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Hochschulschriften
Ursula Maier-Eichhorn
Die Gestikulation
in Quintilians Rhetorik
Peter Lang Frankfurt am Main Bem • New York • Paris
Europäische
Hochschulschriften
Publications Universitaires Européennes
European University Studies
Reihe XV
Klassische Sprachen und Literaturen
Série XV Series XV
Philologie et littératurec lassiques
Classics
Bd./Vol. 41
PETER LANG
Frankfurt am Main •B ern •N ew York •P aris
Ursula Maier-Eichhorn
Die Gestikulation
in Quintilians Rhetorik
PETER LANG
Frankfurt am Main • Bern •N ew York •P aris
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Maier-Eichhorn, Ursula:
Die Gestikulation in Quintilians Rhetorik / Ursula Maier-
Eichhorn. - Frankfurt am Main ; Bern ; New York ; Paris •
Lang, 1989
(Europäische Hochschulschriften: Reihe 15, Klassische
Sprachen und Literaturen ; Bd. 41)
Zugl.: München, Univ., Diss., 1986
ISBN 3-631-40504-9
NE: Europäische Hochschulschriften / 15
Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1985/86 an der
Philosophischen Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft
der Ludwig-Maximilians-UniversitätM ünchen als
Dissertation eingereicht.
D 91
ISSN 0721-3433
ISBN 3-631-40504-9
O Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1989
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Printed in Germany
INHALTSÜBERSICHT
Seite
Vorbemerkung
7
1 Zur Terminologie. Die Begriffe C)Tt6RPtatg,
actio / pronuntiatio t in der Rhetorik 11
2 Die actio/pronuntiatio I— Lehren in der
römischen Rhetorik vor Quintilian
15
2.1 Die Herennius—Rhetorik
15
2.2 Verlorene Schriften 21
2.3 Cicero
22
3 Quintilians Lehre von der Gestikulation 29
3.1 Allgemeines zu Quintilians actio/pronun—
tiatio' —Lehre 29
3.2 Zur Einordnung der Lehre von der Gesti—
kulation 31
3.3 Zur Lage der Forschung 35
3.4 Kommentar zu inst.11,3,84—124 48
Anhang I: Abbildungen zu den Fingerstellungen
nach Quintilian 137
Anhang II: Die Bedeutung der Terenzminiaturen
für die Erklärung Quintilians 145
Literaturverzeichnis 155
5
VORBEMERKUNG
Die antike Rhetorik theorie nennt bekanntlich fünf Aufgaben, die
der Redner zu leisten hat: C/inuentio (das Auffinden des
Stoffes, T&tug/dispositio (die wirkungsvolle Anordnung und Glie—
derung), XCE,tc/elocutio (die stilistische Ausarbeitung), gvf)PLT)
memoria (das Einprägen der Rede ins Gedächtnis); die fünfte
Aufgabe ist schließlich die Ört6ycpLOLC/actio bzw. pronuntiatio,
d.h. der ausdrucksvolle Vortrag, zu dem der passende und
kunstgerechte Einsatz von Stimme, Mienenspiel und Gebärdenspra—
che gehört.
Wie hoch gerade diese in der Antike geschätzt wurde,
kommt vor allem in zwei Anekdoten zum Ausdruck, die in Texte
zur Rhetorikt heorie immer wieder eingeflochten worden sind.
In der ersten heißt es über Demosthenes, er habe auf die Frage,
was denn das Wichtigste sei beim Reden, die Antwort gegeben:
der Vortrag; auf die Frage nach dem Zweitwichtigsten habe er
geantwortet: der Vortrag; auf die Frage nach dem Drittw ichtig—
sten wiederum: der Vortrag, und dies solange, bis der Frager
aufgehört habe zu fragen. [1]
Die zweite berichtet, daß Aischines, der nach dem Prozeß gegen
Ktesiphon nach Rhodos gegangen war, von den Rhodiern gebeten
worden sei, seine Klage gegen Ktesiphon die eigentlich gegen
Demosthenes gerichtetw ar vorzutragen. Am nächsten Tag woll—
ten die Rhodier auch Demosthenes t Gegenrede für Ktesiphon hö—
ren. Als Aischines geendet hatte und sah, daß die Rhodier vol—
1er Begeisterung waren, sagte er: "Wie würdet ihr erst staunen,
wenn ihr ihn selbst gehört hättet!
Leider entsprechen die überlieferten Textzeugnisse dieser beson—
deren Rangordnung der "Hypokrisis l' in der Rhetorik des Alter—
turns nicht völlig.
Im Bereich der griechischen Rhetorik liegen uns nur fragmenta—
risch erhaltene Zeugnisse vor, die zum Teil heillos korrupt
1 Cic.de orat.3,213; or.56; und viele weitere
Stellen .
2 Cic.de orat.3,213; Quint.inst.11,3,7 u.v.a.
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sind. [3] In der römischen Rhetorik sieht die Situation immerhin
insofern besser aus, als wir dort drei vollständige Schriften
sitzen, die u.a. eine systematische Darstellung der Gebärden¯
sprache enthalten: die Herennius—Rhetorik, Cicero und Quinti¯
lian, der bei weitem die meisten Details bietet.
Die Philologie hat bislang wenig Interesse für die grundlegende
Lehre Quintilians über die Gebärdensprache gezeigt. Diese ist
dagegen von verschiedenen modernen Disziplinen, darunter der
Ausdruckspsychologie und Schauspiel theorie, durchaus zur Kennt—
nis genommen worden. Hier zeigen sich dann aber auch gleich
die Folgen der mangelnden philologischen Aufarbeitung: ein pro—
blematisch überlieferter Text, oft unverständlich und unverstan—
den, wird unbefragt zur Grundlage genommen für darauf auf—
bauende Gedanken. Gerade die Philologie ist also aufgerufen,
durch sprachliche und sachbezogene Basisarbeit die notwendigen
Grundlagen zu schaffen für das Verständnis des Quintiliantextes,
der ja erst dann von den anderen Spezialdisziplinenv erwendet
werden kann.
3 Meist sind wir dabei auf indirekte Überlieferung angewiesen.
So wissen wir von der frühesten Behandlung der Hypokrisis
(in den heute verlorenen "Eleoilt des Thrasymachos) nur
durch eine Notiz des Aristoteles (rhet. 1404 a 12). Von Aristo—
teles selbst stammt die Anregung, die Hypokrisis systematisch
auszuarbeiten (rhet .1403 b 20—23); er weiß um ihre enorme
Wirkung auf die Zuhörer (rhet.1386 a 32; 1404 a 15f., 1413
b 8 ff.; s. auch 1414 a 14—16). Das Werk seines Schülers
Theophrast Ttcpi , das im Schriftenverzeichnis
bei Diog. Laertios aufgeführt wird (5,48 Long), ist verloren.
Eine Stelle bei Athanasios (Walz Rhet.VI 35,28ff.; vgl. dazu
auch Walz II 1) bezeugt, daß Theophrast die Hypokrisis mit
der Affektenlehre in Beziehung setzt und eine Zweiteilung
der Hypokrisis in Körper bewegung und Stimmführung zugrunde
legt; daß er überhaupt sehr ins Detail gegangen sein muß,
ist Cic.de orat.3,221 zu entnehmen. Die Haltung des Theo—
phrast—Schülers Demetrios von Phaleron zur Hypokrisis bele—
gen zwei Textzeugnisse, bei Dionys von Hal. (Dem. 53 244
Us.—R.) und bei Philodern (1 197,24ff. Sudh.). Chrysipps In—
teresse für den Stoff bezeugt Plutarch (de Stoic.rep .1047 a
SV F II 297); wie wichtig Athenaios die Hypokrisis nahm,
erfahren wir wieder von Philodem (1 193,12ff.S udh.). Von
Longin gibt es einen direkt überlieferten Text: HG 1 194—197
sp .-H . ; zu RG 1 194, 21-24 Sp.-H. (z IX 567 Walz) vgl. auch
Schol.in Dion .T hr. 172, 2—5 Hilg. (Hinweis bei Calboli—Monte—
fusco zu Fort.rhet.3,15).
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In der folgenden Arbeit versuche ich daher, die Lehre Quint i—
lians philologisch anzugehen und zu kommentieren. Die Fülle
des Materials wurde dabei auf unseren heutigen Begriff von
Gestikulation eingeschränkt, also auf Gebärden im engeren Wort—
sinn. Wenn hierbei manche Schwierigkeit nicht gelöst werden
konnte, liegt das auch am Gegenstand selbst. Gebärden sind in
sehr hohem Maß zeitgebunden und konventionell; in einer ande—
ren Epoche, in einem anderen Lebensraum sind sie daher nicht
immer unmittelbar verständlich.
Hinzu kommt unsere im ganzen doch veränderte Einstellung zur
Rhetorik überhaupt und nicht zuletzt die andersartige Mentalität
von Süd- und Nordländern, die sich auf die jeweilige "Körper—
sprache il erheblich auswirken kann.
Zu diesen Schwierigkeiten,d ie den sachlichen Zugang zum Thema
betreffen, kommen aber auch einfach sprachliche Hindernisse so—
wie die Tatsache, daß der Text stellenweise sehr unsicher über—
liefert ist.
Um zusätzlich zu der detaillierten Übersetzung und Kommentie—
rung des Gestikulationskapitels bei Quintilian auch ein Gefühl
für die Tradition des Stoffes in der römischen Rhetorik zu ver—
mitteln und zu zeigen, wie unabhängig Quintilian zum Teil von
seinen Vorgängern ist, wurden die jeweiligen Konzeptionen der
gesamten actio/pronuntiatio -Lehre sowohl in der Herennius—
Rhetorik und bei Cicero als auch bei Quinilian in einem Umriß
dem eigentlichen Text kommentar vorangestellt.
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