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Die Idee
Wie eine „strukturierte
Anarchie“ Gutes einer Universität
hervorbringen kann
Gerhard Casper
Die Idee einer Universität war der Titel ei- außer ihnen Vorhandenes ist, das man
ner außerordentlich berühmten und ein- zum Markt tragen kann, sondern eine Ge-
flussreichen Vortragsreihe, die John wohnheit. „[Knowledge] is a habit, a per-
Henry Newman vor 150 Jahren in Dublin sonal possession, and an inward endow-
gehalten hat. Beauftragt mit der Grün- ment.“ Die Kultivierung dieser „Ge-
dung einer katholischen Universität, wohnheit“ ist die Aufgabe der Univer-
wurde der spätere Kardinal von dem sität.
Dubliner Erzbischof aufgefordert, das Rund vierzig Jahre vor Newman hat
Projekt der Öffentlichkeit vorzustellen. Es ein Berliner Theologe ähnlich gedacht
ging Newman dabei vor allem um die und sehr Ähnliches gesagt. Schleierma-
Rolle der Theologie als Wissenschaft. We- chers Gelegentliche Gedanken über Univer-
gen seiner Ausführungen zur Aufgabe sitäten im deutschen Sinn aus dem Jahre
der Universität hat sein Buch in der an- 1808 erschienen noch vor Humboldts
gelsächsischen Welt freilich einen kanoni- berühmter Denkschrift Über die Innere
schen Status erreicht. Was er über die und Äußere Organisation der Wissenschaft-
Theologie zu sagen hatte, scheint wenig lichen Anstalten in Berlin (1810). Schleier-
gelesen zu werden. macher schreibt: „Die Universität hat es
Für Newman lag der Wert der Univer- also vorzüglich mit der Einleitung eines
sität nicht in ihrem sozialen oder ökono- Prozesses, mit der Aufsicht über seine
mischen Nutzen, sondern in ihrer schein- ersten Entwicklungen zu tun. Aber
baren Nutzlosigkeit. Knowledge, Wissen, nichts Geringeres ist dies als ein ganz
ist Zweck, nicht Mittel zu etwas anderem. neuer geistiger Lebensprozeß.“ Es ist das
Da eine so radikale Idee im Gegensatz zu „Geschäft der Universität“, die Idee der
vielem steht, was heute weltweit über Wissenschaft in den Studenten zu er-
Universitäten gesagt wird, soll wegen sei- wecken, „daß sie lernen, in jedem Den-
ner Schockwirkung mit Newman begon- ken sich der Grundgesetze der Wissen-
nen werden. schaft bewußt zu werden und eben da-
In The Idea of a University beschäftigt durch das Vermögen, selbst zu forschen,
sich Newman vor allem mit Bildung. Die zu erfinden und darzustellen, allmählich
reine Wissensvermittlung ist ihm nicht in sich herausarbeiten...“.
nur unzureichend, sondern in die Irre Dieter Henrich kommentiert: „Überall
führend. Bei der Bildung handelt es sich drängt Schleiermacher darauf, daß Er-
um Vorbereitung: „Education is a high kenntnisse nicht nur akkumuliert wer-
word; it is the preparation for knowledge, den sollen. Dem jungen Menschen soll
and it is the imparting of knowledge in die Möglichkeit erschlossen werden, daß
proportion to that preparation“. Die Uni- in ihm selbst die Idee der Wissenschaft
versität muss den Studenten die Einsicht aufkommt und wirksam wird. Sie kann
vermitteln, dass das Wissen nicht etwas ihm nicht durch Unterrichtungen ge-
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Gerhard Casper
lehrt werden, sondern muß von ihm in bildung wahrnehmen. Ob sie in vielen
Selbsttätigkeit gewonnen und angeeig- Fällen und Fächern der ideale Ort dafür
net werden.“ Die Universität habe es sind, ist eine andere Frage. Deutschland
also mit der Einleitung eines Prozesses hat trotz seiner vorzüglichen Fachhoch-
zu tun. schulen die Chance, das Verhältnis von
Universität und Fachausbildung grund-
Wissen als Zweck und
sätzlich neu zu durchdenken, nicht wirk-
Selbstzweck
lich wahrgenommen. Umgekehrt scheint
Damit ist das erste Thema angeschnitten, die „Fachhochschule in der Universität“
die Arbeitsweise der Universität in Lehre zunehmend ein Hauptinteresse von Poli-
und Forschung. Wenn man das Wissen tik und Wirtschaft zu werden. Nützlich-
als Selbstzweck will oder weil man davon keitsgesichtspunkte dominieren die Dis-
ausgeht, dass auf lange Sicht die geistige kussion.
und wirtschaftliche Vitalität einer Gesell-
Der Baccalaureus
schaft, eines Landes vom Wissen ab-
hängt, von dem nämlich, was die Volks- Als Beispiel sei der Baccalaureus oder
wirtschaftslehre human capital nennt, so der Bachelor als Abschluss einer Art
muss man Wissenschaft wollen; und fachlichen Schmalspurstudiums ge-
wenn man Wissenschaft will, müssen die nannt. Dies wird häufig von Freund und
Beziehungen zwischen Professoren und Feind als Übernahme eines „amerikani-
Studenten dialektisch sein und die Lern- schen“ Elements charakterisiert, obwohl
bedingungen der Studenten die Selbst- der amerikanische Bachelor of Arts, der
tätigkeit fördern. in der Tat ein nur vierjähriges Studium
Um der Emphase willen soll die Rolle nach der zwölfjährigen Schule voraus-
der Universität bei der Berufsausbildung setzt, der Idee nach (die sich von der Pra-
weitgehend ausgeklammert werden, ob- xis allerdings in vielen Fällen unterschei-
wohl ich sie natürlich nicht verneine. Seit det) nicht der Berufsausbildung dient,
den frühen Tagen der mittelalterlichen sondern im Wesentlichen durch ein stu-
Universität haben Universitäten auch der dium generale gekennzeichnet wird. Der
Berufsausbildung gedient. Dies gilt nicht Schutzheilige des amerikanischen Col-
nur für die Juristen in Bologna, sondern lege ist für viele immer noch Kardinal
auch für die Studenten, die im zwölften Newman.
Jahrhundert an den Vorläufern der Pari- Ein deutscher Kollege sagte mir kürz-
ser Universität Grammatik, Rhetorik und lich, dass er unter den gegebenen Um-
Logik (das Trivium) studierten, um An- ständen den Bachelor-Grad begrüße,
stellung an den Höfen zu finden (Stephen weil man auf diese Weise eine Auslese
C. F. Ferruolo, The Origins of the Univer- betreiben könne, die durch Zwi-
sity). schenprüfungen nicht zu erreichen sei.
Zwischen Bildung und Ausbildung ist Da auslesende Zwischenprüfungen in
selten scharf unterschieden worden, alle- Deutschland anscheinend nicht vorstell-
mal nicht in der Frühzeit der Berliner Uni- bar sind, könnte der Bachelor in der Tat
versität, die Humboldts Amtsnachfolger eine positive Funktion haben, insbeson-
Friedrich von Schuckmannn zunächst im dere wenn er zu einem generellen Neu-
Gegensatz zu Humboldts Idee geprägt durchdenken von Studiengängen führte
hat. und private und öffentliche Arbeitgeber
Insbesondere im Zeitalter der Massen- ihn akzeptierten.
universitäten wäre es töricht zu vernei- Vor allem können straffere Studi-
nen, dass Universitäten auch Berufsaus- engänge und begleitende Leistungskon-
Seite 46 Die politische Meinung
Die Idee einer Universität
trollen den Studenten helfen, die gut, aber dessen von „teaching, learning and re-
nicht hoch begabt sind. Das die deutsche search.“
Universität immer noch in weiten Berei-
Humboldt als Vorwand?
chen charakterisierende laissez faire, lais-
sez aller bringt es mit sich, dass gerade Damit kommen wir zu Humboldt, dessen
diese Studenten allzu häufig nicht genü- Erwägungen Über die Innere und Äußere
gend gefordert und daher nicht genü- Organisation der Wissenschaftlichen Anstal-
gend gefördert werden, obwohl auch sie ten in Berlin,knapp über zehn Seiten lang,
wichtige Rollen zu spielen haben oder in wahrscheinlich das Prägnanteste sind,
der Lage sein könnten, sich von gut zu was je über die Universität als Institution
sehr gut zu steigern. Die Massenuniver- geschrieben worden ist. Das sollte Grund
sität lässt zu viele Studenten „fall between genug sein, sich mit Humboldt zu be-
the cracks“. schäftigen.
Mir ist natürlich klar, dass im Lande
Selbsttätigkeit der Studenten
Humboldts viele Kritiker des Status quo
Was allerdings Sorge bereitet, ist erstens, an den Universitäten die Berufung auf
dass neue Strukturen dieser Art dazu bei- Humboldt als Vorwand zur Verteidigung
tragen könnten, die Wissenschaft an den von Privilegien verstehen, während viele
Universitäten weiter in den Schatten zu Verteidiger der Universität denselben
rücken. Zweitens, und das ist der wichti- Humboldt allzu schablonenhaft benut-
gere Gesichtspunkt, dass an der gegen- zen. Die Berufung auf Humboldt lang-
wärtigen Situation wenig verbessert weilt. Im Übrigen kann man lesen: „Die
würde, wenn exzellente Studenten zu Universität, so wie sie Humboldt entwarf,
lange in einer Art Voruniversität von dem existiert längst nicht mehr. Schon um 1900
Ziel, Selbsttätigkeit zu entfalten, fern ge- galten Humboldts Vorstellungen als
halten würden. Die Selbsttätigkeit der überholt“ (FAZ, 16. Februar 2001, 49).
jungen Studenten liegt aber nicht nur in Nun, wie man auf Englisch so schön sagt:
ihrem eigenen Interesse, sondern ist für „Don’t throw the baby out with the bath-
die Zukunft der Wissenschaft von großer water!“ Die Wahrheitssuche und die Ar-
Bedeutung. beitsweise, die sie erfordert, sind den Uni-
Die Diskussion über die Humboldt- versitäten als ihre Hauptaufgabe geblie-
sche Einheit von Forschung und Lehre ben, wenn uns auch der Humboldtsche
rechtfertigt diese Einheit in der Regel mit Gedanke, eine „Allheit“ könne die ver-
dem Argument, dass die jüngere Genera- wirrende Vielheit der Universität durch
tion von den Wissenschaftlern lernen soll, Bildung harmonisieren, mehr oder min-
die selbst aktiv forschen und „auf dem der völlig abhanden gekommen ist.
neuesten Stand“ sind. Dagegen ist sicher Zur Verteidigung, wenn es denn einer
nichts einzuwenden, nur ist es nicht ge- solchen wirklich bedarf, sei gesagt, dass
nug. Auf Dauer kann Wissenschaft ohne ein Aspekt Humboldts besonders betont
die frühzeitige und aktive Beteiligung der werden soll, der in das allgemeine Be-
Studenten und ihrer Selbsttätigkeit nicht wusstsein relativ wenig eingedrungen ist
auskommen. Zu den Faktoren, die gute und in der gegenwärtigen Diskussion
amerikanische Universitäten gut machen, über die Universitätsreform recht stief-
zählt der Faktor, dass sie selbst den jün- mütterlich – wenn überhaupt – behandelt
geren Studenten Chancen geben, mitzu- wird. Im Übrigen habe ich in der Wahr-
machen und nicht nur dazusitzen. Wir nehmung meiner Aufgaben als Präsident
nehmen selten allein auf „Forschung und von Stanford auf die Zitate Humboldts
Lehre“ Bezug, sondern sprechen statt- Taten folgen lassen. Zu dem Thema
Die politische Meinung Seite 47
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„Frühzeitige und aktive Beteiligung der sitätslehrer als durch die Akademiker er-
Studenten an der Wissenschaft“ soll weitert worden, und diese Männer sind
Humboldt ausführlicher zitiert werden. gerade durch ihr Lehramt zu diesen Fort-
Humboldt ist in seinen eigenen Worten schritten in ihren Fächern gekommen.
nicht nur nicht langweilig, sondern erfri- Denn der freie mündliche Vortrag vor
schend direkt. Zuhörern, unter denen doch immer eine
„Es ist ferner eine Eigenthümlichkeit bedeutende Zahl selbst mitdenkender
der höheren wissenschaftlichen Anstal- Köpfe ist, feuert denjenigen, der einmal
ten, dass sie die Wissenschaft immer als an diese Art des Studiums gewöhnt ist, si-
ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem cherlich ebenso sehr an als die einsame
behandeln und daher im Forschen blei- Musse des Schriftstellerlebens oder die
ben...“ Der Lehrer ist nicht für die Stu- lose Verbindung einer akademischen Ge-
denten, „beide sind für die Wissenschaft nossenschaft. Der Gang der Wissenschaft
da; sein Geschäft hängt mit an ihrer Ge- ist offenbar auf einer Universität, wo sie
genwart und würde ohne sie nicht gleich immerfort in einer grossen Menge und
glücklich vonstatten gehen; er würde, zwar kräftiger, rüstiger und jugendlicher
wenn sie sich nicht von selbst um ihn ver- Köpfe herumgewälzt wird, rascher und
sammelten, sie aufsuchen, um seinem lebendiger. Ueberhaupt lässt sich die
Ziel näher zu kommen durch die Verbin- Wissenschaft als Wissenschaft nicht
dung der geübten, aber eben darum auch wahrhaft vortragen, ohne sie jedesmal
leichter einseitigen und schon weniger wieder selbstthätig aufzufassen, und es
lebhaften Kraft mit der schwächeren und wäre unbegreiflich, wenn man nicht hier,
noch parteiloser nach allen Richtungen sogar oft, auf Entdeckungen stossen
muthig hinstrebenden“ (Humboldt, 256). sollte“ (Humboldt, 262).
Die Vorstellung, dass im Interesse der In den „mitdenkenden Köpfen“ der
Wissenschaft die Professoren die Studen- Leser wird es nun wahrscheinlich zu der
ten suchen müssten, wenn sie nicht von Reaktion kommen: „Das ist ja alles schön
selbst kämen, kann man kaum als weit und gut, aber eine längst verlorene und
verbreitet ansehen – to say the least. auf keinen Fall mehr zu erreichende
Idylle.“ Ich bin dieser Ansicht nicht, weil
Dialektische Arbeitsweise
wir, die für Universitäten Verantwortli-
Humboldt hat in seiner Denkschrift chen, es uns nicht leisten können, dieser
grundsätzlich die Verbindung der da- Ansicht zu sein. Die Tatsache, dass so vie-
mals existierenden wissenschaftlichen les in den Universitäten der Gegenwart
Akademien mit den Universitäten ver- unseren zu Recht erhobenen Ansprüchen
folgt. Es geht hier wiederum um die dia- nicht genügt, ist kein hinreichender
lektische Arbeitsweise und die Rolle der Grund, die Ansprüche aufzugeben.
Studenten in der Wissenschaft. Die Tatsa- Auch dürfen wir bei allem Klagen
che, dass Humboldts Wissenschaftsbe- nicht vergessen, dass es an den Univer-
griff ein anderer ist als der heutige, ist da- sitäten, etwa in naturwissenschaftlichen
bei unerheblich. oder „Orchideenfächern“, sogar in den
„Wenn man die Universität nur dem Massenfächern, viele Professoren gibt,
Unterricht und der Verbreitung der Wis- die die Wissenschaft als Beruf überaus
senschaft, die Akademie aber ihrer Erwei- ernst nehmen und Studenten dadurch
terung bestimmt erklärt, so thut man der fördern, dass sie ihnen viel abverlangen
ersteren offenbar Unrecht. Die Wissen- und sie frühzeitig in die Forschung einbe-
schaften sind gewiss ebenso sehr und in ziehen. Sie sind die Stützen der Univer-
Deutschland mehr durch die Univer- sität, ihnen sollte unsere Bewunderung
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Die Idee einer Universität
gelten – und sie dürfen bei Änderungen lasten. Die wachsende Orientierung der
des Besoldungsrechtes nicht vergessen Forschung an den Nützlichkeitskriterien,
werden. an dem Technologietransfer als „dritter
Worum es aber vor allem geht, ist mit akademischer Mission“, müsse auch, lau-
der größtmöglichen Klarheit zu sagen tet das Argument, die Arbeitsweise der
(und „zu Hause“, in Amerika, sage ich Universität in Lehre und Forschung stark
natürlich dasselbe): Die Qualität eines infrage stellen.
Landes als „Wissenschaftsstandort“ Ich habe natürlich nichts gegen den
hängt davon ab, dass die zukünftigen Technologietransfer, sondern unterstütze
Forscher Studienbedingungen vorfinden, ihn. Aber auf Grund meiner Erfahrungen
die Mit- und Selbsttätigkeit erleichtern. als Präsident von Stanford, das im direk-
Wir sind zum Beispiel in Stanford gegen- ten und indirekten Technologietransfer
wärtig dabei, ein beträchtliches Anlage- eine Führungsrolle einnimmt, muss ich
vermögen einzuwerben, allein um von betonen, dass vieles, was zu diesem
dessen Einkommen den Undergraduates, Thema über die amerikanischen Univer-
vor allem in den ersten zwei Jahren, bes- sitäten gesagt wird, auf Missverständnis-
sere Möglichkeiten zu geben, die For- sen beruht oder oberflächlich ist. Im
schung zu erfahren und – mit Unterstüt- Großen und Ganzen bestehen in den Ver-
zung der Fachbereiche der gesamten Uni- einigten Staaten wenig Zweifel daran,
versität – eigene Forschungsprojekte zu dass die erfolgreichste Methode des Wis-
verfolgen. Universitäten sind teuer, und sens- und Technologietransfers von Sei-
wenn man glaubt, gerade auf diesem Ge- ten der Universitäten in der Ausbildung
biet an Investitionen sparen zu können, von erstklassigen Studenten besteht:
dann trifft man, glaube ich, implizit die Männer und Frauen, die später einmal
Entscheidung, kein herausragender Wis- Führungsrollen in Industrie, Wirtschaft
senschaftsstandort sein zu wollen. Ande- und öffentlichem Dienst einnehmen kön-
rerseits soll natürlich nicht gesagt wer- nen. Studenten, die ihre Ausbildung in
den, dass die Gießkanne das Ideal der der Universitätsforschung erhalten, üben
Universitätsfinanzierung darstellt. im Ganzen gesehen größeren Einfluss auf
die Wirtschaft aus als patentierbare Erfin-
Das alte Leitbild
dungen von Hochschulwissenschaftlern.
Bei der Arbeitsweise der Universität in Die Fähigkeit, von ersten Prinzipien aus
Lehre und Forschung handelt es sich um zu denken und zu frischen Lösungen vor-
etwas Altbekanntes. So hat es der kürz- zustoßen, ist wichtiger als alles andere.
lich verstorbene Physiker Heinz Maier- Natürlich dürfen ein unternehmerischer
Leibnitz formuliert: „[W]as wir tun müs- Geist und die richtigen Startbedingungen
sen, ist, die zu fördern, die etwas können, nicht fehlen.
und von denen müssen wir sehr viel ver-
Elitenförderung
langen, nur so wird etwas aus ihnen.“
„Realisten“ mögen einwenden, dass Selbst wenn man akzeptiert, dass die Uni-
diese Argumente ein Leitbild von Wis- versität der Gegenwart eine „dritte“ Mis-
senschaft voraussetzen, das weitgehend sion hat und deshalb sehr viel Flexibilität
überholt ist. Das alte Leitbild stellte der und auch Anpassung an wirtschaftliche
wissenschaftlichen und vorrangig diszi- Prioritäten erwartet werden – eine Ent-
plinär organisierten Forschung gesell- wicklung, die Nowotny, Scott und Gib-
schaftliche Ressourcen zur Verfügung, bons als eine neue, „zweite“ Form der
ohne sie mit der Erwartung eines gesell- Universität bezeichnen –, so bleibt doch
schaftlichen Nutzens unmittelbar zu be- eine einfache Tatsache bestehen, die auch
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von den eben genannten Autoren betont nichts fordern, was sich unmittelbar und
wird: „The university... remains the geradezu auf ihn bezieht, sondern die in-
most important incubator of the next ge- nere Ueberzeugung hegen, dass, wenn sie
neration of researchers. This is a task that ihren Endzweck erreichen, sie auch seine
no other institution is well equipped to Zwecke und zwar von einem viel höheren
undertake.“ Deshalb darf meines Erach- Gesichtspunkte aus erfüllen, von einem,
tens eine effektive Wissenschaftspolitik von dem sich vielmehr zusammenfassen
die Universität nicht von dieser Haupt- lässt und ganz andere Kräfte und Hebel
aufgabe ablenken. Und es sei hinzuge- angebracht werden können, als er in Be-
fügt: Wenn die Bundesrepublik hochran- wegung zu setzen vermag“ (Humboldt,
gige Forschung in Natur-, Geistes- und 260).
Sozialwissenschaften haben will (und mit Dies war Humboldt wahrscheinlich
dem Begriff der Wissenschaften sind im- das Wichtigste, was er zum Verhältnis
mer alle drei gemeint), kommt sie um Eli- von staatlicher Lenkung und Universitä-
tenförderung in den Wissenschaften ten in seiner Denkschrift zu sagen hatte.
nicht herum. Zweitens machte er den separat an den
Elitenförderung ist aber nur dann König gerichteten Vorschlag, der Univer-
wirklich möglich, wenn die Universität sität Berlin königliche Domainen zu über-
der Hauptforschungsstandort ist und so- tragen, um die Universität unabhängig zu
mit den besten Studenten aus allen gesell- machen „von dem Wechsel, den Zahlun-
schaftlichen Schichten, geplant und zufäl- gen des Staates so leicht durch die politi-
lig, Wege zur Mittätigkeit geebnet wer- sche Lage und zufällige Umstände erfah-
den können. Die internationale Eva- ren“ (Humboldt, 117). Wir dürfen nicht
luierungskommission, die kürzlich das vergessen, dass Humboldt die Gründung
deutsche Forschungssystem begutachtet einer neuen Universität in Berlin unter
hat, hat betont, dass die von den Univer- anderem als ein Mittel der kulturellen
sitäten unabhängigen Forschungseinrich- und geistigen Erneuerung zu einer Zeit
tungen der Bundesrepublik nicht optimal betrieb, als Preußen, von Napoleon be-
sind, was die Förderung des wissen- siegt, vor dem finanziellen Niedergang
schaftlichen Nachwuchses betrifft, dass stand (Herrmann 494). Humboldts Ge-
also Ressourcen nicht hinreichend ge- danke wurde nicht verwirklicht. Heute
nutzt werden, die für die Zukunft des gibt es keine königlichen Domainen
Wissenschaftsstandorts Bundesrepublik mehr, deren Einkünfte zur Absicherung
ausschlaggebend sind. der Universitätsfinanzen verwendet wer-
den könnten, obwohl der Bedarf danach
Staatliche Lenkung
genauso groß ist wie zu Humboldts Zei-
Was der Staat von den wissenschaftlichen ten. Die so genannten Hochschulverträge
Anstalten erwarten sollte, hat Humboldt des Landes Berlin sind ohne Frage ein
eindeutig beschrieben, obwohl er in vieler Schritt in die richtige Richtung. Univer-
Hinsicht nicht dogmatisch, sondern eher sitätsautonomie und langfristige Planung
pragmatisch dachte: „Der Staat muss sind nicht wirklich realisierbar, wenn
seine Universitäten weder als Gymnasien Universitäten nicht über fünf bis zehn
noch als Specialschulen behandeln und Jahre hin mit mehr oder minder zuverläs-
sich seiner Akademie nicht als einer tech- sigen Einkünften rechnen können. Insbe-
nischen oder wissenschaftlichen Deputa- sondere besteht zu wenig Anreiz, Fremd-
tion bedienen. Er muss im Ganzen [Hum- mittel einzuwerben oder über Univer-
boldt denkt im Fall der Universität an sitätsgebühren nachzudenken, wenn ihre
,einzelne Ausnahmen‘] ... von ihnen erfolgreiche Umsetzung zu einer Reduk-
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Die Idee einer Universität
tion der staatlichen Zuwendungen auch von den Anstalten selbst, die, wie sie
führen könnte. beginnen, einen gewissen Geist anneh-
Drittens wollte Humboldt die staatli- men und gern das Aufkommen eines an-
che Kontrolle über Berufungen: „Die Er- deren ersticken. Auch den hieraus mögli-
nennung von Universitätslehrern muss cherweise entstammenden Nachtheilen
dem Staat ausschliesslich vorbehalten muss er vorbeugen“ (Humboldt, 259).
bleiben, und es ist gewiss keine gute Ein-
„Checks and balances“
richtung, den Facultäten darauf mehr
Einfluss zu verstatten, als ein verständi- Bei Humboldt handelte es sich also um
ges und billiges Curatorium von selbst den Bedarf an checks and balances,sozusa-
thun wird. Denn auf der Universität ist gen um eine Art der Gewaltenteilung. Je-
Antagonismus und Reibung heilsam und der, der mit Berufungen zu tun gehabt
nothwendig, und die Collision, die zwi- hat, ob nun in Deutschland oder in den
schen den Lehrern durch ihr Geschäft Vereinigten Staaten oder anderswo, weiß
selbst entsteht, kann auch unwillkürlich von den Gefahren des Nepotismus (der
ihren Gesichtspunkt verrücken. Auch ist Hausberufungen), des disziplinären Pro-
die Beschaffenheit der Universitäten zu vinzialismus, des old boy networkoder der
eng mit dem unmittelbaren Interesse des political correctness, um nur einige der
Staates verbunden“ (Humboldt, 264 f.). Kräfte zu nennen, die Universitäten in die
Dieser letzten Bemerkung sollte man Mittelmäßigkeit treiben können. Es
nicht zu viel Gewicht beimessen (außer scheint allerdings nicht so, dass heute – in
einem praktisch-pragmatischen), denn der Welt der ministeriellen Zuständigkei-
Humboldt betont an anderer Stelle in der ten – die erforderliche Kompetenz und
Denkschrift, dass der Staat sich bewusst der Wille zu finden sind, die es dem Staat
bleiben muss, „dass er vielmehr immer ermöglichen, auf größerer Qualität zu be-
hinderlich ist, sobald er sich hinein- stehen. Ich beklage das nicht. Glückli-
mischt, dass die Sache an sich ohne ihn cherweise hält sich der Staat heute meist
unendlich viel besser gehen würde“ von der direkten Einmischung in die Be-
(Humboldt, 257). Auch darf der Hinweis rufungen fern. Man sollte die staatliche
auf den Einfluss, den die Fakultäten auf Mitwirkung bei Berufungen ganz elimi-
ein „verständiges und billiges“ Kurato- nieren und stattdessen die „checks and
rium haben, nicht übersehen werden. Es balances“ innerhalb der Universitäten
steht aber außer Frage, dass Humboldt stärken und sich auf jene indirekten Kon-
sich im Interesse der Freiheit von Lehre trollen verlassen, die der Wettbewerb mit
und Forschung über universitäre Partei- sich bringt. Einen Althoff sehe ich nicht
ungen und Mittelmäßigkeit Sorgen am Horizont – for better or for worse.
machte und deshalb dem Staat in der Von Berufungen abgesehen, legt der
Form von „verständigen und billigen“ Staat in vielen Ländern der Welt alle Rah-
Kuratorien die entscheidende Rolle bei menbedingungen des Universitätswir-
der Auswahl der Professoren zuwies. kens fest: von Zulassungsverfahren zu
„Was nun aber das Aeussere des Ver- Studienplätzen und Prüfungsordnungen,
hältnisses zum Staat und seine Thätigkeit von Besoldungsordnungen zu Stellenplä-
dabei betrifft, so hat er nur zu sorgen für nen und Gehältern, von der Infrastruktur
Reichthum (Stärke und Mannigfaltigkeit) bis zur Konkurrenz mit anderen Univer-
an geistiger Kraft durch die Wahl der zu sitäten. Auch die Entscheidungsprozesse
versammelnden Männer und für Freiheit der Universitäten sind häufig im Detail
in ihrer Wirksamkeit. Der Freiheit droht staatlich geregelt, etwa in der deutschen
aber nicht bloss Gefahr von ihm, sondern Gremienuniversität. Das führt zu dem
Die politische Meinung Seite 51
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Thema der universitären Leitungsstruk- versitäten. Da sich aber der Vergleich mit
turen. den Vereinigten Staaten häufig auf Stan-
ford, Yale, Chicago, Princeton, Harvard
Universitäre Leistungsstrukturen
oder andere private Universitäten be-
Gelegentlich werde ich gefragt: Wenn ich schränkt, werden zwei wichtige Tatbe-
einen einzigen Aspekt der deutschen Uni- stände übergangen. Mehr als achtzig Pro-
versität verändern könnte, welcher zent aller amerikanischen Studenten be-
würde es sein? Meine Antwort lautet, den suchen öffentliche Einrichtungen. Diese
Universitäten das Recht zu geben, sich öffentlichen Universitäten genießen eine
ihre Studenten mehr oder minder frei Autonomie, die – wenn auch einge-
auszuwählen. Gute Studenten wollen an schränkt –, den privaten Universitäten
gute Universitäten, die daher gute Profes- weitgehend vergleichbar, in der Tat nach
soren haben müssen, die wiederum Uni- deren Modell konstruiert ist (mit Aus-
versitäten vorziehen würden, an denen nahme von Landeskinderquoten bei der
die Studenten gut sind. Damit würde ein Aufnahme von Undergraduates).
Wettbewerbsdruck entstehen, der self- Die öffentlichen Universitäten in den
sustainingsein könnte und auf vielen an- Vereinigten Staaten bekommen zwar fi-
deren Gebieten Folgen hätte. Die ameri- nanzielle Zuweisungen, die der landesge-
kanische Universitätslandschaft hat sich setzgeberischen Kontrolle unterliegen
unter anderem deswegen stark verbes- und fluktuieren können, sind aber im
sert, weil nach dem Zweiten Weltkrieg Übrigen den Privatuniversitäten analog
meist regionale Einzugsgebiete für Stu- strukturiert und unterstehen der Aufsicht
denten durch einen weitgehend nationa- von Kuratorien (boards of regents),die sich
len Wettbewerb ersetzt wurden. Dieser in der Regel in die akademischen Angele-
nationale Wettbewerb weitet sich zurzeit genheiten der Universität nicht einmi-
langsam, aber merklich zu einem interna- schen. Ausnahmen, auch wichtige Aus-
tionalen Wettbewerb aus. nahmen, gab und gibt es von diesem
Die Umsetzung der Auswahlfreiheit Grundsatz.
würde freilich von den Universitäten ver- Als Präsident von Stanford stand ich
langen, dass sie die schwierige Aufgabe nicht nur ständig mit den privaten Uni-
übernehmen, Bewerbungen wirklich, versitäten im Wettbewerb, sondern beob-
nicht nur formelhaft, und für verschie- achtete ebenso sorgfältig die Initiativen
dene Fachrichtungen jeweils unterschied- der University of California, wahrschein-
lich zu bewerten. Auch würde Auswahl- lich der besten öffentlichen Universität
freiheit bedeuten, dass die Universitäten der Welt, der Universitäten von Michi-
selbst effektiv um die besten Studenten gan, Wisconsin, Washington oder Texas,
werben. – um nur einige Beispiele zu nennen.
Freilich muss eine Universität, um Ini-
Wettbewerbsfähigkeit und
tiativen ergreifen zu können, über ver-
Autonomie
lässliche Mittel verfügen und Leitungs-
Um in einem Wettbewerb zu bestehen, strukturen besitzen, die nicht im gewöhn-
um sich zu profilieren, brauchen Univer- lichen Sinne des Wortes politisch sind
sitäten das Recht und natürlich die Bereit- und Langzeitperspektiven erlauben. Ihre
schaft, autonom (im wahrsten Sinne des Führungskräfte müssen über ein hohes
Wortes) Entscheidungen zu treffen. Dazu Maß an Verantwortung verfügen und da-
wird mancher sagen: Was für private her auch die Folgen ihrer Entscheidungen
amerikanische Universitäten recht sein tragen, insbesondere im Hinblick auf ihre
mag, ist undenkbar für öffentliche Uni- Reputation.
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Die Idee einer Universität
In der gegenwärtigen deutschen Hoch- nannt. Während Letzteres von der Exeku-
schulpolitik sind Ansätze zu alldem er- tive ernannt oder auf Landesebene für
kennbar, sie werden aber nicht konse- festgelegte Amtsperioden gewählt wird,
quent durchdacht und durchgeführt. perpetuieren sich die Boards der Privat-
Wenn ich auch die Opposition des so ge- universitäten im Allgemeinen durch
nannten Allgemeinen Fakultätentages Kooptation. Sie bestehen fast immer aus
gegen eine „Amerikanisierung des deut- externen Mitgliedern. Ihre Zahl variiert
schen Hochschulwesens“ als solche eher stark. Die Yale University hat fünfzehn,
merkwürdig finde, bin ich im Ganzen Stanford fünfunddreißig. Sitzungen fin-
skeptisch, wenn amerikanische Modelle den in der Regel etwa fünfmal im Jahr
für deutsche Universitäten selektiv in An- jeweils für zwei Tage statt. Die Haupt-
spruch genommen werden. Ich stimme zuständigkeit der Boards liegt bei der Fi-
Reinhold Grimm, dem Sprecher der Kriti- nanzaufsicht. Berufungen und Lehrpläne
ker, zu, wenn er sagt: „Man kann nicht sind de jure oder de facto den akademi-
einzelne Elemente aus der angelsächsi- schen Instanzen vorbehalten. Im Übrigen
schen Hochschullandschaft herausgrei- ist die wichtigste Aufgabe der Boards of
fen und den deutschen Universitäten auf- Trustees wahrscheinlich die Ernennung
pfropfen, ohne dass unser System in der Universitätspräsidenten. Ihre Aus-
Schieflage gerät“ (Die Zeit,20. Dezember wahl kann sehr verschiedenen Modellen
2000, 42). Aufpfropfen verbessert zwar folgen. In Stanford konstituiert der Vor-
den Wein, hilft bei komplexen Institutio- sitzende des Board of Trusteeseine gleiche
nen, wie es Universitäten sind, in der Re- Anzahl von Trusteesund Professoren (je-
gel aber wenig. „Systemschieflagen“ will weils sieben), zwei Studenten, einen An-
ich auch nicht, aber Systemveränderun- gestellten und einen Ehemaligen als Mit-
gen scheinen mir in der Tat unerlässlich. glieder eines search committee (Findungs-
kommission), das die Hauptarbeit leistet.
Amerikanische Universitäten
Bei seiner Zusammensetzung wird auf
Mit diesem kleinen Caveat glaube ich, die Qualität der Mitglieder Wert gelegt
dass die Leitungsstrukturen der amerika- und auf fachliche, berufliche und demo-
nischen Universitäten es wert sind, ge- graphische Breite geachtet. De facto ge-
nauer angesehen zu werden. Sie können ben die Professoren den Ausschlag.
und sollen nicht einfach rezipiert werden.
Kritisch-kooperativer Geist
Was sie betrachtenswert macht, ist eine
Form der universitären Selbstverwal- (2) Die Amtszeit der Präsidenten beläuft
tung, die staatliche Vormundschaft, sich im Landesdurchschnitt auf etwa fünf
natürlich mit Ausnahme der allgemeinen Jahre, sie liegt aber bei den so genannten
Rechtsvorschriften, im Großen und research universitieshäufig höher. Sie kann
Ganzen auf ein Minimum beschränkt. Es rechtlich vorher festgelegt oder unbe-
wäre ein begrüßenswerter Anfang der stimmt sein. Für mich galt die alte engli-
Systemveränderung in der Bundesrepu- sche Rechtsformel, nach der ich at the plea-
blik, wenn man sich dazu durchringen sure des Board of Trustees „diente“, das
könnte, die Hochschulabteilungen der heißt, ich konnte jederzeit entlassen wer-
Kultusministerien zu schließen. Die ame- den.
rikanischen Universitätsverfassungen se- Der Präsident seinerseits hat mehr
hen in etwa folgendermaßen aus: oder minder freie Hand bei der Ernen-
(1) Aufsicht führt ein Board of Trustees nung von Vizepräsidenten für verschie-
(Treuhänder), im Falle der öffentlichen dene Sachbereiche. Sie werden häufig auf
Universitäten häufig Board of Regents ge- der Grundlage von landesweiten Aus-
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schreibungen ausgewählt und sind ihrer- gentlich nach Konsultation mit dem Prä-
seits at the pleasure des Präsidenten im sidenten, festgesetzt.
Amt.
Kommunikationsbereitschaft der
Das Wichtigste an dieser Struktur ist,
Führungsspitzen
dass sich der Universitätspräsident ein
Team zusammenstellen kann, das die (4) Im Großen und Ganzen hängt das
Aufgaben in einem kritisch-kooperativen Funktionieren dieses einerseits hierarchi-
Geist angeht und keinen politischen In- schen, andererseits flachen Systems von
teressen hörig ist. Der Präsident ernennt der Konsultations- und Kommunikati-
und entlässt auch die Dekane, die in der onsbereitschaft der Führungsspitzen ab,
Regel ihr Amt fünf bis zehn Jahre wahr- selbstverständlich aber auch von ihrer Be-
nehmen. Vor ihrer Ernennung werden reitschaft, Entscheidungen zu treffen. Bei
die betreffenden Fakultäten mithilfe eines der Konsultation handelt es sich vor allem
search committee ausführlich konsultiert. um die Beratung mit den für Lehre und
De facto kommt dies nicht selten einer Forschung wichtigen Mitgliedern des
Wahl nahe. Lehrkörpers sowie um regelmäßige Sit-
Vom Haushaltsplan und den Finanzen zungen mit den Dekanen, dem akademi-
(einschließlich der Einwerbung von schen Senat und den Ausschüssen und
Spenden) abgesehen erstreckt sich der Kommissionen, die den Universitätsall-
Einfluss der Präsidenten, mehr de factoals tag prägen. Studenten werden gehört und
de jure, auf potenziell alle Bereiche der angehört in Treffen mit gewählten Vertre-
Universität. Ihr Einfluss hängt allerdings tern oder auch mit einzelnen Studenten.
vor allem von ihrer Fähigkeit ab, Kolle- Ich hielt zum Beispiel Sprechstunden für
gen, Mitarbeiter und Studenten davon zu Studenten ab und erschien regelmäßig zu
überzeugen, dass dies oder jenes zu tun einer Fragestunde vor dem Studenten-
oder zu lassen im Interesse der Univer- parlament. Die letztere Gelegenheit
sität liegt. Diese Aufgabe fällt leichter, nutzte ich ebenso wie die zweiwöchentli-
wenn man für die finanzielle Absiche- chen Sitzungen des akademischen Senats,
rung von Prioritäten selbst Sorge getra- um zu wichtigen Fragen Stellung zu neh-
gen hat. men oder Initiativen vorzubereiten.
Die mir auf Grund meiner Erfahrung
Lehrpläne und Initiativen
wichtigsten Elemente dieser Strukturen
für Berufungen
sind, dass die Präsidenten nicht aus
(3) Die Verantwortung für Lehrpläne liegt Wahlkämpfen hervorgehen und daher
grundsätzlich bei den Fachbereichen, Fa- auch keine Wahlkapitulationen unter-
kultäten und, unter Umständen, bei dem schreiben müssen, dass die Leitungsspit-
von der Professorenschaft (und nur der zen ein Team darstellen, dass es viele for-
Professorenschaft) gewählten Senat. melle und informelle checks and balances
Die Initiative für Berufungen geht von gibt und der Universitätshaushalt zum
den Fachbereichen (departments) aus, Verantwortungsbereich des Präsidenten
muss die Zustimmung des zuständigen gehört.
Dekanats und des Provosts haben und
Strukturierte Anarchie
unterliegt häufig weiterer Qualitätskon-
trolle durch einen von der gesamten Pro- Eines der Hauptsteuermittel ist die Haus-
fessorenschaft gewählten Ausschuss. Der haltskontrolle, insbesondere die Einwer-
Präsident hat in der Regel ein Vetorecht. bung und Verteilung neuer Mittel. Natür-
Die Gehälter der Berufenen werden auf lich ist wie in allen Haushalten, ob im
Vorschlag der Dekane vom Provost, gele- Staat oder bei der Privatwirtschaft, vieles
Seite 54 Die politische Meinung
Description:Seite 45. Nr. 378 · Mai 2001. Wie eine „strukturierte. Anarchie“ Gutes hervorbringen kann. Die Idee einer Universität. Gerhard Casper. Inhalt PM 378/