Table Of ContentWilhelm H. Westphal
Die Grundlagen des
physikalischen Begriffssystems
Physikalische GraBen und Einheiten
2., verbesserte Auflage
Friedr. Vieweg + Sohn . Braunschweig
Verlagsredaktion: Alfred Schubert
ISBN 978-3-322-98612-2 ISBN 978-3-322-98611-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-98611-5
1971
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Herrn Professor
Dr.-Ing. Johannes Fischer, Karlsruhe,
in Dankbarkeit gewidmet
Aus dem Vorwort zur 1. Auflage
Diese Schrift wendet sich an Physiker - auch Physiklehrer und Studenten -,
an lngenieure und an Chemiker, die sich nicht damit zufrieden geben, daB
der Gleichungsapparat der Physik hochst vollkommen arbeitet und das
physikalische Erkenntnisgut in eine praktisch anwendbare Form bringt,
sondern auch nach den begrifflichen Grundlagen der Physik fragen. Eine
Antwort ist aber nicht moglich ohne ein konsequentes Denken in in varian
ten, das heiBt: von der Einheitenwahl unabhiingigen GrofSen, urn des sen
Durchsetzung Julius Wallot [7] sich schon vor mehr als 40 Jahren bemiiht
hat. lndessen hat es sich trotz seiner offenbaren Vorziige noch keineswegs
allgemein durchgesetzt.
Das 1. Kapitel bringt vor allem eine Einfuhrung in die GrofSenlehre und ihre
Anwendungen auf physikalische Gleichungen. Eine Behandlung der Ein
heiten - als spezielle BezugsgroBen - ist dabei nicht zu umgehen. lch bitte
indes zu beachten, daB das Hauptgewicht dieser Schrift allgemein bei den
GrofSen liegt.
Der Elektrodynamik muB besonders viel Raum gegonnt werden; denn nicht
nur ist die gelegentlich immer noch umstrittene Frage nach der Anzahl der
hier notwendigen GrundgroBen zu klaren, sondern es miissen auch die
sogenannten CGS-Systeme, die insbesondere von der Theoretischen Physik
fast ausnahmslos verwendet werden, vom Standpunkt der GroBenlehre aus
unvoreingenommen behandelt werden. Ziemlich ausfiihrlich muBte auch die
Molekularmechanik behandelt werden, wo die Notwendigkeit der Ein
fiihrung einer besonderen GrundgroBe (mit dem neu definierten Mol als
Einheit) genau zu begriinden ist. In der Warmelehre muB gezeigt werden,
weshalb die Temperatur eine GrundgroBe sein muB und nicht von der Art
einer Energie schlechthin sein kann, wie es noch gelegentlich behauptet wird.
Wo die Darstellung es nicht anders erfordert, begniigen wir uns meist mit
den Definitionen der lnternationalen Grundeinheiten, da diejenigen der
wichtigeren abgeleiteten Einheiten in jedem Lehrbuch stehen. Eine ganz
ausfiihrliche Darstellung des ganzen Gebietes der GroBen und Einheiten
hat Ulrich Stille gegeben [5]. 1m Anhang I bringen wir einige ihrer Art nach
wohl teilweise neue Dberlegungen iiber Naturgesetze und Definitionen und
deren grundsatzlichen begrifflichen Unterschied sowie iiber einige Folgen
einer Nichtbeachtung dieses Unterschiedes.
1m Anhang II geben wir eine kurze Darstellung der Geschichte des metri
schen Systems, obgleich die GroBen und nicht die Einheiten im Vorder
grunde dieser Schrift stehen. Doch wird sie vielleicht manchen Lesern will
kommen sein.
1m allgemeinen bringt diese Schrift nur wenig, was nicht, wenn auch oft
verstreut, schon an anderen Stellen geschrieben worden ist, aber in einer die
gesamte Physik umfassenden Darstellung, in der sich immer eines aus dem
anderen in logischer Folge entwickelt, und hier und da von einem neuen
Blickpunkt aus. In allem Wesentlichen entspricht das hier Mitgeteilte in
seinen Konsequenzen den Empfehlungen der internationalen physikalischen
und chemischen Gremien oder der Entwicklung, die sich bereits abzeichnet.
An physikalischem Wlssen wird kaum mehr vorauGgesetzt, als ein Student
besitzen sollte, der eine zweisemestrige Vorlesung uber Experimentalphysik
nicht nur gehort, sondern auch verstanden hat.
Ich habe diese Schrift meinem Freunde Professor Dr.-Ing. Johannes Fischer
gewidmet als Ausdruck meines warmsten Dankes fur sein tatiges Interesse
an ihrem Zustandekommen, fur seine laufende kritische Beurteilung meiner
verschiedenen Entwurfe und seine standige Ermunterung. Ohne ihn ware
diese Schrift wohl kaum zustande gekommen.
Berlin 37, im November 1964 Wilhelm H. Westphal
Vorwort zur 2. Auflage
Die 1. Auflage dieses Buches hat eine erfreuliche Aufnahme gefunden, und
gegen ihre Ausfiihrungen ist keinerlei irgend begrundeter Widerspruch
erhoben worden. Deshalb brauchte in sachlicher Beziehung in dieser neuen
Auflage nichts geandert zu werden. Dennoch ist sie stark bearbeitet, und
manches ist zum besseren Verstandnis ausfiihrlicher behandelt. In der Elektro
dynamik wird jetzt von den sog. CGS-Systemen nur noch das in der Theo
retischen Physik fast ausschlieBlich verwendete Gau~sche System ausfiihrlich
behandelt. In der Molekularmechanik wird jetzt fur die in der Einheit Mol
gemessene GroBe statt des Namens Teilchenmenge der heute in den deut
schen Normen und im bundesdeutschen Einheitengesetz eingefuhrte Name
Stoffmenge verwendet. GemaB internationaler Empfehlung heiBt die Tempe
ratureinheit jetzt nicht mehr Grad Kelvin (OK), sondern nur Kelvin (K).
Wiederum gebiihrt mein herzlicher Dank meinem Freunde Professor Dr.-Ing.
Johannes Fischer, Karlsruhe, fur sein tatiges Interesse an dieser neuen Auf
lage, aber auch fur das Lesen der Korrektur des Umbruchs, wozu ich wegen
meiner schlechten Augen nicht mehr fahig war.
Hinweise wie 1.3. beziehen sich auf den jeweils laufenden Abschnitt, solche
wie IV, 2.1. auf den entsprechenden Abschnitt des 2. Kapitels, solche wie (3)
auf eine Gleichung des gleichen Abschnitts, solche wie II (1) auf eine Glei
chung im 2. Kapitel und solche wie [7] auf das Literaturverzeichnis am SchiuB
der Schrift.
Berlin 37, im Juni 1971
BerlepschstraBe 72 a Wilhelm H. Westphal
Inhal tsverzeidmis
1. Kapitel. Einfiihrung in die GroBenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1. Physikalische GroBen ............................................ 1
2. Einheiten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
3. GroBensysteme ................................................. 4
4. Einheitensysteme ................................................ 6
5. Physikalische Gleichungen ........................................ 7
2. KapiteL GroBensysteme und Einheitensysteme ........................ 8
I. Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
II. Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
III. Dynamik ...................................................... 9
1. Masse und Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 10
2. Physikalische Einheitensysteme der Dynamik .................... 11
3. Das Technische System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11
4. Gravitation ................................................. 12
IV. Elektrodynamik ................................................ 13
1. Das GroBensystem der ElektriziHitslehre ....................... 13
1.1. Elektrostatik ............................................ 13
1.2. Magnetostatik .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 14
1.3. Elektromagnetismus ..................................... 15
1.4. Die Feldkonstanten ...................................... 16
1.5. Die BasisgroBen der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 16
2. Einheitensysteme der Elektrodynamik .......................... 18
2.1. Die Internationalen Einheiten ............................. 19
2.2. Die Mieschen Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 20
2.3. Die Wallotschen Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 20
3. Die sogenannten CGS-Systeme der Elektrodynamik .............. 21
V. Molekularmechanik ............................................ 25
1. Teilchenanzahlen ............................................ 25
2. Die Entwicklung des Molbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 25
3. Die Stoffmenge und das neue Mol .............................. 27
VI. Warmelehre ................................................... 30
1. Temperatur ................................................. 30
2. Temperaturskalen ........................................... 32
3. Warmemenge ............................................... 34
VII. Schlugwort zu den Grogen-und Einheitensystemen . . . . . . . . . . . . . . . .. 34
3. KapiteI. Naturgesetze und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 36
Anhang: Die Geschichte des metrischen Systems ......................... 39
Literaturhinweise .................................................... 44
Sachregister ......................................................... 45
1. Kapitel
Einfuhrung in die Gr6Beniehre
Es war eine der GrofStaten Galileo Galileis, dafS er lehrte, durch Messungen
gewonnene Erkenntnisse, also physikalische Gesetze, in der seitdem all
gemein angewandten Form von Gleichungen darzustellen. Von da an war
es moglich, das physikalische Erkenntnisgut auf iibersichtliche und einfache
Weise zu sammeln und zu ordnen und durch Operieren mit den Gleichungen
auf Moglichkeiten neuer Erkenntnisse hingewiesen zu werden. Die in diesen
Gleichungen auftretenden Buchstabensymbole (Formelzeichen) wurden aber
bis vor einigen J ahrzehnten allgemein nur als Markierungen von Stellen
betrachtet, an die man bei der numerischen Auswertung der Gleichungen
Zahlenwerte gemessener GrofSen zu setzen hat. Indessen hat seit dem An
fang des 20. Jahrhunderts - besonders gefordert durch die Bemiihungen von
Julius Wallot [7] .- die Einsicht mehr und mehr Raum gewonnen, dafS viele
begriffliche Schwierigkeiten und Fehlschliisse vermieden werden konnen,
wenn man die Symbole nicht als allgemeine Stellvertreter von Zahlenwerten,
sondem als Symbole der GrofSen selbst betrachtet.
Auf diese Einsicht griindet sich die Grof3enlehre.
1. Physikalische GraBen
1.1. Physikalische Grof3en beschreiben mefSbare Merkmale von Dingen,
Zustanden oder Vorgangen 1). Die Messung einer GrofSe besteht in ihrem
quantitativen Vergleich mit einer als Einheit dienenden BezugsgrofSe, also
in der Feststellung, welches Vielfache oder welcher Bruchteil der Einheit die
1) Es ist vielfach uhlich, ein Ding mit dem Namen einer Grof3e zu benennen, die
eines seiner verschiedenen Merkmale beschreibt, z. B. einen Korper eine
Masse, einen Kondensator eine Kapazitiit zu nennen. Das soUte tunlichst ver
mieden werden. Leider gibt es gelegentlich keine unterscheidende Nomenkla
tur. 50 bezeichnet das Wort Widerstand ublicherweise sowohl eine Grofle, als
auch ein Ding, das einen Wider stand hat, das Wort Mol sowohl eine Einheit,
als auch ein Ding, das die Einheit Mol verwirklicht.
1 Westphal 1
GroBe ist. Dieses Vielfache oder dieser Bruchteil heiSt der Zahlenwert (nicht
so gut: MaBzahl) der GroBe. Es ist also
GroBe
Zahlenwert = -E'h ----;-' (1)
melt
Das ist die Definition des Begriffs Zahlenwert. Aus (1) folgt
GroBe = Zahlenwert X Einheit. (2)
Eine aufgrund einer Messung (oder Berechnung) auf diese Weise beschrie
bene GroBe (z. B. eine Lange als 3 Meter, eine Stromstarke als 10 Ampere)
nennen wir eine spezielle Grof3e. (2) darf nicht als eine Definition des
Begriffs GroBe miBverstanden werden (was leider manchmal geschieht),
denn die Einheit ist ja auch eine GroBe (mit dem Zahlenwert 1).
1.2. Physikalische GroBen sind entweder Skalare ohne Richtung oder Vek
toren mit Richtung (oder Tensoren hoheren Grades). Unter dem Betrag
eines Vektors versteht man sein skalares AusmaB ohne Berticksichtigung
seiner Orientierung im Raum. Ferner unterscheidet man Intensitiitsgrof3en
und Quantitiitsgrof3en. IntensitatsgroBen antworten auf die Frage: Wie
stark? oder Wie konzentriert? und bleiben bei einem tiberall in gleichem
Zustand befindlichen Korper bei seiner Teilung erhalten. QuantitatsgroBen
antworten auf die Frage: Wie groB? oder Wie viel? und bleiben bei einer
solchen Teilung nicht erhalten. Beispiele von IntensitatsgroBen sind die
verschiedenen Arten von Dichten, der Gasdruck, die Temperatur, Beispiele
von QuantitatsgroBen sind die Masse, die elektrische Ladung und die
Energie.
1.3. Von GroBen kann man nur bei Phanomenen sprechen, die ein Ausmaf3
haben. Nicht durch eine GroBe beschreibbar ist z. B. die Farbe. Die ver
schiedenen Farben unterscheiden sich nur qualitativ; man kann nicht sagen,
daB die Farbe Blau groBer oder kleiner als die Farbe Rot ist. Die sogenannte
Farbmessung durch Einordnung in eine Farbtafel beruht nicht auf einem
Vergleich mit einer Einheit und ist keine Messung im Sinne der Physik.
1.4. Unter einer Grof3enart (oder GroBenklasse) versteht man eine unendliche
Menge gleichartiger, nur in ihrer Quantitiit oder Intensitiit verschiedener
Grof3en. Nur von gleichartigen GroBen kann man sinnvolle Differenzen
(nicht immer Summen) bilden. Sie lassen sich nach ihrer Quantitat oder
Intensmit in eine stetige Folge ordnen. (Nach ihren Zahlenwerten nattirlich
nur bei Verwendung der gleichen Einheit).
1.5. Bei Skalaren ist der Begriff der Dimension gleichbedeutend mit dem der
GroBenart. Bei Vektoren bezieht er sich nur auf deren skalaren Betrag (1.2.).
Es gibt FaIle, wo zwei verschiedenartige GroBen die gleiche Dimension
2
haben, z. B. die Arbeit, ein skalares, und das Drehmoment, ein vektorielles
Produkt. Die Angabe der Dimension einer GroBe kann also einen geringeren
Informationsgehalt haben als die Angabe einer GroBenart.
1.6. Zur allgemeinen Kennzeichnung gleichartiger GroBen verwendet man
gleiche Buchstabensymbole (Formelzeichen) und spricht dann - zum Vnter
schied von den speziellen GroBen (1.1) - von allgemeinen GrofSen, die - bei
gegebener Einheit - noch beliebige Zahlenwerte annehmen konnen. Fiir die
Formelzeichen verwendet man schrage Antiquatypen, fiir 5kalare magere,
fUr Vektoren heute meist halbfette, fiir deren skalare Betrage die ent
sprechenden mageren Typen [12]. Fiir die wichtigsten Formelzeichen gibt es
internationale Vereinbarungen.
1.7. Vnter einem MafS fur eine GrofSe verstehen wir eine andersartige
GrofSe, die mit jener durch eine eindeutige Beziehung verkniipft ist, so daB
man aus gemessenen Werten der einen die andere GroBe berechnen kann. So
kann ein Volumen Vein MaB fiir eine Masse m sein, wenn die Dichte (} des
betreffenden 5toffes bekannt ist, m = (} V.
1.8. VerhaltnisgrofSen sind Quotienten aus zwei gleichartigen GroBen,
G = gllg 2' Da sich bei ihrer numerischen Darstellung die gemeinsame Ein
heit weghebt, so begeht man keinen Fehler, wenn man sie durch ihr Zahlen
wertverhaltnis ersetzt, also G = {gl}/{g2}' Aber sie sind, je nach der
GroBenart von gl und g2, verschieden definiert, also je nachdem nicht aIle
gleichartig, z. B. der ebene Winkel, der raumliche Winkel, der Wirkungs
grad. In manchen Fallen ist g2 eine vereinbarte spezielle BezugsgroBe. 5ie
werden dann oft in 0/0 angegeben. Als MaBe von 5innesempfindungen ver
wendet man wegen des Weber-Fechnerschen Gesetzes logarithmierte Ver
haltnisgrofSen.
2. Einheiten
2.1. Hne Einheit einer GrofSe kann nur eine ihr gleichartige BezugsgroBe
sein. Bei Vektoren bezieht sich die Einheit nur auf deren skalaren Betrag.
Demnach sind alle Einheiten Skalare. Einheiten konnten an sich aus dem
GroBenvorrat der betreffenden GroBenart beliebig ausgewahlt werden.
Indessen bestehen im Interesse der Einheitlichkeit und der allgemeinen
Verstandlichkeit Vereinbarungen iiber die Verwendung einiger bestimmter
Einheiten fiir jede GroBenart.
2.2. Fiir die Angabe spezieller GroBen in Zahlenwert und Einheit gibt es
international anerkannte Kurzzeichen fiir die Einheiten (Einheitenzeichen),
z. B. m fUr das Meter,s fiir die 5ekunde, A fiir das Ampere. 5ie werden mit
steilen Antiquatypen gesetzt [12]. Die Verwendung von dezimalen Bruch-
3