Table Of Contentlngo Dammer· Frank Szymkowiak
Die Gruppendiskussion
in der Marktforschung
Ingo Dammer· Frank Szymkowiak
Die Gruppendiskussion
in der Marktforschung
Grundlagen - Moderation - Auswertung
Ein Praxisleitfaden
Westdeutscher Verlag
Alle Rechte vorbehalten
© Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/Wiesbaden, 1998
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Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen.
Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt
Satz: Wilhe1m Schäfer, Köln
ISBN 978-3-531-13317-1 ISBN 978-3-322-96390-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-96390-1
Inhalt
1. Was Sie hier erwartet ...................................... 7
1.1. Warum eigentlich? ......................................... 7
1.2. Konzept statt Rezept ........................................ 9
1.3. Achtung: Theorie! ......................................... 12
1.4. Ein kurzer Überblick ....................................... 13
2. Die Gruppe, das scheinbar selbstverständliche Ding ............ 15
2.1. Gruppe und Individualität: Eine heilige Kuh wird geschlachtet. ..... 17
2.2. Noch ein Problem: die modische Ganzheitlichkeit ................ 21
2.3. Zwischenresümee und pragmatische Versöhnung ................ 27
3. Gruppendiskussionen aus Sicht der
Morphologischen Markt-und Medienpsychologie ............. 30
3.1. Vorteile und Vorbehalte .................................... 30
Exkurs: Statistische und psychologisch-funktionale
Repräsentativität .................................... 34
3.2. Ein ganzheitliches Methodenverständnis ........................ 38
3.3. Ein psychologisches Bezugssystem: Wirkungseinheiten ........... 41
3.3.1. Motivation ist ein kollektiver Prozeß .................... 42
3.3.2. Jedes Produkt entfaltet sein eigenes Wirkungsfeld .......... 44
3.3.3. Motivation ist ein dramatischer Prozeß .................. 47
3.4. Gruppendiskussionen und Wirkungseinheiten ................... 50
3.5. Die Leistungsfähigkeit von Gruppendiskussionen ................ 56
4. Zur Handhabung der Gruppendynamik ..................... 59
4.1. Das Bild der Gruppendynamik ............................... 59
4.2. Gruppendynamik anders betrachtet. ........................... 65
4.3. Gruppenmoderation als Widerstands-Behandlung ................ 67
4.4. Der Konsenszwang ........................................ 72
4.5. Gruppendynamik ist fruchtbar. ............................... 73
5. Moderationstechniken ..................................... 75
5.1. Moderationstechniken: Kontextanalyse statt Textgläubigkeit ....... 76
5.1.1. Fallbeispiel: Gruppendiskussion zum neuen
Auftritt eines Finanzdienstleisters ....................... 78
5.1.2. Fallbeispiel: Die ,Cool kids can wait'-Kampagne
des VdC ........................................... 80
5.1.3. Fallbeispiel: Wirkungsanalyse von Fachtiteln aus
dem Pferdesportbereich .............................. 83
5.1.4. Anforderungen an die Moderatoren ..................... 84
6 Inhalt
5.2. Moderationstechniken: Anschauliche Beschreibung
statt gängiger Etikettierung .................................. 85
5.2.1. Fallbeispiel: Markenpräferenzen im Segment Full
Flavour-Zigaretten (Marlboro) ......................... 87
5.2.2. Fallbeispiel Haushaltsreiniger. ......................... 88
5.2.3. Anforderungen an die Moderatoren ..................... 89
5.3. Moderationstechniken: Psychologische Strukturierung
statt Leitfaden-Mechanik .................................... 94
5.3.1. Der Leitfaden ........................................ 94
5.3.2. Anforderungen an die Moderatoren ...................... 97
6. Dokumentation ......... ................................. 99
6.1. Die Nachschlagewerke: Videos und Textprotokolle ............... 99
6.2. Moderatorenprotokolle: der heimliche Beginn der Auswertung ..... 103
7. Auswertung ...... ...................................... 110
7.1. Datum versus Faktum ..................................... 110
7.2. Auswertung mit System ................................... 113
7.2.1. Wozu "System"? .................................. 113
7.2.2. Welches System? .................................. 117
7.3. Die Auswertungsschritte ................................... 121
7.3.1. Schritt 1: Die Logik der Qualitäten (Sammeln) ........... 123
7.3.2. Schritt 2: Die Verhältnisse der Qualitäten
zueinander (Ordnen) ................................ 125
7.3.3. Schritt 3: Das Motivgefüge (Konstruieren) .............. 129
7.3.4. Schritt 4: Das spannende Bild (Zentrieren) .............. 133
7.4. Ergebniskontrolle ........................................ 134
7.4.1. Konzeptimmanente Kontrollen ....................... 135
7.4.2. Konzeptexterne Kontrolle ........................... 137
8. Zusammenfassung ....................................... 140
8.1. Methode ................................................ 142
8.2. Inhalte ................................................. 143
8.3. Praktische Leitlinien ...................................... 147
8.4. Was noch bleibt. ......................................... 148
9. Literaturverzeichnis ..................................... 150
10. Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
1. Was Sie hier erwartet
1.1. Warum eigentlich?
Welchen Sinn kann es haben, ein Buch über die Gruppen
diskussion in der Marktforschung zu schreiben? Die
Gruppendiskussion hat sich doch ganz ohne literarische
Schützenhilfe als oft und gern eingesetztes Verfahren der
Marktforschung etabliert. Warum also Papier verschwen
den, wenn das, was da schriftlich auseinandergesetzt
wird, auch ohnedies prima funktioniert?
Eben. Sieht man etwas genauer hin, dann stellt man Diskrepanz
eine erstaunliche Diskrepanz fest zwischen der Häufig-
keit, mit der Gruppendiskussionen zur Anwendung kom-
men, und dem weitgehenden Schweigen über die metho-
dischen und systematischen Aspekte des Verfahrens. Und
das, möchten wir boshafterweise hinzufügen, in einer
Branche, die doch sonst jede Kleinigkeit, mit der sie sich
gerade beschäftigt, publizistisch genußvoll breittritt. Und
natürlich gibt es reichlich Veröffentlichungen, die sich
mit der Gruppendiskussion beschäftigen, meist unter der
Fragestellung, zu welchen Zwecken sie einsetzbar ist.
Aber: Es finden sich kaum Erörterungen über die Grup
pendiskussion in methodischer Hinsichrl.
Erfahrungen mit der Weiterbildung geben da deutli- Unbehagen
che Hinweise: Zwar setzen alle gern Gruppendiskussio-
nen in der Marktforschung ein, aber niemand kann so
recht sagen kann, wie das denn nun unter methodischen
Gesichtspunkten funktioniert, wie man eine Gruppendis-
kussion kompetent moderiert oder im Sinne der Frage-
stellung optimal auswertet. Das alles erzeugt ein gewisses
Unbehagen an einem alltäglich verwendeten Instrument,
denn es bleibt bei diesem Stand der Dinge eben offen, ob
man seine Möglichkeiten ausschöpft, oder ob man es nur
deswegen anwendet, weil ...
I Selbst Autoren von Standardwerken wie Unger (1997) oder Salcher
(1994) widmen der Methodik von Gruppendiskussionen nur eine bzw.
fünf Seiten in ihren Büchern.
8 1. Was Sie hier erwartet
Ja, warum eigentlich? Weil es ja doch irgendwie funktio
niert und irgendetwas immer dabei herauskommt? Mit
einem vergleichbar geringen Kenntnisstand würde sich
niemand an eine mathematisch fundierte, also statistische
Untersuchung heranwagen, aber bei einer Gruppendis
kussion geht's doch auch so. Ein Gespräch führen können
wir schließlich alle, und zuhören, was andere uns mitzu
teilen haben, ebenso. Es ist dann ja nur noch eine Frage
der persönlichen Interpretationskunst, aus dem erhobe
nen Material etwas zu machen, was die Auftraggeber
interessiert2•
Auftraggeberwonsche Überhaupt: Die Auftraggeber. Auftraggeber lieben
Gruppendiskussionen, denn sie glauben, mehrere Fliegen
mit einer Klappe zu schlagen, wenn das Image ihres Mar
kenprodukts oder ihrer Firma, die vermutliche Akzeptanz
eines neuen Produkts oder die Wirkung eines Werbespots
mithilfe von Gruppendiskussionen erhoben wird. Wir
werden später die Vorteile des Verfahrens ausführlicher
erörtern (~ 3.1.). Hier nur soviel: Man führt Gruppendis
kussionen durch, weil die Auftraggeber es so wollen und
ja auch tatsächlich immer etwas dabei herauskommt.
Effizienz Bleibt nur die Frage: Wenn soweit alles in Ordnung
ist, woher stammt dann der große Weiterbildungsbedarf
in Moderation und Auswertung von Gruppendiskussio
nen? Aus dem verständlichen Wunsch, mehr aus dem zu
machen, was man ohnehin tut, und damit ein erfolgver
sprechendes Verfahren zukünftig sicherer und effizienter
einsetzen zu können. Es läßt sich dann auch als Produkt
überzeugender verkaufen.
Hier setzt das Buch an, das zwei Ziele verfolgt:
Grundlagen Es stellt die Grundlagen der Gruppendiskussion als
Verfahren der Marktforschung und benachbarter Be
reiche dar. Die Gruppendiskussion ist ein eigenständi-
2 V gl. SchOtzendorfs sarkastische, aber treffsichere Abrechnung mit
dieser Art "Methodenverständnis - ich spreche bewußt nicht von
Methodenwissen" (1994: 43) in Zusammenhang mit Gruppendiskus
sionen.
1.2. Konzept statt Rezept 9
ges Verfahren und keine methodische Notlösung.
Es entwickelt anschaulich und systematisch anhand Techniken
konkreter Beispiele die Techniken für Moderation
und Auswertung von Gruppendiskussionen. So kann
das Erkenntnispotential des Verfahrens optimal aus-
geschöpft werden.
Und es ist für alle Praktiker der Marktforschung geeignet:
Berufseinsteiger und Marktforscher, die die Gruppen- Einführung
diskussion , neu' entdeckt haben und in ihr Verfah
rensrepertoire aufnehmen wollen, können es als Ein-
führung nutzen und sich zugleich bei ihren ersten
praktischen Erfahrungen an ihm orientieren. Das
Buch wurde dafür eigens nach den in der Weiterbil-
dung bewährten didaktischen Prinzipien aufgebaut.
Es bietet erfahreneren Marktforschern durch sein Handbuch
Stichwortregister ein kleines Nachschlagewerk für
den beruflichen Alltag und fungiert so als praxisnahes
Handbuch.
1.2. Konzept statt Rezept
Wir möchten nun aber auch noch ein paar Sätze darüber
verlieren, welche Erwartungen dieses Buch bestimmt
nicht erfüllen wird. Es wird sich nicht an dem in der
Marktforschung immer wieder gern geführten Streit um
qualitative und quantitative Forschung, um weiche und
harte Daten beteiligen, und auch nicht die modische Hal
tung des "anything goes" einnehmen. (Die das methodi
sche und theoretische Problem, das in dem Streit steckt,
im übrigen nicht löst, sondern bloß unter Hinweis auf die
Pragmatik des Berufsalltags für unwichtig erklärt.) Sich
mit der Gruppendiskussion in Hinblick auf die Optimie
rung der beruflichen Praxis zu beschäftigen, kann ange
messen weder unter den Vorzeichen eines simplen
Richtig-Falsch-Schemas noch unter denen einer methodi
schen Beliebigkeit geschehen, in deren Rahmen die
10 I. Was Sie hier erwartet
Methoden angeblich ,gemixt' werden können, als han
dele es sich um Partycocktails3•
Problem Weder starrsinniger Fundamentalismus noch leicht-
fertige Beliebigkeit - aber was denn dann? Unser Vor
schlag: In beiden Haltungen das sehen, was richtig ist,
und das dann zusammenbringen. Die richtige, nur völlig
überzogen praktizierte Grundeinsicht des Fundamentalis
mus ist, daß es ohne Festlegungen nicht geht, und daß
Festlegungen Konsequenzen nach sich ziehen, die nicht
beliebig sind. Andererseits ist die Wirklichkeit, in der wir
leben, so vielfältig, daß stur durchgehaltene Festlegungen
sich immer wieder festrennen; dann ist nicht ,mehr vom
selben " sondern Flexibilität gefragt, wie die Vertreter der
methodischen Beliebigkeit richtig erkennen.
Lösung Bezogen auf das Thema Gruppendiskussion heißt das:
Wir präsentieren das Verfahren in einem Rahmen, der die
notwendige Entschiedenheit und die notwendige Beweg
lichkeit garantiert. Das klingt schwieriger, als es ist. Der
Trick besteht darin, die Entschiedenheit nicht in starren
Verhaltens-oder Interpretationsrezepten ("wenn ein Teil
nehmer zuviel redet, muß ich ihn bremsen"; "wenn
jemand so etwas sagt, bedeutet das dieses und jenes"),
sondern in einem Konzept von und einer Haltung zur
Gruppendiskussion unterzubringen, die ein Maximum an
Beweglichkeit den Phänomenen gegenüber ausdrücklich
als methodische Grundposition beinhalten. Was immer
auch die Teilnehmer einer Gruppendiskussion sagen, wie
sie sich verhalten - alles das muß zugelassen, zur Kennt
nis genommen und bearbeitet werden. Aber wie die Phä
nomene bearbeitet werden, das kann nicht der Intuition
des Augenblicks oder ähnlichen Zufällen überlassen blei
ben, sondern muß nach entschiedenen, sinnvoll aufeinan
der bezogenen und angebbaren Regeln geschehen.
Die Grundsätze, nach denen dieses Buch aufgebaut ist,
kann man so zusammenfassen:
3 Mit unterschiedlichen Methoden gewonnene Ergebnisse können sich
sinnvoll ergänzen (-7 7.4.2.), aber Methoden kann man nicht mischen.
1.2. Konzept statt Rezept 11
• Konzept statt Rezept
Beweglich in der Sache, entschieden in der Haltung
Unsere Haltung nun, die sich in den beiden Grundsätzen Morphologie
spiegelt, stammt aus der Psychologie, genauer gesagt: aus
der Psychologischen Morphologie. Dieser Ansatz wurde
im wissenschaftlichen Bereich seit den 60er Jahren ent-
wickelt und wird seit den frühen 80ern in zahlreichen
unterschiedlichen Berufsfeldern - darunter eben auch die
Markt- und Medienforschung - mit wachsendem Erfolg
praktisch umgesetzt.
Das bedeutet nun aber nicht, daß es seine Leser quasi
unter der Hand zu Psychologen ,erziehen' will. Daß es
aus einer psychologischen Sicht heraus geschrieben ist,
verdankt sich einem sehr einleuchtenden Sachverhalt:
Keine andere Wissenschaft hat die systematische Durch
dringung von Gruppendiskussionen so weit getrieben wie
die Psychologie - auch die Soziologie nicht. Und daß von
allen psychologischen Auffassungen hier die Morpholo
gie zum Tragen kommt, liegt daran, daß nur sie ein in der
Praxis umsetzbares methodisches Konzept von Gruppen
diskussionen entwickelt hat. Man mag es, wie schon ein
leitend bemerkt, kaum glauben, aber der einzige bisher
veröffentlichte Beitrag zur Methodik der Gruppendiskus
sion stammt von Melchers (1994a, b), einem renommier
ten morphologischen Marktforscher.
Marktforschung ist ein Geschäft, das, auf's Ganze Marktforschung
gesehen, keine übermäßige Spezialisierung im Sinne der
akademischen Fächer verträgt. Daher sollen hier auch
keine Marktforscher für die Psychologie gewonnen, son-
dern umgekehrt Psychologie für die Marktforschung
fruchtbar gemacht werden. Wir versuchen, in diesem
Buch einen Mittelweg einzuhalten, der wissenschaftliche
Gründlichkeit mit Praktikabilität für den Berufsalltag
verbindet, und dabei akademische Enge einerseits und
professionell sich gebärdende Denkfaulheit andererseits
zu vermeiden.