Table Of ContentMoritz Schmidt,
Die Krankheiten der oberen Luftwege.
Die
Krankheiten der oberen Luftwege.
Aus der Praxis für die Praxis.
Von
Prof. Dr. Moritz Schmidt.
Dritte, sehr vermehrte und verbesserte Auflage.
.'Jfit 182 Abbildungen im Text und 7 Tafeln.
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
1903.
ISBN 978-3-662-36064-4 ISBN 978-3-662-36894-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-36894-7
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten.
Softcover reprint of the hardcover 3rd edition 1903
Vorrede zur ersten Aufiage.
Als mir von der Verlagsbuchhandlung der Antrag gemacht
wurde, ein Buch über die Nasen- und Halskrankheiten zu schreiben,
wollte ich ihn zuerst ablehnen, da es mir für einen mitten in
einer grofsen ärztlichen und sonstigen Tätigkeit stehenden Mann
fast unmöglich dünkte, ein auf gründlichen Studien beruhendes
Buch zu verfassen. Dann aber lockte mich doch der Wunsch,
meine mehr als dreifsigjährigen Erfahrungen einmal zu sichten
und durchzuarbeiten. Ich erwartete davon zunächst einen grofscn
Nutzen für mich selbst, und dann hoffte ich, meinen Kollegen
vielleicht dienlich sein zu können, indem ich ihnen das Wichtigste
aus meinen Erfahrungen mitteilte.
Ich habe auf dem Titel gesagt: "Aus der Praxis für die
Praxis", weil ich erstens für den praktischen Arzt schreiben wollte,
um ihn, wo möglich, an. der Hand meines Buches zu überzeugen,
dafs es für ihn kein unerreichbares Ziel ist, die Handhabung des
Spiegels und der Instrumente zu erlernen. Ich kenne einen über
fünfzig Jahre alten Kollegen, der sich noch ganz vertraut damit
gemacht hat. Meiner Meinung nach kümmern sich die praktischen
Ärzte im allgemeinen zu wenig um die Ergebnisse der Spezial
f:'icher, die meisten verschmähen es, auch nur einmal den Ver
such zu machen, sich etwas eingehender damit zu beschäftigen.
Andere verlieren nach einem vergeblichen Versuch gleich den
Mut und überlassen den Fall vertrauensvoll den Spezialisten.
In der Stadt geht dies ja noch an, aber auf dem Lande hat man,
trotz der grofsen Menge von Spezialisten, doch nicht immer gleich
einen solchen bei der Hand. Würden die praktischen Ärzte den
Versuch, die Handhabung des Laryngoskops zu erlernen, um ein
naheliegendes Beispiel anzuführen, mit ein klein wenig mehr
Ausdauer machen, so wären sie bald in dem Stande, eine grofse
Menge derartiger Kranker selbst zu heilen, die jetzt den Weg zu
dem Spezialisten getrieben werden. Der praktische Arzt erklärt
in Unkenntnis, teilweise auch in geringschätzender Ablehnung
VI Vorrede zur ersten Auflage.
der Ergebnisse dessen, was in dem Spezialfache geleistet wird,
gar zu gerne die Klagen des Kranken für nervöse. Geht dann
der nicht geheilte Kranke zu einem Spezialisten und findet dieser
mit leichter Mühe als Ursache einer lange dauernden bisher ver
geblich behandelten, halbseitigen Trigeminusneuralgie, z. B. einen
Mandelpfropf und heilt den Kranken, der durch sein Leiden sehr
belästigt war, durch das Auskratzen dieses Pfropfes in wenigen
Sekunden, so gewinnt meiner Meinung nach der Spezialist ganz
unnötiger Weise an Ansehen und der Hausarzt wird geschädigt,
was er hätte vermeiden können, wenn er nur einmal die Spitze
der Mandel mit einer Sonde berührt hätte, wobei der Kranke ihm
sicher diese Stelle als Ausgangspunkt der Schmerzen bezeichnet
haben würde. Ein anderer mir sehr häufig vorkommender Fall
ist, dafs ich gerufen werde, um einen peritonsillären Abszefs auf
zuschneiden. Das kann doch jeder praktische Arzt auch tun,
dazu bedarf es sicher keines Spezialisten. Der praktische Arzt
sollte wenigstens soweit die Spezialdiagnose beherrschen, dafs z. B.
Kranke mit Stimmbandpolypen oder Nebenhöhleneiterungen nicht
in Bäder geschickt werden, wie das alle Jahre oft vorkommt.
"Aus der Praxis für die Praxis" soll aber zweitens noch
sagen, dafs ich auch einen Nutzen für das Spezialfach von einer
regeren Beteiligung der praktischen Ärzte erwarte. Dieselben
kommen doch eher als die Spezialisten in die Lage, eine Menge
Fragen entscheiden zu können, wie die über die Erblichkeit des
Krebses, über den hypothetischen Zusanunenhang der Ozaena mit
Gonorrhoe u. s. w. Sie kommen öfter dazu, einen Apoplektiker
Iaryngoskopieren zu können, .u m etwa vorhandene Lähmungen der
Stimmbänder. im Interesse einer weiteren Ausbildung der Lehre
von den Nervenzentren im Gehirn und Rückenmark verwerten zu
konnen, und so vieles andere mehr.
Ich war bemüht, mich bei der Abfassung meines· Buches
-ganz auf den Standpunkt des praktischen Arztes zu stellen und
seine Bedürfnisse immer vor Augen zu haben. Der Begriff "prak
tisches Bedürfnis" kann ja verschieden aufgefafst werden; was
mir als solches erschien, hat vielleicht für einen anderen nicht
denselben Wert.
An -wissenschaftlich hervorragenden Werken ist ja kein
Mangel; wir haben in: Deutschland den Vorzug, zwei Werke zu
besitzen, wie :das von GoTTSTEIN über Kehlkopfkrankheiten und
das von ScHECH über Nasen- und Schluridkrankheiten, aufser den
mit so vieler Erfahrung geschriebenen Büchern von B. FRÄNKEL,
SCHRÖTTER, Ju.RASZ und den sonstigen wertvollen Abhandlungen
über gröfsere und kleinere Abschnitte unserer Spezialität. Nament-
Vorrede zur ersten Auflage. VII
lieh die neuen Auflagen von GoTTSTEIN und SCHECH sind in der
sie so auszeichnenden, kurzen, klaren Darstellung an wissenschaftc
liebem Wert und Vollständigkeit kaum zu übertreffen. Viele der
neueren Werke, die sich nicht auf den Kehlkopf beschränken,
haben einen kleinen Nachteil, dafs sie die einzelne Krankheit an
drei bis vier verschiedenen Stellen abhandeln, wodurch meiner
Empfindung nach die Einheit des Krankheitsbildes leidet.
Ich habe in dem vorliegenden Buche den Vers11ch gemacht,
indem ich mich nur auf den praktischen Standpunkt stellen wollte,
jede Krankheit durch das ganze Gebiet im Zusammenhange zu
verfolgen. Ob der Versuch gelungen ist, das müssen die Kol
legen, namentlich die praktischen Ärzte, entscheiden, hoffentlich
unter gütiger Berücksichtigung der mir knapp zugemessenen Zeit.
Eine jede Einteilung bat ihre Nachteile und auch die meinige,
denn durch sie werden wieder die lKrankheiten der einzelnen
Abschnitte der oberen Luftwege zerrissen. Mir erschien dies in
dessen der geringere Nachteil, der auch zum grofsen Teil durch
das ausführliche Register ausgeglichen sein dürfte. Es bleiben
bei meiner Einteilung auch eine Anzahl Abschnitte übrig, welche
sich die Einreihung in das Ganze nur mittels der Anwendung
eines gewissen Zwanges gefallen lassen wollen. Bei denselben
habe ich auch nicht eigensinnig an dem System festgehalten,
sondern einzelne Erkrankungen, welche, obgleich zum Ganzen
gehörend, doch praktisch eine Gruppe für sich bilden, in beson
deren Abschnitten abgehandelt, so die Erkrankungen der Mandeln;
andere, wie die Ödeme z. B., bei den eitrigen Entzündungen
untergebracht, obgleich ein grofser Teil derselben weder etwas
mit Entzündung noch mit Eiter zu tun hat.
Aus Rücksicht auf die Bestimmung des Buches für praktische
Ärzte, welche doch nicht so gewöhnt sind, alle einschlagenden
Verhältnisse gleich immer vor Augen zu haben, sind wichtigere
Gesichtspunkte an verschiedenen Stellen wiederholt worden; denn
ich weifs aus Erfahrung, dafs es nichts schadet, auf solche wieder
holt aufmerksam gemacht zu werden.
\
Bei der Anatomie habe ich die Kenntnis der systematischen
Anatomie vorausgesetzt. Will ein Kollege dieselbe auffrischen,
so kann er sein Handbuch hervorholen, oder wenn er keines mehr
besitzt, sich eines leihen. Ich habe die Anatomie mehr topo
graphisch genommen. Darin liegt aber die Gefahr, dafs ich mich
nicht klar und verständlich genug ausgedrückt haben könnte,
weil wir Spezialisten so gewöhnt sind, mit gewissen anatomi
schen Begriffen zu arbeiten, dafs es uns unbegreiflich erscheinen
will, wenn andere dieselben nicht gleich so zur Hand haben.
VIII Vorrede zur ersten Auflage.
Ich habe mich nach Möglichkeit bemüht, diese Gefahr zu um
gehen.
Eine ausführliche, vielleicht zu ausführliche Darstellung haben
die Abschnitte über den chronischen Katarrh, über Physiologie
und derjenige über die Nervenerkrankungen gefunden. Ich glaubte,
dies tun zu sollen, weil die Kranken mit chronischem Katarrh
die bei weitem gröfsere Mehrzahl der Besucher unserer Sprech
stunden bilden und weil die Kenntnis der Physiologie und der
Erkrankungen der Nerven in den oberen Luftwegen so viel zu
dem Verständnis wichtiger Vorgänge im übrigen Körper beitragen.
Über die genannten Abschnitte bestehen auch, wie ich aus viel
facher Erfahrung weifs, noch so viele Unklarheiten unter den
Fachkollegen, dafs es wohl nicht schaden dürfte, etwas genauer
auf dieselben einzugehen. Ich hoffe nur, dafs es mir gelungen
sein möchte, diese Unklarheit selbst zu vermeiden.
Einzelne ursächlich wichtige, allgemeine Zustände habe ich,
da die Krankheiten der oberen Luftwege doch fast ausschliefslieh
Teilerscheinungen von Allgemeinerkrankungen sind, in breiterer
Weise besprochen, weil es mir nötig erschien, den Zusammenhang
unserer Spezialität mit der allgemeinen Medizin immer wieder
und wieder zu betonen; andere Kral).kheiten habe ich nur kurz
oder gar nicht berührt, da mein Buch selbstverständlich kein
Lehrbuch der inneren Medizin sein soll und kann. Ich habe es
ebenfalls unterlassen, eine besondere Beschreibung der Erkrank
ungen der Zentralnervenorgane zu geben, weil dieselben von
GOTTSTEIN eine so allgemein als vortrefflich anerkannte Darstellung
gefunden haben, dafs ich darauf verzichten zu können glaubte,
um so mehr, als dieselbe in einem Sonderabdrucke im Buchhandel
zu beziehen ist.1)
Einer Erklärung bedürfte noch die Zusammenfassung verschie
dener krankhafter Zustände unter dem Namen "Fernwirkungen".
Ich habe in dem Abschnitte hauptsächlich dasjenige besprochen,
was sonst als Reflexerscheinungen beschrieben wird. Da aber
z. B. das auf mechanischem Wege entstandene Asthma sicher
keine Reflexkrankheit ist, es aber doch unzweckmäfsig gewesen
wäre, diese Form von den anderen zu trennen, so habe ich den
Ausdruck "Fernwirkungen" gewählt, weil er mir gestattete, die
verschiedenen Erkrankungen zusammen abzuhandeln.
Am Schlusse habe ich noch einige praktisch wichtige Ab
schnitte über in der Halspraxis vorkommende Zustände hinzu
gefügt, so über Blutungen, über die ärztliche Behandlung von
1) Verlag von Franz Denticke Wien.
Vorrede zur ersten Auflage. IX
Singstimmen, über die Behandlung der Schilddrüse und der
Speiseröhre.
Des beschränkten Raumes wegen konnte ich Krankenge
schichten nur in der knappsten Form aufnehmen, nur so weit sie
mir notwendig erschienen, um eine Krankheit oder eine Ansicht
zu erklären.
Ich habe ferner geglaubt, von der Wiedergabe eines Literatur
verzeichnisses absehen zu können, da in der neuen Auflage von
BRESGENS: "Krankheits- und Behandlungslehre der Nasen-, Rachen
und Mundhöhle, sowie des Kehlkopfes und der Luftröhre" eine
sehr vollständige Literaturangabe enthalten ist, beinahe 3000 Num
mern, und. durch die verschiedenen Zentralblätter, besonders durch
das so vollständige und mit so gutem Register versehene inter
nationale Zentralblatt von SEMON das Nachschlagen der in Frage
kommenden Stellen sehr erleichtert ist.
Alle Angaben stets bis auf die Quellen zu verfolgen, war
mir nicht möglich, weil mir dies meine beschränkte Zeit und die
mir hier zugängliche Literatur nicht erlaubten. Die Angaben der
nach dem ersten Juli erschienenen Werke und Aufsätze konnte
ich leider nur noch ganz vereinzelt verwerten, da der Druck
meines Werkes schon im Gange war. Sollten Verstösse gegen
die Prioritätsansprüche anderer vorgekommen sein, so mufs ich
um Entschuldigung bitten. Wenn es bei einzelnen den Anschein
haben könnte, als ob ich mir fremdes Eigentum hätte aneignen
wollen, so lag mir diese Absicht sicher fern.
Wir älteren Spezialisten in der Laryngologie sind alle mehr
oder weniger Autodidakten. Als wir anfingen, erschienen noch
nicht alle Jahre die mehrere Tausende von Abhandlungen über
Nase und Hals; wir mufsten uns unseren Weg ohne diese Hilfs
mittel selbst suchen. Dadurch ist jedem von uns, vielleicht nicht
zum Nachteil, eine gewisse Besonderheit im guten Sinne übrig
geblieben, gewisse Anschauungen, gewisse Behandlungsmethoden
haben wir durch die ganze Zeit und Literatur hinübergerettet,
und das wird sich auch in meinem Buche bemerklich machen.
Vielleicht dürfte dadurch auch manches darin einen gewissen Wert
für meine Spezialkollegen haben.
Ich habe in der Behandlung natürlich hauptsächlich das an
gegeben, was ich als erprobt gefunden; doch will ich mit dem
Verschweigen so mancher anderen Methode nicht sagen, dafs man
die Krankheiten nur auf meine Weise behandeln mufs, glaube
indessen, dafs es für einen praktischen Arzt erwünscht sein dürfte,
zu wissen, wie er eine Krankheit behandeln "kann".
Am Schlusse erübrigt mir noch die angenehme Pflicht des
X Vorrede zur zweiten Auflage.
Dankes. Vor allem möchte ich meinem verehrten Freunde
DR. EDINGER danken, der mir bei der Abfassung des Buches mit
Rat und Tat beigestanden hat. Namentlich in den die Nerven
behandelnden Abschnitten hat er mit gröfster Liebenswürdigkeit
mir sein so hervorragendes Wissen und seine reiche Erfahrung
als Nervenspezialist zur Verfügung gestellt. Ebenso hat mein
Freund Professor C. WEIGERT mir seinen Rat bei pathologisch
anatomischen Fragen mit zuvorkommendster Bereitwilligkeit ge
geben. Herr Professor C. FRÄNKEL hatte die grofse Freundlich
keit, mir die Benutzung der Tafeln aus dem Atlas von ihm
und R. PFEIFFER zu gestatten und die Anfertigung dersei ben
selbst zu überwachen. Ebenso danke ich auch meinem Freunde
DR. DETTWEILER für seine vielfachen nützlichen Winke in betreff
der Abfassung, und den Herren DR. A VELLIS, DR. SPIESZ und
DR. REIMANN für die Anfertigung von Auszügen aus meinen
Krankenbüchern, für die Hilfe bei der Korrektur und dem letz
teren besonders für die freundliehst ·übernommene Anfertigung
des Registers. Ich denke, dasselbe wird allen Ansprüchen ge
nügen. Mein besonderer Dank gebührt auch noch der Verlags
buchhandlung, die in so liebenswürdiger Weise allen meinen
Wünschen in Bezug auf eine schöne Ausstattung des Buches ·ent
gegengekommen ist.
So möge denn in Gottes Namen das Buch zu den Kollegen
hinausgehen. Möchte mancher praktische Arzt sich durch dasselbe
veranlafst sehen, der so interessanten Wissenschaft der Krank
heiten der oberen Luftwege näher zu treten; möchte dadurch
recht vielen Kranken Nutzen erwachsen!
Frankfurt am Main, Dezember 1893.
Prof. Dr. Moritz Scbmidt.
Vorrede zur zweiten Auflage.
Die Wissenschaft schreitet mit Riesenschritten voran. Es ist
wahrlich eine Freude, in einer Zeit zu leben, in der alle Jahre
so viel Neues in der Medizin gebracht wird, in der beständig
neue Gesichtspunkte eröffnet werden und die nun auch in der
inneren Medizin grofse, wichtige und bahn brechende, therapeutische
Fortschritte zu verzeichnen hat, denn diese sind doch eigentlich