Table Of ContentOlaf Rippe
Margret Madejsky
des Paracelsus
Naturphilosophie
Signaturenlehre
Astrologie der Heilkräuter
Alchimie und Spagirik
Magie mit Heilpflanzen
Heilpraxis
Verlag
Wichtiger Hinweis für den Leser
Trotz sorgfältiger Überprüfung sind die im Buch aufgeführten Hinweise,
Rezepte, Dosierungsangaben und Applikationsformen ohne Gewähr;
eine Garantie bzw. Haftung übernehmen daher weder der Verlag noch die
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mit einem Arzt oder Heilpraktiker festzustellen, ob die Empfehlungen für
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Angaben in diesem Buch abweichen. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt
auf eigene Gefahr und muss in jedem Fall individuell abgewogen werden.
Geschützte Warennamen (Warenzeichen) sind nicht gesondert kenntlich
gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen
werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.
Sämtliche vorgeschlagenen Therapiehinweise und Rezepte haben aus
schließlich einen modellhaften Charakter. Sollten Sie weder Heilpraktiker,
Arzt noch Apotheker sein, bedenken Sie bitte bei einer Selbstmedikation,
dass hierfür ausreichende Kenntnisse der Heilkunst erforderlich sind.
2. Auflage, 2009
© 2006
AT Verlag, Baden und München
Lektorat: Barbara Imgrund, Heidelberg
Umschlagbilder: Olaf Rippe, Margret Madejsky
Lithos: Vogt-Schild Druck, Derendingen
Druck und Bindearbeiten: Appl, Wemding
Printed in Germany
ISBN 978-3-03800-313-7
www.at-verlag.ch
Inhalt
Vorwort
13 Mensch und Heilpflanze
14 Vom Zauberglauben zum Wirkstoffkult: Paracelsus und die Geschichte
der Kräuterheilkunde
14 Der Grenzgänger Paracelsus
16 Naturverehrung als Quelle der Weisheit
18 Urwege der Erkenntnis
20 Das Zeitalter der Mysterien
23 Die Medizinphilosophie der Antike
26 Von der Mystik zur Wissenschaft
31 Die Pflanze als Wirkstoffträger
33 Das Geistartige der Arznei
35 Kräuterbücher von der Antike bis heute (Tabelle)
39 Das Licht der Natur: Philosophie als Grundlage der Heilkunst
39 Die Freiheit des Menschen
41 Das Staunen über das Wunderbare
43 Das Unsichtbare in der sichtbaren Welt
45 Das fantastische Reich der Elementar- und Fabelwesen
47 Von Nymphen, Sylphen, Zwergen und Salamandern
53 Die Wunderarznei des Paracelsus
58 Die vier Mütter des Lebens
63 Die Trinität Sulfur - Merkur - Sal
66 Der dreigliedrige Mensch
69 Signaturenlehre: Die Zeichensprache der Natur
69 Wege der Heilmittelerkenntnis
73 Schule der Wahrnehmung
77 Das Heilmittel als Spiegelbild der Krankheit
81 Signaturbetrachtungen am Beispiel der Brennnessel (Urtica dioica)
88 Signaturbetrachtungen am Beispiel des Johanniskrauts (Hypericum perforatum)
92 Signaturrezepte
95 Astrologie der Heilkräuter: Die Welt als Spiegelbild kosmischer Kräfte
95 Kosmische Sphärensinfonie
97 Der Mensch als Abbild des Kosmos
100 Die sieben Planetenorgane und ihre Krankheiten
106 Die kosmische Natur der Heilmittel
113 Heilen im Einklang mit den Sternen
116 Kairos: Die Qualität der Zeit beim Sammeln und Verarbeiten von Kräutern
118 Astrologische Therapieideen
126 Alchimie und Spagirik: Traditionelle Wege der Heilmittelherstellung
126 Die Mutter aller Wissenschaften
127 Alchimie als Einweihungsweg
130 Quintessenz und Arcanum
133 Der »grüne Geist« in der Flasche: Uber alkoholische Pflanzenauszüge
136 Das Sal-Prinzip der Asche: Die Kalzination
139 Die alkoholfreie Arznei
141 Die Kunst der Destillation
145 Der Pflanzengeist
147 Einige Hersteller spagirischer Heilmittel
153 Therapie mit Heilpflanzen
154 Krankheitsursachen und Heilungswege
154 Krankheit und Heilung als multifaktorielles Geschehen
160 Heilpflanzen am Geburtsort des Paracelsus
161 Von Adlerfarn bis Zinnkraut
174 »Wider Pestilenz und faule Geschwer«: Infektionen und Hautleiden
bei Paracelsus
174 Vom Wundfieber zum Krankenhauskeim
175 Von der balsamischen Tugend des Sankt-Johannes-Krauts
180 Sanikel, das Heiligenkraut der Volksmedizin
183 Die antibiotischen Kräfte des Wegerichs
186 Einige vergessene Wundkräuter des Paracelsus
192 Über die Heilkraft der Harze: Mit Weihrauch und Myrrhe präpariert
für die Ewigkeit
198 Der deutsche Balsambaum: Die Lärche
201 Die Pestarzneien des Paracelsus
206 Der Theriak der armen Leute
208 Volksmedizinische Knoblauch- und Zwiebelrezepte wider die Pestilenz
210 Vom Weihrauch der nordischen Völker
211 Pesträucherung nach Paracelsus
212 Der innere Alchimist: Gewürze und Heilkräuter für Magen und Darm
212 Von der Nahrung zur Quintessenz
214 Wie man den inneren Alchimisten heilt
215 Verstopft wie die Tore zur Hölle
218 Von der Schwächung durch Abführmittel
219 Der Ausscheidungsweg als Eingang für die Gesundheit
221 Uber heilsame Bitterstoffe: 1000 Gulden für eine gute Verdauung
228 Wie man die Winde überlistet
233 Wacholderbeeren gegen schlechten iMagen
235 Exotische Gewürze bei Paracelsus
239 Liebesgewürz und Todestrank: Doldenblütler bei Paracelsus
248 Tartarus und Entgiftung: Stoffwechselkrankheiten und Ausleitungs-
therapien
248 Vergiftung: Ein zentrales Thema der Heilkunde
250 Von Schlacken und vom Tartarus
252 Entgiftung: Die Basis jeder Therapie
257 Die besonderen Zeichen der reinigenden Kräuter
263 Beispiele für entgiftende Heilpflanzen bei Paracelsus und in der Volksmedizin
276 Die Heilkraft des Weins
277 Das Sulfurische des Weins: Uber Weinessig und Weinsäure
_J8n J3s "rK r oiVm ntarwer l>fe r: iTf rar oy r vWfflSfgftr
285 Die Frauenheilkunde des Paracelsus
285 Grundregeln der Frauenheilkunde nach Paracelsus
291 Die Blutstiller des Paracelsus
292 Die blutflusshemmenden Kräfte der Rosengewächse
296 Die Menstruationsmittel des Paracelsus
298 Die Artemisiagewächse in der Frauenheilkunde
305 Frauenkräuter - Männerkräuter
309 Die Planetenkräfte der Frauenarzneien
313 Signaturrezepte in der Frauenheilkunde
316 »Die Sonne im Menschen«: Herzerkrankungen und deren Therapie
316 Heimat der Seele und Organ der Lebenswärme
319 Die goldene Mitte
323 Herzenstrost und Wohlgemut: Blaue Blüten für die Seele
325 Kräuter für Lebenskraft und Seelenwärme
332 Stachelige Pflanzen zur Herzstärkung
336 Rhythmische Signaturen von Herzpflanzen
343 Das Herz in der modernen Medizin: Herzglykoside
348 »De vita longa«: Über Lebenselixiere und die Kunst des langen Lebens
348 Das Geheimnis des Methusalem
351 Das Wasser des Lebens: Aqua vitae
356 Melisse: Ein Arcanum für Herz und Seele
361 Safran: Das königliche Gewürz
364 Gewürze der Sonne
366 Pflanzen der Mittwintersonne
369 Schwarze Nieswurz: Die Blume für den Lebenswinter
374 Goldhaltige Elixiere
375 Traditionelle Lebenselexiere
378 »Wider das Berufen«: Psychoregulation mit den Heil- und Zauberpflanzen
des Paracelsus
378 Leidenschaft und Selbstverzauberung
381 Seelenbalsam und Homunculus
389 Johanniskraut als Fuga daemonum
392 Von der Macht der Imagination
394 Schutz für Haus und Hof
395 Abwehrzauber mit Berufskräutern
398 Uber das Berufen und Verzaubern heute
400 Die besonderen Kräfte der roten Koralle
402 Weitere Abwehrmittel des Paracelsus
405 Magische Pflanzen gegen .Anfallsleiden
407 Der Heilschlaf und die Somnifera bei Paracelsus
410 Schlafmohn: Von der Blume des Hypnos zum Sedativum des Paracelsus
413 Mandragora: Zauberwurzel und Narkotium der Weisen
417 Bilsenkraut: Schlafkraut und Zahnwurzel des Paracelsus
421 Rezepte für einen gesunden Schlaf
Anhang
424 Biografische Notizen zu Paracelsus
429 Praktische Hinweise
431 Literatur und Internetadressen
441 Stichwortindex
459 Heilmittelindex
461 L'ber die Autoren
463 Danksagung
Mensch und Heilpflanze
, ,
»Alle Erkenntnis der Welt die wir Menschen auf Erden besitzen stammt nur
aus dem Lichte der Natur Dieses Licht der Natur reicht vom Sichtbaren
zum Unsichtbaren und ist hier so wunderbar wie dort. Im Lichte der Natur ist
das Unsichtbare sichtbar.« (Paracelsus 1/221)
Vom Zauberglauben zum Wirkstoffkult
Paracelsus und die Geschichte der Kräuterheilkunde
»Den Heiden ist die älteste Arznei gegeben worden,
diese sind die ältesten Arzte.«
(Paracelsus 1/498)
Der Grenzgänger Paracelsus vielen Fällen etwas antiquiert erscheinen; wenn
man sie aber zeitgemäß interpretiert, dann zeigt
Theophrast Bombast von Hohenheim, der sich sel sich meistens, dass die angegebenen Indikationen
ber Paracelsus nannte, war nicht nur einer der be nicht Fantasiegebilde sind, sondern auf Erfahrun
deutendsten Arzte und Medizinreformatoren in der gen beruhen, die immer noch ihre Gültigkeit
Geschichte der abendländischen Heilkunde, er war haben. Wir haben jedenfalls feststellen müssen, dass
auch ein begnadeter Naturforscher, ein tiefsinniger man die Bücher auch in ihren kuriosen Aussagen
Philosoph und ein profunder Kenner der Heilpflan ernst nehmen sollte. Sie entsprechen wesentlich
zenwelt. In seinem umfangreichen Werk erwähnte mehr dem therapeutischen Alltag als die »spartani
er immerhin um die 400 Pflanzen (O. Nowotny, schen« Angaben in neuzeitlichen Büchern. Diese
1997). Leider blieb sein Vorhaben, ein eigenes mögen zwar wissenschaftlich abgesegnet sein und
Kräuterbuch zu schreiben, unvollendet. Man findet man sollte sie selbstverständlich berücksichtigen,
in seinen Schriften daher kaum Monografien, son
dern vor allem therapeutische Hinweise zum Um
gang mit Heilpflanzen, aber auch umfangreiche
philosophische Betrachtungen zu Natur und Pflan
zenwelt.
Vergleicht man seine Texte zu Heilpflanzen mit
den berühmten Kräuterbüchern des 16. Jahrhun
derts, z.B. von Fuchs, Bock oder Tabernaemonta-
nus, so erscheinen sie auf den ersten Blick nicht
sehr umfangreich, vor allem was botanische Anmer
kungen angeht. Doch diese Sicht täuscht, denn ins
gesamt dürften seine Ausführungen zur Therapie
mit Heilpflanzen viele hundert Seiten umfassen,
nur sind sie über das ganze Werk verstreut. Bei
Paracelsus stand nie die Pflanze selbst im Mittel
punkt der Betrachtung, sondern immer das Natur
verständnis sowie natürlich der kranke Mensch und
damit die Therapie mit Pflanzenarzneien. Aus der
Sicht des Praktikers sind allein die zahlreichen und
unermesslich wichtigen therapeutischen Anregun
gen Grund genug für ein Buch dieser Art.
Natürlich zitieren wir in diesem Buch auch die
Kräuterbücher seiner Zeitgenossen oder seiner • Avreolws Phili rrvsTmeophrastVs ,
Schüler. Sie sind nicht nur ein bibliophiler Genuss,
Paracelsus mit seinem Schwert, in dessen Knauf sich
der seinesgleichen sucht, sondern auch in prakti
das Elixier des Lebens befunden haben soll. Universitäts
scher Hinsicht sehr nützlich. Die Sprache mag in bibliothek Leiden, um 1560.
die daraus abgeleitete Praxis ist aber oft wenig über beginnenden Renaissance. Es war eine Zeit des
zeugend, da sie der Individualität und Vielfalt von gesellschaftlichen Umbruchs und der geistigen
Krankheiten in keiner Weise gerecht wird. Neuorientierung. Alte spirituelle Werte wurden in
Liest man dagegen Paracelsus, dann strotzt jede Zweifel gezogen, und unser heutiges naturwissen
Seite nur so vor Erfahrung, und die zahlreichen schaftliches Weltbild entstand. »Der Mensch war
praktischen Tipps zeigen einem ungeahnte thera nicht mehr nur Ziel und Zentrum in einem groß
peutische Möglichkeiten. Abgesehen davon sind die artig erdachten Weltsystem, in dem, wie in der
Texte unterhaltsam, und immer ist die Therapie aus gnostischen Lehre, das Personale hinter dem Kos
einem philosophischen Verständnis abgeleitet mischen zurücktrat und der Einzelne ein ver
Die Kräuterkunde des Paracelsus ist eine faszi schwindendes Teilchen in einem erdrückenden
nierende Mischung aus volksmedizinischem und Kosmos war. Er wurde in der Renaissance in seiner
eigenem Erfahrungswissen, antiker Medizinphilo Einmaligkeit und Verantwortung zu einem Indivi
sophie, uralter heidnischer und hermetischer Weis duum, und die Medizin begann bei Paracelsus zu
heit sowie Kenntnissen der »empirischen Weiber«, einer Wissenschaft vom Menschen zu wrerden« (G.
wie man die kräuterkundigen Frauen zu jener Zeit Stille, 1994).
nannte. Gleichzeitig öffnet sich mit Paracelsus die Paracelsus war jedoch ein Grenzgänger. Mit
Tür zu einem neuartigen wissenschaftlichen Welt- einem Bein stand er noch im »abergläubischen«
rerständnis und zu einer modernen Medizin mit Mittelalter, mit dem anderen bereits weit in einer
Heilpflanzen. So gilt Paracelsus auch als Begründer »aufgeklärten« Zukunft. Einerseits vertrat er ein
der Iatrochemie (also der Anwendung chemischer pantheistisches mystisches Weltbild, das von Fabel
Kenntnisse zur Herstellung von Arzneimitteln) - wesen und Engeln belebt war, andererseits er
und er war ein Meister der Alchimie.1 forschte er die Natur mit den Augen eines moder
Sein Weltbild beruhte auf den unterschiedlichs nen Chemikers und Pharmazeuten.
ten mystischen, magischen und heilkundlichen Tra Heute befinden wir uns wieder an einem ent
ditionen, die sich bis zu den ägyptischen Mysterien- scheidenden Wendepunkt. Das verkrustete reduk-
krjlten zurückverfolgen lassen. Ähnlich der engsten tionistische Weltbild unserer Zeit löst sich langsam
Stelle einer Sanduhr fließen im Gedankengebäude auf, denn es bietet schon länger keine Antworten
des Paracelsus sämtliche Zeitströme der Vergan mehr auf die sozialen, ökonomischen und vor allem
genheit zusammen. In seinem Geist verschmolz ökologischen Probleme unserer Zeit. Auf der Suche
iis alte Wissen mit seinen eigenen Erfahrungen, nach Alternativen ist es auf jeden Fall sinnvoll, auch
snd heraus kam ein geistiges Destillat, das als in die Vergangenheit zu schauen. Altes Wissen ist
?r»as völlig Neues die Heilkunst für alle Zeiten nicht veraltet, sondern es ist die Wrurzel unseres
verändert hat. heutigen Denkens. Vielleicht ist es auch der Schlüs
Das Neuartige und Ungewöhnliche seiner Ideen sel zu einer philosophisch orientierten Heilkunst, in
»ird jedoch erst verständlich, wenn man ihre his der man die Weisheit der Eingeweihten aus alter
torischen Wurzeln genauer betrachtet. In seinem Zeit endlich wieder genauso berücksichtigen wdrd
Weltbild integrierte er einerseits magische Techni wie naturwissenschaftliche Erkenntnisse.
ken. andererseits aber auch das Wissen der Priester-
irzte und Medizinphilosophen antiker Mysterien- » Uralt-Heidnisches, schlimmsten Aberglauben des
cilte: er schätzte ferner die christliche Mystik und untersten Volkes vortäuschend, brachte er (Paracelsus)
die verschlungenen Gedankenpfade der Adepten herauf. Der christliche Spiritualismus verwandelte
der Alchimie, und nicht zuletzt war er auch ein sich in seine prähistorische Vorstufe, in den Animis
Freund humanistischer Geistesgrößen wie Erasmus mus des Primitiven, und die scholastische Geistes
von Rotterdam. bildung des Paracelsus erzeugte daraus eine Philoso
Paracelsus war nicht nur ein großartiger Arzt, phie, die sich keinem christlichen Vorbild, sondern
sondern auch einer der bedeutendsten Denker der vielmehr dem Denken der bestgehassten Feinde der
Kirche, der Gnostiker, annäherte.« (C. G. Jung,
1 Andere Schreibweisen sind Alchemie oder Alchymie. 2001)
Naturverehrung als Quelle der Weisheit
Paracelsus war Arzt, folglich hatte er die zu seiner
Zeit üblichen akademischen Hürden mehr oder we
niger erfolgreich gemeistert. Bevor man sich dem
Medizinstudium widmen konnte, musste man da
mals zunächst eine geisteswissenschaftliche Schu
lung absolvieren. Hatte man endlich das Vorstu
dium geschafft, stand allerdings das Büffeln der
Schriften alter .Meister auf dem Lehrprogramm -
und nicht die praktische Erfahrung am Kranken
bett.
Man leitete in der Medizin des ausgehenden
Mittelalters noch jedes Phänomen vom antiken
Weltbild der Säftelehre ab. Die Ideen der antiken
Arzte galten als heilig und unantastbar. Eigene Vor
stellungen waren unerwünscht, und jegliche Kritik
wurde unterdrückt.
So enthielt beispielsweise noch im Jahre 1676 die
Stiftungsurkunde der ersten protestantischen Uni
versität zu Helmstedt den Passus: »dass, wer sich
erkühne, einen eigenen neuen Gedanken zu ver
folgen, oder wer gar seine Lehre denen der Alten
überzustellen sich unterfange und deren Lehren
entgegenzutreten sich herausnehme, der sei ein
Verächter der Heiligen und als lächerlich zu erach Der römische Dichter Ovid beschreibt in seinen Metamor
ten; denn solche Anmaßung könne allein ihren phosen die Pflanzenwelt als verwunschenes Reich der Götter
und Geister, so z.B. in der Geschichte von Apollon und Daphne.
Grund haben in L'nkenntnis der Lehren des Alter
Die Nymphe verwandelte sich aus Verzweiflung vor der
tums, in Beschränktheit und Stumpfsinn« (zit. n. Zudringlichkeit des Sonnengottes in einen Lorbeerbaum.
Strebei, 1948). Im Orakelkult zu Delphi spielte der lichte Baum, den man
im Griechischen auch mantikos (Hellsehkraut) nannte, eine
Der Missmut des Paracelsus über seine Ausbil
wichtige Rolle. »Apollo und Daphne« (Detail), Ölbild von
dung ist daher kein Wunder. Seiner Meinung nach
Nicolas Poussin, um 1627; Alte Pinakothek, München.
war »noch nie ein Arzt von den Hohen Schulen
hervorgegangen, auch nie einer, der imstande gewe
sen wäre, mit wahrem Wissen die Ursache der we Als unruhiger Geist, der eigentlich niemals ein
nigsten Krankheiten darzulegen« (1/339). »Es gibt wirkliches Zuhause fand, wanderte Paracelsus nach
genug Lehrmeister, die den Arzt lehren, aber nicht seinem Studium jahrelang durch ganz Europa, um
auf den Hochschulen. Dort sind auserwählte Nar die nötigen Erfahrungen zu sammeln. Er nahm
ren und Büffel und niemand darf sie weise machen, sogar an mehreren Kriegen als Feldarzt teil. Da
denn sie haben Bullen und Statuten, dass sie bei durch hatte er genug Gelegenheit, wirklich erfahre
ihrem Eid nicht witziger werden dürfen, und so nen Heilem über die Schulter zu schauen. Seine
werden die Hochschulen von solchen freiherrlichen Schule war vor allem das gemeine Volk. Wie er sel
Narren beherrscht« (11/322). Die in seinen Augen ber sagte, lernte er bei alten Weibern, Zigeunern,
völlig unerfahrenen Hochschulärzte nannte er fan Schwarzkünstlern, Landfahrern, alten Bauersleuten
tasievoll »Schwaderlappen« (11/328), »Lumpel- und anderen »unachtsamen« Leuten mehr als auf
Arzte« (11/368), »Doktor Fürtzlein«, »Meister Läu- den hohen Schulen, die er besucht hatte (IV/325).
sejäger«, »Meister Kratzer«, (11/515), »Plärrärzte« Die Erfahrungen der Volksmedizin baute er völ
(11/520) oder »Schmierdoktoren« (11/521). lig hemmungslos in sein Denksvstem ein, selbst