Table Of ContentMichael Krupp
Die Geschichte der Juden
im Land Israel
Vom Ende des Zweiten Tempels
bis zum Zionismus
Mit einem Geleitwort
von Elazar Benyoetz
Gütersloher Verlagshaus
Originalausgabe
Ein NES AMMIM Buch
Zum besseren Verständnis des Judentums und Israels
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Krupp, Michael
Die Geschichte der Juden im Land Israel: vom Ende des
Zweiten Tempels bis zum Zionismus / Michael Krupp. – Orig.-
Ausg. – Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus Mohn, 1993
(Gütersloher Taschenbücher ; 765)
ISBN 3-579-00765-3
© Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1993
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Umschlaggestaltung: Dieter Rehder, Kelmis/Belgien, unter
Verwendung der Farbradierung »Schawuot – Fest der Thora,
Erntefest« von Hartmut R. Berlinicke, Wildeshausen
Satzherstellung: Michael Krupp und pagina GmbH, Tübingen
Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
In dieser Darstellung wird, anders als nach
christlich-historischem Verständnis, darauf
hingewiesen, daß der Staat Israel nicht nach dem
letzten großen Aufstand der Juden gegen die
römische Fremdherrschaft endete. Der Autor
beschreibt in dem gut lesbaren und verständlichen
Band den Kampf der Juden um das Verbleiben im
Land Israel seit der Zerstörung des Tempels 70
nach Christus bis zum Beginn der zionistischen
Bewegung im 19. Jahrhundert.
Das Land der Augen Gottes
Ein Geleitwort
Johannes der Täufer irrte sich, da er meinte, Gott könnte,
wollte er nur, Abraham auch aus dem Steine Kinder hauen.
Gott will nicht, was er kann, darum ist er Gott; seine Gedanken
aber gehen durch Fleisch und Blut bis ins Mark, wo sie
erhalten bleiben. Dem Stein ist nur das Feuer zu entnehmen,
nicht die Glut, geschweige denn eine große Verheißung.
Hätte Gott gewollt, was Johannes ihm zugedacht hatte, dann
müßte Abraham nicht in ein unbekanntes Land aufbrechen,
nur, weil dort ihm ein Same verheißen wurde. Was diesen
betrifft, war Abraham gerade bestens beraten: der gesegnete
Schoß war der weibliche Ur-Schoß. Isaak und Jakob, Kinder
des verheißenen Landes beide, mußten sich ihre Frauen von
dort holen.
Im Lande der Fruchtbarkeit blieb Abraham unfruchtbar.
Wenn seine Unfruchtbarkeit dem Plan Gottes nicht hinderlich
wäre, wenn Gott also wie Johannes dächte, dann hätte ER ihn
in Ur zu einem mächtigen Stamm gedeihen lassen. Gott aber
sprach also zu Abraham:
Geh aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und
aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
Und ich will dich zum großen Volk machen, und will dich
segnen, und dir einen großen Namen machen, und sollst ein
Segen sein. Ich werde segnen, die dich segnen, und verfluchen,
die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle
Geschlechter auf Erden.
Abraham wurde aufgerufen, ins Unbekannte aufzubrechen, das
ihm Vertrauteste fahren zu lassen, und sich einer Verheißung
hinzugeben, die nichts offenbart, aber wohl geeignet ist,
Unerschütterliches hervorzurufen und wortfest zu machen.
Dies war der Ruf, den Abraham vernommen haben muß,
denn Abram heißt: der große Mann, der bei sich nur eines weiß
und darum nicht zu ergründen ist. Es ist ja auch so, daß wir
nach wie vor nicht wissen, warum Abraham an Gott glaubte.
Aber wir wissen, daß er in seinem Glauben selbst durch Gott
nicht zu erschüttern war.
So dürfen wir annehmen, daß er nicht des verheißenen
Samens wegen Vaterland und Freundschaft verlassen hatte. Er
war alt genug, um sich mit seiner Unfruchtbarkeit längst
abgefunden zu haben. Er wird sich später auch bereit zeigen,
ohne Wimperzucken seinen spät geborenen Isaak zu opfern.
Ferner dürfen wir annehmen, daß es ihm nicht um den großen
Namen zu tun war. Wen Gott sucht und findet, ist groß genug,
muß sich keinen Namen mehr machen. Gott hat seinen Namen
auch oft genug ausgesprochen, das war die Freude seines
Mundes, schließlich legte er ihm ein ganzes, göttliches H zu,
so war ER ihm mit einem Hauch mehr zugewandt. Auch die
Engel stritten um die Gunst, den Namen Abrahams
aussprechen zu dürfen. Der eine konnte sich nicht enthalten,
und rief den Namen, voll Bangen und Verzückung, gleich
zweimal aus: »Abraham, Abraham!« (1 Mos 22,11). Sie
wußten, was Jesaja uns nur andeuten konnte: daß Abraham
Gottes einziger Freund war.
Aus der langen Liste der Verheißungen traf nur das letzte
Wort auf Abraham zu: er wollte zum Segen werden, denn er
kannte die verfluchte Welt und würde gern am Anfang einer
neuen gestanden haben. Dahin also brach er auf, in das
verheißene, nicht zu benennende Land, das ER ihm, dem
neuen Adam, zeigen wollte. Es sollte kein zweites Paradies
sein, Abraham kein Gärtner Gottes werden.
Gott hat ihm den Weg dahin nicht gewiesen, sein eigener
Aufbruch gab ihm die Richtung unfehlbar ein.
Als er bereits hineingekommen und bis Sichem vorgedrungen
war, erschien ihm Gott und sprach zu ihm: »Deinem Samen
gebe ich dieses Land«. Das also war’s. An Gottes Ziel
angekommen stand er an seinem Anfang. Was darauf folgte,
ist in der Bibel nachzulesen. Aber was geschrieben steht, bleibt
doch nicht stehen.
Abraham wurde zum Segen, viele Völker der Erde ruhen nun
»in Abrahams Schoß«. Aber fruchtbar konnte Abraham nur in
diesem Land werden und auch nur in diesem war »der Segen
Abrahams« wirksam und ließ sich übertragen, so pflanzte er
sich bis auf Jakob fort. Kraft dieses Segens konnte Jakob dann
den eigenen Kampf mit dem Engel aufnehmen und eine Nacht
lang mit ihm ringen, auf daß er nicht mehr Jakob heiße,
sondern Israel. Nun sollten die Völker in diesem Namen
gesegnet werden.
Die Söhne Jakobs sind die Kinder Israel geworden, aber bis
auf Benjamin wurde keiner von ihnen im Land Israel geboren.
Das Land der Verheißung, obzwar geschenkt, war nicht billig
zu haben, mußte begehrt und eingenommen werden. Denn nun
war es das »Land der Augen Gottes«, in das er seinen Blick
zurückzog, nachdem er ihn vom Paradies abwandte und seine
bittersten Tränen über Adam und seine sich gegen Ihn
auftürmenden Nachkommenschaft als Sintflut über die Welt
vergossen hatte.
Die erste uns bekannte Liebe Gottes gehörte dem Land, das
er seinem einzigen Freund, Abraham, »zeigen wollte«.
Dem auserwählten Volk blieb kaum ein Fluch erspart, vom
Land Israel durfte aber kein schlechtes Wort je gesagt werden.
Die größten Fürsten Israels, die von Mose entsandt wurden,
das Land auszukundschaften, mußten ihr Leben lassen, weil sie
kleinmütig über das Land gesprochen hatten. Das war vor Gott
ein noch größerer Frevel als der Tanz um das goldene Kalb.
Der Gedanke, das »Land der Augen Gottes« könnte von Ihm
je verlassen werden, erschütterte noch den Exil-Propheten
Hesekiel derart, daß wir meinen, in seiner Rede das Beben
eines jeden Worts Gottes zu vernehmen:
»Es ist die Missetat des Hauses Israel und Juda allzusehr groß;
es ist eitel Blutschuld im Lande und Unrecht in der Stadt. Denn
sie sprechen: Der Herr hat das Land verlassen, und der Herr
sieht uns nicht.« (9,9).
Die Geschichte des Judentums und sein Denken dreht sich um
dieses Wortpaar »Verlassen und Verlass«, beide haben sie
ihren Ursprung in Abraham.
Das ist die Kehrseite der vorliegenden Geschichte, die
Michael Krupp uns hier zum ersten Mal, in großem
Zusammenhang und ohne Auslassungen erzählt.
Jerusalem, Rosch Chodesch Menachem Av 5753
Elazar Benyoëtz
Vorwort
Martin Noths angesehene »Geschichte Israels«, Lehrbuch aller
deutschen Theologen und weit über die Grenzen Deutschlands
hinaus bekannt, endet mit dem Untergang des Tempels und
dem nachfolgenden letzten großen Aufstand der Juden gegen
die Fremdherrschaft der Römer:
Die Provinz aber vertauschte wahrscheinlich jetzt ihren
bisherigen Namen Judaea mit dem neuen Namen Palaestina,
den sie fortan führte und der von der älteren Bezeichnung des
Küstenlandes als »Philisterlandes« herstammte; denn der
Provinzname sollte nicht einmal mehr den Anschein erwecken,
als ob es hier noch ein »Land der Juden« gäbe. So waren die
Nachkommen des alten Israel in ihrem eigenen einstigen
Heimatland zu Fremdlingen geworden, wie sie es sonst in der
Diaspora auch waren; und ihre heilige Stadt war ihnen
verschlossen. Damit endete das schauerliche Nachspiel der
Geschichte Israels.
(Noth 406)
Der große deutsche Alttestamentier war hier einer christlichen
idee fixe erlegen, daß nämlich die Verwerfung Jesu durch die
Juden das Ende ihrer Geschichte bedeute. Mit der
Tempelzerstörung und dem Bar Kochba-Aufstand war aber die
Geschichte Israels nicht zu Ende, nicht einmal die Geschichte
Israels in seinem Land. Noch Jahrhunderte lang waren die
Juden die Mehrheit in ihrem Lande. Erst mit dem Sieg des
Christentums als Staatsreligion in der byzantinischen Zeit, als
die Judenverfolgungen zunahmen und Vertreibung und
Zwangsbekehrung zur Norm wurden, schwand die jüdische
Mehrheit. Dennoch blieb das Land Mittelpunkt für Juden in
aller Welt. Aus ihrem Land sind die Juden niemals ganz
vertrieben worden, nicht einmal in der Zeit des tiefsten
Niedergangs, in der Zeit der Kreuzzüge. Es hat sogar Juden
gegeben, in entlegenen Gegenden wie in einigen galiläischen
Dörfern, die das Land Israel niemals verlassen haben, die
niemals ins Exil gingen.
In diesem Buch wird der Kampf der Juden um das
Verbleiben in ihrem Land geschildert. Es macht deutlich, wie
viele Opfer es kostete, im Land der Väter und Mütter und
besonders in Jerusalem auszuharren. Das Land Israel hat für
die Juden niemals aufgehört, das besondere eigene Land zu
sein. Es blieb die Sehnsucht aller Generationen, und jede
Generation war bereit, große Opfer auf sich zu nehmen, um
wenigstens einen Rest des Volkes in seinem Land zu
bewahren.
In diesem Buch wird abwechselnd der Begriff »Land Israel«
neben dem herkömmlichen Namen »Palästina« verwandt.
»Land Israel« ist der jüdische Name für das Land, und er
bezeichnet das Territorium, in dem das jüdische Volk zur Zeit
seiner größten Ausdehnung wohnte. »Land Israel« ist im
strengen Sinn ein religionsgesetzlicher Begriff und bezeichnet
das Gebiet, in dem die biblischen Bodenbestimmungen, wie
das Siebentjahr, die Verzehntung der Früchte und die
Armenabgaben eingehalten werden müssen. Der Begriff
»Palästina«, »Philisterland«, ist, wie der eingangs zitierte
Alttestamentler richtig bemerkt, ein römischer Schimpfname.
Als Landesbezeichnung wurde er in der englischen
Mandatszeit verwandt, als das Land auf offiziellen
Dokumenten den Doppelnamen »Palästina, Land Israel« trug.
Geschichtlich hat dieser Raum seit dem Untergang der
jüdischen Selbständigkeit in römischer Zeit bis zum Beginn