Table Of ContentDR. WILHELM NEUMANN
DIE KLINIK DER BEGINNENDEN
TUBERKULOSE ER,VACHSENER
II.
DIE KLINIK DER BEGINNENDEN
TUBERKULOSE ERWACHSENER
II.
DER FORMENKREIS DER TUBERKULOSE
vo:s
PROFESSOR DR. WILHELM NEUMANN
PRIVATDOZENT A:S DER U:SIVERSITAT WIE:S
VORSTAND DER III. MED. ABT. DES WlLHELMINENSPITALES
SPRINGER-VERLAG WIEN GMBH
1924
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ISBN 978-3-662-01928-3 ISBN 978-3-662-02223-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-02223-8
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UrsprUnglich erschienen bei Julius Springer Verlag, Vienna 1924
DEN MANE N H 0 FRAT von N E US S E R S
An einem NmVJmbertage des Jahres 1909 · ubergab mir
N E U S S E R in seinem Bibliothekszimmer ein kleines
braunes He!tchen: ,,BARD, Formes cliniques de la
tuberculose pulmonaire" mit der Autforderung, dasselbe
durchzustudieren und zu sehen, ob sick damit ein besserer
Einblick in die Mannigfaltigkeit der Lungentuberkulose
gewinnen lief;le. Heute lege ich das Ergebnis dieser
damaligen Anregung vor. Es war eine ungeheure Aufgabe,
und sie wuchs unter der Arbeit lawinenartig an. lch mu(Jte
mir eine eigene Registratur anlegen, um ehemals untersuchte
und rubrizierte Fiille imm(:r wieder finden und so jahrelang
verfolgen zu konnen. Leider hat mein ehemaliger Chef die
Losung der Aufgabe nicht mehr erlebt.
II. TElL:
DER FORMENKREIS DER TUBERKULOSE
,Apicitis" - e in vag e r Beg riff
I. KAPITEL
DIE EINTEILUNG DER LUNGENTUBERKULOSE
Durch die im ersten TeH geschilderten Untersuchungsmethoden
gewinnen wir von jedem Fall •ein ausftihrliches unid gena.ues Bild der
bestehenden Lungenveranderungen. Es erhebt sich dann die Fra.g·e, ob
wir es mit tuberkulOsen Veranderungen daselbst zu tun haben
oder nicht. Konnen wir die tuberkulOse Aetiologi•e mit mehr minder
grof)er Sicherheit a,nnehmen, drum handelt es siCJh um die weitere Auf
gabe, aus diesem Bild mit moglichst grof3er Sicihei!heit uns tiber den
voraussichtlichen Verlauf der betreffenden Lungena.ffektionen Klar
heit zu verschafien. W enn wir je<le Veranderung des physikalischen
Befundes iiber den Lungenspitzen als Lungen:spi•tzenkatarrh oder
Apicitis bezeichnen, wie dies zumeist gescb..ieht, d~nn fallen in diese
grof3e Gruppe die allerverschiedensten Verlaufsformen. Es gibt dann
Falle darunter, deren Leben vom Beginn der zuerst nachweisbaren
Verandenmgen bis zum todliCihen Ausgang 1111.1r eini.ge Monate zahlt,
wo sich eine galoppierende Schwindsucht daraus entwickelt. AndP.re
wieder enden unter dem Bilde der gewohnlichen Bhthise nach Ablauf
von mehreren Jahren, langstens sieben, todliCJh, wieder andere da
gegen iiberwir..den nach mehnnonatlicher Krankh•eitsdauer ihr Leiden
und erfreuen sich dann bis ?Jum emeuten, ebenfalls meist gut aus
gehenden Riickfall eines ungestOrten oder nur wenig getriibten Wohl
befindens. Die einen kann vom ersten Nachweis des ,Lungenspitzen
katarrhs" an .auch die sorgfaltigste Kur oft nic1ht mehr zur H eilung
bringen, andere wieder mit anscheinend gleic,hem Lelden genesen
dauernd oder voriibergehend bei irgendeiner therapeutischen Maf3-
nahme, sei es irgend einer kraftigenden Medikation, sei es einer
spezifischen Kur odcr leichten Schonung, ja selbst bei Fortsetzt>n
ihrer angestrengten Berufstatigkelt. Wir haben eben mit der Diagnose
~,Lungenspitzenkatarrh" oder ,beginnende Tuberkulose" gar keine
prognostisch verwertbare Diagnose gestellt. Vielmehr miissen wir uns
10 Turban-Gerhardt s S tad i en e in t e i I u n g
bsmiihen, tiefer in das proteusartige Bild der Lungentuberkulose
einzudringsn.
Zu diesem Behufe stehen uns eine groBe Reihe von Einteilungs
prinzipien zur Verftigung, deren wichtigste ich zunachst einer etwas
summarischen Besprechung unterziehen muB, bevor wir darangehen
konnen, aus der Ftille die ftir unsere Zwecke tauglichste Methode
auszusuchen.
1. Am haufigsten gebraucht wird die Turban-Gerhardt
sche Stadieneinteilung. Dieselbe scheidet die Lungentuberkulose
in drei greBe Gruppen. Das erste Stadium umfaBt leichte, auf
kleine Bezirke eines Lappens beschrankte Erkrankungen, bei Doppel
seitigkeit nicht tiber die Spina scapulae und tiber die Clavicula, bei
Einseitigkeit nicht tiber die zweite Rippe hinuntergehend. Dabei wird
unter ,leicht" verstanden: disseminierte Herde mit leichter Dampfung,
unreinem, rauhem, abgeschwachtem Vesikularatmen oder Vesiko
bronchialatmen mit oder ohne fein- bis mittelblasigem Rasseln. Zum
zweiten Stadium gehOren 31l.le Faile, wo die eben erwahnte leichte
Erkramkung das Volumen hOchstens eines Lappens einnimmt, oder
eine scihwere Erkrankung Mchstens eines halben Lappens vorliegt.
Dabei wird unter schweren Veranderungen verstanden eine Infiltra
tion mit starker Dampfung, mit stark abgeschwaehtem, unbestimm
tem bronchovesikuliirem bis bronchialem Atmen mit und ohne Rassel
gcrauschen. Zum dritten Stadium gehoren aile Faile, welche ramn
lich tiber das zweite hinausgehen, und alle, wo Hohlenbildung besteht.
A1s Oharokteristika der Hohlenbildung wmden dabei angegeben:
tympanitischer Hohlenschall, amphorisches Atmen und ausgebreitete,
grob klirngende Rasselgerausche. Bei dieser Stadieneinteilung werden
pleul'litiscfu,e Dampfungen, wenn sie nur einige Zentimeter hoch sind.
nicht berticksichtigt, wenn sie erheblich sind, alB Komplikationen
besonders notiert. Das Stadium jeder Seite wird gesondert bezeich
net, also z. B. R. II, L. I. Das Gesamtstadium richtet sich dann nach
d>er starker befallenen Seite.
Bertioksichtigen wir dieses Einteilungsprinzip, so sehen wir
gleich, daB ftir unsere Zwecke der beginn>enden Tuberkulose wohl
zumeist nur das I. Turban-Gerhardtsche Stadium in Betracht kommt.
Wir konnen also ftir den oben als unzuHinglich gekennzeichneten
Begriff ,Apicitis" meist einfach den Ausdmck Lt:.ngentuberkulose des
I. Stadiums nach Turban-G erhard t setzen. Dam it haben wir
aber ebenso wenig ftir die Prognosestellung gewonnen wie mit dem
E in t e i 1 u n g C. S pen g 1 e r s u n d G r au s 11
.Ausdmck Lungenspiltz.enk~twrrh . .Aue;h da werd<en sicih di~ vei1Se;hi-e
deoooon LungentuberkulosefiUle unter d1ooer BweiCJhnung finden.
W{)lhl. scb:eid·en dann die schweren Veranderungen, also ilie durch
starke Darnpfung ·einer Spitz·e und durch die anderen obe:n 31ngeg-e
oonen Befunde gekennzeichneten Infiltrationen als trotz ihrer geringen
Ausd•ehnung z.um II. Staidium gehorig aUIS, :mcih rrtickt die Ka-vemen
bildung ,ffiner ·Spitze den Fall in da.s III. Stadium, aber dice groBte
Mehrzahl der Faile gehOrt zum I. Stadium, und daher schlieBt dieses
St:adium no0h gentigend ungleiohwertiges Ma•teri311 in sioh. Deshalb
ist a.uoh mit dh~ser Einteilung ftir dice ProgilOBe !irgendei•nes Falles
nur wenig gewonnen, ganz a>bgesehen davon, daB di~ Broncihial
drtisentuberkulose 1n di·esem RaJhmen iiberharupt kemoo Pla;tz findet.
Etwas giinstiger gestalten sich dlie Verhaltrusse, wenn man
die"le St.adieneinteilung mit der KlassOOS<~ieneinteilung C. S p •e n g-
1 e r s kombini•e11t. Wir mtiBten dann ooi jedem Fall noch unter
sCJheiden, ob er aktiv ist ocier nicb:t. Als Kriterium daftir bentitzt
0. S p en g l e r die Temperaturmessung. J eden Fall mit erhohter
Temperwtur nennt er aktiv. AuBerdem ih:a;t man noch anzug·eben, ob
er offen ·oder gesohloosen ilsrt, ob man rul>so Tuberke1baZJiUen im Aus
wurf finden ka;nn od·er niriht. Wir bekommen da.duwh ein~ weit
groBere Mannigfaltigkeit der mogECJhen Truberkuloooformen, d·enn
d·ann zerfallt das I. Stadium <in eine fieberlose geschloss·ene, Di·eberlooe
offene, ;aktiv geschlossene und aktiv offene Form, wodrruoh ftir die
PrognosensteJlung scJhon wiclhtig·e Anihal1Jspunkte gegeben sind. In
wieweit dieses Einteilungsprinz.ip aUen Formen gereCiht wiro, werd•en
wir spater bei der Besprechung der einzelnen V~erlaufsarten sehen.
V oUkommen ist ·es jedenfalls nicht.
Weiter ausg·eftiihrt und ftir statis:tusche Zwecke bess·er brauch
bar gemaoht, ist die Sta11Uenein:teilung von G r au (2). Er unter
scheidet vier Strudien und wird vor aJ.Iem auch andeJ.1Swo al.s in der
Spit.ze ge1egenen klei.nen Herden gereoht.
I. Strud1um: Leichte Erkr.runkungen: Umsohrieben'8, klinisc!h gut
artige Herobildungen rriclht bis tiber die eJJste Rippe 1IDd di<e Sclhul
terblattgrliite hinausg·ehend, '8benso umscJhriebene Herdbildungen an
anderen Stellen der Lunge.
II. Stadium: Mittelschwere, noch giinstige Erkrankungen: Aile
tiber I. hinaru;gehende Erkrankungen mit vorwiegender Neigung zu
Schmmpfungen ohne Rticksicht auf die raumliche Ausdehnung, mit
Ausnahme der Endsta.dien und der Faile mit erheblicher Hohlenbil-
12 Einteilung· von Gabrilowitsch
dung. Ferner aile Faile, bei denen die Neigung zum chronischen Ver
la.uf tiberwiegt und bei denen der ergriffene Bezirk der Lungen tiber
+
die Grof3e eines Lappens (2 X lh oder 1/3 2/~) nicht wesentlich hin
ausgeht.
III. Sta.dium: Schwere, zweifelhafte Erkrankungen: Alle weiter
als II. hina.usgehende Faile, soweit sie nicht zur letzten Gruppe
gehi:iren.
IV. Stadium: Schwerste, ungtinstige Erkrankungen: Akute, ver
breitete Au8sa.at, pneumonische Form, erhebliche Hohlenbildung. Auch
bei dieser Einteilung umfa..St aber da.s J. Stadium noch viel zu hetero
,(,l'€nes Material, als daB wir diese Einteilung mit Nutzen unseren Aus
ftihrungen zugrunde legen konnten.
2. Eine ganz eigenartige, wegen ihrer einfachen und kurzen Ter
minologie recht bestechende Einteilung hat dann Gab r i low its c h
ftir die chronische Tuberkulose gebracht. Er unterscheidet zunachst
drei groBe Gruppen. Alle tuberkulOsen Affektionen der oberen Lun
genanteile bezeichnet er mit dem Na.men Tuberculosis pulmonum
chronica.; aile Prozesse, bei welchen eine gauze Lunge befallen ist.,
als Pneumonia tuberculosa chronica und jene, bei denen zwei Henle
nachweisbar sind, einer im Oberla~ppen, der andere im Unterla.ppen,
beide getrennt durch norn1ales Lungengewebe, bezeichnet er mit dem
Xa men Bronchopneumonu1, metastatica chronic a.. Da un s fiir die
Zwecke der beginnenden Tuberkulose hauptsachlich nur seine erste
Gruppe der Tuberculosis chronica, interessiert, wollen wir nur deren
nahere Unterteilung hier erwahnen und mtissen ftir das tibrige auf die
Originalarbeit selbst verweisen. Er bezeichnet namlich aile Spitzen
prozesse, die nur oberhalb der Spina scapulae, bzw. der C1avicula
loka.lisiert sind, als Tube r c u l o sis sic ca., sofern dabei ver
scharftes oder rauhes. Atmen mit verlangertem Exspirium besteht und
Rasseln fehlt, hOchstens sich als trockenes Rasseln iiber den Spitzen
und Reiben in der Schulterblattgegend findet. Gehen die Veranderun
gen weiter, aber hochstens bis zum Angulus scapulae, ;,;o benennt er
die Prozesse als Tuberculosis catarrha.lis, wenn abge
schwachtes Atmen und krepitierendes Rasseln besteht. Er nennt diese
Form T u b e r c u l o s is f i b r o sa, wenn Bronchialatmen horbar ist
nnd kleinblasiges Rasseln oder Krepitieren, oder Tuber c ulosis
u I c e r o s a, wenn a.mphorisches Atmen und metallische oder gur
gelnde Ras8elgerausche gehOrt werden.
Auch hier fallen aber noch gar zu viel heterogen verlaufende