Table Of ContentBarbara W orndl 
Die Kernkraftdebatte 
Eine Analyse von Risikokonflikten und gOzialem Wandel
Barbara Wirndl 
Die  Kernkraftdebatte 
Eine Analyse von Risikokonflikten 
und sozialem Wandel 
DeutscherUniversitatsVerlag 
~ 1:\(7 
~ GABLER ·VIEWEG 'WESTDEUTSCHER VERLAG
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme 
Worndl, Barbara: 
Die Kernkraftdebatte : eine Analyse von Risikokonflikten und 
sozialem Wandel/Barbara Worndl. - Wiesbaden : Dt. Univ. 
Veri., 1992 
(DUV : Sozialwissenschaft) 
lugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss. 1991 
030 
Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen der 
Verlagsgruppe Bertelsmann International. 
© Deutscher Universitats-Verlag GmbH, Wiesbaden 1992 
Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge 
schutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Ur 
heberrechtsgesetzes ist ohne lustimmung des Verlags unzulassig 
und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ober 
setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ver 
arbeitung in elektronischen Systemen. 
Gedruckt auf chlorarm gebleichtem und saurefreiem Papier 
ISBN-13: 978-3-8244-4106-8  e-ISBN-13: 978-3-322-85316-5 
DOl: 10.1007/978-3-322-85316-5
Fur Katherl
Inhalt 
1. Risikokontlikte und Wertwandel 
1.1  Konzeptuelle Voriiberlegungen ....................................... 11 
1.2  Der Kernkraftkonflikt und Wertwandel ......................... 26 
1.3  Methodische SchluBfolgerungen ...................................... 29 
2. Verlauf und innere Logik der Kernkraftkontroverse 
2.1  AbriB zur Geschichte des Konflikts urn die 
friedliche Nutzung der Kernenergie .............................. .34 
2.1.1  Die Furcht vor der Atombombe 
und die Atomeuphorie ...................................................... 36 
2.1.2  Der Protest gegen die Energiegewinnung 
aus Kernkraftwerken ......................................................... 44 
2.1.2.1  Phase I: Die Frtihzeit des Konflikts ................................ 45 
2.1.2.2  Phase II: Die "heiBe Phase" des Konflikts ..................... 50 
2.1.2.3  Phase III: Die Beruhigung der Kontroverse .................. 56 
2.2  Der naturwissenschaftliche Streit urn die Risiken 
der Kernenergie: Die Relativierung des 
naturwissenschaftlichen Geltungsanspruchs ................. 62 
2.2.1  Technikkritik: Ausdruck einer undifferenzierten 
Technikfeindlichkeit? ....................................................... 64 
2.2.2  Der Diskurs: Von der (Un)Moglichkeit, die Risiken 
der Kernkraft technisch zu bewa1tigen ........................... 68 
2.2.2.1  Der Dissens tiber das Gefahrenpotential 
radioaktiver Strahlung ...................................................... 71 
2.2.2.1.1  Der Streit urn Grenzwerte ................................................ 73 
2.2.2.1.2  Der Streit urn die Nachweisbarkeit der Schaden ......... 76 
2.2.2.1.3  Die Moralisierung der Diskussion 
urn Strahlengefahren .......................................................... 78 
2.2.2.2  Der Dissens tiber das St6rfallrisiko 
in Kernkraftwerken ............................................................ 81 
2.2.2.2.1  Wahrscheinlichkeitsrechnungen: 
Wie wahrscheinlich ist die Katastrophe? ........................ 82
2.2.2.2.2  Unfallschutz gegen StOrfaIle 
in Kernkraftwerken ist (un)moglich ................................ 85 
2.2.2.2.3  Die (Ohn)Macht des Technikers .................................... 88 
2.2.2.3  Die Logik des Risikovergleichs ....................................... 92 
2.2.2.4  Ansatze fur ein neues Technik-
und Wissenschaftsverstandnis ........................................... 97 
2.3  Der Streit urn den okonomischen Nutzen 
der Kernkraft: Von der Logik der Nutzen-
maximierung zur Logik der okologisch 
kontrollierten Bediirfnisbefriedigung ............................ 100 
2.3.1  Die Kernkraftkritik: Fundamentalopposition 
gegen die Marktwirtschaft? ............................................. 103 
2.3.2  Der Diskurs: Von der (Un)Verzichtbarkeit 
der Kernenergie fur wiinschbare 
wirtschaftliche Zielsetzungen ......................................... 107 
2.3.2.1  Quantitative Reichtumsmehrung als Ziel 
-was aber sind die Mittel? .............................................. 107 
2.3.2.2  "Technologie als Mittel 
-was aber ist der Zweck?" ............................................... 119 
2.3.2.3  Die Verbindung von qualitativen 
und quantitativen Wachstumszielen ............................. 126 
2.3.2.3.1  Der neue "Realismus" der Kernkraftkritiker .............. 127 
2.3.2.3.2  Der neue "Idealismus" der Kernkraftbefurworter ...... 132 
2.4  Der Streit urn Regelungsmodelle fur Risiken 
und Risikokonflikte: Von der reprasentativen 
zur basisorientierten Demokratie ................................. 140 
2.4.1  Die Kernkraftopposition: Ausdruck einer 
Legitimationskrise des politis chen Systems? ............... 142 
2.4.2  Die Debatte urn den demokratischen Gehalt 
der Kernkraftpolitik ........................................................ 146 
2.4.2.1  Der Angriff auf das Machtungleichgewicht 
zwischen Burger und Staat .............................................. 146 
2.4.2.1.1  Diganose 1: "Atomstaat" ................................................. 148 
2.4.2.1.2  Diagnose 2: "Atomfilz" .................................................... 153 
2.4.2.2  Der Anspruch auf basisorientierte Politikformen ...... 155 
8
2.4.2.2.1  Forderung 1: demokratische Mitbestimmung ............. 156 
2.4.2.2.2  Forderung 2: Information und Transparenz ............... 161 
2.4.2.3  Elemente einer neuen Streitkultur ............................... 166 
2.4.2.4  Die internationale Dimension 
der Kernkraftkontroverse ............................................... 172 
3. Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlu6folgerungen 
3.1  Konfliktverlauf .................................................................. 178 
3.2  Konflikt und Wertwandel... ............................................. 181 
4. Literatur  ............................................................................................. 194 
9
1.  Risikokonflikte und Wertwandel 
1.1  Konzeptuelle Voriiberlegungen 
Diese Untersuchung befa13t sich mit der Auseinandersetzung urn die 
friedliche Nutzung der Kernenergie. Die Kernkraftkontroverse soIl ex 
emplarisch  fur  Konflikte  urn  groBt~chnologische Risiken untersucht 
werden. 1m Mittelpunkt der Betrachtung steht die Frage, welche Funk 
tion der Konflikt fur gesellschaftliche Werte hat. 
1m  SelbstversHindnis  moderner  Industriegesellschaften wie  der 
Bundesrepublik Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten ein 
ProzeB der Umdeutung vollzogen. 1m Unterschied zur unmittelbaren 
Nachkriegszeit scheint heute materieller Wohlstand fur den iiberwie 
genden Teil der Bevolkerung gesichert zu sein. Armut wird, bedingt 
durch die starke gesellschaftliche Verankerung der Gewerkschaft sowie 
durch die Existenz eines ausgefeilten Netzes sozialer Unterstiitzung, als 
eine Erscheinung der Vergangenheit angesehen.  Wahrend Probleme 
der Produktion und Verteilung des Reichtums als weitgehend gelost 
oder  lOsbar  gel ten,  treten  neuartige  Gefahren  ins  gesellschaftliche 
BewuBtsein. Bine Wirtschaftsweise, deren Effektivitat auf dem Einsatz 
von immer produktiveren Technologien beruht, verzeichnet als Preis 
des  Fortschritts  die wachsende  Zerst6rung  der  natiirlichen  Lebens 
grundlagen. Probleme der Umweltzerst6rung sind Gegenstand offentli 
cher Besprechung, politischer Entscheidung und von Besorgnissen in 
der Bevolkerung. MaBnahmen auf allen Ebenen, die der Zerst6rung 
Einhalt gebieten sollen, scheinen dabei der wachsenden Schadigung 
von Mensch und Natur immer nur hinterherzuhinken. 
11
Vor  dies em  Hintergrund  werden  heute  klassische  Vertei 
lungskonflikte yom Streit tiber AusmaB und gesellschaftliche Tragbar 
keit der neuartigen Unsicherheiten und Gefahren tiberlagert. Diese 
Konflikte, die im weitesten Sinne die gesellschaftliche Reproduktion 
betreffen,  bezeichne  ich  als  "Risiko-Konflikte".l)  Gegentiber  den 
institutionalisierten und fast schon zum Ritual erstarrten alljahrlichen 
Auseinandersetzungen urn die Verteilung des materiellen Reichtums, 
zeichnen sich Risikokonflikte, wie z.B. Kontroversen urn die friedliche 
Nutzung der Kernkraft, urn Produktion und Verwendung chemischer 
Produkte  etc.,  durch  Dynamik  aus.  Risikokonflikte  strukturieren 
Interessenkonstellationen  neu:  Sind  in  Verteilungskonflikten  die 
Konfliktparteien tiber das materielle Interesse an hOheren LOhnen und 
Gehaltern einerseits, dem Interesse an Gewinnsteigerung andererseits 
klar definiert, so gibt es im Zeichen der neuartigen Gefahren keine ein 
deutigen Parteiungen mehr. Moderne Risiken differenzieren nicht zwi 
schen arm und reich, nationalen oder ethnischen Grenzen (vgl. Beck 
1986, S. 48). Ihre globale Wirksamkeit bricht traditionelle Solidaritats 
und Konfliktlinien auf und schweiBt neue Koalitionen zusammen. Las 
sen  sich  AngehOrige  verschiedener  Schichten,  Anhanger  der 
unterschiedlichsten politischen Weltanschauungen fur den Kampf ge 
gen die UmweltzerstOrung mobilisieren, so bilden klassische Kontra 
henten wie Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsame Abwehrfron 
ten gegen "ungerechte" Angriffe auf umweltverschmutzende Industrien. 
Risikokonflikte sind dartiberhinaus geeignet, soziale Wertbestande um 
zuwalzen. Man kann davon ausgehen, daB Aktivisten in Konflikten urn 
GroBtechnologien -Btirgerinitiativen, "griine" Parteien, Propagandisten 
1)  vgl. Projektantrag Hondrich an die DFG "Soziale Konflikte tiber 
Risiken. Ihre Funktion fur Interessen, Werte und Institutionen. 
Eine paradigmatische Untersuchung.", 1988. 
12
"alternativer Lebensformen" etc. - Vorreiter fur die Verschiebung von 
materiellen zu immateriellen Wertdimensionen waren, die heute in den 
Orientierungen  der  BevOlkerung  empirisch  auffindbar  sind  (Klages 
1990, S. 27). 
Die folgenden AusfUhrungen sollen zunachst das hier unterstellte 
Verstandnis von Risiken,  Risikokonflikten,  Werten und Wertwandel 
explizieren. Auf einer nachsten Ebene wird der Fragestellung nachge 
gangen, aufgrund welcher Merkmale Konflikte urn groBtechnologische 
Risiken, speziell der Konflikt urn die Kernkraft, geeignet sind, einen 
Wertwandel anzustoBen. 
Nach meinen Verstandnis beruhen Risiken im engeren Sinn auf 
Gefahren fUr Leib und Leben, in einem weiteren Sinn auf Gefahren fUr 
die  Lebensgrundlagen  der  Menschheit.  Unsicherheit  tiber  uner 
wiinschte Folgen von gefahrlichen Verhaltenweisen gelten durch Be 
rechnung von Eintrittswahrscheinlichkeit und AusmaB des Schadens als 
kalkulierbar. Ein Risiko ist also der Sonderfall einer Gefahr. Sind die 
ser die Momente der Unberechenbarkeit und des Ausgeliefertseins ei 
gen, schlieBen Risiken das bewuBte Eingehen auf sie und ihre Steue 
rung ein. 1m Anspruch, mit m6glicherweise negativen Folgen riskanter 
Handlungen planvoll und rational urnzugehen, liegt der soziale Cha 
rakter von Risiken. Die Betrachtung von Gefahren als Risiken driickt 
dabei das SelbstbewuBtsein einer modernen Gesellschaft aus: 1m Un 
terschied zu vergangenen Zeiten, in denen Gefahren als schicksalhaft 
empfunden wurden, erheben moderne Gesellschaften den Anspruch, 
Herr und Meister ihrer Lebensverhiiltnisse zu sein. 
Risikokonftikte entstehen dadurch, daB in der Gesellschaft diver 
gierende Einschatzungen der Gefahren, ihrer gesellschaftlichen Trag 
barkeit und des adaquaten Umgangs mit ihnen, eben unterschiedliche 
Risikodefinitionen, existieren. Diese basieren auf spezifischen Rollen, 
13