Table Of ContentHans Wußing
Die Große
Erneuerung
Zur Geschichte
der Wissenschaftlichen Revolution
Springer Basel AG
Author
Prof. Dr. Hans Wußing
Braunschweiger Str. 39
D-04157-Leipzig
Deutsche Bibliothek Cataloging-in-Publication Data
Wußing, Hans:
Die Große Erneuerung: zur Geschichte der wissenschaftlichen Revolution /
Hans Wußing. - Basel; Boston; Berlin: Birkhäuser, 2002
ISBN 978-3-0348-9458-6 ISBN 978-3-0348-8154-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-0348-8154-8
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ISBN 978-3-0348-9458-6
© 2002 Springer Basel AG
Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag, Basel • Boston • Berlin 2002
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 2002
Umschlaggestaltung: Gröflin Graphic Design, Basel (www.groeflin.ch), unter Verwendung der Titelseite von
Francis BaconsInstauratio magna (Die Große Erneuerung), London 1620. [Bildersammlung des Karl-
Sudhoff-lnstituts, Universität Leipzig]
ISBN 978-3-0348-9458-6
987654321
Vorwort
Die nach Inhalt, Methode und sozialer Relevanz durchgreifenden Umwäl
zungen in Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie, Biologie und Geogra
phiesowieinNaturphilosophieundwissenschaftlichenOrganisationsformen
während des 16./17. und des beginnenden 18. Jahrhunderts werden in der
Historiographie der Wissenschaften mit dem SammelbegriffWissenschaft
liche Revolution schlechthin bezeichnet. Das Buch beschreibt markante
Höhepunkte jenesProzesses,aufdenenganzwesentlich unsereheutigeWis
senschaftgegründetist. Umdie geistigenWendungen und die Persönlichkei
ten hervortretenzulassen,wurdegroßerWertaufauthentischeÄußerungen
jenerWissenschaftlergelegt.
Durchdas Entgegenkommendes BirkhäuserVerlages waresmirmöglich,
derVision von Francis Bacon übereine große ErneuerungderWissenschaf
ten zum Zwecke der Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschheit
amkonkreten historischen ProzessderWissenschaftlichenRevolutionnach
zugehen,wenigstensam Beispielmarkanter Höhepunkte.
So gilt meine Dank in erster Linie dem Verlagsleiter, Herrn H.-P. Thür,
und dem Lektor für Wissenschaftsgeschichte, Herrn E. Klementz. Bei der
Bildbeschaffung haben mich unterstützt: Frau B. Schlag, Frau Prof Dr. I.
Kästner und Frau Pfrepper (Karl-Sudhoff-Institut der Universität Leipzig),
Frau Teschner von der Universitätsbibliothek Leipzig, die Deutsche Bibli
othek Leipzig, der Preußische Kulturbesitz Berlin, die Niedersächsische
LandesbibliothekHannover,das Kupferstichkabinett Dresden, dieLandesbi
bliothek Dresden, der BirkhäuserVerlag, Herr Parodi vom Astronomischen
Institut der Universität Basel, Dr. E. Fellmann (Basel) und Dr. W. Schreier
(Leipzig) und andere Kolleginnen und Kollegen.
Und nicht zuletzt geht mein Dank an jene Autoren und Wissenschafts
historiker, die sich ihrerseits mit der Wissenschaftlichen Revolution befasst
hattenundaufderen Publikationenichzurückgegriffen habe.
Leipzig, imAugust2002 Hans Wußing
Inhalt
Einführung 1
Prolog 6
DiecopernicanischeWende 11
Nicolaus Copernicus 14
Derevolutionibus 16
Umstrittenesheliozentrisches System 22
FürundWider 22
Tycho Brahe 24
AnerkennungdesHeliozentrismus 28
GalileoGalilei 30
Dialogüberdie zwei hauptsächlichstenWeltsysteme 33
ZweineueWissenschaften 40
Ingenieure. Simon Stevin .. 43
PhysikdesHimmels 45
Johannes Kepler 48
DasWeltgeheimnis 50
Die neueAstronomie 52
Kalenderreforrn 56
Inductio. Ratio 57
Francis Bacon 57
Rene Descartes 62
VIII
Atomismus 70
Pierre Gassend 70
Institutionen 72
Instrumente 81
Fernrohr 81
Spiegelteleskop 84
Mikroskop 87
Barometer. Luftpumpe 90
Thermometer 97
Chronometer 98
Rechenhilfsmittel. Rechenmaschinen 99
Mathematik 104
Algebra .. 104
AnalytischeGeometrie 108
Die Problemsituation II3
Frühgeschichte derInfinitesimalmathematik II4
Tangentenproblem II6
Newton und die Fluxionsrechnung II7
Leibniz und der Calculus 124
DerPrioritätsstreit .. 129
Herausbildungdes Funktionsbegriffes .. 132
Ausbau der Infinitesimalmathematik 132
Optik 137
Brechungsgesetz 137
Lichtgeschwindigkeit 138
Farbenlehre 139
Lichttheorie 146
Wellentheorie des Lichtes 149
ChemieaufderSuche 152
Elemente. Prinzipien 152
Gas 153
Derskeptische Chemiker 154
Phlogiston 159
IX
Grundlegung derklassischen Physik 160
Newton 160
Gravitation 165
Principia 168
Newton und die Naturphilosophie 178
ErkenntnisseüberdiebelebteNatur 185
Botanik 186
Sexualität 188
Zoologie 188
Anatomie. Blutkreislauf 190
Vitalismus. Iatromechanik. Iatrophysik. Iatrochemie 193
GeographischeEntdeckungen. Geologie .. 195
Fossilien 197
Schlussbemerkung 199
Zeittafel.............. 201
Literatur 2II
Namensregister 220
Einführung
Wenn wirüberRevolutioninderWissenschaftsprechen,
soisteswichtig, sichdieseRevolutionsehrgenauanzusehen.
WemerHeisenberg
Im Jahre 1620 erschien in London als Auftakt eines geplanten groß ange
legten Werkes die Instauratio magna, die "Große Erneuerung", aus der
Feder des englischen Politikers, Juristen und Philosophen Francis Bacon
(1561-1626). Nur zwei Bestandteile des Ganzen konnte er niederschreiben,
1620 das Novum Organon (Neues Organon) und 1623 De dignitate et aug
mentis seientarum (Über die Bedeutung und die Vermehrung der Wissen
schaften).
DasTitelblattderInstauratio magna zeigteinSchiff,dasmitvollenSegeln
in die Weiten des Ozeans vorstößt, zwei begrenzende Säulen hinter sich
lassend. Das Motto lautet Multi pertransibunt et augebitur seienta (Viele
werden hindurchgehen und dasWissenwird zunehmen).
Bacon hatte die Vision einer gänzlichen Um- und Neugestaltung der
Wissenschaften; er spürte schon und war Zeitzeuge der einsetzenden Wis
senschaftlichenRevolution. ErselbstgehörtezuihrenWegbereiternundMit
gestaltern.
Die Naturwissenschaften samtderMathematikerfuhren in einemreichli
chenJahrhundertvomausgehenden 16. biszum Beginn des 18.Jahrhunderts
nach Inhalt,Methode undgesellschaftlicherRelevanz durchgreifendeÄnde
rungen. Bis zu einem gewissen Grade kann man sogar behaupten, dass der
Typ der neuzeitlichen Mathematik und Naturwissenschaft in dieser Periode
erstgeschaffen wurde. Zur Bezeichnungdieser tiefgreifenden Umgestaltun
gen in jener Sphäre gesellschaftlichen Lebens hat sich der Begriff Wissen
schaftliche RevolutionalsfastdurchgängigverwendeterFachterminusin der
HistoriographiederWissenschaften eingebürgert.
H. Wußing, Die Große Erneuerung
© Birkhäuser Verlag 2002
IndessenistbeiallerAkzeptanz dieses Begriffes,dereinebesondersauf
regende und interessante Periode der Wissenschaftsentwicklung heraushe
ben soll, doch unübersehbar, dass man bei näherem Zusehen aufeine Fülle
sich dahinter verbergender unterschiedlicher Begriffsinhalte trifft. Hier soll
indes darauf verzichtet werden, das ganze Spektrum der Auffassungen zu
wissenschaftlichenRevolutionenimAllgemeinenundzurWissenschaftlichen
Revolution im Besonderen darzulegen [vgl. etwa Bialas, Shea,Th. S. Kuhn].
InsbesonderesollenhierdiestarkenVerflechtungendiesesGegenstandesmit
wissenschaftstheoretischenGrundpositionenübergangenwerden,sointeres
santund lehrreichsieauch sind.
Vielmehr werden wir hier den Begriff "Wissenschaftliche Revolution"
ganzpragmatischverwenden,unreflektiertzwar,aberimSinneeinerwissen
schaftshistorischen Kategorie, nämlichzurBeschreibunghistorischerTatbe
stände und ihrer Bedeutung sowohl als auch als Richtlinie für Fragen, die
an die Geschichte zu stellen sind. Gerade daher sind einige Erläuterungen
notwendig.
Mit dem Begriff einer wissenschaftlichen Revolution soll die Tatsache
ausgedrücktwerden, dass die EntwicklungderWissenschaften nichtgleich
förmig in der Zeit verläuft, sondern Perioden rascheren oder langsameren
Wachstums aufweist. Außerdem soll mit dem Eigennamen "Wissenschaftli
che Revolution" unter zahlreichen wissenschaftlichen Revolutionen - wie
etwa der Relativitätstheorie oder der Quantenphysik oder der Darwinschen
Evolutionstheorie - jene herausgehoben werden, deren historische Bedeu
tungdiealleranderen "Teilrevolutionen"inspeziellen BereichenderWissen
schaft grundsätzlich, im welthistorischen Zusammenhang übertrifft. Auch
schließen wir uns hier der von großen Gruppen von Wissenschaftshistori
kernvertretenenAuffassungan,dasszueinerwissenschaftlichenRevolution
neben den kognitiven und methodologischen Umwälzungen innerhalb eines
wissenschaftlichen Bereiches auch die Bezüge und Wechselwirkungen zum
soziologischen Bereich gehören, angefangen von den Organisationsformen
der Wissenschaft über die Beziehungen zur Produktion bis hin zu den Ver
flechtungen mit Religion und Philosophie.
Noch in einem weiteren Punkt bedarf es der Erläuterung. Abgesehen
von der eher semantischen Frage, wie viele Jahre eine Revolution allenfalls
umfassen kann, schließen wir uns hierdervon vielen Wissenschaftshistori
kern vertretenen Auffassung an, dass die Wurzeln der Wissenschaftlichen
Revolutionbisindie RenaissancehinabreichenundihreWirkungenanderer
seitsbisindie Frühaufklärunghinaufreichen.
Historische Perioden pflegen nicht mitTag und Stunde zu beginnen oder
zuenden;aberdennochvermögenganzfestumrissenehistorischeDatenher
ausragender EreignisseinsymbolischerWeise Beginn und Endeeinerhisto
rischen Periode zubezeichnen.
3
Es soll also hier die Wissenschaftliche Revolution in ihrer Frühphase
mit dem Jahre 1543 einsetzen, jenem Jahre, in dem gleich zwei unsterbliche
wissenschaftliche Werke erschienen sind: De revolutionibus (etwa: Über
die Umschwünge [der Himmelskörper]) von Nicolaus Copernicus und De
humanicorporisfabrica (etwa: Überden BaudesmenschlichenKörpers) von
AndreasVesalius.
Als Isaac Newton 1727 starb und in einem feierlichen Staatsakt in der
Westminster Abbey beigesetzt wurde, da war die Wendung im Grundsätz
lichen vollzogen: In nur vier Generationen hatte sich die Naturforschung
gesellschaftlicheAnerkennungerworben.GiordanoBrunowarimJahre1600
unter anderem wegen des Eintretens für die copernicanische, d.h. heliozen
trische Astronomie öffentlich auf dem Scheiterhaufen hingerichtet worden.
Galileo Galilei noch wurde deswegen vor Gericht gestellt und starb 1642
im Gewahrsam der Inquisition. Rene Descartes noch hielt brisante Teile
seines Hauptwerkes zurück, publizierte anonym und ging in die Emigration
nach Schweden. Newton aberkonnte 1687 das wohl bedeutendste Werk der
Naturwissenschaftsgeschichtepublizieren,diePhilosophiaenaturalisprinci
pia mathematica (etwa: Mathematische Prinzipien der Naturwissenschaft).
WegenseinerVerdienste um diebritischeMünzreformwurdeergeadeltund
erhieltalsersterNaturforscherein pompöses Staatsbegräbnis.
Vier Generationen von Naturwissenschaftlern also soll hauptsächlich
unsere Aufmerksamkeit gelten, Männern wie Copernicus, Galilei, Kepler,
Brahe,Bacon, Descartes,Fermat,Guericke, Pascal,Gilbert, Huygens, Linne,
Harvey, Hooke, Newton, Leibniz, Cook. Ihre Leistungen und die ihrer Mit
streiterbewirkten eine gänzliche Umgestaltung der Mathematik, der Astro
nomie und der Mechanik, insbesondere der Dynamik, die recht eigentlich
erst als wissenschaftliche Disziplin begründet wurde. Mit der Erfindung
einer Mathematik der Variablen und der Infinitesimalmathematik wurde
den Naturforschern ein Instrumentarium höchster Leistungsfähigkeit in die
Handgegeben.AnatomieundPhysiologieschufenderMedizineineingroßen
Teilen naturwissenschaftliche Basis. Chemie, Zoologie und Botanik, Geolo
gie und Geographie begannen, nach neuen Ufern zu streben.
Aufden ersten Blick scheintalles ganz einsichtigund deutlich. Die Revo
lution im Erkenntnisgewinn ist ebenso unverkennbar wie im Methodolo
gisehen, insbesondere mit dem Aufkommen der experimentellen Methode
sowieschließlich der Umschwung, der den Naturforschern eine anerkannte,
javoneinigengesellschaftlichen Kreisensogarumworbene Stellungsicherte.
Herrscher rechneten es sich zur Ehre und als ihr Verdienst an, an ihren
AkademienberühmteGelehrtezuversammeln,alsrepräsentativenTeilihrer
Hofhaltung.
Aber schon beim zweiten Blick und erst recht bei tieferem Eindringen in
diehistorischenGegebenheitentreten Unstimmigkeitenauf. DieLektüreder