichtspunkte der Jugend vielfach
stark, frisch und lebendig betont. Diese Mischung zwischen Ernst und
Frische gibt jeder Äußerung junger Menschen heute ihren besonderen Reiz.
Mögen die Leser diese Arbeiten dreier junger Menschen gerade deshalb
auch so reizvoll finden, wie ich es tue.
Reinhold SCHAIRER
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Forsohungsberiohte des Wirtsohafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Die nachfolgenden Ausführungen stellen die Meinung der Verfasser dar,
die sich nach den in Diskussionen, Umfragen und Tagungen gesammelten
Erfahrungen weitestgehend mit der Meinung eines großen Teiles der heu
tigen Studentenschaft deckt. Die Verfasser sind selbst Studenten einer
Technischen Hochschule und beurteilen die Lage und die Wünsche des
"technischen Nachwuchses" daher in erster Linie nach den dort vorliegen
den Verhältnissen, die sich jedoch innerhalb der Technischen Hochschulen
der Bundesrepublik nicht wesentlich unterscheiden dürften.
Die Weitläufigkeit des Themas bringt es mit sich, daß insbesondere bei
~in~elheiten bestimmter Förderungsarten und statistischen Zusammenstel
lungen auf andere Veröffentlichungen zurückgegriffen werden mußte, die
jedoch in jedem Falle durch Fußnoten angegeben sind. Außerdem befindet
sich am Schluß der Darstellung ein Verzeichnis sämtlicher benutzter
Unterlagen.
Karlsruhe, im März 1957
Die Verfasser
Die Arbeit stammt aus dem Frühjahr 1957. Sie spiegelt vor allem die
Bemühungen der Studentenschaften und Studenten um ~ie Vorbereitung
und Durchführung der großen Staatsstipendieneinrichtungen wieder, die
im sogenannten Honnefer Modell Gestalt geworden sind.
Sie ist deshalb von besonderem historischem Interesse.
Köln, den 1. Juli 1958
Reinhold SCHArRER
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Forschungsberichte des Wirtscbafts- und Verkebrsministeriums Nordrbein-Westfalen
Ein 1 e i tun g
Immer größer wird die Zahl der führenden Politiker, Wirtschaftler und
Wissenschaftler, die sich darin einig sind, daß die Zukunft eines Volkes
oder einer Völkergemeinschaft mehr und mehr vom Grad seines technischen
Fortschrittes, d.h. vom Zustandekommen und der Auswertung technisch
wissenschaftlicher Erkenntnisse abhängen wird. Über Wert und Unwert,
Vorteile und Nachteile dieser Entwicklung soll hier nicht gesprochen
werden. Sie sei vielmehr als absolute Realität festgestellt, als ein
Faktum, mit dem jede verantwortungsbewußte Persönlichkeit des öffent
lichen Lebens zu rechnen hat, ganz gleich, welche Stellung sie diesen
Verhältnissen gegenüber einnimmt.
Die Bundesrepublik Deutschland ist durch den ungeheuren Zustrom von
Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten zu einem der am stärksten
übervölkerten Länder der Welt geworden. Es ist für sie mithin unmöglich
geworden, alle oder auch nur den größeren Teil ihrer Einwohner aus den
landwirtschaftlichen Erträgen des eigenen Landes zu ernähren. Damit ist
die Notwendigkeit der Ausfuhr lohnintellsiver Produkte, vor allem von Ma
schinen, elektrischen Anlagen und Erzeugnissen der chemischen Industrie
gegeben, um die notwendigen Devisen für die Einfuhr von Lebensmitteln
und Rohstoffen zu beschaffen. Mit anderen Worten: wir sind auf Gedeih und
Verderb auf unseren Export und unsere Konkurrenzfähigkeit auf dem Welt
markt angewiesen, wenn wir eine Katastrophe in unserem übervölkerten
Land vermeiden wollen. Auf dem Weltmarkt kann aber nur
konkur~ieren
derjenige, der mit der technischen Entwicklung in der Welt Schritt hält.
Dies wiederum ist nur möglich, wenn ständig für einen ausreichenden
Stab von Technikern und Wissenschaftler gesorgt wird, der einerseits
imstande ist, die eigene technische Entwicklung voranzutreiben und ande
rerseits die Auslandes zu verfolgen.
~es
Diese Erkenntnis hat sich in den östlichen Ländern bereits seit ca. 25
Jahren durchgesetzt.
Im Gegensatz hierzu muß festgestellt werden, daß bei uns der Bedarf der
Industrie an technischem Nachwuchs von Jahr zu Jahr weniger befriedigt
wird. Die an den Technischen Fach- und Hochschulen fast täglich einge
henden Anfragen bzw., Angebote der Industrie sprechen in dieser Beziehung
eine deutliche Sprache.
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Forsohungsberichte des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
Ein Gegenstand besonderer Untersuchungen wäre nun die Frage, in welchem
Verhältnis aus der Praxis hervorgegangene Fachschulingenieure und Diplom
ingenieure der wissenschaftlichen Hochschulen gebraucht werden. Dieses
Problem näher zu erörtern fällt nicht in den Rahmen, den wir uns für
diese Arbeit gesteckt haben. Es soll später nur noch einmal kurz auf
die Frage eingegangen werden, ob ein Teil der jetzt an wissenschaftlichen
Hochschulßn Studierenden nicht zweckmäßiger eine Ingenieurschule besuchen
sollte.
Welches sind nun die Gründe für den Mangel an technischem technisch
~der
wissenschaftlichem Nachwuchs? Die Fehler beginnen nach unserer Meinung
in der Oberschule, wo in den höheren Klassen zu wenig auf die Möglich
keiten dieser Berufsausbildung hingewiesen wird. Ja, es ist nicht selten,
daß den Abiturienten gegenüber sogar von einem "bedenklichen Zustrom
zu den technischen Berufen" gesprochen wird, anstatt auf die vielseiti
gen Möglichkeiten und vor allem die ständig wachsenden Aufgaben der
Ingenieurberufe hinzuweisen. Die zuständigen Lehrer und Erzieher an den
Oberschulen sind noch zu sehr von den Idealen einer Zeit erfüllt, deren
Prinzipien auf die heutige Zeit nicht mehr anzuwenden sind.
Ein viel schwerer wiegender Grund für den Mangel an technisch-wissen
schaftlichem Nachwuchs ist aber durch die völlig un~ureichenden Möglich
keiten gegeben, ein akademisches Studium zu finanzieren, ein Problem,
auf das wir im folgenden ausführlich eingehen werden.
Der dritte, ebenfalls sehr wichtige Grund, scheinen uns die in fachlicher
Hinsicht an den Ausbildungsstätten bestehenden Mängel zu sein, die eben
falls ausführlich behandelt werden sollen.
I. Die derzeitige Lage Studentenschaft an technisch
d~r
wissenschaftlichen Hochschulen
1. Die wirtschaftliche Lage
Ein grundlegender Fehler, der bei dem Problem der Studienfinanzierung
leider auch in Hochschulkreisen des öfteren gemacht wird, ist die Tat
sache, daß den völlig veränderten Verhältnissen gegenüber der Zeit vor
dem zweiten und erst recht vor dem ersten Weltkrieg nicht genügend
Rechnung getragen wird. Bei dem allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand
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Forsohungsberiohte des Wirtsohafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
vor dem ersten Weltkrieg nahmen die Kosten eines Studiums nicht den Raum
im familiären Haushaltsplan ein wie heute. Weiterhin waren die Kreise,
deren Kinder ein Hochschul- oder Universitätsstudium begannen, weitaus
begrenzter. Es handelte sich fats ausnahmslos um Kinder mehr oder wefii
ger vermögender Eltern oder eines gesunden und wirtschaftlich solide
fundierten Mittelstandes. Die beiden Weltkriege rissen tiefe Lücken in
die wirtschaftlichen Fundamente der meisten Staatsbürger, ja, ein großer
Teil der ehemals gutsituierten Schichten wurde durch den zweiten Welt
krieg überhaupt seines gesamten Besitztums und damit seiner wirtschaft
lichen Existenzgrundlage beraubt.
Gleichzeitig aber - bedingt durch die technische Entwicklung - wuchs der
Bedarf an ausgebildeten technischen Fachkräften ständig.
wissensc~aftlich
Das hatte zur Folge, daß viele Studenten ohne finanziellen Rückhalt ein
Studium begannen. Dadurch erlitt der ursprüngliche Begriff "Werkstudent"
eine Bedeutungswandlung. Hatte man früher unter einem Werkstudenten
jenen verstanden, der durch eine kurze praktische Arbeit im Betrieb
vor dem Studium oder in den ersten Semesterferien die für sein Studium
notwendigen praktischen Erfahrungen sammelte, so ist der Werkstudent
heute jener, der durch den Verdienst aus regelmäßiger Werkarbeit die
finanzielle Seite des Studiums zu bestreiten sucht. Welche Ausmaße das
Werkstudententum im letzteren Sinn angenommen hat, geht aus der vom
Deutschen Studentenwerk e.V. im Sommersemester 1956 durchgeführten
Erhebung hervor. Danach sind zur Zeit 44,9 % aller Studenten vom Ver
%
dienst aus eigener Arbeit abhängig. Darin sind 11,0 (der -'Sesamten
Studentenschaft) enthalten, die ihr Studium ausschließlich von ihrem Ein
%
kommen als Werkstudenten finanzieren. 32,8 werden ausschließlich von
%
ihren Eltern unterhalten und nur ca. 9 können die gesamten Studienkosten
aus Beihilfen der öffentlichen Hand decken, auf die wir später noch
%
zu sprechen kommen. Ebenfalls etwa 9 erhalten zwar öffentliche Bei
hilfen, sind daneben aber auf Zuschüsse des Elternhauses oder auf
Werkarbeit angewiesen. Eine zahlenmäßige ist deshalb
~usammenstellung
schwierig, weil sich die drei Arten der Studienfinanzierung:
Elternhaus
Werkarbeit und
Öffentliche Hand
Sei te 7
Forschungsberichte des Wirtscbafts- und Verkehrsministeriums Nordrhein-Westfalen
in den meisten Fällen überschneiden. Es läßt sich lediglich für jede Art
einzeln eine kurze Zusammenstellung geben:
%
a) Elternhaus: 32,8 werden ausschließlich von ihren Eltern
unterhalten
%
33,5 können in unterschiedlichem Maße auf
nie Hilfe des Elternhauses zurück
greifen;
%
33,7 können keine finanzielle Hilfe vom
Elternhaus erwarten
%
b) Werkarbeit: 11,0 sind ausschließlich auf ihren Verdienst
aus Werkarbeit angewiesen;
%
33,9 sind in unterschiedlichem Maße auf Werk
arbeit angewiesen, d.h. sie erhalten
also noch zusätzliche Unterstützung
von Seiten des Staates oder des Eltern
hauses;
55,1 10 sind nicht auf Werkarbeit angewiesen.
%
c) öffentliche Hand: 9,0 bestreiten die Kosten ihres Studiums
ausschließlich aus Beihilfen der
öffentlichen Hand;
%
9,0 können dies in unterschiedlichem Maße.
sind daneben aber noch auf Zuwendungen
der Eltern oder eigene Werkarbeit an
gewiesen:
%
82,0 erhalten keine Beihilfen von öffent
licher Hand.
%
Wie aus b) hervorgeht, sind 44,9 aller Studenten auf Werkarbeit ~n den
Semesterferien oder auch während der Vorlesungszeit angewiesen. Die
Semesterferien sind - neben kurzer Erholung - in erster Linie für die
eigene Studienarbeit vorgesehen. Die Vorlesungen können sehr oft nur
Anregungen geben, die eigentliche Studienarbeit muß der Student in den
Semesterferien selbst leisten. Ist er aus zeitlichen Gründen dazu nicht
in der Lage, so ist meistens auch die Vorlesungszeit eine verlorene Zeit,
da der Siudent die dort empfangenen Anregurigen nicht verarbeiten kann.
Die Folge davon ist, daß sich das Studium verlängert, worauf zum großen
Teil die Überalterung der heutigen Studentenschaft zurückzuführen ist.
So betrug im Sommersemester 1956 die Quote der über 30-jährigen Studen
710.
ten immerhin
Wer ganz auf den Verdienst aus Werkarbeit angewiesen ist, muß auch wäh
rend der Vorlesungszeit Geld verdienen. Sieben Monate im Jahr sind Vor-
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lesungsmonate, fünf Monate sind vorlesungsfrei. Es ist für einen Studen
ten unmöglich, in 5 Monaten so viel zu verdienen, daß er damit 12 Monate
leben und die hohen Studiengebühren, Bücher, Schreib- und Zeichengeräte
usw. bezahlen kann. Die Folgen der ständigen Werkarbeit sind Überanstren
gung, die oft bis zur völligen physischen Erschöpfung führt, schlechte
Prüfungsergebnisse als Folge von mangelhaftem Wissen, das den in der
Praxis gestellten Anforderungen nicht genügt. Eine Untersuchung über den
Gesundheitszustand der Studierenden [1J hat ergeben, daß gewisse Krank
heiten bei Studenten weitaus häufiger auftreten als bei vergleichbaren
Bevölkerungsgruppen anderer Berufe. Zu diesen Krankheiten gehören vor
allem:
Geistige und psychoneurotische Störungen sowie Erkrankungen des
Nervensystems,
Erkrankungen des Herzens und Krankheiten des Magens und des Zwölf
fingerdarmes.
Von den rund 140 000 Studenten des vergangenen Sommersemesters 1956 be
fürchteten 26 000, aus wirtschaftlichen Gründen ihr Studium unterbrechen
zu müssen. - Das Ende eines Bildungsganges, der von ständiger Sorge um
den täglichen Lebensunterhalt gezeichnet war, ist ein nervlich, seelisch
und physisch vollkommen abgewirtschafteter Mensch, der den Aufgaben,
die er im Leben gestellt bekommt, in keiner Weise gewachsen ist.
Unwillkürlich drängt sich hier die Frage auf: Und was tut der Staat,
die Gesellschaft, die Öffentliche Hand, um diesem Mangel abzuhelfen?
Wer versucht, eine erschöpfende Antwort auf diese Frage zu finden, wird
sich einem völlig undurchsichtigen und unübersichtlichen Labyrinth von
Gesetzen, Verfügungen, Erlassen und Verordnungen, von privater, öffent
licher, halböffentlicher und konfessioneller Hilfsbereitschaft gegen
übersehen.
Anläßlich des IV. Deutschen Studententages in Hamburg ist im Mai 1956
vom Verband Deutscher Studentenschaften der Versuch unternommen worden,
die wesentlichsten der gegenwärtigen Unterstützungen von Studenten in
einer Gliederung zusammenzufassen. Diese Gliederung soll in stark ver
kürzter Form hier wiedergegeben werden: [2]
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